Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Vietnam (Hanoi) - Singapur - Zürich

∞  22. Oktober 2009, 18:52

Erlebt am 13. und 14. April 2009
[ Schmetterlinge im Changi-Airport Singapur: Komplett und grösser im Album ]


Wir müssten erst um 08:30 aufstehen, sind aber schon kurz nach 07:00 wach. Wir dösen noch ein bisschen vor uns hin, stehen dann gemütlich auf. Um 08:00 sind wir schon beim Frühstück, geniessen nochmals die Aussicht vom elften Stock auf die Altstadt, über die sich auch heute ein grauer Himmel spannt, der Nieselregen spendet.

Wir haben schon gestern ein Noi Bai Taxi auf 10:00 bestellt; das können wir gleich im Hotel bezahlen, und bekommen dann einen Gutschein. 15 $ wollten sie für die Fahrt, die bei wenig Verkehr gut 40 Minuten dauert. Bei Kuoni hätte der Transfer CHF 60 gekostet…

Der Taxifahrer ist schon zehn Minuten früher da, und so fahren wir los, aus der Stadt heraus, durch all die Mopeds und schliesslich durch die Reisfelder, deren Grün mir ewig im Gedächtnis bleiben wird, und für mich untrennbar mit Vietnam verbunden bleibt.

Der nette Taxifahrer lädt uns am richtigen Eingang ab, doch wir müssen im Flughafen noch eine Stunde warten, bis der Check-in Schalter öffnet.


Irrwitz, fast virtuell


Wir warten geduldig auf den Beginn des Check-Ins, umgeben von Asiaten aus allen möglichen Ländern. Vietnamesen, die auf Reisen gehen, Koraner, Japaner, Touristen wie wir. Alle scheinen ziemlich müde zu sein. In mir ist es ein wenig leer, wie immer, wenn ich abgereist, aber noch nirgends angekommen bin, auf Durchreise, irgendwie. Irgendwie höre ich nichts, obwohl der Geräuschpegel relativ hoch ist, immer wieder Lautsprecherdurchsagen “Last Calls” durchgeben, mit bedeutungsschwangerem Ton, und uns und allen anderen um uns herum doch gleichgültig. Dann dringt eine monoton kommentierende asiatische Männerstimme an mein Ohr. Und weil sie nicht anschwillt, und auch nicht nach ein paar Sekunden wieder verstummt, sondern weiter kommentiert, als ginge es um ein Fussballspiel, das ohne Höhepunkte ist, werde ich aufmerksam und richte meinen Blick auf den grossen Flachbildschirm, aus dem die Stimme kommt.
Was ich sehe, ist ein euopäischer Spielfilm über Nazi-Deutschland mit Szenen, in denen Judenfamilien des Nachts Besuch von der Gestapo bekommen. Menschen werden auf die Strasse geführt und dort augenblicklich erschossen, ein alter Mann im Rollstuhl auf den Balkon gerollt und von dort über die Brüstung geworfen.
Ich denke an den Vietnam-Krieg, die lange Kriegsgeschichte überhaupt dieses Landes, und daran, zu welchen Grausamkeiten alle Menschen und Völker fähig sind, und schaue um mich. Niemand scheint den Film zu beachten. Er interessiert nicht. Wer hier sitzt, dessen Eltern haben vielleicht Hieroshima erlebt, oder stehen im ständigen Spannungsverhältnis mit Nordkorea, mit unerreichbar bleibenden Verwandten “drüben”.
Menschen? Menschlich sind wir deswegen noch lange nicht. Ein Leben ist nicht viel wert. Könnte man meinen. Weitermachen, irgendwie. Und mit dem Frieden wird die Zeit irgendwie dicker, die sich auf die Erinnerung legt.
Eine alte Frau muss mich schon länger beobachtet haben. Sie dürfte gesehen haben, wie fahrig ich mir mit der Hand durch die Haare strich. Ihre Augen schauen mich ruhig an, und als sie endlich bemerke, lächelt sie ein wenig, und in dem darauf folgenden leisen Nicken ihres Kopfes liegt eine Würde, die mich tief durchatmen lässt.
Ich weiss nicht mehr, ob ich zurück gelächelt habe. Aber ich weiss, dass in diesem Moment wieder Leben in meinen Augen war.


:::


Versöhnungswillen allenthalben. Das ist wohl mit das Berührendste, was mir die Vietnamesen und Kambodschaner vorgelebt haben. Wie Menschen eben auch sein, leben und einander begegnen können. – [Th]


Singapore-Airlines fertigt wieder gewohnt professionell ab, und so starten wir pünktlich um 13:30. In gut drei Stunden werden wir in Singapore sein, wo wir fünf Stunden Aufenthalt haben. Da wird es ein Wiedersehen mit den Kois und dem Orchideengarten geben.

Doch jetzt genehmigen wir uns erst einmal einen Singapore-Sling, bevor das Essen serviert wird.

Thinky sitzt am Gang, ich in der Mitte, neben mir am Fenster ein junger Vietnamese. Er scheint zum ersten Mal zu fliegen und schaut sich dies und jenes bei mir ab. Wenn etwas serviert wird, gebe ich es ihm weiter, denn auch die längsten Arme reichen nicht bis zum Fensterplatz. Ich merke bald, dass er kaum Englisch spricht, denn er scheint die Fragen der Flightatendant oft nicht zu verstehen.

Er nimmt allen Mut zusammen, und spricht mich an: „From Austria?“ So beginnen wir mehr schlecht als recht ein „Gespräch“, bei dem ich gezwungen bin, meine Sätze immer wieder neu zu formulieren, da er die meisten Worte nicht kennt; besonders die, die keine Hauptworte sind. „How“, „many“ und „much“ sind völlig unbekannt, aber auch „fish“ und „pork“. Wenn er mir eine Frage stellen will, übt er sie zuerst flüsternd für sich, bevor er sie an mich richtet, und ich errate mehr, was er wissen will, als dass ich seine Worte verstünde. Im Laufe der Zeit erfahre ich von ihm, dass er 24 Jahre alt und Student ist. Jetzt fliegt er nach Auckland, (das verifizieren wir anhand der Weltkarte im Flugmagazin) um dort zu studieren – Englisch!

Nun, ein paar Vorkenntnisse hätten da ja wohl nicht geschadet, aber schliesslich ist in einem unverbildeten Geist noch alles möglich, und dumm ist der Mann ganz bestimmt nicht. Was S – so heisst er – bis jetzt studiert oder gemacht hat, habe ich nicht herausgefunden. Auf seine Frage, was wir in Vietnam gemacht hätten, erzähle ich ihm von unserer Tour mit möglichst vielen Städte-Namen, anhand derer er sich orientieren kann. Dass mir die Fahrten durch die Reisfelder so gut gefielen, versteht er nicht, weil er mit den Worten „ricefield“ so wenig anfangen kann, wie mit „green“. Auch da hilft das Flugmagazin weiter, denn da gibt es ein Bild von einer Reisterrasse, das zwar von Bali stammt, aber Reisfeld ist Reisfeld und grün ist grün. Jedenfalls freut es ihn sehr, dass es mir in seinem Land so gut gefallen hat und fragt, bzw. sagt ganz scheu und fragend „e-mail address?“ Wir tauschen die Adressen aus, und ich bin wirklich gespannt, ob und wie der Gute schreiben wird.

Thinky bewundert meine Geduld, aber schliesslich waren wir jetzt vier Wochen lang diejenigen, die auf die Hilfe anderer zählen durften.

Wir landen im Terminal 3, da waren wir noch nie. Wir haben ja mehr als genügend Zeit, um uns zuerst einmal hier richtig umzuschauen. Da gibt es auch einen Koi-Teich mit ausserordentlich grossen Fischen und einen Schmetterlingsgarten. Darin ist es natürlich feucht-heiss, aber das sind wir uns ja nun wirklich gewöhnt. Jetzt sehe ich diese zauberhaften Flatterwesen endlich einmal von nahe, und nicht nur immer vorüberfliegend. Wir nehmen uns viel Zeit zum Fotografieren.










Dann fahren wir mit dem Skytrain in den Terminal 2, wo wir uns bereits auskennen, sitzen im Orchideengarten beim ersten und im Farngarten beim zweiten Koi-Teich und machen es uns schliesslich auf den Oasis-Liegen bequem, mit Sicht in die Grünpflanzen. Ich möchte ein wenig schlafen, Thinky ins Internet gleich nebenan. Als er wiederkommt, erzählt er von Unruhen in Bangkok; war schon eine gute Entscheidung, nach Vietnam zu reisen und dabei über Singapore und nicht über Bangkok zu fliegen…

Eine Horde lärmiger Japaner fällt hier ein, an Dösen ist nicht mehr zu denken.

Ganz langsam gehen wir zu unserem Abflug-Gate und starten pünktlich um 01:30. Das Flugzeug ist nur halbvoll, wir haben drei Sitze für uns. In zwölf Stunden werden wir in Zürich landen. Es gibt Turbulenzen, Aufforderungen an den Sitzplatz zurückzukehren, die Sicherheitsgurten zu schliessen. Letzteres habe ich sowieso immer wenn ich schlafe, ich werde nämlich ungern deswegen geweckt, so schlafe ich einfach weiter, und merke deshalb zum Glück nicht, dass das Flugzeug einmal recht absackt, wie mir Thinky nachher erzählt.

Einmal wache ich auf. Unter mir sehe ich eine dicke Wolkendecke, über mir ein fast voller Mond. Der Monitor zeigt das Flugzeug irgendwo über Turkmenistan; noch fünf Stunden bis Zürich. Ich schlafe wieder ein.

Um 07:55 landen wir pünktlich.

Meine Eltern holen uns ab, bringen uns nach Hause.

*

Trinkwasser kommt aus den Hahnen, Sozial- und andere Versicherungen sind vorhanden, Demokratie wird gelebt; Spiritualität ist etwas für esoterisch Angehauchte, Zeit etwas, das man füllen muss, und hinter einem Lächeln wird meistens eine Absicht vermutet.

Ich bin wieder da, wo ich wohne und komme von der Ecke der Welt, in der ich lebe.

[ThW]

*

Damit ist unser Reisebericht aus Kambodscha und Vietnam abgeschlossen. Alle Texte dazu werden in der Sektion GEREIST abgelegt werden.
Was ich mir vor allem anderen bewahrt habe, was mir bleiben wird? Wahrscheinlich dies:
Mir wurde vorgelebt, dass es gilt, voraus zu schauen, nicht zurück. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, und was mag daraus werden, wenn man es gar mit einem Lächeln tun kann?
Darum schliesse ich mit diesem Bild. Die Statuen stammen aus der Keramik- und Porzellanfabrik ausserhalb von Hanoi. Und jetzt halte ich die Klappe, und sage nur noch: Danke fürs Mitlesen!






Vietnam: Ha Long und zurück nach Hanoi

∞  20. Oktober 2009, 19:57

Erlebt am 12. April 2009
[ Bilder des Tages, grösser und komplett im Album ]
[ Landkarte: Ha Long und Hanoi ]


Nach einem etwas unruhigen Schlaf gibt es bereits um 07:00 Frühstück. Danach geht es mit einem Ruderboot in die unmittelbar beim Ankerplatz gelegene Luon Höhle,




und am anderen Ende wieder hinaus.




Wir sind jetzt in einer Art Lagune, rundherum von bewaldeten Karsteinfelsen umgeben, die nur bei Ebbe erreicht werden kann, da bei Flut das Wasser 4,3 m höher steht, und die Höhle, bzw. der Durchbruch gar nicht sichtbar ist. Wir geniessen die wunderbare Stille zusammen mit einigen anderen Ruderbooten, bis ein Motorboot kommt. Das passt gar nicht und kommt bei allen schlecht an.




Hier seien oft Affen zu sehen, aber nicht heute. Oder heute andere.

Wieder auf der Dschunke kreuzen wir durch bisher unbekannte Teile der Bucht – ab und zu regnet es – zurück zum Hafen.










Zuviel Paradies?


Während wir aus Halong fast lautlos langsam heraus gleiten, kehrt auf dem Schiff Ruhe ein. Eine matte Stille liegt über den Köpfen. Die Leute lösen Kreuzworträtsel, spielen Gameboy oder machen ein Nickerchen. Wir Menschen sind schon komische Viecher. Wir können die Natur Tag für Tag mit Füssen treten und es nicht einmal merken, und dann werden wir durch ein Paradies gefahren – und vermögen so viel perfekte Natur beinahe nicht zu ertragen, nicht mal für 24 Stunden. Wir fahren an Felsformationen vorbei, die alle die gleiche Botschaft haben: Die Zeit schafft uns alle. Und gestaltet uns um. Wir Menschen sind mit unserer verheerenden Wirkung nur Beschleunigungsteilchen dieses Prozesses. Dass wir meinen, wir könnten diese Prozesse, womöglich gar zum Wohl der Welt, umdrehen, umgestalten, verlangsamen, erscheint mir in diesem Moment geradezu absurd. Eigentlich gibt es nur den einen Reflex: Bewahren wollen, was ist, wofür man plötzlich keine Scheuklappe mehr hat.
Die Naivität, die wir dabei zeigen, ob Endverbraucher oder Klimawissenschaftler, hat mit unserem immer viel zu engen Horizont zu tun. Wenn wir etwas nicht können, dann genügend vernetzt denken, so dass wir die Folgen unseres Tuns wirklich absehen können. Nachhaltigkeit ist ein grosses Wort, und das ist auch schon fast sein Untergang, weil mit ihm Geld verdient wird. Sich nachhaltig ernähren, nachhaltig investieren. Irgendwo liegt immer Geld auf der Strasse oder im Boden. Und wir heben es auf oder schmeissen unser eigenes Geld hin, weil wir uns ja kaum eine Minute wirklich mit uns selbst beschäftigen können. Auch dies wäre eine Art Kunst: Die Natur aushalten können. Irgendwo schlummert sie nämlich, die Natur. Auch in uns, auch zurück in der Grossstadt, am Festland, von Tankern nicht abzuwehren. Wo auch immer wir sind, wir müssten eigentlich nie vergessen, was wir wirklich nötig haben.





Um 11:30 ist schon Ausschiffung und am Ende des Piers erwartet uns bereits P, um uns nach Hanoi zu fahren. Wir machen noch eine kurze Pause bei einer Porzellanfabrik,





und sind bald wieder in Hanoi,




wo wir gegen 15:30 im Hotel Anise ankommen. Erneut ist der Emfpang sehr freundlich.
Nun heisst es Abschied nehmen von J; und dass wir in E-Mail-Kontakt bleiben werden, ist keine Floskel.

Wir haben wieder ein schönes, grosses Zimmer bekommen, das eingelagerte Gepäck ist auch schon alles hier.

Jetzt heisst es, alles wieder flugtauglich zu verstauen.

Ansonsten mögen wir nichts mehr unternehmen. Die Halong Bucht war ein würdiger Abschluss unserer Reise. Wir sind in jeder Beziehung satt: satt an Eindrücken, satt an Essen, denn auch das Mittagessen auf der Dschunke war wieder vom Feinsten.

Die Nacht senkt sich über Hanoi. Für uns ist es die letzte in diesem wunderschönen Land.




Vietnam: Hanoi - Halong Bucht

∞  20. Oktober 2009, 10:34

Erlebt am 11.April 2009
[ gesammelte Fotos im Album ]
[ Landkarte: Hanoi und Halong ]


Um 08:30 fahren wir los. Es geht uns gut, wir fühlen uns fit und bereit, den letzten Höhepunkt unserer Reise zu einem solchen werden zu lassen. In der Nacht hat es geregnet, jetzt klart es langsam auf; aber die Luftfeuchtigkeit beträgt noch immer über 85%.
Selbstverständlich werden auch heute wieder Schweine auf Mopeds transportiert,




ebenso Geflügel,




und alles was man sich denken kann, oder eben undenkbar scheint. Am Strassenrand werden frische Baguettes angeboten, manchmal stehen bis zu zwanzig Verkäuferinnen hintereinander. Wir überqueren den Song Hong, also den Roten Fluss und fahren auf einer sehr schönen Strasse erst gegen Norden, wo wir nur noch 100km von der chinesischen Grenze entfernt sind, und dann nach Osten ans Meer. Zuerst kommen wir an vielen Ziegeleien vorbei, sehen einige Bauruinen, denn auch hier sind die Rohmaterialpreise gestiegen, dann wird die Gegend ländlicher, Städtchen werden zu Dörfern,




Bauern arbeiten auf ihren Reis- und Gemüsefeldern.

Bis jetzt war nicht klar, ob J mit uns auf die Dschunke kommt, denn normalerweise macht jemand von der Crew den Reiseleiter. Es hat aber noch eine freie Kabine, und so kann uns J begleiten, was uns natürlich sehr freut. Nach gut drei Stunden sind wir im Hafen von Halong angekommen. Hier herrscht ein unheimliches Gewusel, unzählige Touristen wollen sich hier einschiffen, es liegen mehr Dschunken vor Anker, als ich in HongKong je gesehen habe. Die Halongbucht mit ihren über 3000 Kalksteinfelsen ist nun mal die Touristenattraktion Vietnams und auch völlig zurecht ein weiteres UNESCO-Welterbe.

J scheint hier Gott und die Welt zu kennen, begrüsst alle freundschaftlich, lotst uns durch das Gewühl und die Kontrolle (die wir dank ihm wohl schneller passieren als andere) und schliesslich auf unser Schiff, eine Huong Hai Dschunke.




Zum Glück haben wir nur die kleine Tasche mit, so ging das alles recht zügig. Jetzt sitzen wir auf dem Oberdeck und haben nebst einem Erfrischungsröllchen auch einen Welcomedrink erhalten. Zwei Australier gesellen sich zu uns, wieder ein Paar aus Adelaide; einfach nette Leute, die Aussies.

Unsere Dschunke ist eher eine kleine, sie hat nur zehn Kabinen, aber alles, was ein Schiff zu einer Dschunke macht, inkl. geschnitzten Drachen, separatem Kapitänshäuschen und Segel, worauf letztere kaum je gesetzt werden, gefahren wird ausschliesslich mit Motor, allerdings ist das ein fast geräuschloses Gleiten, ein gemütliches Tuckern.

Total sind wir dreizehn Passagiere, darunter eine spanische Familie mit einem ca. zwölfjährigen Sohn. Die haben sich nicht nur eine Vietnamreise, sondern auch eine Spiegelreflex-Digikamera samt einigen Objektiven zum Festhalten derselben geleistet. Das Ding ist also neu, die Unsicherheit gross, der Stress noch grösser. Die Mutter klinkt sich bald einmal aus, konzentriert sich auf ihre Handycam, mit der sie bestens klarkommt. Der Sohn bleibt ganz gelassen, scheint als Einziger die Funktionsweise der neuen Kamera intus zu haben. Der Vater ist völlig aus dem Häuschen, gibt Anweisungen, um sie gleich zu revidieren, dies alles natürlich auf Spanisch, einer an sich hart klingenden Sprache. Er kann keine zwei Minuten stillsitzen: der Speisesaal muss doch fotografiert werden, die Gemahlin soll bitte Platz nehmen – oh, jetzt läuft das Schiff aus, also Weitwinkel montieren, ganze Familie zum Bug, bitte recht freundlich, nein, noch ein wenig nach rechts, ja, so ist es gut – da hinten sieht man schon die ersten Felsen, schnell, wo ist das Zoom…




Ich bin nicht die Einzige, die amüsiert zusieht, wie das kleine Männchen mit Brille und Halbglatze rotiert; von mir hat er schön längst einen Spitznamen bekommen: Marabu auf Ecstasy.

Der Speisesaal ist mit echten Grünpflanzen dekoriert, die Zweiertischchen weiss gedeckt, direkt an den grossen Fenstern.




Während die Anderen Seafood schlemmen, schwelgen wir in den auserlesensten Fleischersatz-Kreationen, wie wir sie so in Europa gar nicht kennen.

Die Crew ist aufmerksam und freundlich, unsere Kabine klein und schnuckelig, inkl. Rüschenvorhängchen. Wir stellen nur schnell unsere Tasche rein, zu spannend ist das Gekurve um die skurrilen Felsen, die in diesem Dunst richtig mystisch wirken. Durch die Fahrt verändert sich ständig die Perspektive, sodass immer wieder neue Ansichten geboten werden.




Obwohl so viele Dschunken unterwegs sind, verteilen sie sich gut; ich habe nie das Gefühl, in einem Konvoi zu fahren, zudem machen sie sich gut zwischen den Felsen.




Auf dem Schiff selbst steht man sich auch nicht auf den Füssen, jeder findet ein gutes Plätzchen, nur der arme Spanier steht sich selber ständig im Weg.

Am Nachmittag legen wir bei einem Felsen an, der ein Geheimnis birgt, das erst vor zwanzig Jahren entdeckt wurde: die immense Tropfsteinhöhle Sung Sot. Dank unserem kleinen Schiff können wir direkt am Pier ankern,




brauchen kein Tenderbötchen, das uns an Land bringt. J kennt wieder einmal ein, zwei Abkürzungen, sodass wir unsere Fotos von den Aussichtspunkten auf die Bay hinunter bereits gemacht haben




und in die Höhle steigen,




während viele andere noch nach dem richtigen Weg schauen.




Diesen Vorsprung brauchen wir auch, denn die Aufenthaltszeit ist relativ knapp bemessen, für das, was es hier alles zu bestaunen und zu fotografieren gibt. Zuerst denkt man, die Höhle sei gar nicht so gross, aber das ist nur die Vorhalle; es gibt einen schmalen Durchgang, und dann eröffnet sich erst die riesige Haupthöhle, die bis zu 30m hoch ist.




Wunderschön ist es hier, auch die Beleuchtung ist gut, (fast) alles in natürlichen Farben.








Als Letzte sind wir wieder auf dem Schiff zurück. Es ist inzwischen recht warm geworden, und das Erfrischungsröllchen kommt gerade recht.

Wir dürfen uns aus einer riesigen Früchteschale bedienen und geniessen die vollreifen Mangos, Nakis, Drachenfrüchte, Mandarinen und Aepfel, während der Weiterfahrt.

„Jetzt müsst ihr nur noch 400 Stufen hoch, dann habt ihr euer Tagespensum geschafft!“ Ich glaube an einen von J’s Scherzen, aber der deutet nur auf einen weiteren Karststeinkegel, auf dessen Spitze ein tempelartiges Gebäude steht. Das habe ich fotografiert, und mich noch gefragt, wer da wohl hochklettert…




Die Aussicht soll phantastisch sein, und auf mittlerer Höhe gebe es schon eine Aussichtsterrasse, „für all die Nicht-Fitten“. Dabei glitzern J’s Augen wieder einmal so listig: er organisiere die Tickets und warte dann unten, bis wir wieder kämen.

Da legen wir auch schon bei der Titov-Insel an, und los geht’s. Die Treppenstufen sind zum Glück nicht überhoch und der Muskelkater hat sich aus meinem Oberschenkel verabschiedet. Es ist gut 30°, die Luftfeuchtigkeit enorm. Schon nach wenigen Stufen schwitzen wir aus allen Poren. Ich schaffe es tatsächlich bis nach oben, obwohl ich mir auf dem letzten Stück jeden Tritt abringen muss. Die Aussicht lohnt die Anstrengung aber wirklich!






Jetzt unbedingt in Bewegung bleiben, nur ja nicht hinsetzen, sonst stehe ich ewig nicht mehr auf.

Runter ist für mich immer schwieriger, da wird mir auf langen Treppen schnell schwindelig und die Knie instabil. Ich bin froh, kann ich mich hinten an Thinkys Rucksackgriff festhalten. Zusammen schaffen wir auch dies und treffen J inmitten seiner Bekannten an.

Thinky kann sein Hemd und T-Shirt auswringen, ich schwitze generell weniger, bin jedoch froh um den Stuhl auf dem Oberdeck. Es ist nach 17:00 und das Licht so schön, wenn vom Sonnenuntergang auch nur eine Ahnung bleibt.




Die Dschunke fährt in eine ruhige Bucht, an einen Sammelplatz, wo wir über Nacht ankern.

Nach einem ausgezeichneten Nachtessen




unterhalten wir uns lange mit J, der eine wunderbare Art hat, uns sein Land und die Menschen näher zu bringen. Ich könnte ihm stundenlang zuhören!


Am Ende noch das Paradies


Dieser Tagebucheintrag wird wohl kürzer werden… Nicht, dass ich nichts zu erzählen hätte. Es ist – im Gegenteil – traumhaft schön. Und genau dafür fehlen ein wenig die Worte. Hinzu kommt: Wir nehmen Abschied. Mir ist ein wenig feierlich zumute, wehmütig, aber nicht traurig fühle ich mich. Es wird uns nicht leicht fallen, uns von J. zu trennen.
Morgen wird mir der zweite Teil der Reise auf diesem Schiff viel zu kurz erscheinen – und danach haben wir praktisch nur noch die Rückreise im Blick. Einmal ist es immer so weit. Noch nie, allerdings, habe ich mich inmitten eines so faszinierenden, natürlichen Weltwunders, auf die innere Rückkehr begeben.
Ich mache für heute Schluss. Sonst ziehe ich doch noch Mücken an mit meinem Licht. Bis jetzt fehlen sie völlig, und das darf so bleiben. Es ist sehr, sehr still hier. Auch in den eigenen Gedanken.





Vietnam, eine letzte Sensation

∞  12. Oktober 2009, 20:02

Die Reisereportage aus Kambodscha/Vietnam neigt sich dem Ende zu. Im Hintergrund beschäftigen wir uns mit der letzten grossen Herausforderung in diesem Zusammenhang. Unser letzter Höhepunkt war der Ausflug mit Übernachtung in die Halong Bucht. Diese Karstfelsen-Landschaft, die sich bei Ebbe und Flut, Regen und Nebel, Abend und Morgen so schnell verändert –




und auch wieder nicht, die aber fast ständig, wenn man zwischen diesen Felsformationen dahin gleitet, sich in neuer und doch ähnlicher Schönheit präsentiert, wie also soll man in der Flut dieser Bilder eine Auswahl treffen?

Wir vergraben uns dann also mal weiter in mehr als hundert Bildern reiner Landschaftssensationen…




Vietnam: Hanoi - Stadtbesichtigung

∞  11. Oktober 2009, 14:55

Erlebt am 10. April 2009


[ Bilder des Tages im Album ]


Ich habe geschlafen wie ein Stein. Wir frühstücken im elften Stock mit Sicht über die Altstadt. Ich habe extra ein Hotel – das Anise – in diesem Viertel gewählt, damit wir uns da zu Fuss umschauen können. Ich hätte nicht erwartet, dass wir ein so schönes Zimmer bekommen, zumal das das günstigste Hotel im Kuoni-Katalog war. Das Preis- Leistungsverhältnis ist hier geradezu optimal.

Die Stadtrundfahrt beginnt erst um 09:00. Die habe ich absichtlich auf heute Freitag gelegt, denn am Freitag und am Montag ist das Ho Chi Minh Mausoleum geschlossen. Personenkult und Gammelfleisch gehen bei mir nun mal gar nicht, und ich sehe mich auch ausser Stande, an einen Massenmörder in der geforderten “angemessenen Haltung” vorbeizugehen, dh., schon, aber bestimmt nicht im Sinne der Verordnung. Da ich im Vorfeld nicht wusste, inwieweit dieser Besuch „Pflicht“ ist, ging ich lieber auf Nummer sicher, ich will ja auch niemanden in Schwierigkeiten bringen.

J hat die Nacht zu Hause verbracht, es geht ihm heute etwas besser; „zu 50% wieder hergestellt“ bezeichnet er seinen Zustand.

Jetzt stehen wir also vor dem Ho Chi Minh-Mausoleum




das an dem Ort steht, wo er am 2.9.1945 die Demokratische Republik Vietnam ausgerufen hatte. Es unterscheidet sich nicht gross von den Mausoleen Lenins und Maos.

