Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Australien 2007 - Tag 19

∞  30 September 2008, 19:45

Erlebt am 11. November 2007 – Von Ceduna nach Eucla

Neue Panne – Weite Sensationen



Was für ein Gegensatz zur letzten Nacht: Nun liege ich zwar nicht mehr im Auto, sondern im Zelt, dafür bin ich geradezu von anderen Campern belagert, und die Laterne des Camping-Platzes strahlt mir direkt aufs Zeltdach… Obwohl wir nur durch eine schmale Strasse vom Strand getrennt sind, ist kein Luftzug auszumachen. Die Nacht ist sehr warm und bis halb zwei in der Frühe ist an einen tiefen Schlaf nicht zu denken. Um halb Sieben muss Thinkabouts Wife zum Pipi-Stop – da können wir auch gleich aufstehen, denke ich, bleibe aber noch liegen und wälze mich zur Seite.

Als meine Frau zurück kommt, macht sie einen Witz, den ich absolut nicht lustig finden kann. Die helle, mir so vertraute Stimme fragt mich durchs Zelt:
“Weisst Du schon das Neueste?”
Wie sollte ich, wenn ich mich doch fühle wie eine alte Socke, die nicht ausgelüftet wurde?
“Wir haben vorne rechts einen platten Reifen!”
Ich will eigentlich entgegnen, dass ich schon besser über Witze gelacht hätte, und sage wohl auch etwas Ähnliches. Dabei weiss ich aber schon, dass die Bemerkung meiner Liebsten KEIN Witz war. Es passt einfach zu gut zu meiner Verfassung. Also stehe ich nun wirklich auf, was bedeutet, dass ich erst einmal aus dem Zelt krieche. Wenigstens ist die Aussenhaut diese Nacht kaum feucht geworden, denke ich doch tatsächlich einen positiven Gedanken, und dann schaue ich mir die Bescherung an. Platter geht es nicht.


Wenn du eine solche Bescherung präsentiert kriegst, gehen dir tausend Dinge durch den Kopf: Heute ist nicht Samstag, wie gestern, heute ist Sonntag, also Ruhetag. Keine Garage hat offen. Heute ohne Ersatzreifen unterwegs sein? 500km unbewohnte Gegend liegen vor uns im “Nowhere” bis Eucla.

Was soll ich sagen? Das beste gegen solche Trübsal ist die nächste Tat, immer nach der Prämisse: Was ist als erstes zu tun?
Ich wechsle also das Rad. Jetzt weiss ich auch schon, wo der Wagenheber liegt und wie ich ihn ansetzen muss. Quasi vor Publikum und unter dem ehrlichen Bedauern der Nachbarn liege ich im Kies und werkle wie ein Profi, der jeden Tag nichts anderes macht, als Reifen zu wechseln. Dafür war also die gestrige Reifenpanne gut: Um mir das Training zu verschaffen, dass ich mich jetzt nicht blamiere.

Danach gibt’s Frühstück, und Kriegsrat. Mein Copilot hat bei der Verwaltung des Camping-Platzes Informationen über das örtliche Handwerk eingeholt. Und in Ceduna gibt es eine grosse BP-Tankstelle mit angeschlossenem Bridgestone-Reifenservice.
Natürlich tanken wir da voll und bringen dann unser Anliegen, so als guter Kunde, vor. Ich glaube zwar, die Tatsache, dass wir bemitleidenswerte Touristen mit Grünspan hinter den Ohren sind, wirkt überzeugender. Mann ist ja kein Unhold und Touristen-ins-Verderben-laufen-Lassender, und also sperrt der gute Kerl seine Werkstatt auf und ersetzt uns den Schlauch.

Anschliessend sehen wir dem Tag etwas zuversichtlicher entgegen. So viel Pech gibt es ja gar nicht. So viel Glück im Unglück allerdings auch nicht. Übers Wochenende mitten im Nowhere zwei Mal sofort Ersatzreifen bzw. –Schläuche zu bekommen, ist auch nicht schlecht.
Also finden wir, dass wir uns ein Magnum-Glacé mehr als verdient haben. Die Errungenschaften der Zivilisation haben schon auch was für sich.

Die Reise nach Eucla verläuft dann auch ohne grosse Zwischenfälle, und 500 km an einem Tag sind an sich denn auch kein Problem: Die Reisegeschwindigkeit ist zügig, aber nicht stressig, da wenig Verkehr herrscht, und die Strasse ist zwar scheinbar eintönig, weil oft schnurgerade, aber als Schweizer, die wir uns gewohnt sind, dass es nie lange geradeaus oder ebenaus gehen kann, ist das noch immer eine Sensation.

Städte oder Dörfer gibt es nicht. Wir halten an Tankstellen, um die herum sich wenige Gebäude gruppieren, wobei ganz sicher ein Roadhouse dabei ist – mit Übernachtungsmöglichkeiten. An solchen Orten oder auf Park- und Picknick-Plätzen wird dann der Hund Gassi geführt, oder tankt der Motorradfahrer, der auf seiner Maschine im luftigen T-Shirt gegen Westen fährt.

