Vietnam: Hoi An, bei Tag und Nacht
Erlebt am 4. April 2009, nachmittags und abends
[ Die Bilder des Tages ab hier im umfangreichen Album ]
Kaum habe ich mich mit dem Zimmer versöhnt, ja fast schon angefreundet, stellen wir mit Schrecken fest, dass es bereits beinahe 12:30 ist. Um 13:00 fährt der Shuttlebus nach Hoi An. Wir müssen uns noch um- bzw. anziehen und den Rucksack umpacken. Alles, was wir nicht benötigen, landet auf dem bereits gemachten Bett.
Der Bus bringt uns in die Altstadt. Ich habe davon ein Plänchen, und wir können uns schnell orientieren, da die Strassen auch hier gut angeschrieben sind. Die Franzosen haben die lateinische Schrift in Vietnam eingeführt, vorher wurde in Schriftzeichen geschrieben, das war den Kolonialherren zu mühsam und wohl auch zu unkontrollierbar. Obwohl es uns vieles erleichtert, empfinde ich es als unrecht, ein Volk seiner Schrift zu berauben.
Im 17. Jh. war Hoi An einer der bedeutendsten Häfen Südostasiens. Vietnamesische, chinesische und japanische Traditionen prägten die Stadt, es folgten europäische. Im 19. Jh verschlammte und verlandete der Hafen, und heute liegt Hoi An nicht einmal mehr direkt am Meer. Viele Häuser, Brücken und Tempel sind von der UNESCO unter Schutz gestellt worden.
Im Trieu Chau Clanhouse sind wir ganz alleine, können alles ausführlich anschauen: den Brunnen mit den Fischen und Schildkröten, die Drachen und anderen Figuren, die das Dach zieren, die chinesischen Schriftzeichen, die Schnitzereien, die Bonsais,
den Tempel mit den Heerscharen taoistischer Gottheiten. Der Wächter beim Eingang schläft.
Herrlich still ist es hier, und wir setzen uns auf eine lange Holzbank an einem Tisch.
Als Nächstes besuchen wir die Hai Nam Assembly Hall. In der Vorhalle werden Lampions hergestellt und zum Verkauf angeboten; neben den vielen Schneiderateliers der zweite wichtige Handwerkszweig in Hoi An.
Vor dem eigentlichen Tempel stehen sich zwei Reihen Stühle gegenüber: kostbare Lackarbeiten mit Perlmutterintarsien, dazwischen ebensolche Tischchen und Bonsais.
Auch dieser Ort lädt zum Verweilen ein, dafür stehen im Hof extra Bänke, nur sind die jetzt in der Sonne, und die Lackstühle im Schatten sind für Touristen wohl tabu, nehmen wir mal an.
Jede chinesische Gemeinde baute ihre eigene Versammlungshalle, die zugleich Tempel und kultureller Mittelpunkt der jeweiligen Gesellschaft war und ist. Sie entstanden alle im 18. Jh.
Zwar versucht jeder Clan den anderen mit Prunk und Pracht zu übertrumpfen, dennoch hat man nach zwei Häusern eigentlich schon alle gesehen.
Wir werfen noch einen kurzen Blick in die Quan Cong-, die Phuc Kien-, sowie die Kanton-Halle, bevor wir die berühmte japanische Holzbrücke erreichen. Sie ist überdacht und wurde 1593 von der japanischen Gemeinde erbaut, um ihren Stadtteil mit demjenigen der Chinesen zu verbinden.
Auch in Hoi An funktioniert der Verkehr nach dem Motto „Hupen und Hoffen“ , es hat jedoch eine ausgedehnte „Fussgängerzone“, in der nur Fahrräder und Rikschas fahren dürfen. Dafür sorgt zumindest heute ein Polizist, bewaffnet mit einem Schlagstock. Drohend geht er damit nach einem grellen Pfiff auf die verkehrssündigen Mopedfahrer zu, belehrt diese, dass sie ihr Fahrzeug hier zu schieben hätten. Das ist alles, keine Busse, nichts. Auch zwei Europäer werden auf diese Weise ermahnt: zuerst fällt ihnen das Herz fast in die Hose, dann sind sie so was von erleichtert, dass sie bloss abzusteigen brauchen. Aber die fahren bestimmt nie wieder in der Fussgängerzone – als Einzige.