Unweit befindet sich die bereits von den Franzosen während der Kolonialzeit angelegte Verwaltungsstadt, inklusive dem Präsidentenpalast,




allesamt sehr schöne, vornehme Gebäude in französischem Stil und hübschem Gelb, in parkähnlicher Umgebung. Zu sehen ist ebenfalls das Nebengebäude, in dem sich Hoh Chi Minh zuerst einquartierte, bevor er das hölzerne Stelzenhaus, das an einem Weiher steht, errichten liess.




Eine gewisse Bescheidenheit ist ihm dabei nicht abzusprechen, der einzige sichtbare Luxus besteht im direkten Zugang zu einem Bunker. Das Haus ist zu besichtigen, der heutige Präsident lebt wieder im Palast.

In Gehdistanz ist auch die Einpfeilerpagode Mot Cot. Das einzigartige, vollständig aus Holz bestehende Gebäude war fast 1000 Jahre alt, als es 1954 von den Franzosen zerstört wurde. Beim Wiederaufbau wurde die Holzsäule durch eine aus Beton ersetzt. Die Pagode steht in einem Teich und weist die Form einer Lotosblüte auf.




Daneben gibt es Stupas, kleine Schreine und einen schönen Tempel. Es handelt sich um einen, wie er typischerweise im Delta des Roten Flusses vorkommt, und unterscheidet sich beträchtlich von den ebenfalls buddhistischen Tempeln im Süden. Der „chinesische“ Einfluss ist hier bedeutend stärker: es gibt einen Nebenaltar zur Ahnenverehrung




und neben Buddha stehen auch der Jadekaiser und seine Mandarine prominent auf dem Hauptaltar.




Auf den ersten Blick würde man eigentlich eher meinen, es handle sich um einen taoistischen Tempel. Durch torartige Holzschnitzereien wird der Raum unterteilt, was ihm mehr Tiefe gibt. Im Uhrzeigersinn geht man um den Hauptaltar, weshalb der Herr des Todes links steht,




und der Herr des Lebens, bei dem man wieder herauskommt, rechts.




Viele Leute sind da, die Opfergaben bringen, auch zwei Frauen vom Stamm der Gao, erkennbar an ihren bunten Kopftüchern.




Mit dem Auto fahren wir zum Literaturtempel Van Mieu, den König Ly Thanh 1070 Konfuzius weihte.




Sechs Jahre später wurde daraus ein Zentrum für konfuzianische Philosophie und Moral, das in erster Linie den Söhnen von Mandarinen und anderen hohen Beamten, sowie Adeligen vorbehalten war.




So gibt es hier auch 82 Stelen, die auf steinern Schildkröten ruhen; darauf eingemeisselt sind die Prüfungsresultate und Namen der erfolgreichen Kandidaten, die sich zwischen 1449 und 1779 um einen Posten im kaiserlichen Zivildienst beworben haben.




Die ganze Anlage strahlt eine spürbare Harmonie aus und macht sie zu einem Ort, der zum Verweilen einlädt.




Der eigentliche Tempel wirkt denn auch sehr „aufgeräumt“. Konfuzius sitzt in der Mitte des Altars, von Mandarinen umgeben,




mit seiner typischen Handhaltung, die das Yin und Yang symbolisiert.




Hier gibt es nichts, was meine Sinne reizt, aber unendlich viel, was mich in mir selbst ruhen lässt.

Beim Fotografieren bleibt Thinky an einem Strauch hängen und hat jetzt einen 30cm langen Schranz im Hosenbein.

So geht es weiter zum Den Quan Thanh Tempel, der zwischen 1011 und 1225 errichtet wurde, und dem Schutzgeist des Nordens




geweiht ist. Besonders sehenswert sind hier die aus Perlmutter angefertigten Schriftzeichen, die als Intarsien in Tafeln eingelegt sind.




Am Hoan Kiem See, der am Rand der Altstadt liegt, lassen wir uns absetzen. Der kleine See ist ein Ort der Ruhe, eingebettet in einen Park. Auf einer kleinen Insel steht der Tempel des Jadeberges, zu dem eine pittoreske rote Brücke führt, die The Huc.




Den Tempel mögen wir nicht besichtigen, wir gehen ganz gemütlich um den See herum, setzen uns auf eine der vielen Bänke, mit Blick auf das Wahrzeichen Hanois: den dreistöckigen Schildkrötenturm, der ganz vom Wasser umgeben ist, und durch seine Schmucklosigkeit besticht.




Ein grosses Sorry


Hanoi’s Sehenswürdigkeiten machen Eindruck – und sie sind vielfältig. Noch einmal kann man die ganze Bandbreite von Kultur, Ruhe vermittelnden Gärten hektischem, SEHR lebendigem Grossstadtleben auf sich wirken lassen. Aber um die Mittagszeit bin ich restlos erledigt und übersättigt, nicht mehr aufnahmefähig. Ich hätte die Kamera gerne ganz weit weg gewünscht, und jeder weitere Tempel hätte mich in keiner Weise mehr locken können. Meine Speicher sind voll, meiner inneren Festplatte droht der Tilt.
Entsprechend schlimm ist denn auch meine Reaktion gegenüber einer Postkartenverkäuferin am Hoan Kiem – See. Die junge Frau ist hübsch, stupft mich an, zeigt mir, natürlich etwas aufdringlich, die Postkarten, die ich längst schon von ihren Kolleginnen kenne, und ich finde es in diesem Moment einfach nur noch grotesk, dass ich jetzt, an diesem lauschigen See meinen Hintern am Ende wieder von der Bank heben muss, um die Frau los zu werden. Dass sie beinamputiert ist, bleibt egal. Sie kriegt meinen ganzen Unwillen brüsk serviert. Ich habe keinen anderen Menschen in vier Wochen Reise so schroff behandelt wie diese unschuldige Frau. Dass sie sich schlussendlich gleichmütig abwendet und weiter geht, als würde sie von westlichen Touristen genau das schon zur Genüge kennen, macht die Sache für mich nicht besser, im Gegenteil.
Herrschaft, wie mies habe ich mich nun erst recht gefühlt!
Durchatmen. Und erinnern, was heute alles war, sein durfte, wo ich bin, was mir geschenkt wird damit, und mit dem Kameraden, der mein ganzes Leben schon an meiner Seite ist, auch darüber reden, während ich auf den Riss in meiner Hose starre. Yin und Yang – gilt das auch für die Freundlichkeit und die Gehässigkeit, die ich an meine Mitmenschen verteile? Wo liegt das Gleichgewicht und wer sorgt dafür, dass dort, wo ich Unrecht tue, ich nicht genau diese letzte Ungerechtigkeit verübe, die jemanden verzweifeln lässt?
Eine Stunde später freue ich mich auf die Altstadt und die Menschen, die mir ihr Arrangement mit dem Alltag vorleben – und ich bin neu bereit, zu lernen, anzunehmen und mit Dank um mich zu schauen.



Das Wetter ist schön, der Himmel ist zwar grau, aber ab und zu scheint die Sonne, die Temperatur ist angenehm.

Wir bleiben fast zwei Stunden, dann schlendern wir durch die Altstadt zurück zu unserem Hotel. Wir würden gerne in ein Strassencafé sitzen, aber wir finden keines. So bleiben wir an manchen Kreuzungen einfach stehen, um das bunte Treiben zu beobachten. Die Strassen, die hier eher eng sind, können wir problemlos überqueren. Ueberall wird etwas verkauft, es gibt praktisch kein Haus, in dem unten kein Laden ist.




Sieht man an den Fassaden hoch, sind schöne Details zu entdecken: Bogenfenster, eine hübsche Balkonbrüstung, ein schönes Ornament, liebevoll gestaltete Balkone mit Grünpflanzen und Vogelkäfigen, aber auch Zerfall. Wie überall während unserer Reise, fühlen wir uns auch hier völlig sicher.




Thinky sieht mit seiner zerrissenen Hose jetzt sowieso eher wie einer aus, dem man etwas geben denn nehmen sollte.

Im Hotel kennt man uns zum Glück schon und händigt den Schlüssel aus. Wir schauen die gemachten Bilder an, auch die, die ich gestern verschlafen habe, machen Kaffee.

Gegen 17:00 wollen wir nochmals raus, in den kleinen Park vor unserem Hotel. Wir hatten schon bessere Ideen. Dazu müssen wir nämlich erst einmal über die Quan Than, eine Hauptverkehrsstrasse, und das zur Stosszeit. Es gibt zwar einen Zebrastreifen, aber dessen Bedeutung ist auch hier völlig unbekannt. Durch gefühlte 200 Motorräder hindurch bahnt sich Thinky für uns einen Weg, und als wir schliesslich auf der anderen Strassenseite angekommen sind, nickt uns eine alte Frau anerkennend zu. Da kommt mir in den Sinn, dass J gesagt hat, in der Rush-Hour überquere er möglichst nie eine Strasse.


Die Kunst, die Strasse zu überqueren


Das Überqueren der Strasse als Fussgänger hat wirklich etwas Abenteurliches. Wir haben das Abenteuer bestanden, und ich fühle mich daher autorisiert, Touristen, welche die örtlichen Gepflogenheiten nicht kennen, die folgenden Tips zu geben:
1)
Sind Sie zu zweit, muss Ihnen der Partner total vertrauen und damit sich in die Hand des Führenden begeben. Das kann zwar Partnerschaftsprobleme offenlegen, angesichts der Tatsache, dass es in Hanoi allerdings kaum eine Strasse gibt, die zwei Fussgängern mit divergierendem Passgang die gleichzeitige Überquerung möglich machen würde, kann der Vorgang auch ungeahnt therapeutisch auf die Beziehung einwirken, wenn Sie denn Beide diese Lebensschule überleben, wovon erstaunlicher Weise auf Grund statistischer Daten doch ausgegangen werden kann.
2)
Nehmen Sie in keinem Fall Blickkontakt mit dem rollenden Verkehr auf. Der besteht praktisch ausschliesslich aus Rollern, und unter jedem Helm begegnete Ihnen ein Augenpaar, das Ihre Augensprache genau so wenig zu deuten vermag wie Sie die asiatische. So unglaublich es Ihnen erscheinen mag: Hier sind Sie das unberechenbare Element, und alle Ihre natürlichen Instinkte zur Kommunikation sind gänzlich ungeeignet, das Problem zu lösen.
Fixieren Sie allenfalls aus dem Augenwinkel die zehn Meter Strasse seitlich vor Ihnen, um abzuschätzen, wie viele Roller sich noch vor Ihnen vorbei drängen werden.
3)
Halten Sie dennoch nur im äussersten Notfall an – und wenn doch, dann in keinem Fall brüsk, denn auch der Platz unmittelbar hinter Ihnen ist, haben Sie sich einaml in Bewegung gesetzt, bereits für Durchfahrten vorgesehen. Signalisieren Sie mit ständigem “Vorwärtsschieben”, dass auch Sie (Beide!) über die Strasse wollen, und zwar nicht im Laufe des Tages, sondern GENAU JETZT.
4)
Versuchen Sie nie, gegenüber Autos einen vermeintlichen Vortritt zu erzwingen. Autos kennen keine Fussgänger und das stichhaltigste und ständig neu erprobte Argument dafür, dass sie dies auch nicht nötig haben, ist die jederzeit mögliche Erfahrung einer in der Tat sehr unterschiedlichen Masse-Verteilung.
5)
Wenn Sie einen Fussgängerstreifen erspähen, so gehen Sie ruhig hin. Sie müssen nur wissen, dass diese Markierungen hier nicht ganz so viel bedeuten. Es sind nicht einmal Hilfen der Absichtserklärungen passierwilliger Fussgänger, aber immerhin Treffpunkte für Menschen gleicher Interssen mit einem identischen Problem. Das verbindet. Und ist ideal für Newbies, also alle West-Touristen, die sich dann in den verlängerten Windschatten von Einheimischen begeben können. Dabei ist dann auch Ihr Windschatten für Ihre Frau gross genug. Versprochen. Es ist, in der Tat, ein Abenteuer, und das erhebende Gefühl am anderen Ufer der Strasse der gerechte Lohn!



Im kleinen Park gibt es einen Springbrunnen. Und viele Eltern, die mit ihren Kindern zum Spielen herkommen. Wir setzen uns auf ein Mäuerchen vor einer Blumenrabatte, Bänke hat es keine, und sehen ihnen lange zu.

Diesmal überqueren wir die Strasse an anderen Ende des Parks. Hier hat es ein Lichtsignal, aber das scheint nicht zu funktionieren. Immerhin gibt es Verkehrslücken, dh., dass nur etwa 30 Mopeds auf einen zufahren, und so kommen wir wieder gut zum Hotel zurück.

Wir gönnen uns noch ein Stündchen Internet und einen Kaffee in der Bar, die hier im Parterre ist. Am Nebentisch sitzt ein Aussie-Paar aus Adelaide, das morgen ebenfalls in die Halongbucht fährt, aber auf ein anderes Schiff geht.

Wir müssen für diesen Trip noch eine Übernachtungstasche packen, denn wir wollen nicht unser ganzes Gepäck mitschleppen, sondern hier im Hotel lassen. „Kein Problem“ versichert uns der nette Mann an der Reception.




Vietnam: Tam Coc, Bich Dong - Pagode und Fahrt nach Hanoi

∞  4. Oktober 2009, 22:28

Erlebt am 9. April 2009, nachmittags


[Bilder des Ausflugs: Album und
Landkarte ]


Um 13:30 bringt uns J zur Bootsanlegestelle.
Er macht den Ausflug nicht mit, sucht verständlicherweise lieber ein ruhiges, schattiges Plätzchen.




Von einer Frau werden wir auf dem Ngo-Dong-Fluss durch die zauberhafte Landschaft




und durch drei Höhlen (40, 70 und 130 m lang) gerudert. Die Gegend hier ist nach diesen drei Höhlen benannt: Tam Coc.










Auf dem Fluss sind wir keineswegs die einzigen Touristen, dennoch ist es angenehm still,




weil ausschliesslich gerudert wird, auch mit den Füssen, und immer vorwärts.




Am Wendepunkt gibt es dann einen kleinen „schwimmenden Markt“: von Booten werden Getränke und allerlei Snacks verkauft, leider zu stark überteuerten Preisen,






zudem wird man dazu aufgefordert, den Ruderinnen etwas zu spendieren, was einige andere Touristen ziemlich in Rage bringt, die sich lauthals beschweren. Aus anderen Ländern kennt man solchen Nepp, hier erleben wir ihn zum ersten Mal.


Nach knapp zwei Stunden sind wir wieder bei der Anlegestelle, wo J uns bereits erwartet. Mit dem Auto fahren wir zur nahe gelegenen Bich Dong Pagode, die aus dem 17. Jh. stammt. Ueber ein kleines Brücklein betreten wir die Anlage,




und J lässt es sich nicht nehmen, uns den untersten Tempel ganz genau zu zeigen. Ich höre J’s ausführlichen Erklärungen mit grossem Interesse zu, denn der lokal praktizierte Buddhismus ist immer wieder ganz anders und unterscheidet sich von dem in Büchern gelehrten meist ganz erheblich. Ich bin aber froh, dass er sich nun in den Schatten setzt, denn er sieht wirklich stark mitgenommen aus.

Wir steigen alleine auf einem wunderschönen Weg einige Treppen hoch




und gelangen so zum eigentlichen Hauptheiligtum, den in einen Felsen gebauten Tempel.




Dann geht es in der Felsenhöhle weitere Stiegen hoch,




vorbei an kleineren Schreinen, bis wir wieder ins Freie kommen und auf einer Art Terrasse stehen. Von hier hat man einen tollen Ueberblick über die Reisfelder und die Karstfelsen.




Ein wunderbarer Ort ist diese Pagode, voll zauberhafter Stille und meditativer Kraft.

Auf dem Fluss waren so viele Touristen, hierher hat praktisch keiner gefunden.

Um 16:30 fahren wir weiter und kommen drei Stunden später in unserem Hotel in Hanoi an. Der ganze Weg durch die Stadt war ein einziger Stau. Wir verzichten aufs Dinner, essen noch von unseren Bananen, ein paar Crackers, trinken Tee. Ich bin so müde, dass ich schon im Auto geschlafen habe, und jetzt, bei der Tagessichtung der Fotos, bereits dreimal eingenickt bin; ich gebe nun auf. Gute Nacht!

Zwischen Märchenlandschaft und Alltagshärte


Der Höhepunkt des Tages ist natürlich die Flussfahrt in der trockenen Halongbucht in einer Landschaft, die einfach einmalig ist. Eingebettet ist dieses Erlebnis zwischen zwei langen Autofahrten, die etwas an die Substanz gehen. Aber: Wir reisen in absolut privilegierten Umständen – und wir treffen überall auf Menschen, deren Welt viel kleiner ist, härter, aber manchmal vielleicht auch überschaubarer. Dennoch ist es eine der grössten Herausforderungen, aber auch Chancen bei Fernreisen, angesichts der anderen Lebensumstände in der Ferne die eigenen Sorgen und Nöte neu einzuordnen. Relativieren mögen sich damit nicht alle persönlichen Probleme, aber der Mut und die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen hier in einfachsten Verhältnissen nichts unversucht lassen, um den Tag anlächeln zu können, beeindruckt schon sehr. Vieles davon mag nur Schein sein, und ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber. Entscheidend für mich ist die Ausstrahlung, der Wille oder besser die Demut, zu tun, was jeweils die Situation verlangt – und das so gut wie möglich.
Und wenn ich keine besonderen persönlichen Probleme mit mir herum trage, so habe ich den Kopf um so mehr frei, um in ganz bestimmten Situation einen klaren Blick für die Lebensumstände zu haben, in denen die Menschen ihren Alltag bewältigen. So passt es ganz gut, dass nach stundenlangen Autofahrten durch geschäftige Provinzstädte, nach einer Märchen-Bootsfahrt durch eine verwunschene Landschaft, der Tag mit einer Einfahrt in Hanoi endet, die sich hinzieht: Bauarbeiten und eine falsche Strassenwahl lassen den Reisetag ein wenig länger werden. Die Nacht legt sich über die Strassen der Vorstadt, und so bekommen wir einen sehr drastischen Eindruck von einer Kehrseite des so farbigen Strassenlebens am Tage: Nun fehlen die Farben, Strassenlaternen gibt es oft nicht, die grellen Scheinwerfer der Lastwagen hängen allen Hindernissen lange Schatten um.




Viele Kilometer vor dem Zentrum stehen die Häuser klein und gedrängt dicht an der Strasse. Die meisten Türen stehen offen. In düsteren Garagen wird unter einer Neonlapme für alle gewerkelt, an der nächsten Ecke sprühen Funken vor einem Schweissgerät, während der Mann sein Gesicht nur notdürftig hinter Tüchern geschützt hat. Dann ist es wieder dunkel, und das eigene Scheinwerferlicht wird zeitweise vom Nachthimmel verschluckt, wenn wir über eine Bodenwelle rumpeln auf einer Strasse, die im Bau ist. Nach wie vor scheint die ganze Welt auf den Beinen zu sein. Wir blicken in unzählige Wohnungen, die meist von einer einzigen Glühlampe beleuchtet werden. Zum Essen versammeln sich die Wohngemeinschaften vor dem Haus auf dem Boden, direkt an der Strasse. Einen gemütlicheren, freieren, helleren und grösseren Raum gibt es nicht. Dieses Leben ist hart, keine Frage, und es ist dabei viel besser als früher, besser als in manchem Nachbarland, und Entwicklungspotential scheint das Land auch zu haben. Nur, wie schnell und wie unmittelbar wird es bei jenen ankommen, denen wir mit unserem Auto hier in die Reisschalen leuchten?
Dann werden die Lastwagen seltener, der Strassenlärm etwas geringer, dafür gleichmässiger – er klingt nicht mehr ab – die Strassen sind nun heller, die wuseligen und flinken Roller nehmen zu, als wären sie ein Bienenvolk, das dem heimischen Stock zuströmt, und schliesslich sind wir wieder vom Tempo überfordert, mit der man sich kreuzt, überholt, links und rechts liegen lässt, um vorwärts zu kommen,




der Familie, dem Haus, der Frau oder der Arbeit entgegen, viel zu lange dauert das immer, man bremst, und beschleunigt, stoppt, wartet, und ist schliesslich dort, wo die Gedanken schon voraus geeilt sind. Im Hotel. Das ist anscheinend deutlich besser als gedacht, und der Receptionist ist die Freundlichkeit und Zuvorkommenheit in Person.
J ist geschafft, verabschiedet sich, er scheint noch zehn Zentimeter kleiner geworden zu sein, und wir sehen bestimmt auch nicht mehr taufrisch aus. Wir brauchen fünf Minuten, um das Hotelzimmer so aussehen zu lassen, als wohnten wir schon Wochen darin. Wir freuen uns auf die Stadt. Das letzte grosse Ziel der Reise ist erreicht.




Hoi An (und grosse Teile Vietnams) unter Wasser

∞  30. September 2009, 21:00

Der Wirbelsturm Ketsana hat eine verheerende Verwüstung in Vietnam angerichtet.
Auch der Touristenort Hoi An, von dem wir im Reisebericht erzählen, ist schwer betroffen, wie zum Beispiel der Blick berichtet.

So kennen wir diesen Ort:




Und so dokumentiert Keystone im Blick



Und: Es trifft die Ärmsten immer am Schlimmsten.


Wieder einmal absolut konkurrenzlos, wenn es um die Sprache des Bildes geht, ist die Seite The Big Picture des Boston Globe. Da werde ich immer ganz still…




Vietnam: von Vinh nach Ninh Binh / Tam Coc

∞  29. September 2009, 21:50

Erlebt am 9. April 2009, vormittags


[ Bilder des Tages im Album ]
[ Landkarte" Von Vinh über Dien Chau und Ninh Binh bis Hanoi ]


Ich habe wieder diesen Druck im Magen, verzichte ganz aufs Frühstück, schlafe lieber etwas länger. Ich merke, dass ich langsam an meine Grenzen komme, mir mehr Ruhe gönnen muss, um all die Eindrücke zu verarbeiten.

In der Lobby treffen wir J. Der Ärmste ist seit 03:00 wach und hat die Zeit seither mehrheitlich auf der Toilette zugebracht: Durchfall. Ich gebe ihm Immodium.

Um acht fahren wir planmässig los und erreichen dreiviertel Stunden später Dien Chau und den nahe gelegenen taoistischen Cuong Tempel.




Noch ist es sehr ruhig. Der Tempel erwartet aber für heute regen Zustrom, da Vollmond ist, ein den Chinesen heiliger Tag. Wir scheinen überhaupt nicht zu stören, man lächelt uns freundlich zu und wir dürfen uns ungehindert all die schönen Holzschnitzereinen




mit meinen geliebten Drachen anschauen.




Nach einer längeren Fahrt, auf der ich wieder einmal Unterricht im Fach „was kann man alles auf einem Moped transportieren“ erhalte,
erreichen wir Ninh Bin, genauer gesagt, den Ausgangspunkt für die Bootsfahrt in die „trockene Halongbucht“, wie diese Gegend hier auch genannt wird. Wie in der „nassen“, eigentlichen Halongbucht, die wir übermorgen besuchen, gibt es auch hier Karststeingebilde, nur ragen sie nicht aus dem Meer, sondern aus den Reisfeldern heraus.




Zuerst gibt es jedoch ein Mittagessen. Wir lassen uns jedoch nur vier von den neun Gerichten bringen, und das auch nur einmal. Ich esse die Suppe, und helfe dann Küde ein wenig beim Abbauen der Berge, da es auch so immer noch zu viel ist.

J hat keinen Durchfall mehr, mein Magen hat sich auch beruhigt, dafür haben wir alle drei Kopfschmerzen, wobei es sich bei J um Migräne handelt.


Karstig garstige Gedanken


Noch sind wir nur in der Anfahrt zu einem der Highlights der Reise, wie wir wissen. Und wenn ich aus dem Fenster sehe, so deutet nichts darauf hin, wie nah dieses Naturwunder ist. Während meine Mitreisenden mit dem Schlaf kämpfen, der Fahrer glücklicherweise ausgenommen, versuche ich, die Eindrücke aufzunehmen, die vor dem Fenster wie ein zu schnell laufender Film vorbei fliegen. Wir fahren durch eine sehr staubige Gegend mit vielen rauen und sehr grauen Städten. Auf dem Asphalt und den Dächern liegt eine Schicht Staub, die sich in den Untergrund eingefressen hat. Es scheint hier in der Nähe sehr viel Bauindustrie und Bergbau zu geben. Die Fahrt vor Mittag ist äusserst laut, “rumpelig”, hektisch, und der Ausblick nach draussen macht nicht fröhlicher. Hier sind noch mehr Häuser ohne Verputz, so dass man fast durchwegs auf fleckige Betonflächen blickt. Wenn dann ein Haus herausgeputzt trotzig dazwischen steht, fällt das in etwa so auf, wie wenn ein farbiger Briefkasten einer grauen Hausmauer die Stirn bietet.

Genau so, wie wenn die Vorderfront sich geradezu grotesk von der übrigen Tristesse abhebt.
Aber dieses Grau ist auch sonst anders als schon gesehen. Es geht tiefer. Man kann fühlen, wie die Menschen und ihre Behausungen hier rücksichtslos Umweltzerstörungen ausgesetzt sind, die bei uns längst undenkbar wären. Ich weiss, wir haben diese Dinge bei uns alle auch verbrochen, und ich stecke hier immer wieder im gleichen Dilemma, weil ich schwer vermuten muss, dass ich zu wenig Übersicht und zu viel Voreingenommenheit besitze – aber es drückt mir auf die Seele, wenn ich in kommunistischen oder zumindest eifrig sozialistisch motivierten Staaten sehe, wie gerade hier systematisch und hemmungslos die Umwelt ausgebeutet wird. Es kommt mir so vor, als ginge die Umwelt in solchen Verhältnissen immer noch ein bisschen mehr und ein bisschen länger vergessen als bei uns… Und vor allem frage ich mich verzweifelt: Warum nur wollt ihr unbedingt die gleichen Fehler machen, die wir schon hinter uns haben? Die Göttin namens Wachstum verspricht Profit ohne Ende, und so donnern wir zwischen Lastwagen durch den Staub, der sich überall ablegt, wo er sich festsetzt, während die Beute aus dem Boden in die Häfen transportiert wird.





Vietnam: Dong Hoi - Phong Nha / Ke Bang NP - Vinh

∞  19. September 2009, 21:29

Erlebt am 8. April 2009


[Bilder des Tages: Album ]


Ich esse zum Frühstück nur eine Scheibe Vollkornbrot und trinke eine Tasse Tee. Irgendwie ist mir nicht gut im Magen; nein, das liegt nicht am gestrigen Bananenlikör, es wird wohl das zu viele und manchmal fette Essen sein, oder dieser Sch…Krieg. Zudem habe ich eine schmerzhafte Verhärtung im Oberschenkel, der ich mit Tiger-Balm zu Leibe rücke, bis jetzt leider nur mit mässigem Erfolg.

Wir sind früh dran; während Thinky auscheckt, stehe ich am Weiher im Garten, schaue den Fischen zu. Da kommt ein sympatischer, älterer Herr auf mich zu. Ob er mich etwas fragen dürfe… Oh je, denke ich, ich kann ihm sicher nicht helfen, ich kenne mich hier ja nicht aus. Er stellt sich als J, unseren neuen Guide vor, und seine Augen glitzern amüsiert hinter den Brillengläsern, dass ihm die Ueberraschung gelungen ist. Seine Ausdrucksweise und Umgangsformen sagen mir, dass wir gut miteinander auskommen werden. Aber es stimmt nicht nur die Chemie, der Mann ist auch ein Profi, das merkt man sofort. Er stellt uns P, den Fahrer vor. Auch der hat ein absolut offenes Wesen, einen geraden Blick. Der Toyota ist diesmal etwas kleiner, ein viertüriger, aber wenn wir den Rucksack zwischen uns auf die Rückbank stellen, hat alles im Kofferraum Platz.