Rund um ein Roadhouse gibt es also ein wenig Betrieb. Es lässt sich nicht sagen, dass hier das Leben brodeln würde vor Dynamik, aber immerhin begegnet man fremden Nasenspitzen. Mit einer Ausnahme: Wie wir schon im Internet lesen konnten oder mussten, ist das Yalata-Roadhouse geschlossen. Es gehört den Aborigines. Genau genommen ist die ganze Nullarbor Area Aborigines-Land. Hier soll der Ort sein, an dem sie auch von den Reisenden profitieren und ihre Einnahmen erwirtschaften können. Doch das Yalata, ältestes Roadhouse an der Strecke überhaupt, ist nicht in Betrieb. Es soll Streit um die verweigerte Alkohollizenz geben – 80% der Ureinwohner haben ein Alkoholproblem – während die weissen Australier der benachbarten Rastplätze nur mit der Schulter zucken und meinen: “They are too lazy.”




Auf den langen oft fast kurvenlosen Strecken hat man genügend Zeit, den eh nur alle paar Minuten vereinzelt auftauchenden Gegenverkehr zu studieren.




Und die Bunda Cliffs werde ich so schnell nicht vergessen! Die höchsten und steilsten Klippen der ganzen Küste bilden hier Aussichtsplattformen (Head of Bight), die mehr als hundert Meter über Meer einen atemberaubenden Ausblick aufs Wasser schenken: Das tiefste und doch strahlendste Blau, das ich je gesehen habe, breitet sich ruhig vor mir aus. Und doch schieben sich gewaltig lange, flach anrollende Wellen immer wieder gegen die Küste, während der fernste Blick noch keinen Zweifel daran lässt, dass kein Ende zu sehen ist, nur eine Krümmung, auf der mein Blick weiter gleitet, einer sicheren Bestimmung entgegen, wie sie die Schwerkraft und andere Naturkräfte vorgeben…
Aber um uns tobt das Leben, mit mahlender und doch Ruhe ausstrahlender Kraft. Hier, wo meine Position den weiten Blick erleichtert, wird mir bewusst, wie müde uns die Macht der Meeresgewalten in diesen Wochen auch gemacht hat. Der Eindruck der ständig wirksamen und sichtbaren Kraft von Wind und Wasser ist äusserst nachhaltig, und die dazu passenden Geräusche begleiten jeden Gang der Küste entlang.




Wir spazieren also zu unserem winzig wirkenden Auto zurück, das uns, mal abgesehen von der fehlenden Hornhaut an seinen Füssen, doch ein treuer und sicherer Begleiter ist, und karren uns zum nahe liegenden Border Village. Auch dies ist, wir wollen ja nix Neues anfangen, nicht viel mehr als eine Tankstelle mit Haus.


Hier informiert ein witziger Wegweiser die Reisenden so in etwa darüber, wie weit sie es dann noch etwas bis nach Hause haben. Dahinter liegt gleich die sogenannte Fruchtfliegengrenze, an der eine sehr genaue Kontrolle durchgeführt wird. Dafür gibt es tatsächlich eine bauliche Wegsperre, die mit einer Mautstelle vergleichbar ist und von einer Art Zollhäuschen bewacht wird, oder wohl eher vom Beamten darin, von dessen Art ich selten einen freundlicheren und dabei verbindlicheren Vertreter getroffen habe.

Fragen Sie mich nicht, was das Dorf Eucla hergibt. Wir sind bis zu unserer Weiterreise am nächsten Tag nicht dahinter gekommen, ob es eher hinter oder vor dem Caravan Park liegt, und vor allem nicht, wo die Abzweigung dafür wäre, aber den Campingplatz haben wir gefunden. Und Thinkabouts Wifes Vorbereitungen sind so akribisch, dass wir scheinbar die einzigen zu sein scheinen, die wissen, dass diesem Caravan Park vier Kilometer vorgelagert, unmittelbar an der Küste, eine alte Telegraphenstation langsam aber sicher im Sand versinkt. Dahinter liegt ein atemberaubend weiter und hell leuchtender, weil komplett weisser Sandstrand. Er ist menschenleer. Ausser einem einzigen jungen Pärchen. Eine Polin, ein Neuseeländer und zwei glückliche Schweizer. Vier Menschen an einem viele Kilometer langen weissen Sandstrand. Wir machen Erinnerungsphotos und beglückwünschen uns zur Einmaligkeit dieses Ortes, der so grandios ist, dass wir uns gar nicht satt sehen können. Das alte, verlotterte Jetty, das ins Nichts hinaus ragt und an dem nur noch die Kormorane andocken, macht die Szenerie beinahe kitschig.




Ausser uns verirrt sich scheinbar niemand hierher. Es ist, als würde die Einöde der vielen Landstrassenkilometer hinter und vor uns sich über das Gemüt der Menschen legen. Ankommen, essen, vielleicht ein wenig trinken, und schlafen vor allem.
Und das machen wir jetzt auch, nachdem das angegliederte Roadhouse eine Art Vegi-Big-Mac auf Plastiktellern für uns produziert hat, die wir auf Plastikstühlen an einem Plastiktisch zu uns nehmen, während ein junges Ehepaar mit drei Kindern eine halbe Stunde hin und her überlegt, ob man denn nun hier was essen wolle oder eben doch lieber nicht. Die Bestimmungslosigkeit, die sich wie eine ganz eigene Verlorenheit während weiten Reisen auf die Menschen legen kann…