Die Sehenswürdigkeiten haben wir nun alle mehr oder weniger durch, Zeit für eine Erfrischung. Am Thu Bon Fluss unten dürfen wir in einem Restaurant am schönsten Tisch sitzen, obwohl wir nur etwas trinken wollen. Die Kokosnüsse sind leider ausverkauft.
Wir sind zwar erst seit ein Uhr in Hoi Ans Strassen und Clanhäusern unterwegs, aber kurz nach vier mache ich schlapp. Warum, ist mir danach lange nicht klar. Aber sehr oft kennt man die Gründe sehr wohl, man muss sie nur an sich heran lassen.
Da war erstes eine nur mühsam, um nicht zu sagen, vergeblich verdrängte Unterlassung: Dieser kleine, jaulende Hund, der sich scheinbar dauernd in den eigenen Hinterlauf biss. Ich habe weggeschaut und Thinkabouts Wife weggezogen. Aber ich habe genug mitbekommen, um zu wissen, dass das eine Springfalle war, die sich das Tier versuchte vom Fuss weg zu beissen, um nicht zu sagen, dass die Schmerzen groß genug waren, um sich gleich das ganze eigene Bein auszureißen. Ich fand und finde, ich hätte helfen müssen, und mit der eigenen Feigheit lag mir der Umstand auf, dass mit mir alle anderen Passanten keine Anstalten machten, sich um das Tier zu kümmern.
Ich kriegte das Jaulen des Tieres erst aus jetzt aus den Ohren, als ich meiner Frau davon erzählen kann, in einem Restaurant sitzend vor einer kühlen Cola, die mir eisig durch die Kehle rinnt.
Und zweitens bin ich erschlagen von der überladenen Vielfalt, der Wiederholung der einzelnen ausserordentlichen Situation, bis nichts mehr ein einzelnes zuzuordnendes Bild mehr besitzt, keine Erinnerung für sich mehr zu bleiben scheint. Alles droht im Farben- und Szenenmeer unterzugehen.
Da fahren wir mehr als zwei Wochen durch zum Teil sehr ursprüngliche Teile Kambodschas und Vietnams – und sind genau so wie alle anderen Reisenden fasziniert von den pittoresken Bildern, denen wir prompt wie alle anderen nachjagen. Die Hüte, die Marktfrauen, die kleinen Ruderboote, die Tragestangen. Die markanten, zerfurchten, alten Gesichter. Und dann? Kriegst du das alles auf einem Haufen, an jeder Strassenecke von Hoi An geboten. Dazu kommen unzählige ganz besonders malerische Häuserfassaden. Schon nach einer Stunde kann ich kaum mehr etwas Neues aufnehmen, geschweige denn die Vielzahl der Clanhäuser und chinesischen Tempel noch unterscheiden – so dass wir ab dem Vierten keinen Fuss mehr hinein setzen…
Und dann denke ich an die bevorstehende Bildbearbeitung – es kann auch eine Qual sein, unter zehn ganz guten Bildern die drei wirklich tollsten zu bestimmen. Und spätestens, wenn Du angesichts des Privilegs, reisen zu dürfen, solche Gedanken wälzt, ist es Zeit für ein kühles Getränk und eine lange Pause… Nicht länger mehr vor lauter Schweiß in den Augen und auf der Brille nur noch über die roten Punkte im Sucher überhaupt ermitteln können, ob ich nun scharf gestellt haben dürfte oder nicht… Herrschaft, ich schaue doch mit den Augen und nicht mit der Kamera, und ich reise mit allen Sinnen.
Und darum lasse ich jetzt die Cola den Rücken hinunter laufen und achte auf den leisen Luftzug eines Ventilators, der mir den nassen Rücken rauf und runter fährt… Ich ruhe im eigenen Saft und beginne, mich daran zu gewöhnen. Eine Viertelstunde später bin ich wieder ansprechbar.