Bei leichtem Sprühregen und 24° geht es los in den 45 km entfernten Ke Bang Nationalpark, der unmittelbar an der Grenze zu Laos liegt und zum Annamiten-Gebirgszug gehört, der für seine bizarren Kalksteinfelsen und -höhlen bekannt ist. Seit 2003 ist er in der UNESCO-Liste der Weltnaturerbestätten.



Etwa um 09:15 besteigen wir ein kleines Drachenboot, das uns in einer Viertelstunde zum Eingang der Tropfsteinhöhle Phong Nha bringt,




dann greift der Bootsführer zum Ruder, und wir gleiten völlig geräuschlos etwa zwanzig Minuten auf dem unterirdischen Fluss. Nur einzelne Tropfsteingebilde sind beleuchtet. Dann legt er an, und es geht zu Fuss weiter.




Die riesige Höhle, die sich uns eröffnet, ist imposant. Die Stalaktiten und Stalagmiten sind ganz anders, als die, die ich kenne.




Hier ist alles viel mehr fliessend, und ich habe den Eindruck, in einem gigantischen ausgetrockneten Korallenriff zu sein.




Schade ist nur, dass viele dieser wunderbaren Gebilde in viel zu grellen Farben – blau, rot, grün – angeleuchtet werden:




oder hier:




Dabei wüsste Thinky so gut Rat, wie es stattdessen aussehen könnte:




und so:



Auf dem unterirdischen Fluss geht es weiter zu einer zweiten Höhle, die wir auch zu Fuss erkunden, und die fast noch beeindruckender ist. Manchmal sind wir ganz alleine – schaurig schön!

Wir sind mit dem Boot zurück und steigen wieder ins Auto, fahren Richtung Vinh; inzwischen ist es völlig trocken.

Mein Magen hat sich beruhigt, dafür hatte ich einen kleinen Migräneanfall mit Sprachausfall. Zum Glück kennt das Thinky schon, und so warte ich einfach, bis die Worte wieder als solche über meine Lippen kommen. Die Ruhe dauert etwa zehn Minuten. Kopfschmerzen habe ich nur leichte, dagegen hilft eine Tablette. Also alles OK.

Es ist Zeit für das Mittagessen. Beim ersten Anlauf klappt es leider nicht: der Wirt ist betrunken und seine Frau, die Köchin, nicht da. Das nächste Restaurant versteht sich auch heute als solches.

Ich sollte auf die Toilette. Der mit „WC“ angeschriebene Raum sieht folgendermassen aus: grösser als normale WC-Grösse, Wasserhahn auf Kniehöhe (kein Schlauch), grosser Plastikeimer in einer Ecke, halbgefüllt mit völlig klarem Wasser, darin ein Schöpfbecken mit Stiel. An der Wand hängt ein Spiegel. Alles ist blitzsauber. Der Betonboden weist weder eine Wasserlache, noch ein Loch, noch einen Abfluss auf, auch unter dem Wasserhahn nicht. Was mich zudem irritiert: vor mir kam eine Einheimische heraus, mit nichts in den Händen, die die Toilette bestimmt benützt hat. Nein, diese Einrichtung verstehe ich nicht, und so verlasse ich den Raum unverrichteter Dinge, so dringend muss ich zum Glück nicht. (Gebrauchsanweisungen nehme ich gerne entgegen).

Wir fahren durch eine wunderschöne Landschaft: Strand, Brücken über breite Flüsse, Reisfelder ohne Ende, viele Bauern mit ihren Wasserbüffeln und Zebus.




Wenn die Tiere nicht arbeiten müssen, werden sie entweder an der Leine oder gerittenerweise zum Grasen geführt; sie sollen die Böschungen und Dämme zwischen den Feldern abfressen und sich nicht an den Pflanzungen gütlich tun, oder sich etwa in den Reisfeldern suhlen. Die nützlichen Tiere sind die Freunde der Bauern, und genauso werden sie auch behandelt.

Wir machen eine Kaffeepause auf echt vietnamesische Art: Ein Blechfilter mit gemahlenem, festgedrückten Kaffee wird – mit heissem Wasser gefüllt – auf ein Glas gestellt. Langsam tropft der Kaffee durch. Das ist nichts für Eilige. Dann kommt Zucker dazu, und nach Wunsch Eiswürfel, das aber eher im Süden. Und nachher trinkt man noch ein Tässchen Tee.




J erzählt uns viele interessante Dinge über sein Land, und wir hören ihm richtig gerne zu. Humor hat er auch, und so lachen wir oft. Wir sind wieder ein richtig gutes Team, wie im Süden mit M und T! War ja kein Zustand mit diesem wandelnden Parteibuch namens D.


Auf geht’s !




Gegen 17:30 sind wir in Vinh,




wo wir in einem Stadthotel untergebracht sind. Auch hier sind die Leute nett und freundlich, und kochen können sie auch. Allerdings fällt das angekündigte Buffet-Dinner aus, da es zuwenig Gäste hat, aber von dem aufmerksamen Kellner lasse ich mich auch gerne bedienen.

Was uns aufgefallen ist: Seit wir den Wolkenpass überquert haben, haben wir nie mehr geschwitzt.




Vietnam: Hue - Dong Ha / DMZ (Demilitarized Zone) - Dong Hoi

∞  13. September 2009, 19:45

Erlebt am 7. April 2009


[ Bilder im Album ab hier ]
[Landkarte: Rund um Quang Tri ]


Wir werden heute die DMZ (Demilitarized Zone) überqueren, somit durch eines der am heftigsten umkämpften Gebiete fahren und uns mit dem Krieg auseinandersetzen müssen. Von 1954 bis 1975 bildete der Fluss Ben Hai die Grenze zwischen Nord- und Südvietnam. Er verläuft mehr oder weniger entlang des berüchtigten 17. Breitengrades; fünf km nördlich und südlich erstreckte sich die ehemalige entmilitarisierte Zone.

D erzählt uns etwas darüber, dh., er liest vor, was er aufgeschrieben hat. Viele Worte betont er falsch, dazu kommen die Fahrgeräusche, und so ist es recht mühsam, ihm zuzuhören. Ich klinke mich aus, als er zum wiederholten Male und ausschliesslich von der Nordvietnamesischen Armee und dem Vietcong als der „Befreiungsarmee“ spricht und Saigon konstant Ho Chi Minh City nennt, was kein Mensch tut, auch im Norden nicht. Thinky, der Glückliche, ist eingeschlafen.

Wir erreichen Quang Tri, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Sie war einst Standort einer mächtigen Zitadelle und wurde so schwer bombardiert, dass kaum noch ein Originalgebäude stehen blieb. Doch von wem?

Tatsache ist, dass die Orte dieser Provinz mehrmals von den Nordvietnamesen/Vietcong erobert, und von den Südvietnamesen/Amerikanern wieder zurückerobert wurden. Inzwischen ist die Stadt wieder aufgebaut, nur eine ausgebombte Kirche und Schule hat man stehen lassen; letztere zeigt uns D.




Natürlich sind das die Amis gewesen. Auf meine Frage, wieso man ausgerechnet diese zwei Gebäude hat stehen lassen und wie es denn möglich sein soll, dass ein ganzer Ort zerstört wird, und ausgerechnet Kirche und Schule verschont bleiben sollen, weiss D auch keine Antwort.

Das Eingangstor der Zitadelle wurde neu errichtet, dahinter befindet sich heute ein Museum




und eine Gedenkstätte für die Gefallenen – angeblich aller.




Wieso ist denn neben der Glocke ein Schaukasten mit einer Vietcong-Ausrüstung,




um zu zeigen, mit wie wenig diese Männer in den Kampf zogen?

Es ist eine Gruppe Veteranen anwesend, die einen Kranz niederlegen. Das ist sehr eindrücklich.

Ich möchte gerne all der Gefallenen gedenken, denn jeder war einer zuviel, ganz egal, auf welcher Seite er stand. In diesem Sinn stecke ich meine Räucherstäbchen in den Sand.




Im Museum sieht man nachgestellte Szenen aus dem Alltag der “Befreiungsarmee”, zB. eines Militärbüros : einer mit dick bandagiertem Kopf sitzt noch heroisch an der Schreibmaschine… Neben einigen Relikten gibt es Fotos, darunter eines von einem waffenstarrenden Jungen, lachend. Bildunterschrift: XY, 14 Jahre alt, kämpfte drei Monate lang unaufhörlich in der alten Zitadelle. Für D ist er einfach nur ein Held.

Ich weiss nicht, ob ich so viel essen kann, wie ich kotzen möchte.

Halt auf dem Pannenstreifen: D weiss in einem Gebüsch einen rostigen US-Panzer; ich frage ihn, ob es noch andere gäbe? Nein, sie wurden alle „von den Leuten hier“ weggeräumt.

Auf der anderen Strassenseite ist ein Soldatenfriedhof. Den will ich sehen. Auf dem Mahnmal am Eingang steht “to quoc ghi cong”: lasst uns vergessen. Die weitaus meisten Gräber sind namenlos, alle tragen die Aufschrift „liet si“, Märtyrer;




einige stammen noch aus der französischen Kolonialzeit.

Es gibt in dieser Provinz über 70 solcher Friedhöfe, mit über 70’000 Gräbern.




Auch die Amerikaner verzeichneten in diesem Gebiet die weitaus meisten Verluste, aber ihre Gefallenen sind natürlich in der Heimat beigesetzt.

Beim Soldatendenkmal von Doc Mieu interessieren uns vor allem die wunderschönen roten Frangipani-Bäume davor, auch wenn D dies nicht versteht.




Jetzt sind wir am Südufer des Ben Hai Flusses. Hier steht ein riesiges Monument: stilisierte Palmwedel – als Symbol für den Süden – und davor eine Frau und ein Kind, gegen Norden blickend. „Sie erwarten ihre Retter und Befreier“ erklärt D. Und meint das auch so.




Und was ist mit all den Tausenden, die sie nicht als solche sahen, vor ihnen die Flucht ergriffen und dabei erschossen wurden? Oder mit den 1,6 Mio. Boatpeople?

Ganz sicher befreit wurden die Menschen von ihrem Eigentum, denn mit dem Einmarsch der Truppen setzten auch gleich die Enteignungen ein.

In D’s Beliebtheitsskala rutsche ich in die Nähe der Zahnwurzelbehandlung.

Ueber die alte Brücke (daneben steht eine neue) überqueren wir den Fluss. D stürmt voraus, als gälte es etwas zu erobern. Dieser geschichtsträchtige Ort lässt mich nicht kalt und vorsichtig versuche ich, mich für die Schwingungen zu öffnen. Aber da ist nichts Bedrohliches, da hat alles seinen Frieden gefunden, den ich schon zuvor auf dem Friedhof erspürte. An der Nordseite steht ein Triumph-Bogen, mit einem Propagandaspruch, unter dem es hindurchgeht,




etwas weiter weg ist ein Fahnenturm mit der vietnamesischen Flagge.

Im Museum steht eine riesige Statue von Ho Chi Minh, auch einige Landkarten, Waffen, oder was davon übrig blieb, und Fotos mit lachenden Menschen, die inmitten von Trümmern die Stellung halten oder Kriegsgerät durch den Dschungel schleppen, als wären sie an einer Pfadfinderübung. D betrachtet jedes einzelne eingehend. Thinky macht wieder ein paar kritische Bemerkungen, auch zu dem „statistischen Material“; die kann und will D nicht verstehen, für ihn ist das, was hier steht, die absolute Wahrheit, die zu interpretieren schon ein Frevel ist. Schliesslich ist Onkel Ho (so wird Ho Chi Minh von seinen Anhängern genannt) sein Gott, – sage ich. Er ist Atheist – sagt er; und wollte gestern für gutes Wetter beten.

Ich werde hier in die total falsche Rolle gedrängt: Nein, ich bin nicht für die Amis, ganz und gar nicht, und wer mich kennt, weiss, wie sehr “nicht”. Es kommt nicht von Ungefähr, dass ich die USA nie besuchte. Was sie in Indochina angerichtet haben, dass sie überhaupt gekommen sind, ist eine Schande, ebenso, dass sie sich bis heute nie dafür entschuldigt haben, geschweige denn die vietnamesichen Opfer ihrer Chemieeinsätze entschädigten (die GI’s erhielten eine Abfindung, ebenso einige Alliierte).

Aber ich bin auch nicht für eine Armee, die Kinder in den Krieg schickt, Zwangsrekrutierungen vornimmt, Tempel und Pagoden gezielt sprengt (das haben sie aber relativ schnell wieder eingestellt und den Amerikanern in die Schuhe geschoben, als sie merkten, dass das Volk dies nicht goutierte; heute herrscht absolute Glaubensfreiheit), Unterschlupf in Dörfern sucht, damit das Leben der Zivilisten aufs Spiel setzt und ein System an die Macht bringt, das hauptsächlich für sich selber sorgt. Wenn das vietnamesische Volk vorwärts kommt, dann nicht wegen, sondern trotz des Staates.

Für was ich bin, ist eine ausgewogene, objektive Darstellung der Dinge. Auf Propaganda reagiere ich nun mal allergisch, zumal sie hier nicht einmal im Entferntesten die Meinung des Grossteils des vietnamesischen Volkes wiedergibt.


Zahlen des Irrsinns


Es sind mehr als dreissig Jahre vergangen, seit der Vietnamkrieg endlich ein Ende fand. Entlang unseres Weges haben wir zahlreiche Zeichen dafür wahr genommen, wie ernst es den Vietnamesen damit ist, in Frieden zu leben – und dafür auch Versöhnungsarbeit zu leisten. Doch je mehr wir gen Norden kommen, desto augenfälliger werden die Unterschiede zwischen dem Süden und Zentralvietnam, und das dürfte noch zunehmen, je weiter wir reisen. Wie tief zweigeteilt das Land unter der Oberfläche nach wie vor sein dürfte, können wir nur vermuten, aber wir haben nicht immer ein gutes Gefühl. Die Aufgabe, die sich diesem Volk stellt, ist ja auch unvorstellbar:
3 Millionen Vietnamesen sind im Vietnamkrieg umgekommen und vier Millionen wurden verwundet. Dem stehen 56’000 tote US-Soldaten gegenüber. Über Vietnam sind zwei Mal mehr Bomben abgeworfen worden als im ganzen zweiten Weltkrieg über ganz Asien UND Europa!
Was in den Dimensionen des ganzen Krieges schon den blanken Irrsinn verrät, spiegelt sich auch in der Bilanz des Kampfes um die Zitadelle von Quan Tri: 26’000 Soldaten wurden getötet. Und 71 gefangen genommen.
Haben es die Verlierer einfacher, zu vergessen? Es sind die Sieger unter den Helden, dazu ernannt von einem Staatsapparat, der seine Legitimation auch und gerade aus dieser Geschichte zieht, die überall Denkmäler erhalten. In der Gegenwart anzukommen, Herausforderungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wettbewerbs anzunehmen, ist nicht unbedingt einfacher, wenn man die politische Moral als Schutzschild gegen jede Kritik ins Feld führt. Und diese Moral beugt mit eigener Optik neues Unrecht getreu einer Ideologie: Man zeigt uns eine zerbombte Schule, die als einziges Gebäude nicht wieder aufgebaut wurde, als Mahnmal. Derweil begegnen uns Menschen mit intellektuellen Fähigkeiten, potentielle Think Tanks des modernen Vietnam, die fünfzehn Jahre Häuserwände anstrichen, weil man ihnen die Schule, die Bildung, das Studium verwehrte.
Nicht nur Bomben sind Fratzen des Irrsinns. Ideologische Barrieren verursachen eine Art Bombenkrater in Lebenslinien, die gebrochen werden, mit keinem Recht, das sich Menschen im Umgang mit einander nehmen könnten und dürften.
Wer Leid erfährt, wird Leid säen. Immer wieder.


Als 1966 die Amerikaner ihre Bombenangriffe auf den nördlichen Teil der DMZ intensivierten, begannen die Bewohner der Bezirkes Vinh Linh ein Tunnelsystem anzulegen. Innert zwei Jahren gruben sie 50 Tunnel in den roten Lateritboden. Diese dienten zwar auch der Nordvietnamesischen Armee/Vietcong , waren aber hauptsächlich dem Schutz der Zivilbevölkerung zugedacht.

Wir sind jetzt in Vinh Moc, einem kleinen Küstendorf. 250 Menschen gruben hier in 18 Monaten fünf Tunnel mit einer Gesamtlänge von 2,8 km,




in denen alle 600 Dorfbewohner zwischen 1967-69 über verschiedene Zeiträume lebten. Danach siedelte etwa die Hälfte in eine sicherere Provinz um, der Rest blieb bis 1972, danach bauten sie ihre Häuser wieder auf.

Einen Teil dieser Tunnel, die später miteinander verbunden wurden, kann man im Originalzustand besichtigen, (das war auch das Einzige, was ich aus der Kriegszeit wirklich sehen wollte und gebucht wurde) und erhält zuvor eine kurze Einführung im Museum durch einen lokalen Führer. Auf diesen müssen wir noch warten. Da ist ein taubstummer Mann, der mich am Aermel zupft, mir etwas zeigen möchte. Er deutet auf ein grosses Foto mit Babykörben und zeigt auf einen, dann auf sich. Ich lese die Legende: insgesamt 17 Kinder sind unterirdisch zur Welt gekommen; eines davon muss er gewesen sein. Ich bedeute ihm, dass ich verstanden habe, was ihn sehr freut und zu weiteren „Erklärungen“ anspornt. Er merkt sofort, ob ich richtig verstanden habe; wenn nicht, versucht er es mit anderen Gesten, deutet genauer auf die Bilder. Ich versuche, auf die gleiche Weise „nachzufragen“. Dann kommt der Guide, der leider nur Vietnamesisch spricht, sodass D übersetzen muss. Ich erfahre eigentlich nur, dass ich den Taubstummen richtig verstanden habe. Dann geht es in die Tiefe. Es ist relativ eng, die Höhe variiert zwischen 1,6-1,9m, eine Taschenlampe ist hilfreich, obschon der Generator auch heute noch Licht erzeugt.




Ich bin froh, sind wir nur zu Viert, mit vielen Leuten hätte ich wohl Platzangst. Wir sind jetzt 12 m unter der Erde. Da sind links und rechts des Ganges kleine Kämmerchen, sog. Familienzimmer, gedacht für vier Personen.




Wir steigen noch eine Etage tiefer, auf 15 m. Da sind Süsswasserbrunnen, ein WC, dh. ein Loch, eine Waschgelegenheit, ein Entbindungsraum/Sanitätszimmer




und weitere Kämmerchen, ab und zu Ausgänge. Die gute Belüftung erstaunt mich. Die tiefsten Gänge befinden sich auf 23 m, da sehen wir nur die Treppe runter. Wenn ich mir vorstelle, dass die Leute hier mehr Stunden am Tag verbrachten als oberirdisch, und das über Jahre hinweg, schaudert es mich. Es ist sehr eindrücklich, aber auch unheimlich, und ich bin froh, dass wir nach zwanzig Minuten wieder draussen sind.




Es ist knapp vor 15:00, höchste Zeit für unsere Lunchpakete, die D am Morgen organisiert hat. Er selber hat keines, isst aus unseren mit, es ist auch dann noch zuviel, den Rest geben wir ihm mit für seine heutige Rückfahrt.

Wir fahren weiter Richtung Dong Hoi; da sagt D unvermittelt: „1972 fiel mein Vater, da war ich neun Jahre alt.“ Und dann, nach einer kurzen Pause: „Ich erinnere mich nicht mehr an das Gesicht meines Vaters.“ Dann schaut er angestrengt in seine Unterlagen.

Das ist die einzige vernünftige Erklärung, die er in diesen zwei Tagen abgegeben hat: die Erklärung für seine Wut.

Dieses ganze Gebiet, das einmal eine karge Bombenkraterlandschaft mit von Chemikalien und Blut getränkter Erde war, ist jetzt ein Reisfeld. Die entlaubten Wälder auf den Hügeln wurden neu aufgeforstet, im Ben Hai Fluss wird gefischt, aber für D ist immer noch Krieg.

Wir kommen an in Dong Hoi, der Hauptstadt der Provinz Quang Binh, die zu den ärmsten des Landes zählt.

Bevor wir ins Hotel fahren, halten wir an der Strandpromenade und sehen zu, wie Fischer ihre Senknetze ins Wasser lassen; dh. Thinky und ich tun das. Der Stopp gilt eigentlich einem weiteren Denkmal, diesmal für eine Heldin.




Im Hotel machen wir einen Spaziergang dem Strand entlang und in der ausgedehnten Hotelanlage um die Köpfe auszulüften. Auch hier ist eindeutig Nachsaison, kein Mensch ist zu sehen. Im Speisesaal sind wir ebenfalls die Einzigen. Es gibt Ravioli, mit Spaghetti dekoriert, und das schmeckt. Davon überzeugt sich der Koch persönlich. Die Dessert-Teller hat er liebevoll mit aufgespritzten Schokolade-Schmetterlingen verziert.

Wir trinken noch etwas Hochprozentiges, das darf nicht nur, das muss heute sein.




Vietnam: Hue - Grabmal von Khai Dinh

∞  12. September 2009, 13:29

Erlebt am 7. April 2009, frühmorgens


[ Alle Bilder des Tages im Album ]


Wir sind extra früher aufgestanden, weil wir uns noch etwas in der tollen Hotelanlage umschauen wollen, gepackt haben wir schon.

Nach dem Frühstück können wir wie üblich um 08:00 los. Es regnet leicht, also werden wir die nahe gelegene Grabanlage des letzten Nguyen-Kaisers Khai Dinh im Regenponcho besuchen. Sie wurde 1920 aus Beton erbaut, und ist ganz anders als die von Tu Duc, viel pompöser.




Eine steile Treppe führt durch ein Tor zum Ehrenhof mit seinen Statuen,






dann kommt nochmals eine Treppe, die zum eigentlichen Grabmal führt, das wie ein Palast ist.




Der riesige Raum ist mit bunten Mosaiken aus Glas- und Keramikscherben ausgekleidet, und über dem eigentlichen Grab thront die bronzene Statue des Kaisers unter einem Baldachin.




Nach einer guten Stunde fahren wir weiter. Es regnet nicht mehr, bei 24°.


Auf der Suche nach Ewigkeit


Die Grabmäler des Kaisers mögen alle unter Einsatz und Verschleiss unglaublicher Mittel, inklusive menschlicher Existenzen, erbaut worden sein – aber wenn etwas an ihnen tatsächlich ewig ist, so ist es das Sinnbild, das sie darstellen für unsere ständige Suche nach Halt, und dann Nachhalt, der am Ende eine Hingabe an ein Nichts droht, mag man noch so viel Nachhall erzeugen, in Stein gemeisselt. Denn nichts daran ist ewig, nur den Versuch, den gehen die Menschen immer wieder an. Was machte denn ein Volk unsterblich, eine Seele unvergänglich? Die Erste Frage ist im Grunde ohne Bedeutung, der zweiten stehen wir nur selbst im Weg. Wir können es uns doch nur leichter oder schwerer machen, in unserer Seele zu ruhen und zu uns selbst zu finden. Dort, wo wir keine äusseren Bestätigungen mehr brauchen – dort wollen wir im Grunde hin. Alles, was wir erschaffen, ist höchstens der Anfang dieses Gedankens. Ist der Schritt, der daraus folgt, getan, wird uns jedes Bedürfnis fehlen, diesen auch abzubilden. So lange aber die Unruhe in uns tobt, die Suche neue Winkel findet, so lange werden wir durch Fenster in die Ferne sehen und uns wo anders hin wünschen – und den Tod und das Vergessen fürchten.








Vietnam: Hue - Thien Mu Pagode, Zitadelle, Kaiserstadt und Grabmal von Tu Duc

∞  7. September 2009, 08:58

Erlebt am 6. April 2009, nachmittags


[ Bilder des Berichts vollständig im Album ab hier ]


Um 12:30 steigen wir in ein Drachenboot, in dem der Bootsführer mit seiner Familie auch wohnt. Dafür, dass die Frau während der 40minütigen Fahrt auf dem Parfümfluss (Song Huong) versucht, uns von T-Shirts bis Karten alles Mögliche zu verkaufen, habe ich recht wenig Sinn: ich schaue demonstrativ in den Regen hinaus. Auch bei schönem Wetter gäbe es hier nicht wirklich viel zu sehen.
Die Kinder der Familie kümmert das alles reichlich wenig.



Klick aufs Bild für grosse Ansicht


Es geht zur Thien Mu Pagode, die der Himmelsgöttin geweiht und eines der meistverehrtesten Heiligtümer Vietnams ist. Der Tempel wurde 1601 erbaut, der achteckige Turm mit sieben Stockwerken 1840 hinzugefügt.




Zu der Kloster-Anlage gehört auch noch ein Seerosenteich in einem wunderbaren Garten mit vielen Bonsais in allen Variationen. Ich glaube, ich weiss jetzt, was Thinky unter guten Stimmungsbildern versteht, zumindest visuell.






Ebenfalls hier zu besichtigen ist das Auto, mit dem ein Mönch dieses Klosters – Tich Quang Duc – am 11.6.1963 nach Saigon fuhr, wo er sich selbst anzündete, um so gegen die Unterrückung, Verhaftung und Hinrichtung tausender Buddhisten unter der Diem-Regierung zu protestieren und dessen Gedenktafel wir bei dem grossen Buddha in Nha Trang gesehen haben.

Zurück geht es mit dem Auto und direkt zur Zitadelle.




Hue war zwischen 1802 und 1945 die Hauptstadt Vietnams und somit die Residenz von dreizehn Kaisern der Nguyen-Dynastie.

1804 wurde die Zitadelle erbaut, die ein 5,2 km2 grosses Gebiet umfasst. Darin sind in konzentrischen Ringen die Kaiserstadt und die Verbotene Purpurstadt angelegt, die während des Krieges leider fast vollständig zerstört wurde. Einige Gebäude wurden von der UNESCO restauriert, andere werden wieder aufgebaut.

Wir überqueren den 40m breiten Wassergraben mit seinen Kois und Seerosen,




steigen auf einen Turm der Zitadelle. Die grün glasierten Ziegel auf den Dächern kontrastieren wunderbar mit dem Gelb und Rot der Wände, den beiden Farben, die dem Kaiser vorbehalten sind.




Wir gehen durch die Kaiserstadt mit ihren Audienzhallen, Tempeln, Teichen und Gärten, durch unzählige Tore, an denen der Zahn der Zeit nagt, die Farben etwas verblassen lässt, aber gerade dadurch eine so starke Wirkung entfalten,




kommen zur Purpurstadt. Jedes Detail ist gewollt, nichts zufällig, alles hat Symbolcharakter und ist zum Schutz und Ruhm des Himmlischen Herrschers und seiner nie enden wollenden Macht da. Die Klinkerplatten am Boden glänzen im Regen, erzeugen Spiegelungen.



Auf den Dächern sorgen riesige Fischmünder für den Ablauf des Wassers.
Was für ein traumhafter Ort!
Am Anfang lief D ständig ins Bild, jetzt ist er immer schon um die Ecke und weit voraus, Thinky kommt nach, wenn er die Weitwinkel-Fotos gemacht hat, ich halte die Verbindung. Weshalb D nicht hinter uns stehen bleiben kann, weiss nur er. Aber er gibt sich Mühe – und hat.

Zwei Stunden sind wir geblieben. Auf dem Rückweg zum Auto sagt er, es freue ihn, wenn es uns gefalle.

Um 16:15 sind wir beim Grabmal von Kaiser Tu Duc, das sieben km ausserhalb Hue liegt, auf dem halben Weg zum Hotel. Auch das ist wieder eine ganze Anlage,




die u.a. einen sehr schönen Holzpavillon, der auf Stelzen halb in einem künstlichen See steht, und sich darin dekorativ spiegelt,




einen Ehrenhof mit Mandarin-, Pferde- und Elefantenfiguren, einen weiteren Pavillon




und schliesslich das Grab selbst umfasst.

