Reflexionen

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Vietnam: Hanoi - Halong Bucht

∞  20 Oktober 2009, 10:34

Erlebt am 11.April 2009
[ gesammelte Fotos im Album ]
[ Landkarte: Hanoi und Halong ]


Um 08:30 fahren wir los. Es geht uns gut, wir fühlen uns fit und bereit, den letzten Höhepunkt unserer Reise zu einem solchen werden zu lassen. In der Nacht hat es geregnet, jetzt klart es langsam auf; aber die Luftfeuchtigkeit beträgt noch immer über 85%.
Selbstverständlich werden auch heute wieder Schweine auf Mopeds transportiert,




ebenso Geflügel,




und alles was man sich denken kann, oder eben undenkbar scheint. Am Strassenrand werden frische Baguettes angeboten, manchmal stehen bis zu zwanzig Verkäuferinnen hintereinander. Wir überqueren den Song Hong, also den Roten Fluss und fahren auf einer sehr schönen Strasse erst gegen Norden, wo wir nur noch 100km von der chinesischen Grenze entfernt sind, und dann nach Osten ans Meer. Zuerst kommen wir an vielen Ziegeleien vorbei, sehen einige Bauruinen, denn auch hier sind die Rohmaterialpreise gestiegen, dann wird die Gegend ländlicher, Städtchen werden zu Dörfern,




Bauern arbeiten auf ihren Reis- und Gemüsefeldern.

Bis jetzt war nicht klar, ob J mit uns auf die Dschunke kommt, denn normalerweise macht jemand von der Crew den Reiseleiter. Es hat aber noch eine freie Kabine, und so kann uns J begleiten, was uns natürlich sehr freut. Nach gut drei Stunden sind wir im Hafen von Halong angekommen. Hier herrscht ein unheimliches Gewusel, unzählige Touristen wollen sich hier einschiffen, es liegen mehr Dschunken vor Anker, als ich in HongKong je gesehen habe. Die Halongbucht mit ihren über 3000 Kalksteinfelsen ist nun mal die Touristenattraktion Vietnams und auch völlig zurecht ein weiteres UNESCO-Welterbe.

J scheint hier Gott und die Welt zu kennen, begrüsst alle freundschaftlich, lotst uns durch das Gewühl und die Kontrolle (die wir dank ihm wohl schneller passieren als andere) und schliesslich auf unser Schiff, eine Huong Hai Dschunke.




Zum Glück haben wir nur die kleine Tasche mit, so ging das alles recht zügig. Jetzt sitzen wir auf dem Oberdeck und haben nebst einem Erfrischungsröllchen auch einen Welcomedrink erhalten. Zwei Australier gesellen sich zu uns, wieder ein Paar aus Adelaide; einfach nette Leute, die Aussies.

Unsere Dschunke ist eher eine kleine, sie hat nur zehn Kabinen, aber alles, was ein Schiff zu einer Dschunke macht, inkl. geschnitzten Drachen, separatem Kapitänshäuschen und Segel, worauf letztere kaum je gesetzt werden, gefahren wird ausschliesslich mit Motor, allerdings ist das ein fast geräuschloses Gleiten, ein gemütliches Tuckern.

Total sind wir dreizehn Passagiere, darunter eine spanische Familie mit einem ca. zwölfjährigen Sohn. Die haben sich nicht nur eine Vietnamreise, sondern auch eine Spiegelreflex-Digikamera samt einigen Objektiven zum Festhalten derselben geleistet. Das Ding ist also neu, die Unsicherheit gross, der Stress noch grösser. Die Mutter klinkt sich bald einmal aus, konzentriert sich auf ihre Handycam, mit der sie bestens klarkommt. Der Sohn bleibt ganz gelassen, scheint als Einziger die Funktionsweise der neuen Kamera intus zu haben. Der Vater ist völlig aus dem Häuschen, gibt Anweisungen, um sie gleich zu revidieren, dies alles natürlich auf Spanisch, einer an sich hart klingenden Sprache. Er kann keine zwei Minuten stillsitzen: der Speisesaal muss doch fotografiert werden, die Gemahlin soll bitte Platz nehmen – oh, jetzt läuft das Schiff aus, also Weitwinkel montieren, ganze Familie zum Bug, bitte recht freundlich, nein, noch ein wenig nach rechts, ja, so ist es gut – da hinten sieht man schon die ersten Felsen, schnell, wo ist das Zoom…




Ich bin nicht die Einzige, die amüsiert zusieht, wie das kleine Männchen mit Brille und Halbglatze rotiert; von mir hat er schön längst einen Spitznamen bekommen: Marabu auf Ecstasy.

Der Speisesaal ist mit echten Grünpflanzen dekoriert, die Zweiertischchen weiss gedeckt, direkt an den grossen Fenstern.




Während die Anderen Seafood schlemmen, schwelgen wir in den auserlesensten Fleischersatz-Kreationen, wie wir sie so in Europa gar nicht kennen.

Die Crew ist aufmerksam und freundlich, unsere Kabine klein und schnuckelig, inkl. Rüschenvorhängchen. Wir stellen nur schnell unsere Tasche rein, zu spannend ist das Gekurve um die skurrilen Felsen, die in diesem Dunst richtig mystisch wirken. Durch die Fahrt verändert sich ständig die Perspektive, sodass immer wieder neue Ansichten geboten werden.




