Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Vietnam: Chau Doc

∞  29 Juni 2009, 06:50

Erlebt am 28. März 2009, früh morgens


[Alle Bilder: Album des Tages ]


Wir haben herrlich geschlafen, sind ohne Wecker erwacht, gerade rechtzeitig für den Sonnenaufgang über dem Mekong. Allerdings müssen wir dafür auf den Balkon, aber wir haben ja die Bademäntel.




Nach dem genüsslichen Frühstück checken wir aus, wechseln Dollar in Dong (wir erhalten für jeden ca. 15’000) und sind um 08:00 startklar. M ist schon hier und stellt uns T, den Fahrer vor, der nur so von guter Laune sprüht. Er überwacht vorerst nur das Einladen unseres Gepäcks in den geräumigen Toyota Innova, während wir zum Pier gehen. Dort wartet ein kleines Motorboot, das uns kreuz und quer durch die Kanäle zwischen den schwimmenden Häusern von Chau Doc hindurch fährt. Das Leben dieser Leute ist vollkommen vom Fluss geprägt. Ruderboote fahren von Haus zu Haus, bieten ihre Waren und Dienstleistungen an.




Viele züchten Pangasius-Fische in riesigen Netzen unter dem Haus. Durch eine Klappe werden diese regelmässig gefüttert, dann sieht es aus, als ob das Wasser kochen würde.



Haben sie die richtige Grösse, kommt ein Händlerschiff, das auf der Seite des Rumpfes eine Klappe hat. Diese wird geöffnet, mit dem Netz verbunden, Futter wird durch eine Klappe im Schiffsboden in das Wasser des Rumpfes geschüttet, alle Fische schwimmen hinüber, die Seitenklappe wird wieder geschlossen. Der Schiffsrumpf ist aussen mit einem Massstab bemalt und je nachdem wie tief das Schiff nach der Uebernahme der Fische liegt, bemisst sich der zu bezahlende Preis.



[Anmerkung: Der Frachter auf dem Bild ist komplett leer, die Seitenluken sind mit Stoff behangen]


Eine Ladung wiegt mehrere Tonnen, da kommt es auf ein paar Fische mehr oder weniger nicht an.
Ueberall hat es Wachhunde, die vor Fischdieben warnen sollen; sie gehören zur Familie und werden liebevoll behandelt.
Ich kann es kaum glauben, aber es gibt auch schwimmende Tankstellen, Schulen und Polizeistationen!
Wir legen an und besuchen auf dem Festland den muslimischen Stadtteil, der von den Cham bewohnt wird.




Mit dem Boot geht es zurück zum Hotel, wo uns T erwartet. Auch er bietet den Mineralwasser-Erfrischungstüchlein-Service.


Vietnam und seine Regionen


Auf Reisen dieser Art, bei denen man immer wieder “direkt unter die Menschen” gerät, wo man natürlich auch immer wieder gezielt als möglicher Käufer von Souvenirs ausgemacht wird, bekommt man schnell ein Gefühl für die Mentalität der Menschen. Und in der Tat können wir schon hier und jetzt deutliche Unterschiede ausmachen zwischen Kambodschanern und Südvietnamesen. Hier werden wir (noch) weniger gedrängt, etwas zu kaufen, als in Kambodscha. Was wir wohlmeinend mit mehr Rücksichtnahme erklären, ist vielleicht schlicht auch eine Frage des Stolzes oder einer gewissen Gelassenheit, die dem Händler hier eigen ist: “Kaufst Du nicht, kauft der Nächste. So what?”
M. erzählt uns, dass in Vietnam die Mentalitätsunterschiede zwischen dem Süden und dem Zentrum und dem Norten sehr deutlich sind:
Der Süden wird von einem vorteilhaften Klima geprägt. Er bleibt zudem von Hurricans und Taifunen verschont und ist sehr fruchtbar. Niemand hungert, die Menschen sind offen und sehr ehrlich und dabei geborene Händler mit grossem Improvisations- und Anpassungsvermögen. Politik? Interessiert sie nicht (mehr). Jetzt ist es Zeit, sich um die realen Dinge des Lebens zu kümmern. Von Politik hat man gestrichen die Nase voll. Das Land wird politisch zwar vom kommunistischen Norden kontrolliert, der Süden läuft aber an einer sehr langen Leine. Die Boat People sind auch der Politik noch in guter Erinnerung – die Flüchtlingswelle hatte das Land viel Knowhow und Manpower gekostet, und die Oberen wissen sehr wohl, dass eine erneut eingeschränkte Handlungsfreiheit viele Südvietnamesen dazu bewegen würde, erneut das Land zu verlassen. Die Gegenwart ist überhaupt die erste Zeit seit Menschengedenken, in denen die Vietnamesen selbstbestimmt leben können: Bis 1978 tobten kriegerische Auseinandersetzungen, der “Befreiung” folgte das kommunistische Regime, welches z.B. das Betreiben eines privaten Ladens verbot. 1986 öffnete sich das Land und die Eigeninitiative blühte auf. Heute scheint es kein Haus an einer befahrenen Strasse zu geben, das im Erdgeschoss nicht einen Laden oder ein Geschäft beherbergen würde.
Trotzdem gelten Nordvietnamesen eher als fleissiger und geschäftstüchtiger, hören wir. Wir werden später den Eindruck gewinnen, dass damit wohl vor allem mehr heiliger Ernst für eine auch politische Sache gemeint ist. Der Nationalstolz des Nordens ist ein ganz anderer als das Selbstverständnis im Süden. Dennoch sollen schon Millionen von Vietnamesen in den Süden gezogen sein.
Was sich schon im Zentrum Vietnams total verändert, ist der Dialekt. So werden dort die Telefon-Nummern ganz anders ausgesprochen. Das kennen wir nicht: Es ist mir auf jeden Fall nicht bekannt, dass, wenn ein Basler mir seine Handy-Nummer nennt, ich meinen könnte, er wolle mir sagen, er hätte seit drei Tagen nicht mehr geduscht. Diese Anekdote erzählt uns M. mit breitem Grinsen und dem Hinweis, sein Bekannter aus dem Zentrum Vietnams hätte sich darauf für seine Geschäfte im Süden schnellstens eine andere Telefon-Nummer geben lassen…
Wir spüren nirgends Fremdenhass. Auffallend ist nur, dass, wenn immer irgendwo logistisch etwas nicht funktioniert, M. darauf hinweist, dass dies ein typisches Vermächtnis der Franzosen sei…