Im Palast residierte der Kaiser noch zu Lebzeiten.

Die Vietnamesen sagen über den Ort: „Wo die Trauer lächelt, und die Freude weint“. Da gibt es nichts hinzuzufügen.

Es ist nach 17:00, die Anlage ist eigentlich schon geschlossen. Wir schlüpfen wohl als Letzte hinaus. Ich bin nur noch müde, freue mich aufs Hotel, wo es gemäss Programm auch etwas zu essen gibt.

Nix da, die Agentur zahle kein Nachtessen in einem 5-Sternhotel, das sei viel zu teuer, wir könnten uns im Hotel umziehen und würden dann zum Essen ins 15 km entfernte Hue zurückgefahren und wieder hingebracht. Das wurde D angeblich so von der Agentur beschieden, mit dem netten Nachsatz, wir könnten ja die zuviel bezahlte Differenz bei Kuoni zurückfordern. Ich habe keine Lust zu streiten, aber auch keine, sinnlos in der Gegend herumzufahren, noch weniger, mich beim Essen beeilen zu müssen, bloss weil es spät ist und die zwei warten. Wir schlagen vor, dass wir jetzt gleich essen gehen, und auch nicht in Hue, sondern in einem Restaurant auf dem Weg zum Hotel. Mit diesem Vorschlag kann sich sogar die Agentur einverstanden erklären.

Bereits auf dem Parkplatz werden wir von jungen, elfengleichen Damen mit Regenschirmen abgeholt. Wie in den meisten gehobeneren Restaurants tragen sie das vietnameische Nationalkleid, das seidene Ao Dai, eine Hose und darüber einen langen, an den Seiten bis zur Taille geschlitzten Kasack, der ihre von Natur aus schlanken, anmutigen Figuren betont. Ich bin sicher, dass viele von ihnen ihre eigene Taille mit den Händen umfangen könnten, wenn sie etwas zudrücken, so zierlich gebaut sind sie, jedenfalls in jungen Jahren; und gesund sehen sie dabei auch aus. Wir werden über ein hübsches Brücklein geleitet, das über einen Teich direkt ins offene Restaurant führt. Alle Möbel sind schwarze Lackarbeiten, die Tischtücher blutrot, und von der Decke hängen Töpfe mit Orchideen. Wow! Genauso ist auch das Essen, eines der besten, die wir bis jetzt genossen haben.


Fremde Fremdenführung


Der erste Tag mit unserem Guide namens D. Auch im Umgang mit Menschen aus fremden Kulturen trügt der erste Eindruck oft nicht. Hier ist das auch so. D lässt jede professionelle Zuvorkommenheit vermissen. Es scheint mir, als hätte er den Verdacht, sein Dienst für uns Touristen wäre unter seiner Würde. Wie viele Angestellte in staatsnahen Betrieben eines sozialistischen Systems hat er ganz offensichtlich ein Problem, sich auf seinen Dienstleistungsjob einzustellen und einzulassen. Was von ihm scheinbar verlangt wird, erscheint ihm so, als würde man von ihm die Dienerschaft in einem archaisch autoritären System verlangen. Ich verstehe, wie das entsteht, aber es ist dennoch bemühend, auch in den Ferien gegen solche feste Bilder anzukämpfen. Dabei ist das nicht allzu schwierig: Sobald Menschen wie D. sehen, dass man sich tatsächlich für ihr Land interessiert, man begeistert ist für die Kultur und nicht nur Sehenswürdigkeiten abhakt, tauen sie auf, werden weicher und plötzlich tatsächlich zu Botschaftern ihres Landes. Dann ist der Dienst keiner mehr an uns, sondern an seinem Land, und endlich kommt er da an, wo ein westlicher Touristikführer beginnt (wenn er seinen Job seinerseits begriffen hat). Immer wieder ist es für mich erstaunlich, auch in meiner eigenen Tätigkeit, wie vorgefasst, einfach gestrickt und holzschnittartig die Bilder sind, die sich Menschen von “den anderen” machen. Den Nachbarn, den Schweizern, den Männern, den Zürchern, den Geschäftsleuten, den Managern, den Verkäufern. Es ist verwunderlich und manchmal auch ein wenig peinlich, wie leicht solche Menschen zum Staunen zu bringen sein können – sofern sie noch nicht endgültig auf die eigenen Bilder fixiert sind.
Noch etwas ganz anderes fällt uns auf: D. übersetzt offensichtlich herzlich gern und voller Freude und sehr genau unser Lob an die Angestellten des Restaurants und unseren Dank für das ausgezeichnete Abendessen. Bei ihm gibt es keinen Standesdünkel, der es ihm unmöglich machen würde, “gegen unten” ein Lob weiterzureichen. Er sieht sich auf gleicher Ebene mit seinen Landsleuten uns gegenüber. Und so bekommen wir mit, was unsere Anerkennung bei den Frauen auslöst: Bezauberndes und gleichzeitig herzlich offenes Lächeln, ohne jede Maskenhaftigkeit. Ganz natürlich. Was ein Dank doch alles auslösen kann. Und erneut scheint D. überrascht, wie ernst wir diesen Dank auch meinen. Und so nehme ich auch das wieder einmal beklemmende Wissen mit mir auf den Heimweg, wie viel eben viele westliche Touristen auch dafür tun, dass sich Menschen wie D. so auf ihren Job einstellen, wie sie es eben tun. Auch sie machen ihre Erfahrungen, und wahrscheinlich ist das ein Job, bei dem man es besonders leicht hat, diese Erfahrungen mit vorgefassten Bildern abzugleichen, die ihrerseits auch ein bisschen Hochmut enthalten, der mit berechtigtem Stolz verwechselt wird.
Selbst lässt sich nicht mehr tun, als in ein paar Stunden gemeinsamer Zeit Respekt zu zeigen. So lange, wie die Achtung gegenseitig entgegen gebracht wird.


Als wir beim Pilgrimage Village ankommen, ist es natürlich schon dunkel. Dennoch können wir auf unserem Weg zum Bungalow sehen, dass die Hotelanlage zu den schöneren zählt. Und das Zimmer erst; da kann man sich ja verlaufen! Und das offene Badezimmer: die Badewanne ist im Boden eingelassen, und wenn man darin liegt, kann man direkt zum Fenster hinaus in den Privatgarten sehen. Zudem gibt es im Freien noch eine Dusche. Ueberall liegen kleine, rote Blümchen, auf dem Bett, auf der Frottierwäsche, auf dem Früchtekorb. Auf dem Sitzplatz stehen zwei Liegen, und daneben hat es so etwas wie einen Mini-Pool von 1,2m Tiefe und dem Hinweis, dass keine Life Guard im Dienst sei. Also ich finde das Hotel durchaus fünfsternig, aber beim Kuoni-Rating hat es nur 3,5. Und dies alles nur zum Schlafen!




Vietnam: von Hoi An nach Da Nang und über den Wolkenpass

∞  6. September 2009, 20:49

Erlebt am 6. April 2009, vormittags


[ Bilder des Tages: Album ]
[ Landkarte: Die Städte Da Nang und Hue ]


Ich wache auf, es ist 04:20. Regen trommelt aufs Dach, und es hört sich an, als ob die Tropfen Tennisballgrösse hätten. Thinky schläft. Als es nach zehn Minuten immer noch nicht nachlässt, mache ich eine Runde durch das stockdunkle Zimmer, immer in Erwartung, in eine Pfütze zu treten. Aber nichts, alles trocken, auch unter der Eingangstüre. Ich gehe wieder ins Bett.

Um 06:30 klingelt der Wecker. Es regnet immer noch, aber weniger. Ich schaue aus dem Fenster: Das Stückchen Meer, das ich sehen kann, ist schwarz wie Tinte.

Wir gehen frühstücken.


Ferienzeit…


Wieder ein Frühstück für Könige. Diesmal gönne ich mir explizit auch die fetten Waffeln – mit Vanillesauce. Und samt Ananasstückchen, natürlich. Und Zimt. Ich könnte laut stöhnen vor wohligem Vergnügen.
Und über diese göttliche Versuchung hinweg beobachte ich in der Nähe eine Frau in meinem Alter. Sie sitzt mit ihrem Partner am Tisch. Dieser hat mir den Rücken zugewandt und bewegt seinen Oberkörper die ganze Zeit überhaupt nicht. Mir fällt auf, wie grau das Gesicht der Frau ist, wenn sie ihn ansieht. Überhaupt scheint der Blick nach innen gewandt. Sie ist völlig abwesend, und man möchte vermuten, dass ihr eine Beerdigung bevorsteht und kein Ferientag.
Etwas später schaue ich wieder hinüber, und ich erkenne sie erst kaum wieder. Sie lacht wie jemand, der einen gewinnenden Eindruck machen will. Sie lacht nach links. Eine zweite Frau hat sich hinzu gesetzt, und die beiden Frauen unterhalten sich weiterhin lebhaft. Sein Rücken bleibt bewegungslos.
Ich kann mir für diesen Tisch nur auf Grund dieser wenigen Eindrücke hundert Geschichten denken…



Wir checken aus, warten in der Lobby. Von der Reception wird unser Guide zu uns geschickt, fragt uns nach unseren Namen, die wir ihm bitte buchstabieren sollen, obwohl sie gross auf den Unterlagen stehen, die er in den Händen hält. Erst auf Nachfrage erfahren wir, dass er D heisst und uns zwei Tage lang begleitet.

Der Mann ist wütend. Nicht aus einer Laune heraus, sondern als Grundhaltung.

Wenigstens nur zwei Tage, hm.

Laut Kuoni steht heute der Besuch der Marmorberge, des Cham-Museums in Danang, die Fahrt über den Wolkenpass nach Hue, dort der Besuch der Zitadelle, des Kaiserpalastes und die Grabmähler von Tu Doc und Khai Dinh auf dem Programm. Schon zu Hause war ich sehr skeptisch, ob das alles an einem Tag zu schaffen sei, (von der Verarbeitung all der Eindrücke ganz zu schweigen), aber auf meine Nachfrage hin wurde mir versichert, dass dies kein Problem wäre. Alles, was im Programm stehe, könne auch so gemacht werden.

Da wir in Dalat andere Erfahrungen machten, fragte ich damals bei M nach, der mir Tipps gab, was wir wo umstellen sollen, dass wir alles richtig besichtigen können, weshalb wir die Marmorberge auch bereits am 3.4. besuchten, und das Cham-Museum heute streichen. Zudem wollen wir die für Morgen eingeplante Flussfahrt heute machen und die zwei Grabmähler morgen, da wir so keine Wege doppelt fahren müssen. D ist damit einverstanden, will aber nur ein Grabmahl auf morgen verschieben, weil er abends noch nach Danang zurückfahren müsse, und das dann zu spät würde. Aha.

Dann fügt er noch zwei weitere Programmpunkte hinzu: Das Auto muss vollgetankt werden, und er muss die vergessene Jacke zu Hause holen.

Ich gebe ja gerne zu, dass M und T die Latte sehr hoch gelegt haben, aber dass wir gleich vom zehnten Stock in den Keller rasseln, hätte ich doch nicht erwartet.

Inzwischen sind wir in Danang. Während S, der Fahrer, tankt, spazieren wir in der Sonne etwas an der Strandpromenade.




Hier gibt es die einzige drehbare Brücke in Vietnam,




zudem ist es der viertgrösste Hafen, davon sehen wir aber nichts. Eine stark boomende Stadt, wie mir scheint.

Während D seine Jacke holt, beginnt es wieder zu regnen, dann geht es los, Richtung Hai Van – oder eben Wolkenpass. Der ist zwar lediglich 500 m hoch, aber dennoch eine Klimascheide zwischen Nord und Süd. Bei schlechtem Wetter fahren wir den Pass hinauf und halten oben, trinken einen Kaffee. Aus dem Regen wird ein Giessen,




und von einem Moment zum anderen




haben wir überhaupt keine Sicht mehr.




Nach zehn Minuten fahren wir. Kurze Regenpause – Sprühregen – starker Regen – Regenpause, wie in einer Endlosschlaufe.

D muss das Mittagessen in Hue für uns vorbestellen; er fragt mehr sich selbst als uns, wie man als Vegi überhaupt leben kann; das Restaurant weiss es zum Glück bestens.

Es regnet immer noch, aber moderat. Für die Bootsfahrt ist das schade, für die anderen Sehenswürdigkeiten aber nicht unbedingt schlecht, es könnten sich gute Stimmungsbilder machen lassen. Will mich Thinky bloss trösten? Wir nehmen uns jedenfalls vor, alles wirklich richtig anzuschauen, uns nicht drängen zu lassen, schliesslich sind wir mit Regenschutz und Schirm bestens ausgerüstet, heiss ist es auch nicht, sondern richtig angenehm.
Und das mit den Stimmungsbildern könnte hinkommen: Dies ist der Blick zum Meer am Fuss des Wolkenpasses:






Vietnam: Ruhetag in Hoi An, Hotel Palm Garden

∞  5. September 2009, 17:44

Erlebt am 5.April 2009


Das Wetter ist schön, gemäss Anschlag beim Restaurant ist es 30° warm bei 92% Luftfeuchtigkeit.

Wir sitzen auf unserem Balkon im Schatten, schreiben Tagebuch, wollen einen Ruhetag machen – so richtig.

Ich habe schon den Badeanzug an; sieht nach dem üppigen Frühstück etwa so aus wie unser Zimmer: nicht ganz wie im Katalog.

Am Strand entlang zu spazieren ist heiss, und Muscheln finden sich praktisch keine, aber es hat nur wenig Leute, und zwei schöne Liegen in der vorderen Reihe sind frei. Der grosse Stroh-Schirm spendet Schatten, und es weht ein willkommenes Windchen.

Auf dem Meer sind zwei Rundboote zu sehen, die ziemlich weit draussen sind. Es ist mir immer noch ein Rätsel, weshalb die nicht kentern, so ganz ohne Kiel und bei diesen Wellen.

Ein junges japanisches Pärchen wagt sich ins Meer. Die Brandung ist nicht stark, aber vorhanden. Zwei- dreimal unter den Wellen durch, oder darüber, und man wäre draussen. Ihm ist das völlig klar, alleine hat er es vorhin so gemacht. Sie quietscht laut und hell bei jeder Welle, und steht nachher im besten Fall am gleichen Ort, obwohl er sie bei der Hand nimmt. Ich befürchte, sie kann nicht schwimmen.

Nachher lassen sie einen bunten Drachen steigen. Das geht besser, viel besser.




Die zwei sind richtig süss.
Eine Frau in den Dreissigern besucht ihre reservierte Liege, bleibt daneben stehen. Sie trägt über dem Badeanzug ein blaues Kleidchen, dessen Saum sie sicher fünfmal bis zur Taille hochschiebt, als ob sie es ausziehen wolle, um es dann doch anzubehalten. Sie kommt mir vor, wie ein Kind, das mit seinem Höschen spielt. Nach gut fünf Minuten verlässt sie missmutig den Strand.
Ein Paar will Jetski fahren, dafür bringen sie einen Kameramann mit, der das ganze wohl filmen soll. Der Instruktor fährt das Gerät ins ruhige Wasser, die anderen zwei sollen schwimmend nachkommen. Der Mann steigt auf und erhält eine Einführung, aber der Lehrmeister ist nicht zufrieden, lässt ihn nicht alleine fahren. Nach etwa zwanzig Minuten im Wasser Stehen wird es der Frau zu dumm, sie kommt zurück an den Strand und verschwindet mit dem Filmer, der nichts filmte.

Nach zwei Stunden haben wir hier alles gesehen und verschieben uns an den Pool. Zuvor bringen wir noch die ausgeliehenen Badetücher zurück, was bestens verdankt wird. Es war mir doch so, dass es da mehr besetzte Liegen als Schwimmer gibt, und dies kann ja hoffentlich nicht am Versagen der Lifeguard liegen.

Am Pool bekommen wir neue Tücher, und der freundliche Mann will sie uns gleich selbst auf den Liegen unserer Wahl drapieren. Auch hier hat es angenehm wenig Leute.

Unter jedem Sonnenschirm klemmt ein „Service-Fähnchen“, das man schwenken soll, wenn man etwas bestellen will oder sonst einen Wunsch hat. Hier könnte man problemlos verfaulen.

Da ist eine japanische Familie. Die Mutter füttert ihr Kind mit Stäbchen, was etwas Vogelartiges hat. Danach spielen sie mit dem Kind, gehen alle zusammen in den Pool. Sie scheinen richtig glücklich zu sein, geniessen ihre Ferien in vollen Zügen.

Wir ordern zwei Kokosnüsse, allerdings ohne Einsatz des Fähnchens, (es sind die ältesten, die wir bis anhin bekommen haben (die Kokosnüsse, nicht die Fähnchen), und aus dem Fleisch kann man nur noch Raspel machen). Auch hier bleiben wir etwa zwei Stunden. Dann hängen wir unsere nassen Sachen zum Trocknen auf, sitzen auf dem Balkon und essen uns durch den Früchtekorb.

Das war jetzt ein richtiger Ruhetag, aber ein solcher Tag am Stück genügt vollkommen, und ich bin froh, dass es morgen wieder weiter geht, und dass Thinky dies genauso sieht.


Ruhetag – nachhaltig erlebt


Es ist kaum zu glauben: Thinkabout´s verbringen mehrere Stunden eines Tages fern heimischer Umgebung auf Liegestühlen. Gut, nicht immer auf den gleichen, aber immerhin sowohl am Meer wie auch am Pool. Wir fragen uns zwar, wie man das eine Woche machen kann, aber dennoch ist es schön, wirklich Ruhe zu finden. Und ich war wohl seit gefühlten Jahrzehnten wieder einmal in einem Hotelpool schwimmen!
Wenn die Zeit einmal durch keinen Stundenplan gebändigt wird, dehnt sie sich aus, und die Gedanken gehen rückwärts und vorwärts ein bisschen auf Reisen. Und so spüre ich nochmals meiner gestrigen Sättigung nach und bin mir bewusst, dass sie auch mit dem Beginn der Besichtigung zu tun hatte. Denn dieser Beginn war von einer spirituellen Ruhe im Trien Chau Clan House geprägt. Wir waren an diesem Ort ganz allein, und jede Ecke lud uns ein, uns einfach still hinzusetzen. Wir sassen da und würden sitzen bleiben, bis uns der Ort entließ, und nicht, weil ein nächstes Ziel rufen würde. Eine halbe Stunde dieser Art Stille beruhigt auch den Blick. Nichts habe ich danach an diesem Ort so gern fotografiert wie die Spuren der Zeit im Wohntrakt.



Mitte der Reise, Fixpunkt und Anker der Ruhe, gefühlter Halt, erlebtes Sein. Heute, am Tag danach, erinnere ich mich auf einer Liege in einer konstruierten Retortenoase an diese Minuten, und dabei fühle ich tatsächlich Ruhe. Eine tiefe Dankbarkeit breitet sich in mir aus für dieses Bewusstsein, ein wahrhaft beschenkter Mensch zu sein.
Dass gerade jetzt eine japanische Familie neben uns am Pool mit ihrem Kind echte Urlaubsfreude ausströmt, ist das Pünktchen auf dem i. Etwa so, wie wenn sich ein Schmetterling direkt vor Ihrer Nase auf die Blume setzt, die Sie bereits mit Freude betrachten.





Vietnam: Hoi An, bei Tag und Nacht

∞  1. September 2009, 06:50

Erlebt am 4. April 2009, nachmittags und abends


[ Die Bilder des Tages ab hier im umfangreichen Album ]


Kaum habe ich mich mit dem Zimmer versöhnt, ja fast schon angefreundet, stellen wir mit Schrecken fest, dass es bereits beinahe 12:30 ist. Um 13:00 fährt der Shuttlebus nach Hoi An. Wir müssen uns noch um- bzw. anziehen und den Rucksack umpacken. Alles, was wir nicht benötigen, landet auf dem bereits gemachten Bett.

Der Bus bringt uns in die Altstadt. Ich habe davon ein Plänchen, und wir können uns schnell orientieren, da die Strassen auch hier gut angeschrieben sind. Die Franzosen haben die lateinische Schrift in Vietnam eingeführt, vorher wurde in Schriftzeichen geschrieben, das war den Kolonialherren zu mühsam und wohl auch zu unkontrollierbar. Obwohl es uns vieles erleichtert, empfinde ich es als unrecht, ein Volk seiner Schrift zu berauben.

Im 17. Jh. war Hoi An einer der bedeutendsten Häfen Südostasiens. Vietnamesische, chinesische und japanische Traditionen prägten die Stadt, es folgten europäische. Im 19. Jh verschlammte und verlandete der Hafen, und heute liegt Hoi An nicht einmal mehr direkt am Meer. Viele Häuser, Brücken und Tempel sind von der UNESCO unter Schutz gestellt worden.




Im Trieu Chau Clanhouse sind wir ganz alleine, können alles ausführlich anschauen: den Brunnen mit den Fischen und Schildkröten, die Drachen und anderen Figuren, die das Dach zieren, die chinesischen Schriftzeichen, die Schnitzereien, die Bonsais,




den Tempel mit den Heerscharen taoistischer Gottheiten. Der Wächter beim Eingang schläft.




Herrlich still ist es hier, und wir setzen uns auf eine lange Holzbank an einem Tisch.

Als Nächstes besuchen wir die Hai Nam Assembly Hall. In der Vorhalle werden Lampions hergestellt und zum Verkauf angeboten; neben den vielen Schneiderateliers der zweite wichtige Handwerkszweig in Hoi An.




Vor dem eigentlichen Tempel stehen sich zwei Reihen Stühle gegenüber: kostbare Lackarbeiten mit Perlmutterintarsien, dazwischen ebensolche Tischchen und Bonsais.

Auch dieser Ort lädt zum Verweilen ein, dafür stehen im Hof extra Bänke, nur sind die jetzt in der Sonne, und die Lackstühle im Schatten sind für Touristen wohl tabu, nehmen wir mal an.

Jede chinesische Gemeinde baute ihre eigene Versammlungshalle, die zugleich Tempel und kultureller Mittelpunkt der jeweiligen Gesellschaft war und ist. Sie entstanden alle im 18. Jh.

Zwar versucht jeder Clan den anderen mit Prunk und Pracht zu übertrumpfen, dennoch hat man nach zwei Häusern eigentlich schon alle gesehen.

Wir werfen noch einen kurzen Blick in die Quan Cong-, die Phuc Kien-, sowie die Kanton-Halle, bevor wir die berühmte japanische Holzbrücke erreichen. Sie ist überdacht und wurde 1593 von der japanischen Gemeinde erbaut, um ihren Stadtteil mit demjenigen der Chinesen zu verbinden.




Auch in Hoi An funktioniert der Verkehr nach dem Motto „Hupen und Hoffen“ , es hat jedoch eine ausgedehnte „Fussgängerzone“, in der nur Fahrräder und Rikschas fahren dürfen. Dafür sorgt zumindest heute ein Polizist, bewaffnet mit einem Schlagstock. Drohend geht er damit nach einem grellen Pfiff auf die verkehrssündigen Mopedfahrer zu, belehrt diese, dass sie ihr Fahrzeug hier zu schieben hätten. Das ist alles, keine Busse, nichts. Auch zwei Europäer werden auf diese Weise ermahnt: zuerst fällt ihnen das Herz fast in die Hose, dann sind sie so was von erleichtert, dass sie bloss abzusteigen brauchen. Aber die fahren bestimmt nie wieder in der Fussgängerzone – als Einzige.
Die Sehenswürdigkeiten haben wir nun alle mehr oder weniger durch, Zeit für eine Erfrischung. Am Thu Bon Fluss unten dürfen wir in einem Restaurant am schönsten Tisch sitzen, obwohl wir nur etwas trinken wollen. Die Kokosnüsse sind leider ausverkauft.


Fix und Fertig im Bilderbuchkino


Wir sind zwar erst seit ein Uhr in Hoi Ans Strassen und Clanhäusern unterwegs, aber kurz nach vier mache ich schlapp. Warum, ist mir danach lange nicht klar. Aber sehr oft kennt man die Gründe sehr wohl, man muss sie nur an sich heran lassen.

Da war erstes eine nur mühsam, um nicht zu sagen, vergeblich verdrängte Unterlassung: Dieser kleine, jaulende Hund, der sich scheinbar dauernd in den eigenen Hinterlauf biss. Ich habe weggeschaut und Thinkabouts Wife weggezogen. Aber ich habe genug mitbekommen, um zu wissen, dass das eine Springfalle war, die sich das Tier versuchte vom Fuss weg zu beissen, um nicht zu sagen, dass die Schmerzen groß genug waren, um sich gleich das ganze eigene Bein auszureißen. Ich fand und finde, ich hätte helfen müssen, und mit der eigenen Feigheit lag mir der Umstand auf, dass mit mir alle anderen Passanten keine Anstalten machten, sich um das Tier zu kümmern.

Ich kriegte das Jaulen des Tieres erst aus jetzt aus den Ohren, als ich meiner Frau davon erzählen kann, in einem Restaurant sitzend vor einer kühlen Cola, die mir eisig durch die Kehle rinnt.

Und zweitens bin ich erschlagen von der überladenen Vielfalt, der Wiederholung der einzelnen ausserordentlichen Situation, bis nichts mehr ein einzelnes zuzuordnendes Bild mehr besitzt, keine Erinnerung für sich mehr zu bleiben scheint. Alles droht im Farben- und Szenenmeer unterzugehen.

Da fahren wir mehr als zwei Wochen durch zum Teil sehr ursprüngliche Teile Kambodschas und Vietnams – und sind genau so wie alle anderen Reisenden fasziniert von den pittoresken Bildern, denen wir prompt wie alle anderen nachjagen. Die Hüte, die Marktfrauen, die kleinen Ruderboote, die Tragestangen. Die markanten, zerfurchten, alten Gesichter. Und dann? Kriegst du das alles auf einem Haufen, an jeder Strassenecke von Hoi An geboten. Dazu kommen unzählige ganz besonders malerische Häuserfassaden. Schon nach einer Stunde kann ich kaum mehr etwas Neues aufnehmen, geschweige denn die Vielzahl der Clanhäuser und chinesischen Tempel noch unterscheiden – so dass wir ab dem Vierten keinen Fuss mehr hinein setzen…

Und dann denke ich an die bevorstehende Bildbearbeitung – es kann auch eine Qual sein, unter zehn ganz guten Bildern die drei wirklich tollsten zu bestimmen. Und spätestens, wenn Du angesichts des Privilegs, reisen zu dürfen, solche Gedanken wälzt, ist es Zeit für ein kühles Getränk und eine lange Pause… Nicht länger mehr vor lauter Schweiß in den Augen und auf der Brille nur noch über die roten Punkte im Sucher überhaupt ermitteln können, ob ich nun scharf gestellt haben dürfte oder nicht… Herrschaft, ich schaue doch mit den Augen und nicht mit der Kamera, und ich reise mit allen Sinnen.




Und darum lasse ich jetzt die Cola den Rücken hinunter laufen und achte auf den leisen Luftzug eines Ventilators, der mir den nassen Rücken rauf und runter fährt… Ich ruhe im eigenen Saft und beginne, mich daran zu gewöhnen. Eine Viertelstunde später bin ich wieder ansprechbar.


Hier gibt es
ein
Restaurant
nach
dem
anderen,




und alle laden ein, doch wenigstens die Karte zu studieren, während von der Flussseite her Angebote für Bootsfahrten gemacht werden.




Auf der Strasse selbst werden Erdnüsse, kandierter Ingwer und Kokosnuss, Karten und Tigerbalsam angepriesen. Natürlich wollen die Leute alle etwas an den Touristen bringen, bleiben aber immer höflich, sind nicht aufdringlich oder gar lästig. Die diesbezüglichen Berichte im Internet kann ich also nicht bestätigen.

Weiter den Fluss hinunter sehen wir zu, wie eine Fähre entladen wird und landen schliesslich mitten im Markt.