Obwohl so viele Dschunken unterwegs sind, verteilen sie sich gut; ich habe nie das Gefühl, in einem Konvoi zu fahren, zudem machen sie sich gut zwischen den Felsen.




Auf dem Schiff selbst steht man sich auch nicht auf den Füssen, jeder findet ein gutes Plätzchen, nur der arme Spanier steht sich selber ständig im Weg.

Am Nachmittag legen wir bei einem Felsen an, der ein Geheimnis birgt, das erst vor zwanzig Jahren entdeckt wurde: die immense Tropfsteinhöhle Sung Sot. Dank unserem kleinen Schiff können wir direkt am Pier ankern,




brauchen kein Tenderbötchen, das uns an Land bringt. J kennt wieder einmal ein, zwei Abkürzungen, sodass wir unsere Fotos von den Aussichtspunkten auf die Bay hinunter bereits gemacht haben




und in die Höhle steigen,




während viele andere noch nach dem richtigen Weg schauen.




Diesen Vorsprung brauchen wir auch, denn die Aufenthaltszeit ist relativ knapp bemessen, für das, was es hier alles zu bestaunen und zu fotografieren gibt. Zuerst denkt man, die Höhle sei gar nicht so gross, aber das ist nur die Vorhalle; es gibt einen schmalen Durchgang, und dann eröffnet sich erst die riesige Haupthöhle, die bis zu 30m hoch ist.




Wunderschön ist es hier, auch die Beleuchtung ist gut, (fast) alles in natürlichen Farben.








Als Letzte sind wir wieder auf dem Schiff zurück. Es ist inzwischen recht warm geworden, und das Erfrischungsröllchen kommt gerade recht.

Wir dürfen uns aus einer riesigen Früchteschale bedienen und geniessen die vollreifen Mangos, Nakis, Drachenfrüchte, Mandarinen und Aepfel, während der Weiterfahrt.

„Jetzt müsst ihr nur noch 400 Stufen hoch, dann habt ihr euer Tagespensum geschafft!“ Ich glaube an einen von J’s Scherzen, aber der deutet nur auf einen weiteren Karststeinkegel, auf dessen Spitze ein tempelartiges Gebäude steht. Das habe ich fotografiert, und mich noch gefragt, wer da wohl hochklettert…




Die Aussicht soll phantastisch sein, und auf mittlerer Höhe gebe es schon eine Aussichtsterrasse, „für all die Nicht-Fitten“. Dabei glitzern J’s Augen wieder einmal so listig: er organisiere die Tickets und warte dann unten, bis wir wieder kämen.

Da legen wir auch schon bei der Titov-Insel an, und los geht’s. Die Treppenstufen sind zum Glück nicht überhoch und der Muskelkater hat sich aus meinem Oberschenkel verabschiedet. Es ist gut 30°, die Luftfeuchtigkeit enorm. Schon nach wenigen Stufen schwitzen wir aus allen Poren. Ich schaffe es tatsächlich bis nach oben, obwohl ich mir auf dem letzten Stück jeden Tritt abringen muss. Die Aussicht lohnt die Anstrengung aber wirklich!






Jetzt unbedingt in Bewegung bleiben, nur ja nicht hinsetzen, sonst stehe ich ewig nicht mehr auf.

Runter ist für mich immer schwieriger, da wird mir auf langen Treppen schnell schwindelig und die Knie instabil. Ich bin froh, kann ich mich hinten an Thinkys Rucksackgriff festhalten. Zusammen schaffen wir auch dies und treffen J inmitten seiner Bekannten an.

Thinky kann sein Hemd und T-Shirt auswringen, ich schwitze generell weniger, bin jedoch froh um den Stuhl auf dem Oberdeck. Es ist nach 17:00 und das Licht so schön, wenn vom Sonnenuntergang auch nur eine Ahnung bleibt.




Die Dschunke fährt in eine ruhige Bucht, an einen Sammelplatz, wo wir über Nacht ankern.

Nach einem ausgezeichneten Nachtessen




unterhalten wir uns lange mit J, der eine wunderbare Art hat, uns sein Land und die Menschen näher zu bringen. Ich könnte ihm stundenlang zuhören!


Am Ende noch das Paradies


Dieser Tagebucheintrag wird wohl kürzer werden… Nicht, dass ich nichts zu erzählen hätte. Es ist – im Gegenteil – traumhaft schön. Und genau dafür fehlen ein wenig die Worte. Hinzu kommt: Wir nehmen Abschied. Mir ist ein wenig feierlich zumute, wehmütig, aber nicht traurig fühle ich mich. Es wird uns nicht leicht fallen, uns von J. zu trennen.
Morgen wird mir der zweite Teil der Reise auf diesem Schiff viel zu kurz erscheinen – und danach haben wir praktisch nur noch die Rückreise im Blick. Einmal ist es immer so weit. Noch nie, allerdings, habe ich mich inmitten eines so faszinierenden, natürlichen Weltwunders, auf die innere Rückkehr begeben.
Ich mache für heute Schluss. Sonst ziehe ich doch noch Mücken an mit meinem Licht. Bis jetzt fehlen sie völlig, und das darf so bleiben. Es ist sehr, sehr still hier. Auch in den eigenen Gedanken.