Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
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Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Unterwegs im Mekongdelta (Vinh Long)

∞  6 Juli 2009, 18:00

Erlebt am 29. März 2009


[Karte rund um Vinh Long
Bilder: Album ]


Wir setzen über den Fluss, wo T uns bereits erwartet, um uns nach Vinh Long zu bringen.
Der Mekong verzweigt sich hier in 9 Hauptarme und unzählige Nebenflüsse, die gemeinsam das riesige Delta bilden.

Wir besteigen wieder einen Sampan, überqueren damit einen Hauptarm und besuchen eine Ziegel- und Terracota-Fabrik, die ihre Oefen ausschliesslich mit Reisspelzen befeuert, die auf grossen Schiffen angeliefert werden. Wirklich interessant, wenn auch nicht gerade kühl, ist es hier…




Mit an Bord ist ein „Offizieller“; der wohl sicherstellen soll, dass niemand den Leuten hier Flausen demokratischer Art in den Kopf setzt; die Südvietnamesen sind einiges aufmüpfiger und empfänglicher für westliches Gedankengut als ihre Landsleute im Norden. Das Ganze ist aber eher eine Proforma-Sache: der junge Mann war M’s Schüler in der Tourismusfachschule.


Eine Art Aufpasser



Offensichtlich ist es in einigen Provinzen Usanz (oder Vorschrift), dass Reisende ungefragt von einem zusätzlichen Guide begleitet werden – neben dem Reiseleiter, der von der Agentur angestellt ist. Der Ortsansässige soll wohl mit zusätzlichen lokalen Informationen einen Gewinn für die werten Touristen darstellen. Das ist, pardon, natürlich Blödsinn. Der Aufpasser dürfte in einer ganz anderen Firma angestellt sein als unser M. und wohl darauf achten, dass uns M. nur mit jenen Informationen versorgt, die für Touristen auch wirklich bestimmt sind. M. nimmt das locker und meint lächelnd, er würde den jungen Mann gut und schon lange kennen und jener könne nach wie vor viel von ihm lernen, er hätte ihn ursprünglich auch schon ausgebildet.

Der junge Aufpasser ist höflich, aber vielleicht könnte man es auch schleimig nennen. Ich wundere mich einmal mehr vor allem über das System und seine Jünger, die ich gerne mal fragen würde, was sie glauben, damit bewirken zu können? Ich bin auch nicht über den jungen Mann verärgert, gebe ihm am Schluss auch ein Trinkgeld. Ich frage mich allerdings, wie man als junger Mensch mit diesem Lebensinhalt zufrieden sein kann?

Die Situation ist – im Kontext dessen, wie wir Südvietnam ansonsten erleben – schlicht lächerlich, grotesk und absurd. Und gleichzeitig ist da das ungute Gefühl, dass solche Strukturen sehr schnell verbindlichen Druck aufbauen können, wenn das politische Klima rauer wird. Zur Zeit sieht man zwar im Süden wie im Norden (dort mehr) beflaggte Gebäude der Partei und so manches Spruchband, das über die Straße gespannt ist. Es gibt nur DIE Partei, die sich aber ziemlich pragmatisch gibt und soziale Marktwirtschaft mit der Möglichkeit von Privateigentum propagiert. China scheint da eine Art Vorbild zu sein. Die Vietnamesen haben vom Krieg, ja von der Politik ganz allgemein genug, und es ist klar: Zu viel Repression im Süden bedeutete Ausdünnung (durch Auswanderung), und die kann und will sich die Partei nicht leisten.



Durch kleine Kanäle fahren wir weiter, legen bei einer Gärtnerei an, sehen, wie Obst gezogen und durch Plastiksäckchen vor Schädlingen geschützt wird.




Hier können wir Früchte degustieren und bekommen auch einen Reisschnaps. M zeigt uns eine grosse Flasche mit Schlangen drin: die sind nicht etwa in Formalin eingelegt, sondern in Alkohol. Schlangenschnaps soll potenzfördernd sein. M nennt es nur „die schlimmen Flaschen“,




die es auch noch mit Geckos und Seeferdchen gibt. Prost!
Momentan ist Ebbe, und unser Boot bleibt fast stecken. Obwohl wir hier noch 160 km von der Mündung entfernt sind, beträgt die Differenz zwischen Ebbe und Flut 2 m.
In einem Familienbetrieb wird Puffreis, Reisblätter für Frühlingsrollen




und Bonbons aus Palmzuckersaft hergestellt. Die Vietnamesen zeigen sehr viel Eigeninitiative, wollen es zu etwas bringen, lassen sich durch den Staat nicht behindern, besonders seit der Aufhebung des Handelsembargos durch die USA 1994. Das schlägt sich in einem gewissen Wohlstand nieder.
Mit dem Sampan fahren wir weiter durch den schwimmenden Markt von Cai Be. Hier ist nicht mehr viel los, die meisten Händler schlafen, aber die Fahrt durch den Ort ist interessant, bietet gute Einblicke in den Alltag der Menschen hier.




Etwas ausserhalb legen wir erneut an. Wir essen in einem Restaurant, das sich in einer alten, typisch südvietnamesischen Villa befindet, die in einem herrlichen Garten liegt.


Auch hier ist das Essen ausgezeichnet und wir probieren Lotosstängel, der die Bittergurken bei Weitem schlägt. Die Familie spricht französisch, bedient werden wir hauptsächlich von der pubertierenden Tochter. Die ist so überdreht, dass ich versucht bin zu sagen, Mädchen, was immer du nimmst, nimm weniger!

Wir unterhalten uns mit dem Offiziellen, ein wirklich netter Kerl, der uns unterwegs auch immer wieder einmal auf eine Besonderheit aufmerksam machte, und uns von seinem eigenen Leben hier im Delta erzählt.
Wieder auf dem Boot bekommen wir vom Kapitän frische Kokosnüsse, dann schippert er uns zurück nach Cai Be, wo wir aussteigen.
Wir geben ihm und auch dem Offiziellen ein kleines Trinkgeld; beide sind sehr überrascht und freuen sich ausserordentlich.

M gibt T über das Handy unseren genauen Standort durch. Der hat inzwischen drei Überfahrten mit der Fähre und entsprechende Wartezeiten hinter sich. Schnell ist er da, reicht uns Mineralwasser aus der Eisbox und die obligaten Tüchlein. Er ist ein ganz typischer Fahrer: jeder Schritt ausserhalb des klimatisierten Wagens ist für ihn einer zu viel, und deshalb haben wir immer sein volles Mitgefühl, wenn wir vom „Feindesland“ in den Schutz seines Autos zurückkehren.




Die gesamte Reise lässt sich chronologisch nach und nach in der Sektion “GEREISTnachlesen