Wir schlendern an den unterschiedlichsten Ständen vorbei, wir haben viel Zeit, wollen erst um 20:30 mit dem Bus zurück. An einem Gemüsestand schneidet eine Markfrau Kohlköpfe entzwei, um sich dann mit demselben Riesen-Messer die Zehennägel zu schneiden;




ob sie sich nachher wieder dem Gemüse zuwendet, will ich nicht wirklich wissen. Es gelingt mir, davon ein Doku-Foto zu machen, ev. etwas unscharf.

Eine Fischabteilung gibt es natürlich auch, alle Tiere tot und ausgenommen, sichtbar fangfrisch.




Langsam gehen wir zu dem auserkorenen Restaurant zurück, vorbei an Fassaden, denen die Feuchtigkeit stark zugesetzt hat.



Es ist erst kurz vor 17:00, wir wollen zuerst etwas trinken, ausruhen. Da wir die ersten Gäste sind, dürfen wir uns an den Tisch etwas erhöht direkt an der Strasse setzen. Von hier aus lässt es sich herrlich gucken und fotografieren.

Wir bestellen Vegi-Frühlingsrollen und nachher Cao Lau (der Tipp stammt von M), die Spezialität von Hoi An. Das sind breite Reisnudeln mit Gemüse und wahlweise Fleisch, Geflügel oder Tofu. Es schmeckt sehr gut, aber ich brauche wieder ein paar Chilis. Die vietnamesische Küche ist wie die kambodschanische weit weniger scharf als zB. die thailändische; die Chilischötchen an sich sind schon milder.

Während wir essen, regnet es zehn Minuten, dann trocknet es schnell wieder.



Um 18:00 werden die ersten Lampions angezündet -alle elektrisch – eine halbe Stunde später ist es bereits ganz dunkel.

Wir brechen auf, wollen nochmals durch die Strassen gehen, fotografieren.

Sehr stimmungsvoll, all die farbigen Laternen in den unterschiedlichsten Formen.




Die Laternenshops sind jetzt natürlich Publikumsmagnete.



Alle Tempel sind geschlossen, bis auf den Hai Nam; der ist sogar beleuchtet. Wir finden ein schönes Plätzchen auf einer der Bänke im Hof.

Obwohl in der Nacht alles ganz anders aussieht, finden wir den Bus auf Anhieb.

Im Hotel angekommen, wollen wir nur noch duschen. Ein guter Geist hat versucht, unser Bett aufzudecken und ist an unserer Auslegeordnung natürlich kläglich gescheitert. Zum Glück ist Thinkys (Albtraum-)Frau Hue in Can Tho geblieben, so finden wir alles so vor, wie wir es verlassen haben und dürfen selber aufräumen.

Die Klimaanlage wurde eingeschaltet, und auf dem einzigen freien Platz auf dem Bett liegt ein Zettel mit den Freizeitangeboten für morgen. Danke, wirklich guter Service!




Vietnam: Hoi An, Palm Garden Resort

∞  20. August 2009, 15:47

Erlebt am 4. April 2009, vormittags


[ Bilder des Tages: Album ]


Wir erwachen beide nach 08:00 und haben gut geschlafen. Langsam stehen wir auf, gehen frühstücken. Längs des Restaurants hat es einen langen überdachten Balkon mit Tischen, von denen aus man direkt in den Garten und auf die herrlich duftenden Frangipanibäume blicken kann, vom Dach hängen Orchideentöpfe. Genau da möchte ich sitzen, und da gibt es auch noch einen freien Tisch!




Das Frühstücksbuffet ist nicht nur gigantisch, die Speisen darauf sind auch ausgezeichnet. Da lassen wir es uns gut gehen, geniessen den Morgen.

Wir fotografieren in der grossen Anlage, die neben einem schönen Pool auch einige Seerosenteiche mit Fischen zu bieten hat und sehr geschmackvoll angelegt ist.




Mit dem Makro stehe ich nach wie vor auf dem Kriegsfuss, nehme das Zoom, mit dem ich schon all die Orchideen in Da Lat abgelichtet habe, stelle alles manuell ein und so bringe ich ein paar gute Blumen-Bilder zustande; wenigstens sieht es auf dem Display so aus.






Wunderschöne Schmetterlinge fliegen durch die Gegend, aber die wollen sich nie hinsetzen. Nur ein einziges Mal habe ich Glück.




Nach 10:00 beginnt es schon wieder richtig heiss zu werden. Ich schaue noch schnell am Strand vorbei: die Liegen sind besetzt, dh. es liegt schon mal ein Tuch drauf.
Auf unserem Balkon hat es Schatten und es weht ein leichter Wind. Hier lässt es sich gut aushalten, auch sind wir da sehr privat, es latscht niemand vorne durch, der Blümchen fotografieren will, oder so…

Thinky hängt seine nassen Kleider aussen an die Balkonbrüstung zum Trocknen. Ich sage ihm gleich, dass ich das Telefon nicht abnehme, falls es klingeln sollte.

Meine Krux mit der Hotelidylle


Das Leben im Hotel entlarvt seine Bewohner fast immer selbst. Je opulenter zum Beispiel ein Frühstücksbuffet aufgebaut wird, und das hier lässt wirklich keinerlei Wünsche offen, um so rücksichtsloser und gefrässiger gebärden sich die Gäste. Und so beschert mir dieser Morgen die Erkenntnis, dass vermögende Asiaten mindestens das gleiche Herrengehabe vorführen wie reiche Europäer. Aus dieser bahnbrechenden Erkenntnis schöpfe ich den folgenden ultimativen Ratschluss: JEDE Rasse sollte als Minderheit leben. Etwas anderes bekommt ihr einfach nicht. Und für alle Nachbarn im Land und daneben wäre es eh besser. Das zumindest wissen wir schon… Um das zu folgern, brauche ich keine Stunde. Etwa gleich lange dauert es anschließend, um feststellen zu können:
Die Hotelanlage ist wirklich wunderschön. Nur: Was macht man hier nach drei Tagen? Fotos, um alle Welt neidisch zu machen, sind schon jetzt, nach eine morgendlichen Stunde im Kasten.






Und danach sind wir auch schon wieder platt und durchgeschwitzt.
Im Internet lese ich die Botschaften eines Freundes, was mich ihm über alle Distanzen näher bringt und aufatmen lässt. Es ist gut, zu wissen, was ihn gerade umtreibt und wie er damit umgehen kann. Ich kann meine Gedanken an ihn “bündeln” und fühle mich ihm näher. Er schreibt uns, wie sehr er uns für unsere Entscheidung, unseren Lebensrhythmus zu entschleunigen, beglückwünscht, und jedes Mal, wenn das jemand zu uns sagt, kommt mir das komisch vor. Denn es ist doch so: Das, was für meine Frau und mich “normal” ist, setzen wir um. Was mehr erfordert, fällt hingegen auch uns schwer.

Alles eine Frage der eigenen Bewertungen. Und von wegen gemächlich: Wie gesagt, der Liegestuhl hat für mich in solcher Umgebung etwa so viel Reiz wie eine erkaltete Currywurst für einen Vegetarier, und so sind wir Entschleunigten auch schleunigst wieder bereit, einen Ausflug zu planen, trotz aller Hitze – denn die Hotelanlage ist so weitschweifend großzügig, dass ich wohl endgültig Orientierungsschwierigkeiten hätte, würde ich die Umgebung nur dazu nutzen, mich zwischen Buchdeckeln nochmals in eine andere Welt zu denken. Ich schaffe es einfach nicht, in dieser schönen künstlichen Welt das Rückgrat flach zu legen und nichts anderes zu tun, als Däumchen drehend zu lesen -oder noch weniger. Natürlich ist es heiß – viel zu heiß, eigentlich, um mittags um eins (!) los zu tippeln. Aber ich denke den Gedanken, der immer am Antriebsriemen zu ziehen vermag: Ich werde niemals mehr an diese Ecke kommen, sie ist einmalig, und es gilt, sie zu erkunden (das Land, nicht die Burg, die womöglich Europäer für Europäer oder reiche Asiaten da hin gestellt haben): So lasst uns denn Entdeckungen machen!





Vietnam: Danang, Marmorberge, Ankunft in Hoi An

∞  11. August 2009, 06:50

Erlebt am 3. April 2009, nachmittags


[Mehr Bilder im Album des Tages ab hier ]


Der Zug kommt pünktlich um 14:02 an, abgeholt werden wir von V, einer Frau, die heute für ihren Kollegen einspringt, der uns dann am 6.4. abholt.

Nach Rücksprache mit der Agentur fahren wir jetzt zu den Marmorbergen, dh., zu einem der fünf Kalksteinhügel, die aus der Ebene herauswachsen und die fünf Elemente Feuer, Wasser, Metall, Holz und Erde symbolisieren.
Der mit 106 m höchste ist der Thuy Son, das Symbol des Wassers. Er ist voller Höhlen und Grotten, mit buddhistischen Heiligtümern.

Wie der Name sagt, wird hier auch Marmor gebrochen, und zu allen möglichen Skulpturen verarbeitet, in den Strassen verkauft.



Zuerst geht es gut 200 Stufen von unterschiedlicher Höhe den Berg hinauf. Oh Gott! Es ist eigentlich gar nicht so heiss, etwa 30°, aber die Luftfeuchtigkeit ist enorm. Ich muss zweimal innehalten, dann bin auch ich oben, allerdings habe ich keinen trockenen Faden mehr am Leib.

Die Aussicht über die Ebene mit den anderen Bergen ist sehr schön.



Wir betreten eine Pagode, davor sitzt ein grosser Lachender Buddha mit dickem Bauch, flankiert von zwei wunderschönen Bonsais.




Im Tempel wird der Buddha der Barmherzigkeit verehrt.

Hier wären viele stille Plätze, wenn die gute Frau einmal den Mund halten könnte. Es ist nicht nur, dass sie spricht, sondern vor allem wie: ziemlich laut und mit übertriebener Mimik, die ihre Gesichtszüge regelmässig entgleisen lässt. Man könnte sie auch exaltiert nennen. Aber sie springt ja nur für ihren Kollegen ein, es besteht also noch Hoffnung für den Rest der Tour!

Dann gehen wir in die imposante, 35m hohe Huyen Khong Höhle, die Buddhisten, Hindus und Konfuzianern gleichermassen heilig ist.



Am Anfang sind noch einige Leute da, auf einmal sind wir nur noch zu Dritt, und dann lässt auch sie sich vom magischen Zauber dieser Stätte gefangen nehmen und wird kurz still.

Neben einer zweiten Pagoda steht eine wunderschöne siebenstöckige Stupa und ein grosser, weisser Buddha sitzt in einer Grotte. Ueberall Blumen und blühende Bäume, liebevoll gepflegt.




Ein guter Ort, ein herrlicher Berg!


Ein wenig aufgeregt


Die unmittelbar erste Kontaktperson auf einer Reise ist nun mal die Reiseführerin, der Fremdenführer. Da wir auf dieser Reise an mehreren Destinationen immer wieder neue örtliche Guides bekommen, erhält man sehr anschaulich demonstriert, wie gross der Einfluss dieser Betreuungsperson ist. Wobei dazu auch die Einsicht gehört, dass man gut daran tut, das seine dazu beizutragen, dass man gut mit einander klar kommt. Manchmal fällt das leichter, dann kann es aber auch schon mal schwieriger sein…
Exalta, ich nenne V. jetzt einfach mal so, sie möge mir verzeihen, holt uns am Bahnhof ab. Grosse Gesten, viel Brimborium, ein burschikoses Gehabe, das besser zu einem Teenager als zu einer Frau zwischen vierzig und fünfzig passen würde. Der Fahrer ist auch irgendwie da. Irgendwo. Ich schlängle mich mit unserem Gepäck durch die Menge, und genau so, wie ich mich durch die Menschen pflüge, so fühle ich mich: Irgendwie zwischen den Stühlen. Nicht mehr im Zug, aber auch nicht wirklich angekommen. Der Fahrer thront schon hinter dem Steuer, bevor ich überhaupt sein Gesicht richtig wahr genommen habe. Ich hasse es, die Augen meines Chauffeurs erst im Rückspiegel richtig studieren zu können. Der Herr Fahrer und Exalta haben sich irgendwie auf einen schnellen Transfer eingestellt. Da machen wir uns natürlich mit unserem Ansinnen unbeliebt. Wir wollen nämlich nicht einfach nach Hoi An gefahren werden, wir möchten die Marmorberge auf dem Weg dahin gleich besichtigen, da wir nicht einsehen wollen, warum wir morgen den Weg zurück fahren sollten. Sinnlos in der Gegend rum tuckern ist auch in Schwellenländern nicht angesagt.
Umständlich wird mit der Agentur telefoniert – und natürlich ist es möglich. Diese unerwartete Programmänderung erleichtert die weitere Annäherung zu unseren Guides nicht unbedingt. Und in der Tat scheint es, als käme mir fortan Exalta dauernd abhanden, auch wenn sie körperlich anwesend ist. Wenn. Dann spüre ich einen Stock im Rücken, der mich unsichtbar antreibt, selbst wenn es den ganz sicher nicht gibt und Exalta mal eben beim Marmorhauer zur Toilette muss und dann verschwunden bleibt. Uns folgt derweil ein Verkaufs-Wau-Wau durch den Shop, den wir wohl oder übel durchpflügen müssen, vobei an sehr vielen sehr schönen Arbeiten, für die wir aber überhaupt nicht käufig gestimmt sind, selbst wenn Marmor das Gewicht einer Feder hätte – und Exalta verschwunden bleibt.
Auch in dieser Lage winkt die Befreiung durch Selbstinitiative: Wir unterbrechen den Durchgang abrupt, machen kehrt und steuern dem Ausgang zu. Da finden wir Exalta dann auch beim Tee trinken. Mit breitem Lachen und bester Dinge, und das ist doch auch schön.
Der Aufstieg zum Marmorberg führt über viele unregelmässige Stufen, auf denen sie uns ihre Fitness beweist. Keine Sehenswürdigkeit, bei der sie nicht schon fast einen Schritt weiter ist, wenn wir nachgehechelt sind – es sei denn, sie interessiert sich für eine Aufnahme, die ich mache. Und so finden wir ganz langsam unseren eigenen Rhythmus, und diese absurde Hektik führt doch tatsächlich mitten in ein stilles, beeindruckendes Nichts: Mitten im 35m hohen Gewölbe von Huyen Khong sind wir, kurz bevor wir wieder die Treppen hoch steigen wollen, plötzlich ganz allein. Die plötzliche Stille ist so absurd, dass auch Exalta inne hält, still wird und plötzlich gar nirgends mehr hin will. Auch ich stehe nur da. Mache keine weitere Aufnahme.
Eine kleine Ewigkeit später kommen neue Touristen die Treppe runter, aber diese Momente sind bis heute in mir gespeichert.
Exaltas Hektik beruhte nicht nur auf dem engen Terminplan, sie ist ihrem Wesen eigen. Dass es ihr und mit ihr geschah, dieser Anwurf von Stille, stimmte mich sofort versöhnlich. Froh machen wir uns alle an den Abstieg. Im Auto erzählt sie uns, dass sie nur heute unsere Reiseleiterin ist. Irgendwie, denke ich, ist das schon gut so. Versöhnlich der Abschied, und meine besten Wünsche sind ehrlich und halten an.



Die nächsten drei Nächte werden wir im Palm Garden Resort verbringen, etwas ausserhalb von Hoi An, direkt am Strand, aber mit dreimaligem Shuttle-Bus in den Ort. Die Hotelanlage rühmt sich eines schönen Gartens (was zeifellos stimmt) und die Zimmer haben auch alle einen Balkon oder Sitzplatz, wahlweise auf die Beach oder den Garten. Ich habe letzteres gewählt.

Nun sind wir im 1. Stock des hintersten Gebäudes gelandet und von der schönen Gartenanlage sehen wir ein Stück Rasen, zwei Bambusbüsche, eine Hybiskushecke, deren Blüten vielleicht in einer Woche aufgehen, und die „Gärtnerei“, wo in den unterschiedlichsten Töpfen neue Pflanzen herangezogen und in ferner Zukunft bestimmt sehr hübsch sein werden.

Es ist nicht unbedingt das, was ich mir vorgestellt habe, und meilenweit von der Abbildung im Katalog entfernt.

Wir sind uns beide einig, dass uns ein erneuter Gang an die Reception ein besser gelegenes Zimmer einbringen würde, aber unser Gepäck ist alles schon hier, und es “stinkt uns”, nochmals durch die ganze Anlage zu pilgern, und schliesslich umzuziehen. Eigentlich wollen wir nur ins Bad und auf die Toilette, zudem habe ich richtig Hunger.

Wir sitzen im Hotelrestaurant mit Sicht auf die Beach, bestellen bei einem flappsigen Kellner beide dasselbe, erhalten alles nur einmal und dann eben noch einmal. Für mich ist das typisch Badeferienhotel, da badet der Service gerne mal mit.


English at it’s best


Also, mein Englisch ist ein “Schul-Englisch”, wie wir gerne sagen. Angelernt, nicht in der alltäglichen Praxis gefestigt und geschleift, aber ich komme damit durchs Leben, zumindest als Tourist, und ich wende es unbekümmert an, ohne Angst, Fehler zu machen. An diesem Abend begegne ich jemandem, der noch viel unbekümmerter mit seinen Sprachkenntnissen umgeht, und irgendwie passt dies zu seiner nassforschen Art, die er dabei an den Tag legt. Wüsste ich es nicht besser, so würde ich meinen, er setze die Zwischenakzente bewusst so, wie sie rüber kommen, aber ich erkenne natürlich, dass dies unfreiwillig geschieht. Der Kellner grinst mich sehr offen und direkt an, notiert die Bestellung und zieht von dannen. Im Nachhinein ist mir natürlich klar, dass, wenn man sich in Vietnam für Pizza entscheidet, die Bestrafung zwingend folgen muss: Er bringt die Pizza. Nicht die Pizzen. Also nur eine. Er hat ganz offensichtlich das Wort “twice” nicht verstanden, und “the same for me” auch nicht, da war er schon entschwunden. Da steht er nun mit einer Pizza für zwei Personen. Aber der Mann weiss sich zu helfen. Er teilt die Pizza mit meinem Messer in Achtelstücke und stellt sie in die Mitte, greift sich unsere Teller für die Brötchen, wischt sie ab und hat sie flugs zu Pizza-Häppchen-Tellern umfunktioniert. Der Lösungsansatz ist bestechend, und wir wiederholen ihn für Pizza Nummer zwei.
Als ich die später die Rechnung einen kleinen Moment kontrolliere und nicht sofort unterschreibe, gerät ihm sein Nachfragen zu einem rüpelhaften “What’s the matter with you?”. Erst bin ich perplex, aber mir wird auch auf Grund seines Gesichtsausdrucks schnell klar, dass er sich nur erkundigen will, ob ich eine Frage habe.
Verunglückt war auch sein Small Talk zu Beginn: “How many children you have? – Nobody? – Why?”
Wir müssen lachen. Uns fällt das nicht schwer. Wir sind die Frage gewohnt und haben damit, da wir unsere Kinderlosigkeit bewusst gewählt haben, keine Mühe, auch wenn wir wissen, dass wir damit in anderen Kulturen gar nicht verstanden werden können. Heute abend aber wird mir durch die unverblümte Direktheit des Kellners wieder einmal bewusst, dass die Frage, die wir einfach nur stereotyp empfinden (die Antwort darauf ist es auch), für Paare sehr quälend sein kann, die mit dieser Frage eine sehr schmerzvolle eigene Geschichte verbinden, an die sie in den Ferien auf anderen Kontinenten mit Garantie erinnert werden.



An einem Nebentisch sitzt ein koreanisches Ehepaar mit zwei kleinen Kindern, eine Schale Pommes frittes auf dem Tisch. Sie arbeitet auf ihrem Mini-Laptop, er hat praktisch ununterbrochen das Handy am Ohr.
Wir schlendern durch den Garten, wo inzwischen die Lampen und Laternen angezündet wurden und machen einen Besuch im Business-Center: alle PC’s sind frei. Ich checke meine Mails, rufe die News-Seite auf, lese ein paar Zeitungsartikel. Das scheint alles aus einer anderen Welt zu sein.

Im Zimmer trinken wir einen letzten Kaffee, wollen schlafen. Kaum haben wir das Licht gelöscht, vernehmen wir ein Nagegeräusch, das vom Dach her zu kommen scheint. Ich mag Mäuse, und es sieht auch nicht so aus, als ob der Nager in drei Tagen den Durchbruch schafft.

Dann höre ich Regentropfen am Fenster und das Rauschen des Meeres.




Vietnam: Per Zug von Nha Trang nach Danang

∞  10. August 2009, 06:52

Erlebt am 3. April 2009


[Bilder des Tages: Album
Landkarte: Nha Trang – Danang ]


04:00 Tagwache, das bedeutet Stummfilm. Morgenmuffeligkeit hat keine Laute.

Um 04:25 sind wir in der Lobby, wollen auschecken. Die zwei Männer, von denen der eine eigentlich an der Reception, der andere an der Türe stehen müsste, schrecken mitten aus ihren Träumen auf den Sofas auf. „Checkout?“ fragt der eine ungläubig. Langsam kommt er in die Gänge, findet auch sein freundliches Lächeln wieder. Da ist der Hilfskoch, der die Lunchpakete bringt, schon weiter: der strahlt richtig.

M und T kommen wie immer pünktlich, und um 04:45 können wir zum Bahnhof fahren; die Strassen sind nass, aber es regnet nicht mehr. Dort angekommen organisiert der gute M aus einem nahen Restaurant erst einmal Kaffee. Der ist ausgezeichnet und brächte auch ein halbtotes Pferd wieder auf die Beine.

Wir verabschieden uns hier nicht nur von M und T, sondern auch von Südvietnam. Der Expresszug, der Saigon mit Hanoi verbindet, soll uns ins 500 km entfernte Danang bringen, das bereits in Zentralvietnam liegt. Der Dieselzug hat eine Spitzengeschwindgkeit von 60kmh, sodass wir nach 14:00 ankommen werden, wo uns ein neuer Guide erwartet, der uns bis zum Ende der Tour begleiten wird.

Der Zug kommt pünktlich, M hilft uns, Wagen und Abteil zu finden. Ich habe „Softsleeper“ gebucht, 2 Betten übereinander. Dies ist für lange Fahrten sehr praktisch, da man das Gepäck, das nicht unter das Bett passt, auf das obere legen kann, auf dem unteren sitzt oder liegt es sich bequem, man kann gut rausschauen.

Das ältere vietnamesische Ehepaar, das bereits im Abteil ist, ist über unser Erscheinen nicht allzu begeistert, hatten sie doch bis jetzt den ganzen Platz für sich alleine, und haben bis eben in den beiden unteren Betten geschlafen. Auch das Tischchen ist voll von ihren Sachen, ein Ungetüm von Koffer liegt darunter. Der Mann muss also zuerst einmal aus „unserem“ Bett, der Schaffner nimmt das alte Bettzeug mit und bringt neues, damit wir uns einrichten können.
M steigt aus dem Zug, und bis wir das klemmende Fenster offen haben, fährt er auch schon an, pünktlich um 05:38. Wir winken, bis wir uns nicht mehr sehen. Tausend Dank für alles und auf ein Wiedersehen in Frankfurt!

Die Sonne geht auf und spiegelt sich in gefluteten Reisfeldern und den Lagunen.





Von den andern beiden werden wir ignoriert, was auch am fehlenden Englisch liegen kann. Sie liegt auf dem Bett, er sitzt und liest. Laut.




Auch wenn sie das Abteil verlässt. Sein Handy hat einen sirenenartigen Klingelton, immer mal wieder.

Wir sind guter Dinge und machen uns erst mal über unsere Lunchboxen her. Baguettes, Croissants, Plunder, Marmelade, Butter, hartgekochte Eier und Joghurt finden sich da, sowie Milchdrinks. Früchte haben wir selber.

Nach 09:00 halten wir in Quy Nhon, dem einzigen Zwischenhalt bis Danang.
Die zwei steigen hier aus, und wir haben das ganze Abteil für uns. Der Schaffner holt die Bettwäsche ab und bringt sogar neue.






Bei den Reisevorbereitungen wollte man mir ja weismachen, dass die Landschaft hier langweilig sei, und wir besser das Flugzeug nehmen würden; von wegen!

Viele BMW’s (M’s Ausdruck für Bauer Mit Wasserbüffel),




die ihre Reis- und Gemüsefelder bebauen,






Kokospalmen, Strand, Meer, Fischer, Ententeiche,




Friedhöfe inmitten von Reisfeldern, ziehen an uns vorbei.




Die vorherrschende Farbe ist ein saftiges Grün.




Ab und zu wird der Himmel schwarz, aber es regnet nicht, jedenfalls nicht hier.

In unserem Wagon hat es nur noch ein Touristenpaar, das sind die einzigen, die die Abteiltüre geschlossen halten.

Wir bekommen Besuch von einem alten Vietnamesen, der sich mit uns auf Französisch unterhält. Er bietet Thinky etwas von einem „ganz speziellen Schnaps“ an. Es wird sich wohl um einen Schluck aus einer schlimmen Flasche handeln. Nein Danke! Er scheint es nicht persönlich zu nehmen.

Nach unserer Ankunft in Danang steht nur noch der Transfer ins Hotel in Hoi An auf dem Programm. Dort haben wir zwei Ruhetage, dann geht es am 6. April weiter nach Hue. Dieser Tag ist programmmässig jedoch so überfrachtet, dass wir unmöglich alles machen können, weshalb ich die Marmorberge heute besichtigen möchte, dann haben wir bereits eine gute Stunde gewonnen.




Vietnam: Nha Trang

∞  3. August 2009, 21:15

Erlebt am 2. April 2009


[ Die Bilder des Tages: Im Album ]


Wir frühstücken bei Regen auf der gedeckten Terrasse. Ein Kellner hat da eine Frage: Ob das Geld sei? Dabei hält er mir ein bunt bedrucktes Stück Papier in einer Plastikschutzhülle hin. Darauf steht „Notgeld der Stadt Zeulenroda“ und eine „50“, sowie eine Durchhalteparole, etwa mit dem Inhalt, dass die Zeit des Notgeldes bald vorbei sein werde, nicht aber die Not selbst, da müsse jeder selbst dazu beitragen, sowie ein Datum von 1921.

Dem Namen nach wird Zeulenroda irgendwo in Ostdeutschland zu finden sein, erkläre ich ihm, und dass der Schein wohl infolge Inflation oder Währungsreform ausgegeben wurde (der Geschichtsunterricht ist schon eine Weile her) zum Umtausch in neue Geldscheine. Das Ding habe keinen direkten Wert mehr, sei aber bestimmt ein Sammelstück, wenn es echt ist (was ich stark bezweifle, denn der Schein ist makellos, die Farben sehr kräftig). Ich dachte, er sei über meine Antwort sicher enttäuscht, aber nein, er strahlt richtig, denn er sammelt und tauscht Geldscheine und Münzen aus aller Welt. Mit der schriftlichen Uebersetzung der Durchhalteparole auf Englisch ist sein Tag definitiv gerettet.

Ob all dem habe ich komplett vergessen, dass ich vor der Abfahrt nochmals ins Zimmer wollte. M wartet schon, und ich muss noch die richtigen Schuhe anziehen und den Regenschirm fassen. Heute starten wir deshalb mit 10 Minuten Verspätung, dafür hat es jetzt aufgehört zu regnen.

Der 24m hohe Buddha (!)der Long Son Pagoda thront auf einer Lotosblüte und ist von weit her sichtbar. Wir besuchen zuerst den Tempel,




dann machen wir uns an den Aufstieg. Es ist schon wieder drückend heiss, und somit ist das eine schweisstreibende Angelegenheit. Beim ca. zwanzig Meter langen liegenden Buddha gibt es eine willkommene Verschnaufpause.




So friedlich und still ist es hier!

Beim Tempelchen mit der Wunschglocke halten wir nochmals inne, dann sind wir endlich oben, stehen direkt unter ihm. In strahlendem Weiss und mit ewigem Lächeln sitzt er da,




die Lider halbgeschlossen; dadurch habe ich das Gefühl, als würde er direkt auf mich hinunterschauen.




Ich spüre die Ruhe, die Harmonie und die Kraft, die von ihm ausgehen.




Die Wolken tragen das ihre zu der eigenartigen Stimmung bei.

Im Sockel befindet sich ein Tempel, aussen sind Gedenktafeln für die Mönche und Nonnen, die sich während des Diem-Regimes öffentlich verbrannten, um so gegen die Unterdrückung des Buddhismus zu kämpfen.

An einer langen Reihe von zivilen und Mönchs-Urnengräbern vorbei machen wir uns auf den Rückweg.

Eines der am besten erhaltenen Cham-Heiligtümer Vietnams ist Po Nagar, errichtet zwischen dem 7. und 12. Jh. auf einem Hügel. Die massigen Säulen am Fuss sind die Ueberreste des königlichen Meditationssaales, und von den ursprünglich zehn Türmen stehen noch vier.




Ueber dem Eingang des Hauptturmes tanzt Shiva, im Innern wird seine Frau, die Göttin Uma verehrt und von Räucherwerkschwaden umhüllt.




Im Turm hat es nur wenig Platz, deshalb ist M draussen geblieben und hat unsere ausgezogenen Schuhe ans Trockene gebracht: es regnet wieder und ist dadurch kühler geworden, oder sagen wir, weniger heiss. Wir spannen unsere Knirpse auf und schauen uns den Rest an. Die Fotos vom herrlichen Blick über den Fischerhafen mit seinen blauen Booten und auf die Mini-Insel eines Mönches, der diese trockenen Fusses bei Ebbe verlassen kann, haben wir zum Glück vorher schon gemacht. Leider haben wir heute einen generell eher grauen Tag.

Auch in Nha Trang gibt es einen Markt. Nachdem ich mit der Sabodin-Frucht (schmeckt am ehesten wie eine Mischung von Kiwi und Birne) gute Erfahrungen gemacht habe, zeigt mir M heute die Milchfrucht. Ich darf probieren, sie schmeckt ausgezeichnet, ähnlich wie Chirimoya, hat auch ähnliche Kerne. Ich nehme drei davon.

Bekannt ist der Markt aber wegen der „schlimmen Flaschen“, wie M sie nennt: in Alkohol eingelegte Schlangen, Geckos, Seepferdchen mit Ginseng und wohl noch anderem, was ich gar nicht wissen will, und als Schnaps getrunken wird.




Ansonsten gibt es allerlei gleiches und anderes exotisches Getier, aber nicht lebend, sondern getrocknet.




Die Zeltplanen halten den Regen gut ab, sodass wir uns alles ohne Schirm und Eile anschauen können, auch die Non-Food-Abteilung.






Jetzt fahren wir zum Hafen, wo neben den grossen Meerschiffen auch kleine Fischkutter ankern. Eigentlich möchten wir vor allem die Rundboote sehen, die in Nha Trang „erfunden“ wurden: Bambuskörbe mit einem Ruder, in denen bis zu acht Personen (Vietnamesen, nicht Europäer) Platz finden. Es gibt wieder eine Regenpause, …




und tatsächlich besteigt ein alter Mann so ein Ding, um drei Kanister zu transportieren.






Ueberall in Vietnam gibt es Schilder auf denen “Hot Toc“ steht. M fragte uns einmal im Auto, was wir glauben würden, sei damit gemeint. Ich war der Meinung, das sei die vietnamesische Schreibweise des Würstchens im Brot, aber das war falsch. Es wird doch nicht etwa „heisser Hund“ in Sauce oder so damit gemeint sein? Nein, auch nicht. Ein Hot Toc ist ein Friseur, genau gesagt, einer für Männer. So kamen wir darauf, dass für Thinky der Besuch eines solchen gar nicht schlecht wäre, und auch T fand es für sich an der Zeit. Normalerweise arbeiten die Friseure auch hier in einem Laden, aber es gibt auch solche, die dies an der Strasse tun – Schwarzarbeit, (d.h. vor allem auch ohne die Abgabe einer Lizenzgebühr). Wenn die Polizei in einer Art Alibiübung auftaucht, verschwinden sie ganz schnell, während ihre Kunden mit Umhang und schlimmstenfalls halbrasiert oder mit “Teilhaarschnitt” auf der Strasse stehen bleiben. Ist die Polizei in einer halben Stunde wieder weg, kommen auch die Figaros wieder, hängen die Spiegel auf und laden den Stuhl und die übrigen Utensilien wieder vom Moped oder Fahrrad, und weiter geht’s.

Bei Regen sind Polizeikontrollen unwahrscheinlich, sodass jetzt der ideale Zeitpunkt für so einen Friseurbesuch gekommen ist. T kurvt ein wenig durch die Strassen, bis wir die fliegenden Hot Tocs entdecken: Vier, alle schön nebeneinander. M prophezeit, dass diese sich nicht wenig wundern würden, wenn sie Kundschaft bekämen, die aus einem Auto steigt. Er hat recht: der, vor dem wir halten, isst gerade die Nudeln aus seiner Suppe, und die Stäbchen bleiben in der Luft zwischen Schale und Mund stehen. Da er kein Englisch spricht, erklärt ihm M, dass bei Thinky einfach alles kurz werden muss. Der setzt sich hin,




und schon geht es los, unter einem Sonnenschirm, der jetzt ein Regenschirm ist. Haare einsprühen, schneiden. Richtig virtuos geht er mit der Schere um, legt die Ohren frei, rasiert den Nacken. Er arbeitet schnell und präzise, aber ohne Hektik.




Zu all den schwarzen Haaren auf dem Boden gesellen sich immer mehr und mehr friedhofsblonde. Nach zwanzig Minuten hat Think eine Top-Frisur, aber jetzt kommt noch die Rasur. Einseifen, neue Klinge ins Messer einsetzen, rasieren, wobei der Meister immer mit der linken Hand die Haut spannt. Wo der Mann überall Haare findet! Selbst den Flaum auf den Ohren entfernt er, der Schnauz wird gestutzt. Alles ohne einen einzigen Kratzer, innert gut zehn Minuten. Dann gibt es noch eine kurze Gesichtsmassage und Thinky darf sich im Spiegel bewundern. Perfekt!




Mit drei USD bezahlt er einen Touristenpreis, aber den hat sich der Mann redlich verdient; er hat schliesslich nicht jeden Tag einen Kunden, der nicht nur aus einem Auto mit Chauffeur steigt, sondern auch noch einen Übersetzer und eine Fotografin mitbringt.

T ist schon fertig, wir können fahren, und der Friseur schaut uns unter dem Sonnenschirm nach, so, als könnte er es immer noch nicht recht glauben.

Es ist kurz vor 13:00, und da wir morgen schon um 04:45 abgeholt werden, wollen wir den Nachmittag im Hotel verbringen. Wir müssen alles “bahntauglich” verpacken, und das Wetter ist immer noch sehr wechselhaft. Zudem lassen sich die verschiedenen Stimmungen von unserem Zimmer aus bestens beobachten , noch schöner in der Bar im 11. Stock, die hier durchaus familientauglich ist.

Wir wollen früh zu Bett und machen uns um 18:00 auf zum Nachtessen. Es gibt im Hotel ein vietnamesisches, japanisches und ein “internationales” Restaurant. Eigentlich wollten wir erst einmal die verschiedenen Angebote studieren, bleiben aber gleich beim ersten hängen. Das vietnamesische preist ein Mehrgangmenu an, und bei jedem Gang kann man aus verschiedenen Vorschlägen auswählen, etwas Vegetarisches ist immer dabei. Wir sind die ersten Gäste und bleiben die einzigen; am Essen kann es nicht liegen, das ist ausgezeichnet, aber die Saison neigt sich dem Ende entgegen. Der aufmerksame Kellner empfiehlt uns „sein“ Restaurant auch für morgen Abend, aber wir müssen ihm leider einen Korb geben. Er ist untröstlich, wir auch ein bisschen.


Die Wertschätzung für einen Strassenfigaro und andere Meister


Was mag sich der junge, hübsche Mann mit den sanften, so intelligent blickenden Augen und den geschickten Händen gedacht denken, wenn ich mich bei ihm auf den Stuhl setze? Ganz offensichtlich versteht er sein Handwerk sehr gut. Wie ich ihn am Ende so dastehen sehe, am Strassenrand, mache ich ihn zumSymbol für so viele Menschen, welche ihre Talente nicht wirklich zur Entfaltung bringen können.
Und schon diese scheinbar gut gemeinte Regung zeigt mir meine Überheblichkeit: Es ist auch gut möglich, dass dieser Mann gar mehr Berufsstolz besitzt als ich und eine Lebenszufriedenheit, die der meinen voraus ist. Wie will ich das beurteilen können?
So, wie wir Weissen uns in diesen Ländern bewegen, sind wir wirklich der Fleisch gewordene Anstoss zur Frage: Was haben wir mit unseren Ansprüchen in diesen Ländern verloren? Wir bewegen uns so ungeschickt, massig, auf grossen, platten Füssen, mit ungelenken Hüften und in schwitzenden Körpern, plump und grob, ungelenk und in allem eigentlich der Natur beweisend, dass wir hier nicht hin gehören.
Und dann fällt mir auf, wie die Einheimischen uns beobachten, denke erst, wie komisch sie mich finden müssen, wenn ich durch ihre Märkte stapfe. Und doch kommt erst danach meist der Moment, wo mir wirklich unwohl wird: Wenn ich realisiere, dass die Beobachter nach dem suchen, was mich über sie stellt. Denn auch hier imitiert man in vielen Dingen den westlichen Lebensstil, adaptiert Styles und Mode aus dem Westen. Und allein die Tatsache, dass ich hier auf diesem Markt bin, beweist meinen offensichtlichen Reichtum. Ich bin ihnen voraus. In ihren Augen habe ich viele Dinge richtig gemacht.
Es hat keinen Sinn, dies gegenüber irgend jemandem vor Ort relativieren zu wollen. Über mich zu reden, ist nicht der richtige Weg, und zu versichern, dass die inneren Werte zählen, währe überheblich. Ich tue es immer weniger und versuche stattdessen, mit meinem Interesse und den Fragen nach deren Leben Wege zu finden, meine Wertschätzung auszudrücken.
Im Moment des finalen Schnitts, unter dem Eindruck dieser wunderbaren Serviceleistung, bedauere ich wieder einmal zutiefst, dass ich es häufig versäume, Lob, Wertschätzung und Dank über den Guide und Übersetzer an die Menschen zu bringen: Zum Beispiel heute. Ich hätte M. bitten müssen, dem Meister zu sagen, wie gut er seine Arbeit macht – und dass ich glaube, dass in Europa mancher Berufsmann weniger Wissen hat als er. Aber ich habe mich mit Gesten begnügt und ein paar Brocken englisch gespendet. Ein bisschen mager, finde ich. Bis mir dann Thinkabouts Wife in der Nachbetrachtung beim Essen zu bedenken gibt, dass das ja edel von mir sei, nach Ihrer Beobachtung aber falsch: Guides würden sehr oft befremdet sein ob dieses Wunsches und kaum richtig und vollständig übersetzen, weil sie sich selbst höher sehen ald die betroffene Berufsgruppe, und ihnen selbst ein solches Lob “nach unten” fremd wäre. Mit anderen Worten: Der Wirkung der eigenen Geste vertrauen. Es gibt diese positive Konversation auch nonverbal. Gerade Zeitgenossen wie mein feinfühliger Figaro wissen diese Art der Achtung ganz bestimmt für sich zu übersetzen.



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Bilder-Album des Tages: Hier






Vietnam: Chua Linh Phuoc Pagode und Fahrt nach Nha Trang

∞  1. August 2009, 07:36

Erlebt am 1. April 2009, später Vormittag bis abends


[Bilder ab hier ]
[ Landkarte ]


Die Chua Linh Phouc Pagode in Trai Mat weist gewisse Ähnlichkeit mit dem Crazyhouse von Da Lat auf: Auch sie wird wohl nie fertig werden, aber das, was schon fertig ist, ist wirklich einzigartig.




Praktisch alles hier besteht aus zerbrochenem Porzellan und Glas, das zu Mosaiken zusammengesetzt wird: die Wände, die Säulen, die Figuren.




Durch den Hof windet sich ein riesiger Drachen, dessen Schuppen aus Bierflaschen gemacht wurden. (Selbst das extreme Weitwinkel kapitulierte vor dem Tier).
Von einer Zinne auf dem Turm hat man eine tolle Aussicht auf das fruchtbare Land.
Mit unserem „Privatzug“ fahren wir wieder zurück nach Da Lat und machen uns um 11:30 auf den Weg nach Nha Trang. Wir wählen den kürzeren und schnelleren Weg über die schöne, neue Passstrasse, die nördlich von Nha Trang in die Küstenstrasse mündet. Dadurch verpassen wir die Po Klong Garai Türme, aber etwas ähnliches steht für morgen auf dem Programm. Wir sind etwa auf 1600 müM, es ist nur noch 19° warm. Plötzlich kommen von den Berghängen die Wolken hinunter,




die Sicht beträgt gerade mal noch zehn Meter, und ein Platzregen setzt ein.




T fährt sehr vorsichtig, denn auch bei diesen Verhältnissen finden nicht alle Fahrer den Lichtschalter. Zum Glück haben wir uns für die neue Strasse entschieden! Nach etwa 20 Minuten lichtet sich der Nebel ein wenig und der Regen lässt nach.
Wir machen Mittagspause in einem kleinen, einfachen Restaurant, bestellen gebratene Nudeln mit Gemüse und 2 Kokosnüsse von der Halde an der Wand. Das Essen schmeckt auch hier, und zu meiner Freude gibt es grüne “Desinfektions-Chilies” (die sind besonders scharf) in einem Extraschälchen.


Ein Team geniesst die Mahlzeit



Wir haben den Pass hinter uns und auch die Hängebauchschweine zurück gelassen. Allmählich wird die Strasse wieder ein bisschen breiter. Trübe hängt der Himmel über der Kühlerhaube, und Regentropfen klatschen gegen die Scheibe, über die der Scheibenwischer gleitet, ruckartig, als wollte er die Regentropfen wie lästige Fliegen verscheuchen. Es ist Zeit für ein Mittagessen, der Fahrplan leicht durcheinander, also wird improvisiert. Wir halten bei einer Tankstelle, über deren Zapfsäulen eine Art Segeltuchplane gespannt wurde, so dass das Wasser in kleinen Bächen weiter vorn auf den Teer klatscht. Daneben stehen auf einer betonierten ebenen Fläche ein paar Tische. Einige Fernfahrer kauern auf niedrigen Hockern und nagen gedankenverloren an Hühnerbeinen. Jene, die keinen Gedanken mehr wert sind, weil abgenagt, landen auf dem Boden. Der Regen macht alle Welt sprachlos – und ermüdet die Fahrer.
Wir setzen uns an einen Tisch mit sechs Stühlen, wo es sich bequem verweilen lässt und bestellen ein Nudelgericht. Es schmeckt sehr gut. Ich habe Zeit, mich weiter umzusehen. Der Tisch in unserer Nähe, ähnlich gross wie der unsere, ist nicht zu übersehen. Er wurde gedeckt, als würden hier ganz besondere Gäste erwartet, und in der offenen Küche hinter einer Art Tresen herrscht erhöhte Betriebsamkeit. Doch wer sich schliesslich an den Tisch setzt, ist die Chefin und Frau Mama selbst mit ihren Kindern und Angestellten. Die Speisen, die aufgefahren werden, würden jedem Festmahl gut anstehen, und schliesslich sitzen dreizehn Nasen an einem Tisch im Rund, an dem wir schon zu sechst nur noch wenig Ellbogenfreiheit hätten. Die Stimmung ist sehr ruhig, das Essen wird nicht verschlungen. Ganz offensichtlich ist diese Mahlzeit ein Fixpunkt im Tagesablauf von allen. Dennoch wird kein Wunsch von Gästen übersehen oder geht vergessen. Und kein Verdruss ist zu spüren, wenn jemand aufstehen muss, um einen solchen Wunsch mit dienstleistenden Handreichungen zu erfüllen.
Hier strahlt eine Gruppe eine fein abgestimmte Team-Atmosphäre aus, und ich bin davon sehr beeindruckt. Als wir weiter fahren, hängen meine Gedanken noch eine ganze Weile meinen Beobachtungen nach, und ich denke an die vielen Mahlzeiten, die ich achtlos in mich hinein geschaufelt haben mag in meinem Leben, und an Gruppen, denen zu wünschen wäre, dass sie so funktionierten, wie diese – weil alle ihren Platz und ihren Wert darin haben und diesen auch kennen.



Auf der Weiterfahrt – es regnet immer noch leicht – sehe ich die ersten Wasserbüffel, ganz nahe an der Strasse, eine ganze Familie. Wir halten an. Ich mag diese kräftigen und doch so sanften Tiere.
Wenig später kommen wir in ein Dorf, das vom Volksstamm der Giaras bewohnt wird. Die züchten Hängebauchschweine, die ihnen in erster Linie Mitgift und Statussymbol sind und hier frei herumrennen. 2 Mutterschweine sind jedoch in einem Gehege, die Ferkel kaum 2 Tage alt und nicht grösser als Meerschweinchen. Sooo herzig!
Ueber das Flüsschen spannt sich eine pittoreske rote Hängebrücke.




An Reisfeldern und Zuckerrohrplantagen vorbei erreichen wir die Küste.




Erst in Nha Trang selbst hört der Regen auf und die Sonne drückt durch.
Nach 16:00 sind wir im Hotel Sunrise. Wir haben ein superschönes Zimmer bekommen, mit Balkon zum Meer. Um meine Decke muss ich mich heute Nacht auch nicht sorgen, wir haben zwei.
Die Brandung kracht richtig ans Ufer. Durch die Wolken entsteht ein schönes Lichtspiel, die Temperatur ist angenehm. Wir entschliessen uns zu einem Strandspaziergang ins Zentrum und müssen dafür erst einmal über die Strasse. Aber das können wir ja inzwischen, glauben wir, und stellen uns also an den Zebrastreifen, warten auf eine Lücke. Da kommt von hinten ein Security-Mann vom Hotel, hält mich am Handgelenk und geht mit mir über die Strasse, wobei er in der Mitte die Seite wechselt, um wieder näher am Verkehr zu sein. Wir sind beide perplex.
Auf dem Rückweg sind wir gewappnet: zügig betreten wir den Zebrastreifen, und als er uns entgegenkommt, sind wir nur noch zwei Schritte vom rettenden Trottoir entfernt. An Thinkys Hand ist es nämlich vollkommen sicher, auch wenn er in der Mitte der Strasse die Seite nicht wechselt; dafür fühlt sich meine Hand in seiner bedeutend wohler.Jawoll.
Wir setzen uns auf unseren Balkon im 8. Stock; die Aussicht mit dieser Gewitterstimmung ist phantastisch, das Meer stahlblau.




Ich denke daran, dass mir mein Vater als Kind immer weismachen wollte, das chinesische Meer sei gelb.
Es ist kurz vor 18:00: auf der einen Seite färbt sich der Himmel zartrosa, auf der anderen sind die Wolken tiefschwarz. Ein Schiff nach dem anderen setzt seine Positionslichter.
Es kommt kein Gewitter auf, aber neuer Regen setzt ein.
Ich kann die Brandung durch das geschlossene Fenster hören – herrlich!




Vietnam: Von Da Lat nach Trai Mat

∞  31. Juli 2009, 06:44

Erlebt am 1. April 2009, vormittags


[ Bilder des Tages: Album ]


Wir haben ausgezeichnet geschlafen, es war ganz still in der Nacht. Das Wetter ist schön, die Temperatur angenehm, die Luft frisch. Wir brechen schon um 07:30 auf. Unser nächster Fixpunkt ist 09:40, da müssen wir am Bahnhof sein. Bis dann haben wir Zeit, das auf heute Verschobene anzuschauen. Zuerst geht es zur Sommerresidenz des letzten Kaisers Bao Dai, die 1933 erbaut wurde. Wir ziehen bereitgestellte Stoffsäcke über unsere Schuhe und schlurfen durch die Zimmer, treffen auf eine vietnamesische Familie, die hier in den Ferien weilt. Sie wollen unbedingt ein Foto mit uns machen, aber die Speicherkarte ist voll. Da löschen sie nach kurzer interner Familiendiskussion kurzerhand ein Bild. Das Haus ist nett, aber nicht zwingend sehenswert, sehr schön angelegt ist hingegen der Park darum herum.




Auf dem Parkplatz wird Thinky eine Strassenkarte angeboten; Mädchen, hier solltest du mit einer Weltkarte beginnen!;-)
Weiter zum Crazy-House (Hang Nga Gasthaus), das seinem Namen alle Ehre macht: eine Hotelanlage, die von der Besitzerin im Stil von Gaudì seit 1990 erbaut wird, und wohl auch nie fertig ist. Das, was schon steht, sieht wirklich Klasse aus!




Jedes Detail ist mit Liebe gestaltet, alles Massanfertigungen, keine Ecken, witzig gemachte Treppen.




Jedes Zimmer ist völlig individuell. Hier hätte ich gerne übernachtet!




Vorbei am schönen Xuan Huong See – für einen Aufenthalt reicht die Zeit nicht – mit seinen Schwan-Pedalos und den kleinen romantischen Pavillons am Ufer, erreichen wir für einen Kurzbesuch den Blumengarten mit seinen liebevoll gepflegten Beeten. Hier gibt es auch ein Orchideenhaus, wenn auch kein grosses.




Jetzt fehlt noch die Linh Son Pagode, aber M meint, wir könnten stattdessen eine ganz spezielle am Endpunkt unserer Zugfahrt besuchen.
Pünktlich sind wir am Bahnhof. Während M sich um die Tickets kümmert, schauen wir uns die wunderschönen Bonsais am Eingang an.






Der Zug, eine Diesellok mit 2 Wagen, steht schon bereit. (Die Dampflok ist nur noch Anschauungsobjekt). Wir sind die einzigen Passagiere, deshalb werden die 2 Wagen kurzerhand abgehängt und wir Vier – T kommt auch mit, das Züglein fährt ja – dürfen uns auf die Polstersessel und das Sofa (!) in der Lok setzen. Ein chinesisches Schach gibt es da auch, und M und T beginnen gleich mit einer Partie. Im Schritttempo geht es raus aus Dalat,




dann durch Gemüse- und Blumenfelder, die zT. in Terrassen angelegt sind, ins 17 km entfernte Trai Mat.


Hausbau in Vietnam


Vietnamesische Häuser sind typischer Weise sehr schmal und wirken deshalb auch schnell mal recht hoch. Es kommt häufig vor, dass zwei von ihnen unmittelbar aneinander kleben – und links und rechts noch freier Raum ist. Meistens dürften diese Häuser pro Stockwerk nur ein Zimmer haben, und nur vorne, allenfalls selten noch hinten ein Fenster. Auch verputzt sind sie nicht unbedingt, allerdings zur Strasse hin ganz sicher schon. Der (Augen)Schein ist wichtig. Und stehen zwei Häuser neben einander, oder eben aneinander, dann ist sofort ersichtlich, welches das neuere ist. Das Höhere. Immer.




Wir haben denn auch auf unserer ganzen Reise kaum einmal eine solche Häuserzeile angetroffen, bei denen zwei Parteien genau gleich gross gebaut hätten. Und das kommt jeweils so:
M. hat, wie schon erzählt, längere Zeit in Ostdeutschland gelebt und sich dabei einen gesunden Realismus angewöhnt, wie wir finden. Seine Frau hat er da kennen gelernt, mit ihr ist er zurück gekehrt, und für sich, vor allem aber für sie hat er auch ein Haus gebaut. An ihren im innersten fest geschriebenen Status-Ansprüchen kommt er nicht vorbei. Er wollte sein Haus genau gleich hoch bauen wie das des Nachbarn, das schon da stand. Aber nix da. Frau läuft Amok. Er ist es ihr schuldig, und für die Familie muss aller Welt gezeigt werden, dass man es “vermag”, höher als der Nachbar zu bauen. Und sei es nur, dass man einen Giebel drauf pappt zur Zierde. Die Demonstration aber muss sein. Sonst hängt der Hausfrieden schief. M. legt derweil auf etwas ganz anderes wert, mal abgesehen davon, dass er Frauchens Ego selbstverständlich Folge geleistet hat: M. sorgte für zwei hohe TV-Antennen. Der Empfang über die Luft ist gratis – und um so besser, je höher und freier die Antenne steht. Und zwei Antennen braucht es, weil der Haushalt zwingend zwei Fernseher braucht. Einen für die Frau für alle komischen Herz-Schmerz-Programme, und einen für den Mann – und damit für Fussball. Es gibt einfach nichts Wichtigeres. Die europäische Champions-League ist ein Strassenfeger und ein Wirtschaftshemmnis: Die Spiele werden um zwei Uhr nachts live übertragen – und danach geht niemand am Morgen pünktlich arbeiten. Die Vietnamesen sind total verrückt auf Fussball. Im Resultatteil einer Sportzeitung habe ich – ohne Witz – die Resultate der U-17-Mannschaften der englischen Premier-League-Clubs nachlesen können. Ich vermute mal, selbst der zweite Co-Trainer des FC Basel wird in Vietnam mindestens einmal alle 14 Tage in einem Sportteil erwähnt. Diese Begeisterung und Fähigkeit, alles Wichtige daneben unwichtig werden zu lassen, ist vielleicht auch der Grund, dass die Männer ihren Frauen klaglos noch ein bisschen mehr Backsteine auf die ursprünglich vorgesehene Dachkante packen.
Nicht auszudenken, was los ist, wenn der Nachbar plötzlich zu mehr Geld oder einem Darlehen kommt – und um ein Stockwerk erhöht…





Vietnam: Von Saigon nach Da Lat

∞  23. Juli 2009, 20:14

Erlebt am 31. März 2009


[ Bilder des Tages als Album
Landkarte ]


Während ich im Frühstücksraum auf meine Rühreier mit Chilies warte, häuft sich ein Tourist Dimsum, Fischcurry, Croissant und Pancakes mit Schokoladensauce auf ein und denselben Teller. Und isst das. Ich bin mir nicht schlüssig, ob ich das besser finden soll, als wenn er es hätte stehen lassen.
Wie meistens fahren wir um 08:00 ab. Von jetzt an geht es nur noch nordwärts, gut 1700 km sind es bis Hanoi. Vor uns liegen dreihundert km bis Da Lat, einer Sommerfrische- und Honeymoon-Destination auf 1500 müM. Der erste Teil der Strecke führt durch ein vorwiegend von Katholiken bewohntes Gebiet. Jede Kirche weist einen völlig eigenständigen Baustil auf






und auf jedem zweiten Balkon prangt eine Marienstatue. Lourdes ist nichts dagegen.





Auch Jesus ist vertreten. Die Bekenntnisse müssen aber nicht unbedingt religiös motiviert sein: Ein ganz Mutiger platzierte gar einen Weisskopfadler.
Immer wieder gehen kurze Regenschauer nieder.

Auf einer Brücke überqueren wir den künstlichen See La Nga mit seinen schwimmenden Dörfern




und halten später bei einer Pagoda mit einem riesigen weissen Buddha auf einem Felsen. Es sieht so aus, als ob der Buddha auf einem Elefanten sässe.




Wir gewinnen stetig an Höhe und sehen den ersten Tabak, an der Strasse zum Trocknen ausgelegt, Kaffee- und Teeplantagen, Gemüsefelder. Hier scheint alles prächtig zu wachsen und zu gedeihen, sogar Weinreben.
Die Gegend ist auch bekannt für ihre Wasserfälle, nur haben diese jetzt, am Ende der Trockenzeit, recht wenig Wasser. Wir besuchen den Prenn-Wasserfall, ein beliebtes Ausflugsziel der Einheimischen, in einem sehr schönen Park gelegen.


Auf den Bäumen wachsen Orchideen






und weitere werden in einem Treibhaus ausgestellt, jede eine einzigartige Schönheit. Das Wetter ist jetzt wieder etwas besser.
Wir trinken Zuckerrohrsaft und geniessen die angenehmen 23°, während die Vietnamesen in dicken Jacken und ab und zu sogar mit Kappen anzutreffen sind.
Es ist jetzt 16:00 und wir wissen, dass wir unser Programm unmöglich schaffen werden; nicht, weil wir getrödelt hätten, sondern weil es zeitlich einfach nicht hinkommt. Wir beschliessen, den Rest auf morgen zu verschieben und dafür heute noch den Hauptmarkt von Da Lat zu besuchen, der eigentlich für morgen geplant wäre.
Anfangs ist der ganz harmlos: Erdbeeren, Brombeeren, Kräuter, Gemüse und Früchte, alles knackig frisch. Ich kaufe mit M’s Hilfe u.a. Sabodin, eine braune Frucht, die er mir am Nachmittag am Baum hängend gezeigt hat.




Geflügel gibt es tot und lebendig. Aber auch Krebse, Aale, Fische, Raupen-Puppen, Frösche, Schnecken: alles lebend! Es kriecht, krabbelt, hüpft und windet sich, wohin ich sehe.




Garantiert frisch. Geschlachtet wird vor Ort. Wirklich sehr exotisch.
Dann kommen wir zu den Blumen: Die Chrysanthemen haben Netzchen, die ihre Blüten zusammenhalten und sie wie Tulpen aussehen lassen, damit sie unversehrt zu Hause ankommen; Astern, Lilien, Rosen, Nelken in allen Farben und natürlich Orchideen, so weit das Auge reicht. Und Kaktusblüten.




Um 17:30 sind wir im Hotel. Unser Zimmer ist diesmal winzig, dunkel und geht nach hinten hinaus; zudem fehlt eine Steckdose zum Aufladen der Akkus, aber Thinky hat Ersatz. Statt AC gibt es einen Heizstrahler im Bad.

Wir wollen nochmals raus, ev. an den See, für den wir morgen kaum Zeit haben werden. Ein Gepäckträger steht mit einem riesigen Koffer in der Eingangshalle, schaut uns fragend an. Wir schütteln bedauernd den Kopf; in unserem Zimmer hätte der gar keinen Platz.

Zum See ist es zu weit, und auf dem Rückweg besuchen wir die „Hühnerkirche“, in der gerade Gottesdienst ist, bleiben ein paar Minuten. Sie wird von den Einheimischen Nicht-Christen so genannt, weil es sich um eine reformierte Kirche handelt, mit einem Hahn auf dem Kirchturm. Herrlicher Ausdruck! Ich necke Thinky damit, dass er auf der nächsten Steuererklärung bei der Frage nach der Konfession doch einfach “Hühnerkirche” schreiben soll.

Halbzeitpause

Wir haben heute Halbzeit. Und wie bestellt für eine Zwischenbilanz einer Reise in eine für uns exotische Region, sind die verschiedenen, jeweils schon für sich starken Einzeleindrücke des Tages in ihrer Reihung heute ein bisschen verwirrend. Die vielen vertrauten Kirchensymbole unterwegs wollen irgendwie nicht mit den Aalen und Fröschen auf dem Markt zusammen gehen, und „meine Kirche“ scheut sich hier in Da Lat nicht, sich mit Symbolen und Figuren zu schmücken, die ich mir eher in ein katholisches Umfeld denke. Erstaunlich für uns, dass an einem Werktag um sechs Uhr abends die Kirche genau so voll ist wie der Versammlungsraum, in dem sich Jugendliche zum Bibelstudium treffen.

Wir befinden uns in einer Tourismus-Hochburg Vietnams, wenn auch im Hochland. Es ist also bestimmt nicht die ärmste Stadt des Landes. Dennoch ist das Leben hier sehr viel härter als wir es im Flachland der Schweiz kennen dürften. Die Menschen leben hier stärker und intensiver im Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit und laufen nicht so schnell Gefahr, in einer Art persönlicher Allmachtphantasie zu glauben, das Leben bestünde nicht aus Gefahren und Unsicherheiten.

Unsere Müdigkeit, aber auch die Undurchdringlichkeit der Quartierstrassen und das schroffe Abfallen der Strasse vom Hotel ins Zentrum der Stadt lassen uns früh in unser Zimmer zurück kehren, mag es auch in seiner Enge und Düsternis nicht besonders einladend sein: Es gibt da zwei Betten, auf denen wir uns ausstrecken können.

Mein Tagebüchlein ist mehr als zur Hälfte voll, aber zwei weitere Bändchen warten darauf, die weiteren Eindrücke aufzunehmen. Die Tage sind lang, die Erlebnisse vielfältig, aber das Reisen ist nicht beschwerlich. Unsere körperlichen und geistigen Reservetanks sind unangetastet, wir fühlen uns gut. Auch wir haben Grund, unseren Schutzengeln zu danken, und was in vertrauter Umgebung zu Hause sich kindlich anfühlen mag, stellen wir hier nicht in Frage. Wir können den guten Leitstern gebrauchen. Der Gedanke an die uns lieben Menschen daheim ist nicht ohne Sorge, und muss aus der Distanz doch zu einer Art stiller Begleitung werden, in der ich immer wieder lerne, die Sorge für Freunde und deren Kummer in Hände zu legen, die besser zu geleiten verstehen, als ich es je selbst vermag.

Saigon - Phuoc Hai Tu - Pagode, Fabrikbesichtigungen, Stadtspaziergang und eine Bar

∞  15. Juli 2009, 06:52

Erlebt am 30. März 2009


[ Alle Bilder zum Bericht: ab hier ]



Nun besuchen wir eine Lackwarenfabrik, in der Behinderte arbeiten. Sie leiden an den Spätfolgen u.a. von Agent Orange, einem dioxinhaltigen Entlaubungsmittel, das die Amerikaner während dem Krieg versprühten und die Böden damit kontaminierten. Dadurch wurde das Erbgut der Menschen verändert und Frauen bringen behinderte Kinder zur Welt.
Lackwarenherstellung ist ein unheimlich aufwendiger Prozess, bei dem bis zu 200 Schichten aufgetragen und wieder geschliffen werden. Nur in Vietnam werden sie mit Eierschalen-Intarsien hergestellt; bemalt oder mit Perlmutter sind sie auch anderswo zu finden.




Die Sachen, die hier produziert werden, sind unheimlich schön und reichen vom kleinsten Döschen bis zum Esstisch, von traditionell bis modern. Auch hier sieht man wirklich etwas von der Herstellung, es ist nicht nur eine Alibiübung zur Verkaufsförderung. Morgen werden wir darum eine Tasche mehr haben…
Als Abschluss der offiziellen Stadtrundfahrt wird es wieder mystisch, und wie! Wir sind in der 100jährigen taoistischen Jade-Kaiser-Pagode Phuoc Hai Tu. In verschiedenen, nur spärlich beleuchteten Räumen stehen grosse Pappmaschee-Statuen, die Gottheiten, Krieger und Generäle darstellen.




Weihrauch vermischt sich mit dem Rauch von Räucherstäbchen, kringelt sich gegen die Decke, von wo Streiflicht eindringt und dem Ganzen ein einmaliges Ambiente beschert. Nach und nach entdecke ich durch die Rauchschwaden hindurch neue Figuren, andere werden wieder verhüllt. Die Stimmung ist unbeschreiblich; es ist etwas da, ganz nah und doch unfassbar.




M will uns noch die Fabrik zeigen, für die er arbeitet. T steigt mit der Zeitung über dem Kopf zwar aus (es ist sonnig bei 39°), sieht aber den Sinn der Tour nicht ein. Er findet die Arbeiterinnen schöner als die Produkte und flüchtet wieder in den Wagen.



Wir sehen zu, wie die Artikel aus Wasserhyazinthen geflochten werden, die auch in der Schweiz angeboten werden. Ich bekomme so einen Korb und eine Bambusschale geschenkt, was mich riesig freut.
Auf dem Rückweg lassen wir uns am Saigon River absetzen, auf dem die Meerschiffe ankern. Es ist aber nicht viel zu sehen, zudem ist die ganze Uferpromenade an der prallen Sonne. Gemächlich gehen wir zum Hotel zurück. Mit Hilfe des Stadtplanes können wir uns problemlos orientieren, alle Strassen sind gut angeschrieben. Für das Ueberqueren der Strasse halten wir uns nach Möglichkeit an die Einheimischen und dank Thinkys Grösse werden wir wenigstens gesehen, wenn das auch nur bewirkt, dass die Motorräder um uns herumfahren, halten tut keiner. In einem Restaurant machen wir Rast, es ist unheimlich schwül.
Jetzt müssen wir über einen grossen Platz, von dem sternförmig breite Strassen abgehen. Ich überlege mir kurz, ob wir dafür ein Taxi nehmen sollen, entscheide mich dann aber doch für Thinkys Hand, an der ich auch diese Herausforderung meistere, indem ich nur nach unten schaue.




Andere haben da mehr die Ruhe weg.




An der Reception verlangen wir den Schlüssel, und kein Mensch sagt etwas von Zimmerwechsel. Wir können die Suite also behalten!
Unsere Zimmertüre steht offen, und ein Zimmermädchen kommt aus dem Badezimmer. Aufzuräumen gibt es diesmal nichts, Thinky hat alles ordentlich verlassen. Der guten Frau Hue ist gelungen, was ich in 23 Jahren nicht schaffte.
Kaum sind wir im Zimmer, bricht ein Gewitter los, samt Platzregen. Alle Motorradfahrer tragen jetzt bunte Regenponchos, und der Corso unter unserem Fenster sieht noch eindrücklicher aus.
Statt Sonnenuntergang gibt’s diesmal einen Regenbogen.
Wir nehmen uns Zeit für eine ausführliche persönliche “Restaurierung”, bevor wir in der Bar den Gutschein für den Welcome-Drink einlösen. Hier betrete ich eine reine Männerwelt: Fussballübertragung auf Grossleinwand, Dart, und die Bierflaschen werden ohne Gläser von Damen in ultrakurzen Röckchen serviert; ein paar weisse Männer mit Asiatinnen, von denen mir niemand erzählen soll, sie hätten sie mitgebracht. Man will uns an ein Minitischchen gleich beim Eingang platzieren, aber wenn ich schon mal hier bin, will ich mich auch an die Bar setzen. Ich bin die einzige Nichtasiatin, und man geht nachsichtig mit mir um. Merkwürdiger Ort für einen Begrüssungs-Cocktail.


Welcome Drink


Wir sind schon den zweiten Tag im Hotel, aber erst an diesem Abend bemühen wir uns in die hauseigene Bar im obersten Stock, um unsere Gratis-Welcome-Drinks einzulösen.
Es erwartet mich diese laute Flimmer-Neon-Welt von Bars, in denen die Beleuchtung die Kakophonie der Geräuschkulisse scheinbar in visuelle Effekte übersetzen will. Ein paar versprengte Gäste sitzen da. Männer verschiedener Altersgruppen, die hier endlich einmal alle zur Zielgruppe werden, für die Frauen vor der Bar fast im gleichen Sinn wie für jene hinter der Bar. Zwecks Zerstreuung widmen sich die Männer zumindest vorläufig lieber der flüssigen Ernährung. Darin sind sie – der frühen Abendstunde zum Trotz – durchaus sehr gewissenhaft. Entsprechend lau ist die Stimmung. Ich möchte die schale Luft in Stücke schneiden. Es ist, als läge eine unsichtbare Angst vor dem nächsten Elend über dem Tresen.
Wir sind auf jeden Fall da falsch und lachen uns halb tot über meine ursprüngliche Absicht, unsere Tagebücher mitzunehmen und ein wenig zu schreiben. Wir wären in die Geschichte dieser verlorenen Bar als die Oberspinner eingegangen.
Stattdessen übt sich Thinkabout´s Wife im Deuten der Schiedsrichtergesten auf dem Riesen-TV-Screen, auf dem ein Fußballspiel läuft. Ihre Vorschläge reichen von „Mein Bizeps ist viel größer als deiner“, „Rolle vorwärts“ bis zu „so hoch stand das Wasser anno 2006“ (und da stand es sehr hoch).
Diese Kommentare meiner Liebsten sind so viel besser als das Spiel, dass wir wie beiläufig und vor allem sehr schnell den Boden der Gläser erreichen, dies auch sofort erkennen und machen, dass wir weg kommen.





Saigon - Begegnung mit einem besonderen Postbeamten

∞  14. Juli 2009, 06:50

Erlebt am 30. März 2009


[ Bilder zur Erzählung ab hier ]


Aus der französischen Kolonialzeit sind einige Gebäude erhalten geblieben, u.a. die Nôtre Dame und die von Gustave Eiffel entworfene Hauptpost.
Zuerst besuchen wir die Kirche,




die seltsam leer wirkt, nicht nur weil es kaum Gläubige hat. Davor lässt sich ein Brautpaar ganz professionell fotografieren, in allen möglichen kitschigen Posen, zu denen sie durch eine Assistentin angeregt werden, die ständig an ihnen rumzupft.




Auch drei Girls haben sich diesen Ort für ein Fotoshooting ausgesucht.




Gleich gegenüber ist die Hauptpost, ein imposantes Gebäude, innen und aussen.






Ohne M wäre er uns überhaupt nicht aufgefallen: Da sitzt Tag für Tag im Publikumsbereich ein über 80jähriger Mann und arbeitet als Übersetzer und Verfasser von Briefen. Jetzt ist er gerade an einem Liebesbrief in Englisch, der mit den Worten „Dear Ken, I could not sleep all night long“ beginnt. (Ich hätte das ja niemals gelesen, aber M hat zitiert;-).




Der Mann schreibt trotz seines Alters gestochen schön, kein bisschen zittrig.
M kennt ihn, hat ihn angesprochen, jetzt unterhalte ich mich mit ihm auf Französisch. Er nimmt die Brille ab, und seine wachen Augen blicken voller Güte.




Er erzählt mir, dass er mit 15 zur Post kam, und bis zum Krieg als Briefträger arbeitete. Nachher fing er als „Freischaffender“ mit den Uebersetzungen an. Er ist so bescheiden, zufrieden, scheint vollkommen in sich selbst zu ruhen.




M weiss, dass über den Mann schon im TV berichtet wurde, und der Spiegel hätte ihn auch einmal interviewt. Er nennt ihn Opa, wie in Vietnam für ältere Menschen üblich. Ich würde ihn auch gerne so nennen.


Aufgeregt hier, gelassen da


Vor der Hauptpost in Saigon treffen wir auf viel beschäftigte Fotografen. Drei Mädels mit Modelträumen verrenken sich in angestrengt spontanen Posen und lächeln dazu, als hielten sie das Glück zwischen den blitzend weißen Zähnen fest, einträchtig Kopf an Kopf und doch nichts als Konkurrentinnen. Ich höre den Zunder schon knistern…
Gleich daneben, vor der Kirche Notre Dame, steht ein Hochzeitspaar in Smoking und Brautkleid zur finalen Pose bereit, als wäre dies das Ende aller Eintracht, so Stirn an Stirn. Dabei wirkt es so gestresst, dass man meinen könnte, die beiden hätten den scheinbar schönsten Tag des Lebens schon als Lug und Trug entlarvt. Dabei findet der erst morgen statt, wie man uns versichert. Kopf hoch, wird schon werden!
Wie anders sieht da das Leben des alten Mannes aus, den wir in der Hauptpost kennen lernen: Weit über achtzig, kommt er jeden Tag her und sitzt da, an seinem kleinen Tischchen. Seit mehr als zwanzig Jahren ist er da, wann immer die Post geöffnet hat, und bietet seine Dienste Menschen an, die des Schreibens nicht kundig sind oder eine Übersetzung brauchen. Wohl zuverlässiger als die Post selbst, für die er früher auch gearbeitet hat, ist er in der ganzen Stadt bekannt. Er freut sich über das Foto, das ich von ihm mache, und doch scheint nichts wichtiger zu sein als der Brief, den er zu übersetzten angefangen hat. Er ist ein Mann des Vertrauens und genießt den Respekt aller Anwesenden.
Man kann es im Alter auch schlechter treffen, wobei in diesem Fall wohl gilt, dass da ein Mensch nicht darauf wartete, gebraucht zu werden, sondern seiner eigenen Welt treu blieb und im Rhythmus seiner Zeit und inneren Uhr bei dem blieb, was er für seine Bestimmung hielt und hält: Für die Kunden seiner Post da zu sein. Und für mich. Denn bevor ich ein paar freundliche Worte an ihn richten konnte, hatte er mich längst mit seiner Bescheidenheit und seiner stillen Ausgeglichenheit beschenkt. Ich werde ihn nicht vergessen.



Ankunft in Saigon (Ho Chi Minh City)

∞  8. Juli 2009, 20:45

Auf dem Weg nach Saigon, das heute offiziell Ho Chi Minh City genannt wird, haben wir es wieder sehr lustig miteinander. Unsere beiden Begleiter leben in der Stadt und freuen sich auf zwei Nächte zu Hause. Damit wir einen ersten Eindruck erhalten, fahren sie extra durch das Zentrum zu unserem Hotel: scheint eine sehr schöne, moderne Stadt zu sein. Nur die Freileitungen für den Strom, die sich allen Strassen entlang ziehen, sind etwas ungewohnt,




abgesehen vom Verkehr. Der besteht zu 90% aus Motorrädern, die einem wortwörtlich um die Ohren sausen.




3,6 Mio. sollen es sein, und das sind nur die registrierten! Fussgänger müssen sich irgendwie dazwischen durchschlängeln,




die Strasse überquert sowieso nur, wer gar nicht anders kann. Privatautos gibt es praktisch keine, da der Staat 100% Steuern auf den Kaufpreis erhebt. Was an PWs unterwegs ist, sind meist Firmenwagen, Regierungsfahrzeuge oder Taxis. Dann gibt es noch Busse, Lastwagen und Transporter. Allen gemein ist, dass sie unablässig hupen. In der Hauptverkehrszeit bricht der Verkehr regelmässig zusammen, Arbeitswege von zwei Stunden für wenige Kilometer sind normal.
In unserem Hotel findet eine Hochzeitsfeier statt und man erwartet die Braut, nicht uns. Wir nehmen deshalb den Nebeneingang.
Die gebuchte Zimmerkategorie ist nicht mehr zu haben, man überlässt uns deshalb eine Suite. Nicht schlecht: Wir hatten noch nie zwei Fernseher in einem Hotelzimmer, einen im „Wohnzimmer“, den anderen im Schlafzimmer. Das Programm auf der Strasse ist aber viel spannender. Wir rücken die zwei Polsterstühle zurecht, und können direkt auf eine Kreuzung sehen: Unablässig schieben sich die Motorräder ineinander, so viele auf einer Spur, wie es Platz hat, und das mit den Spuren ist auch nur eine Theorie.
Während wir uns aus der Früchteschale bedienen und Kaffee trinken, geht eine goldene Sonne unter.




Als Marionette ohne Fäden in Saigon


Saigon – eine gute Gelegenheit, im Hotel auch mal den Internet-“Service“ (er kostet extra) zu benutzen. Eine Stunde gönne ich mir. Und dabei stelle ich fest, dass das ja nirgends hin reicht. Ein paar Nachrichten verfolgen, das Mail-Konto prüfen, privat und geschäftlich, zwei, drei Anfragen beantworten. Und die Zeit ist um. Wobei eine klapprige Tastatur oder eine „verklebte Maus“ geringfügig erschwerte Bedingungen bedeuten.

Ich muss also in Saigon in einem Internet-Raum des Hotels sitzen, um zu begreifen, an wie vielen Fäden ich in meinem Alltag ziehe – und vor allem, wie viele Fäden an mir befestigt sind, an denen andere zupfen. Will ich mich darüber beklagen? Nicht unbedingt. Denn diese Fäden sind nicht ohne mein Zutun angebracht worden. Ich sage oder sagte Ja dazu.

Eine solche Reise schafft nun Distanz. Viele dieser Fäden ruhen, haben Pause, oder aber es ist zumindest keine Zeit, darauf zu reagieren – und, o Wunder, kein einziges Fahrrad fällt deshalb draußen auf der Straße oder in der Schweiz um. Meine Puppen haben zum Teil Pause. Hier und jetzt liegen sie im Schrank. Die konkreten, realen Anforderungen der Reise, der fremden Umgebung haben meine Aufmerksamkeit.
In der eigenen Wahrnehmung zählen für einmal jene Bewegungen, die der Wind vorgibt oder eine andere Kraft, deren Bedeutung mal endlich wahr genommen und nicht negiert wird. Dauerhaft ist sie ja nicht zu übersehen, weil sie sich nicht um unser Wollen schert, sondern unabhängig davon ihre Wirkung entfaltet.
Sind das auch Fäden? Macht die Natur uns zu Marionetten, oder ist es nicht vielmehr so, dass wir selbst uns Notwendigkeiten erfinden, weil wir Freiheit nicht ertragen?
Was machen wir mit freier Zeit, im Urlaub, auf Reisen, oder zu Hause, im Alltag?
Sind wir frei in der freien Zeit? Welche Qualität hat meine Beschäftigung, mit der ich die Zeit zubringe? Verbrauche ich Zeit, verscheuche ich sie, oder gehe und lebe ich mit ihr?

Welche Puppenspieler sollen ihre Fäden an mir anbringen dürfen? Welche Stücke spiele ich mit? Wer ist mein Regisseur? Nach welchem Stück will ich mich aufführen und danach tanzen?
Nein. Ich will gar keine Marionette sein. Ich will mich selbst verkörpern. Mit Fleisch und Blut, Geist und Gefühl.





Unterwegs im Mekongdelta (Vinh Long)

∞  6. Juli 2009, 18:00

Erlebt am 29. März 2009


[Karte rund um Vinh Long
Bilder: Album ]


Wir setzen über den Fluss, wo T uns bereits erwartet, um uns nach Vinh Long zu bringen.
Der Mekong verzweigt sich hier in 9 Hauptarme und unzählige Nebenflüsse, die gemeinsam das riesige Delta bilden.

Wir besteigen wieder einen Sampan, überqueren damit einen Hauptarm und besuchen eine Ziegel- und Terracota-Fabrik, die ihre Oefen ausschliesslich mit Reisspelzen befeuert, die auf grossen Schiffen angeliefert werden. Wirklich interessant, wenn auch nicht gerade kühl, ist es hier…




Mit an Bord ist ein „Offizieller“; der wohl sicherstellen soll, dass niemand den Leuten hier Flausen demokratischer Art in den Kopf setzt; die Südvietnamesen sind einiges aufmüpfiger und empfänglicher für westliches Gedankengut als ihre Landsleute im Norden. Das Ganze ist aber eher eine Proforma-Sache: der junge Mann war M’s Schüler in der Tourismusfachschule.


Eine Art Aufpasser



Offensichtlich ist es in einigen Provinzen Usanz (oder Vorschrift), dass Reisende ungefragt von einem zusätzlichen Guide begleitet werden – neben dem Reiseleiter, der von der Agentur angestellt ist. Der Ortsansässige soll wohl mit zusätzlichen lokalen Informationen einen Gewinn für die werten Touristen darstellen. Das ist, pardon, natürlich Blödsinn. Der Aufpasser dürfte in einer ganz anderen Firma angestellt sein als unser M. und wohl darauf achten, dass uns M. nur mit jenen Informationen versorgt, die für Touristen auch wirklich bestimmt sind. M. nimmt das locker und meint lächelnd, er würde den jungen Mann gut und schon lange kennen und jener könne nach wie vor viel von ihm lernen, er hätte ihn ursprünglich auch schon ausgebildet.

Der junge Aufpasser ist höflich, aber vielleicht könnte man es auch schleimig nennen. Ich wundere mich einmal mehr vor allem über das System und seine Jünger, die ich gerne mal fragen würde, was sie glauben, damit bewirken zu können? Ich bin auch nicht über den jungen Mann verärgert, gebe ihm am Schluss auch ein Trinkgeld. Ich frage mich allerdings, wie man als junger Mensch mit diesem Lebensinhalt zufrieden sein kann?

Die Situation ist – im Kontext dessen, wie wir Südvietnam ansonsten erleben – schlicht lächerlich, grotesk und absurd. Und gleichzeitig ist da das ungute Gefühl, dass solche Strukturen sehr schnell verbindlichen Druck aufbauen können, wenn das politische Klima rauer wird. Zur Zeit sieht man zwar im Süden wie im Norden (dort mehr) beflaggte Gebäude der Partei und so manches Spruchband, das über die Straße gespannt ist. Es gibt nur DIE Partei, die sich aber ziemlich pragmatisch gibt und soziale Marktwirtschaft mit der Möglichkeit von Privateigentum propagiert. China scheint da eine Art Vorbild zu sein. Die Vietnamesen haben vom Krieg, ja von der Politik ganz allgemein genug, und es ist klar: Zu viel Repression im Süden bedeutete Ausdünnung (durch Auswanderung), und die kann und will sich die Partei nicht leisten.



Durch kleine Kanäle fahren wir weiter, legen bei einer Gärtnerei an, sehen, wie Obst gezogen und durch Plastiksäckchen vor Schädlingen geschützt wird.




Hier können wir Früchte degustieren und bekommen auch einen Reisschnaps. M zeigt uns eine grosse Flasche mit Schlangen drin: die sind nicht etwa in Formalin eingelegt, sondern in Alkohol. Schlangenschnaps soll potenzfördernd sein. M nennt es nur „die schlimmen Flaschen“,




die es auch noch mit Geckos und Seeferdchen gibt. Prost!
Momentan ist Ebbe, und unser Boot bleibt fast stecken. Obwohl wir hier noch 160 km von der Mündung entfernt sind, beträgt die Differenz zwischen Ebbe und Flut 2 m.
In einem Familienbetrieb wird Puffreis, Reisblätter für Frühlingsrollen




und Bonbons aus Palmzuckersaft hergestellt. Die Vietnamesen zeigen sehr viel Eigeninitiative, wollen es zu etwas bringen, lassen sich durch den Staat nicht behindern, besonders seit der Aufhebung des Handelsembargos durch die USA 1994. Das schlägt sich in einem gewissen Wohlstand nieder.
Mit dem Sampan fahren wir weiter durch den schwimmenden Markt von Cai Be. Hier ist nicht mehr viel los, die meisten Händler schlafen, aber die Fahrt durch den Ort ist interessant, bietet gute Einblicke in den Alltag der Menschen hier.




Etwas ausserhalb legen wir erneut an. Wir essen in einem Restaurant, das sich in einer alten, typisch südvietnamesischen Villa befindet, die in einem herrlichen Garten liegt.


Auch hier ist das Essen ausgezeichnet und wir probieren Lotosstängel, der die Bittergurken bei Weitem schlägt. Die Familie spricht französisch, bedient werden wir hauptsächlich von der pubertierenden Tochter. Die ist so überdreht, dass ich versucht bin zu sagen, Mädchen, was immer du nimmst, nimm weniger!

Wir unterhalten uns mit dem Offiziellen, ein wirklich netter Kerl, der uns unterwegs auch immer wieder einmal auf eine Besonderheit aufmerksam machte, und uns von seinem eigenen Leben hier im Delta erzählt.
Wieder auf dem Boot bekommen wir vom Kapitän frische Kokosnüsse, dann schippert er uns zurück nach Cai Be, wo wir aussteigen.
Wir geben ihm und auch dem Offiziellen ein kleines Trinkgeld; beide sind sehr überrascht und freuen sich ausserordentlich.

M gibt T über das Handy unseren genauen Standort durch. Der hat inzwischen drei Überfahrten mit der Fähre und entsprechende Wartezeiten hinter sich. Schnell ist er da, reicht uns Mineralwasser aus der Eisbox und die obligaten Tüchlein. Er ist ein ganz typischer Fahrer: jeder Schritt ausserhalb des klimatisierten Wagens ist für ihn einer zu viel, und deshalb haben wir immer sein volles Mitgefühl, wenn wir vom „Feindesland“ in den Schutz seines Autos zurückkehren.




Die gesamte Reise lässt sich chronologisch nach und nach in der Sektion “GEREISTnachlesen


Cai Rang: Der schwimmende Markt bei Can Tho

∞  5. Juli 2009, 21:18

Erlebt am 29. März 2009, frühmorgens


[Mehr Bilder vom Schwimmenden Markt Cai Rang: Album ]


Heute ist früher Tagwache, weil wir auf den schwimmenden Markt wollen. Zudem müssen wir sämtliche Schubladen und Schränke im Zimmer checken, vielleicht hat Frau Hue – so nennt Thinky das Zimmermädchen – ja noch etwas versorgt, was er noch gar nicht vermisst.
Wir frühstücken auf der Terrasse, es weht wieder ein angenehmer Wind.
Um 07:30 geht es los. Da wir heute ein ziemlich volles Programm haben, hat M T mit unserem Gepäck alleine losgeschickt. Er nimmt die Fähre über den Mekong, was lange Wartezeiten bedeutet, während wir drei in einen Sampan steigen, der uns am hoteleigenen Pier abholt. Leider ist es der falsche, und wir müssen umsteigen. Jetzt sitzen wir richtig, und es kann definitiv losgehen. Wir passieren einen überladenen Ananasfrachter, das Schiff ist schon halb unter Wasser, überall schwimmen die Früchte, auch eine Art floating market.
Ein viel zu schnelles Speedboat verursacht hohe Wellen, unser Kapitän muss das Boot dagegen steuern, was ihm nur ein ärgerliches Gemurmel abringen kann; es ist schwierig, einem Vietnamesen die gute Laune zu verderben.
Cai Rang ist einer der grössten Märkte im Mekongdelta. Die Verkäufer befestigen je ein Stück von ihren Produkten an einer langen Stange, die in die Luft ragt.




So ist von Weitem sichtbar, was wo gekauft werden kann. Das wuselige Treiben ist unbeschreiblich.




Grosse Boote, auf denen auch gewohnt wird, mit Dachgarten




und Wachhunden aus Keramik,




mischen sich unter Einbäume, die ein paar Baguettes, Fischsaucen oder Lose anbieten.




Es ist recht schwierig, die Menschen unter ihren Spitzhüten zu fotografieren: die Gesichter liegen immer im Schatten; irgendwie ist das aber auch spannend.






Vietnam: Ankunft in Can Tho, Bekanntschaft mit der unsichtbaren Frau Hue

∞  1. Juli 2009, 06:50

Erlebt am 28. März 2009, abends


[Karte: Strecke von Chau Doc nach Can Tho und
Bilder: Album des Tages ]


Es reiht sich Dorf an Dorf, Haus an Haus. Unzählige Kanäle. Wir fahren auf guten Strassen. Ich habe mir die Gegend ländlicher vorgestellt, auch ärmer.
Mit M haben wir einen wahren Glückstreffer gelandet: Er weiss nicht nur viel über sein Land, er vermittelt es auch gut. Und was noch wichtiger ist: die Chemie stimmt, wir haben es richtig gut miteinander, erzählen auch private Dinge. Und erfahren dabei, dass er nur nebenberuflich Reiseleiter ist, im Hauptberuf arbeitet er in einer Exportfirma. Und ist in dieser Funktion jedes Jahr auf der Ambiente in Frankfurt. Wie Thinky. Es gibt Dinge, die man nicht versuchen sollte zu erklären.

Gegen 16:00 sind wir in Can Tho im Hotel. Im liebevoll angelegten Garten mache ich ein paar Makros. Eine Lotosknospe wird tatsächlich so, wie ich mir das vorstelle.




Im Zimmer verspeisen wir einige für uns bereitgestellte Früchte. Auch jetzt sehen wir auf den Mekong, aber durch Kokospalmen. Hier gibt es einen Gecko-Service: wenn man das Tierchen aus seinem Zimmer entfernt haben möchte, please deal no. 4. Ob man unter dieser Nummer wohl auch einen, oder besser gleich drei bestellen kann? Die armen Kerle würden aber wegen der AC sicher in die Kältestarre fallen.
Heute essen wir auf einer offenen Terrasse. Der leichte Wind und blasende Ventilatoren halten die meisten Mücken fern, und die braven Geckos kümmern sich um die restlichen. Das Menu ist auch hier eine Offenbarung, sie können zweifelsfrei auch europäisch kochen:


Warmes Auberginentürmchen mit Mozzarella: delikat
Kürbiscrèmesuppe mit Ingwer: Volltreffer, muss ich mir merken
Gemüsestrudel mit Safransauce und Reis: exquisit
Crêpe-Beutelchen mit Bananen auf Schokoladensauce: würdiger Abschluss


Als Verdauungsspaziergang gehen wir noch etwas die Uferpromenade auf und ab.


Zurück im Hotelzimmer, erkennen wir dieses nicht wieder. Da wurde inzwischen wortwörtlich aufgeräumt: Thinky vermisst seine Hosen und das Schlaf-T-Shirt; beides hängt jetzt im Kleiderschrank. Seine Sigg-Bottle steht nicht mehr auf dem Nachttisch (dort hat es jetzt hoteleigenes Wasser), sondern auf dem Sideboard, in einer Reihe mit seinem Antibrumm, dem Moleskine und den Schreibstiften. Dafür könnte man jetzt auf dem Salontisch wieder Tee trinken.
Das Hemd, das über dem Stuhl hing, findet er im 2. Schrank. Immerhin liegen seine Socken immer noch hinter dem Rucksack, was ihn ungemein erfreut.
Auf seinem Nachttisch befindet sich jetzt auch ein Laundrybag, wohl als Wink mit dem Zaunpfahl.
Merkwürdigerweise sind meine Sachen immer noch an genau dem Ort, wo ich sie gelassen habe.
Die Fürsorge wurde hier wohl etwas übertrieben. „Muss wohl ein Mami sein“, ist das Einzige, was Thinky dazu einfällt; da tut er mir fast schon ein wenig leid.
Ich habe noch nie in einem so aufgeräumten Hotelzimmer geschlafen.


Frau Hue schafft Ordnung


Auch diesmal ist, als wir nach dem Essen ins Zimmer zurück kommen, dieses für die Nacht nochmals hergerichtet worden. Auch diesmal fällt mir das nette Arrangement auf dem Kissen als erstes auf – dann aber staune ich nicht schlecht:
Meine Improvisation, das weisse T-Shirt mit dem auch nach der Handwäsche noch dreckigen Kragen zum Trocknen auf einen Bügel und diesen dann an die Vorhangstange zu hängen, hat das Zimmermädchen ganz offensichtlich begeistert: Mein zweites T-Shirt, das ich “ganz” gewaschen hatte, um es von den weissen Schweissflecken auf dem braunen Elefanten zu befreien, hängt nun nicht mehr im Bad, sondern auf einem zweiten Bügel an der Vorhangstange. Verspürte sie wohl ein Stück Subversion oder nahm sie dankbar eine Anregung zu etwas Subversion im Dienste des Kunden war, weil ihr vielleicht der dunkle schwere Vorhangstoff für ein Vierstern-Hotel auch etwas düster vorkam und sie auf diesem Weg einer möglichen Schimmelbildung ein wenig nachhelfen wollte?
Und wo ist dann meine Trinkflasche hingekommen? Und die Hose für morgen, die auf dem Bett lag, wie ich doch noch genau weiss? Und wo, zum Teufel, ist mein Rasierpinsel hin gekommen?
Alles findet sich irgendwo fein aufgehängt, akurat ausgerichtet hingestellt oder in den Schrank gehängt (z.B. mein Schlaf-Shirt), als wäre Mutter eben mal nach fünfundzwanzig Jahren wieder mal zum Aufräumen vorbei gekommen, so gut gemeint ist alles, aber durchwegs unpraktisch und für mich nicht logisch.
Immerhin, ich finde alles wieder. Die T-Shirts lasse ich an der Vorhangstange hängen, die Komposition finde ich klasse, auch wenn die Dinger auch so morgen nicht trocken sein werden. Frau Hue, wie ich die unbekannte Seele nenne, scheint das auch voraus zusehen und hat mir deswegen einen Laundry Bag aufs Bett gelegt, ganz unauffällig liegt es da unter dem Bestellformular für Breakfast per Roomservice. Immerhin hat sie es sich verkneifen können, das Formular für den Wäscheservice für mich schon vorab auszufüllen.
So behütet muss ich ja gut schlafen!





Vietnam: Tempel Lady Xu und Vogelparadies Bang Lang

∞  30. Juni 2009, 06:50

Erlebt am 28. März 2009 auf dem Weg von Chau Doc nach Can Tho


[Karte: Strecke nach Can Tho und
Bilder: Album des Tages ]


Wir fahren zum Lady Xu-Tempel am Sam-Berg, dh. wir reihen uns in die Prozession dorthin ein. Jeder Vietnamese sollte mindestens einmal in seinem Leben, besser jedes Jahr einmal diesen Tempel besuchen. Entsprechend gross ist der Andrang, der Tempel ist auch rund um die Uhr geöffnet. Der Kult, die Glücksgöttin um die Erfüllung eines Wunsches zu bitten und ihr dann nach dessen Gewährung zu opfern, ist keiner Religion zugeordnet; er steht allen Menschen gleichermassen offen.




Die Unmengen an Opfergaben, die da Tag für Tag zusammenkommen, reichen von Räucherstäbchen, Blumen, Früchten, Reissäcken, gebratenen Schweinen und Hühnern, bis zu Jacken, Schmuck und Kronen für die Göttin. Die Lebensmittel werden nachher allesamt an Bedürftige verteilt, der Erlös aus den “getragenen” Jackestücken, die die Pilger erwerben, ebenfalls.
Die Atmosphäre ist unbeschreiblich. So viele Menschen und doch kein Gedränge. Jeder wartet geduldig, bis er vor der Göttin beten oder seine Gaben platzieren kann. Ganze Familien sind angereist, sitzen im Hof vor dem Tempel und essen miteinander.
Zwei Frauen möchten sich unbedingt mit mir fotografieren lassen. M erklärt mir, dass es für Leute vom Land etwas besonderes sei, sich mit Ausländern ablichten zu lassen; sie würden dann das Foto voller stolz im Dorf herumzeigen.
Eine alte Frau mit einem unheimlich lieben Gesicht winkt mich zu sich.




Auch sie möchte so ein Foto. 84 Jahre alt ist sie. Ich muss mich zu ihr herunterbücken, ich! Dabei bin ich doch nur 1.57m, aber sie ist bestimmt noch zehn cm kleiner.
Zu Fuss gehen wir die Strasse hinunter zur Tay An Pagoda. Die ist für mich von aussen etwas zu bunt, innen jedoch sehr stimmungsvoll.





Die buddhistischen Mönche haben in Vietnam braune oder schwarze Roben, keine safrangelben.
Wir essen in einem luftigen Restaurant zu Mittag, dennoch ist es sehr heiss. M bestellt für uns neben (viel zu) vielem Anderen auch ein Gericht aus Bittergurken, weil ich ihn heute morgen fragte, was das sei. Jetzt weiss ich es: sehr gewöhnungsbedürftig! Muss unheimlich gesund sein…

Für den Besuch des Vogelreservates Bang Lang organisiert M für uns Motorrad-Taxis, er fährt selber. (Normalerweise würde man mit einem Bötchen hinfahren, aber der Fluss ist jetzt in der Trockenzeit nur ein Rinnsal). Ich bekomme einen Army-Helm übergestülpt, der viel zu gross ist, aber trotzdem der Vorschrift genügt. Da geht es auch schon los. Während ich noch Ausschau nach einer Verkehrslücke halte, hat sich meine Fahrerin bereits eingefädelt, und weil wir gleich wieder links abbiegen müssen, auch schon die Spur gewechselt. Sie scheint das im Griff zu haben. Ihre einzige – unbegründete – Sorge ist, dass ich mich nicht genügend an ihr festhalte, denn wir sind mittlerweile auf einer leicht holprigen, schmalen Naturstrasse, erst durch eine Ansiedlung, dann durch Reisfelder, bis zu einer Ausguckplattform. Auf die hinauf führt eine Wendeltreppe, dann sind wir fast auf gleicher Höhe mit den Baumkronen. Und da sitzen sie auch schon: Kormorane, Seidenreiher und Kuhreiher mit braunen Köpfen, die sie nur während der Brutzeit haben.




Ausnehmend schöne Vögel sind das, und sie scheinen gar keine Angst zu haben. Vereinzelte haben Junge, die sie eifrig füttern. Wir sind ihnen ganz nah.




Auf dem Rückweg ziehe ich den Helm über mein Hütchen an, so passt er besser. T kann sich sein Grinsen kaum verkneifen, als er mich sieht.
Hat richtig Spass gemacht!
Eine gute Stunde noch bis Can Tho.


Vietnams rollende Strassen


Wo auch immer wir unterwegs sind: Es herrscht reger Verkehr. Sitzt man selbst im Auto, ist es eine Art Road Movie, beobachtet aus sicherer Warte:
Staunend lernen wir, dass die Möglichkeiten, Waren und Tiere auf Rollern und Fahrrädern zu transportieren, einfach unbegrenzt sind.




Der Verkehr ist intensiv, wirkt aber nicht so bedrohlich wie in anderen Ländern Asiens: Es gibt weniger echten Schwerverkehr, auch Autos sind für viele Vietnamesen praktisch unerschwinglich, da die Steuern dafür fast so hoch sind wie der Anschaffungswert. Die Strassenbilder werden von Fahrrädern und vor allem von Rollern und Kleinmotorrädern bestimmt. Vietnam hat mehr als 80 Mio Einwohner – und zählt 26 Mio registrierte Roller. Der Fahrstil ist dabei stets “dynamisch”, d.h. ohne Lichtsignal ist es unter jeder Würde, seinen fahrbaren Untersatz zum Stillstand kommen zu lassen.
Das kann auch für einen Vietnamesen, der ein paar Jahre in der DDR gelebt hat, zum Problem werden, wie uns M. erzählt. M. hatte sich in Deutschland in eine Vietnamesin verliebt, und zurück in Vietnam war es Zeit, seine zukünftige Frau der Familie vorzustellen. Also lieh er sich den Roller der Eltern, packte seine Frau auf den Sozius und machte sich auf, quer durch die Stadt, um seinen Onkel zu besuchen. M. hatte dabei so viel Mühe sich zu konzentrieren, zu orientieren und Zusammenstösse zu vermeiden, dass dem armen Kerl in Kürze ganz sturm im Kopf wurde.
An einer grossen Kreuzung war es dann so weit: Er tuschierte einen anderen Roller, sie stiegen ab, ein grosses Palaver setzte ein, die Frau war nahe am Nervenzusammenbruch. Schliesslich beruhigten sich die Gemüter, M. stieg wieder auf sein Höllengefährt und weiter ging’s. Endlich beim Onkel angekommen, atmete er durch, stieg ab, und musste seinem Onkel Recht geben:
Die zukünftige Frau M. war nicht da. Er war doch tatsächlich so von den Socken ob all der Aufregung, dass er ohne seine Frau weiter gefahren war… Mit der tatkräftigen Unterstützung der, natürlich per Roller, ausschwärmenden Familien-Armada seines Onkels wurde sie wieder gefunden – an besagter Kreuzung…
Es ist aber nicht so, dass die Vietnamesen als Hasardeure unterwegs wären. Die wichtigste Verkehrsregel ist, dass man mit Auge fährt – und mit Reaktionsvermögen. Eine Motorradfahrerprüfung gibt es auch – als theoretisches Examen mit einem praktischen Teil auf einem 20-Meter-Kurs im Innenhof einer Prüfbehörde…



Es reiht sich Dorf an Dorf, Haus an Haus. Unzählige Kanäle. Wir fahren auf guten Strassen. Ich habe mir die Gegend ländlicher vorgestellt, auch ärmer.
Mit M haben wir einen wahren Glückstreffer gelandet: Er weiss nicht nur viel über sein Land, er vermittelt es auch gut. Und was noch wichtiger ist: die Chemie stimmt, wir haben es richtig gut miteinander, erzählen auch private Dinge. Und erfahren dabei, dass er nur nebenberuflich Reiseleiter ist, im Hauptberuf arbeitet er in einer Exportfirma. Und ist in dieser Funktion jedes Jahr auf der Ambiente in Frankfurt. Wie Thinky. Es gibt Dinge, die man nicht versuchen sollte zu erklären.

Gegen 16:00 sind wir in Can Tho im Hotel. Im liebevoll angelegten Garten mache ich ein paar Makros. Eine Lotosknospe wird tatsächlich so, wie ich mir das vorstelle.




Im Zimmer verspeisen wir einige für uns bereitgestellte Früchte. Auch jetzt sehen wir auf den Mekong, aber durch Kokospalmen. Hier gibt es einen Gecko-Service: wenn man das Tierchen aus seinem Zimmer entfernt haben möchte, please deal no. 4. Ob man unter dieser Nummer wohl auch einen, oder besser gleich drei bestellen kann? Die armen Kerle würden aber wegen der AC sicher in die Kältestarre fallen.
Heute essen wir auf einer offenen Terrasse. Der leichte Wind und blasende Ventilatoren halten die meisten Mücken fern, und die braven Geckos kümmern sich um die restlichen. Das Menu ist auch hier eine Offenbarung, sie können zweifelsfrei auch europäisch kochen:


Warmes Auberginentürmchen mit Mozzarella: delikat
Kürbiscrèmesuppe mit Ingwer: Volltreffer, muss ich mir merken
Gemüsestrudel mit Safransauce und Reis: exquisit
Crêpe-Beutelchen mit Bananen auf Schokoladensauce: würdiger Abschluss


Als Verdauungsspaziergang gehen wir noch etwas die Uferpromenade auf und ab.


Zurück im Hotelzimmer, erkennen wir dieses nicht wieder. Da wurde inzwischen wortwörtlich aufgeräumt: Thinky vermisst seine Hosen und das Schlaf-T-Shirt; beides hängt jetzt im Kleiderschrank. Seine Sigg-Bottle steht nicht mehr auf dem Nachttisch (dort hat es jetzt hoteleigenes Wasser), sondern auf dem Sideboard, in einer Reihe mit seinem Antibrumm, dem Moleskine und den Schreibstiften. Dafür könnte man jetzt auf dem Salontisch wieder Tee trinken.
Das Hemd, das über dem Stuhl hing, findet er im 2. Schrank. Immerhin liegen seine Socken immer noch hinter dem Rucksack, was ihn ungemein erfreut.
Auf seinem Nachttisch befindet sich jetzt auch ein Laundrybag, wohl als Wink mit dem Zaunpfahl.
Merkwürdigerweise sind meine Sachen immer noch an genau dem Ort, wo ich sie gelassen habe.
Die Fürsorge wurde hier wohl etwas übertrieben. „Muss wohl ein Mami sein“, ist das Einzige, was Thinky dazu einfällt; da tut er mir fast schon ein wenig leid.
Ich habe noch nie in einem so aufgeräumten Hotelzimmer geschlafen.


Frau Hue schafft Ordnung


Auch diesmal ist, als wir nach dem Essen ins Zimmer zurück kommen, dieses für die Nacht nochmals hergerichtet worden. Auch diesmal fällt mir das nette Arrangement auf dem Kissen als erstes auf – dann aber staune ich nicht schlecht:
Meine Improvisation, das weisse T-Shirt mit dem auch nach der Handwäsche noch dreckigen Kragen zum Trocknen auf einen Bügel und diesen dann an die Vorhangstange zu hängen, hat das Zimmermädchen ganz offensichtlich begeistert: Mein zweites T-Shirt, das ich “ganz” gewaschen hatte, um es von den weissen Schweissflecken auf dem braunen Elefanten zu befreien, hängt nun nicht mehr im Bad, sondern auf einem zweiten Bügel an der Vorhangstange. Verspürte sie wohl ein Stück Subversion oder nahm sie dankbar eine Anregung zu etwas Subversion im Dienste des Kunden war, weil ihr vielleicht der dunkle schwere Vorhangstoff für ein Vierstern-Hotel auch etwas düster vorkam und sie auf diesem Weg einer möglichen Schimmelbildung ein wenig nachhelfen wollte?
Und wo ist dann meine Trinkflasche hingekommen? Und die Hose für morgen, die auf dem Bett lag, wie ich doch noch genau weiss? Und wo, zum Teufel, ist mein Rasierpinsel hin gekommen?
Alles findet sich irgendwo fein aufgehängt, akurat ausgerichtet hingestellt oder in den Schrank gehängt (z.B. mein Schlaf-Shirt), als wäre Mutter eben mal nach fünfundzwanzig Jahren wieder mal zum Aufräumen vorbei gekommen, so gut gemeint ist alles, aber durchwegs unpraktisch und für mich nicht logisch.
Immerhin, ich finde alles wieder. Die T-Shirts lasse ich an der Vorhangstange hängen, die Komposition finde ich klasse, auch wenn die Dinger auch so morgen nicht trocken sein werden. Frau Hue, wie ich die unbekannte Seele nenne, scheint das auch voraus zusehen und hat mir deswegen einen Laundry Bag aufs Bett gelegt, ganz unauffällig liegt es da unter dem Bestellformular für Breakfast per Roomservice. Immerhin hat sie es sich verkneifen können, das Formular für den Wäscheservice für mich schon vorab auszufüllen.
So behütet muss ich ja gut schlafen!





Vietnam: Chau Doc

∞  29. Juni 2009, 06:50

Erlebt am 28. März 2009, früh morgens


[Alle Bilder: Album des Tages ]


Wir haben herrlich geschlafen, sind ohne Wecker erwacht, gerade rechtzeitig für den Sonnenaufgang über dem Mekong. Allerdings müssen wir dafür auf den Balkon, aber wir haben ja die Bademäntel.




Nach dem genüsslichen Frühstück checken wir aus, wechseln Dollar in Dong (wir erhalten für jeden ca. 15’000) und sind um 08:00 startklar. M ist schon hier und stellt uns T, den Fahrer vor, der nur so von guter Laune sprüht. Er überwacht vorerst nur das Einladen unseres Gepäcks in den geräumigen Toyota Innova, während wir zum Pier gehen. Dort wartet ein kleines Motorboot, das uns kreuz und quer durch die Kanäle zwischen den schwimmenden Häusern von Chau Doc hindurch fährt. Das Leben dieser Leute ist vollkommen vom Fluss geprägt. Ruderboote fahren von Haus zu Haus, bieten ihre Waren und Dienstleistungen an.




Viele züchten Pangasius-Fische in riesigen Netzen unter dem Haus. Durch eine Klappe werden diese regelmässig gefüttert, dann sieht es aus, als ob das Wasser kochen würde.



Haben sie die richtige Grösse, kommt ein Händlerschiff, das auf der Seite des Rumpfes eine Klappe hat. Diese wird geöffnet, mit dem Netz verbunden, Futter wird durch eine Klappe im Schiffsboden in das Wasser des Rumpfes geschüttet, alle Fische schwimmen hinüber, die Seitenklappe wird wieder geschlossen. Der Schiffsrumpf ist aussen mit einem Massstab bemalt und je nachdem wie tief das Schiff nach der Uebernahme der Fische liegt, bemisst sich der zu bezahlende Preis.



[Anmerkung: Der Frachter auf dem Bild ist komplett leer, die Seitenluken sind mit Stoff behangen]


Eine Ladung wiegt mehrere Tonnen, da kommt es auf ein paar Fische mehr oder weniger nicht an.
Ueberall hat es Wachhunde, die vor Fischdieben warnen sollen; sie gehören zur Familie und werden liebevoll behandelt.
Ich kann es kaum glauben, aber es gibt auch schwimmende Tankstellen, Schulen und Polizeistationen!
Wir legen an und besuchen auf dem Festland den muslimischen Stadtteil, der von den Cham bewohnt wird.




Mit dem Boot geht es zurück zum Hotel, wo uns T erwartet. Auch er bietet den Mineralwasser-Erfrischungstüchlein-Service.


Vietnam und seine Regionen


Auf Reisen dieser Art, bei denen man immer wieder “direkt unter die Menschen” gerät, wo man natürlich auch immer wieder gezielt als möglicher Käufer von Souvenirs ausgemacht wird, bekommt man schnell ein Gefühl für die Mentalität der Menschen. Und in der Tat können wir schon hier und jetzt deutliche Unterschiede ausmachen zwischen Kambodschanern und Südvietnamesen. Hier werden wir (noch) weniger gedrängt, etwas zu kaufen, als in Kambodscha. Was wir wohlmeinend mit mehr Rücksichtnahme erklären, ist vielleicht schlicht auch eine Frage des Stolzes oder einer gewissen Gelassenheit, die dem Händler hier eigen ist: “Kaufst Du nicht, kauft der Nächste. So what?”
M. erzählt uns, dass in Vietnam die Mentalitätsunterschiede zwischen dem Süden und dem Zentrum und dem Norten sehr deutlich sind:
Der Süden wird von einem vorteilhaften Klima geprägt. Er bleibt zudem von Hurricans und Taifunen verschont und ist sehr fruchtbar. Niemand hungert, die Menschen sind offen und sehr ehrlich und dabei geborene Händler mit grossem Improvisations- und Anpassungsvermögen. Politik? Interessiert sie nicht (mehr). Jetzt ist es Zeit, sich um die realen Dinge des Lebens zu kümmern. Von Politik hat man gestrichen die Nase voll. Das Land wird politisch zwar vom kommunistischen Norden kontrolliert, der Süden läuft aber an einer sehr langen Leine. Die Boat People sind auch der Politik noch in guter Erinnerung – die Flüchtlingswelle hatte das Land viel Knowhow und Manpower gekostet, und die Oberen wissen sehr wohl, dass eine erneut eingeschränkte Handlungsfreiheit viele Südvietnamesen dazu bewegen würde, erneut das Land zu verlassen. Die Gegenwart ist überhaupt die erste Zeit seit Menschengedenken, in denen die Vietnamesen selbstbestimmt leben können: Bis 1978 tobten kriegerische Auseinandersetzungen, der “Befreiung” folgte das kommunistische Regime, welches z.B. das Betreiben eines privaten Ladens verbot. 1986 öffnete sich das Land und die Eigeninitiative blühte auf. Heute scheint es kein Haus an einer befahrenen Strasse zu geben, das im Erdgeschoss nicht einen Laden oder ein Geschäft beherbergen würde.
Trotzdem gelten Nordvietnamesen eher als fleissiger und geschäftstüchtiger, hören wir. Wir werden später den Eindruck gewinnen, dass damit wohl vor allem mehr heiliger Ernst für eine auch politische Sache gemeint ist. Der Nationalstolz des Nordens ist ein ganz anderer als das Selbstverständnis im Süden. Dennoch sollen schon Millionen von Vietnamesen in den Süden gezogen sein.
Was sich schon im Zentrum Vietnams total verändert, ist der Dialekt. So werden dort die Telefon-Nummern ganz anders ausgesprochen. Das kennen wir nicht: Es ist mir auf jeden Fall nicht bekannt, dass, wenn ein Basler mir seine Handy-Nummer nennt, ich meinen könnte, er wolle mir sagen, er hätte seit drei Tagen nicht mehr geduscht. Diese Anekdote erzählt uns M. mit breitem Grinsen und dem Hinweis, sein Bekannter aus dem Zentrum Vietnams hätte sich darauf für seine Geschäfte im Süden schnellstens eine andere Telefon-Nummer geben lassen…
Wir spüren nirgends Fremdenhass. Auffallend ist nur, dass, wenn immer irgendwo logistisch etwas nicht funktioniert, M. darauf hinweist, dass dies ein typisches Vermächtnis der Franzosen sei…






früher erzählt