Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 5 (3)

∞  4 August 2007, 16:44

Erlebt am 11. Juli 2006, bei Chuulut Sum


Was für ein Fest!


Ono kocht danach Salzfleisch für unsere Reise: Eingesalzen ist das Fleisch gut haltbar. Vorne köcheln Teile der Innereien.



In der Vorratshütte ist die Milchkanne vorbereitet worden: Im Feuer siedend heiss gemachte Steine werden eingeschichtet, darauf kommt eine Lage Fleisch, dann wieder Steine, usw., durchsetzt mit Kartoffeln und Gemüse, sofern vorhanden.





Draussen bleibt das Wetter wechselhaft. Immerhin beginnt es nie zu regnen, obwohl es sehr wohl und beinahe ständig danach aussieht…

Für uns ist es Zeit, in die hohe Kunst der nomadischen Yak-Milchwirtschaft eingeführt zu werden.




Nicht nur ich bin da skeptisch!




Thinkabouts Wife bekommt einen schönen Del geliehen. Dann heisst es, sich sorgfältig die Hände zu waschen (jawohl, davor!), und dann geht es auch schon los. Ich bin erst distanzierter Beobachter, verkneife mir aber das Lachen. Nicht aus Höflichkeit, sondern aus weiser Voraussicht. Es stellt sich nämlich für uns beide heraus, dass es gar nicht so einfach ist.





Bei meiner Grösse beginnt das Problem schon damit, wie ich überhaupt auf dem Schemelchen mit dem Eimerchen zwischen den Knien unter das Tier komme…





Von den Tieren lerne ich Gleichmut, aber das ist auch fast schon alles. Mit rechts klappts ganz gut, aber mit links geht fast gar nichts. Die Zitzen sind sehr weich und warm, und wenn die Milch tatsächlich in den Eimer schiesst, dann bekomme ich zumindest eine Ahnung davon, was für ein Segen dies ist. Auch wenn die Tiere hier pro Melkgang wohl höchstens einen Liter Milch geben – auch wenn die Melkerin ihr Handwerk versteht. Der Rest gehört den Kälbern und Rindern, die schon vor dem Melken kurz zur Mutter gelassen werden, um den Milchfluss anzuregen.



Danach sägen und hacken wir Holz, um uns wirklich etwas nützlich zu machen, und der Schweiss rinnt uns schon bald übers Gesicht, während die Sägespäne in den Augenwinkeln hängen bleiben.


Bild: Das Ergebnis der letzten Schafschur

Bald darauf, es ist noch lange hell, die Sonne geht erst in Stunden unter, ist es Zeit zum Essen. Was unsere Gaumen nun vorgesetzt bekommen, ist der beste Schmaus seit langem. Unglaublich. Ich habe noch nie eine solche Leber gegessen. Sie zerfliesst fast auf der Zunge. Der Geschmack des Fleisches ist mild und würzig, herrlich. Und das im Fleischsaft gegorene Gemüse kann ich noch Minuten nach dem Genuss auf der Zunge schmecken.

Zum Schluss gibt’s eine würzige Suppe aus dem abgeschöpften Saft, die kein Kräuterspezialist der Welt so hinbrächte, und dann werden die Steine heraus genommen und rumgereicht. Die sind noch richtig heiss, und man tut gut daran, sie schnell von der linken in die rechte Hand zu legen und wieder zurück, weil man sich sonst die Hände verbrennt. Zumindest wir Ungeübten. Die Stimmung ist fröhlich, das Gelächter gross – aber auch die Zufriedenheit in allen Gesichtern, weil es uns wirklich keine Mühe macht, ehrliche Begeisterung zu zeigen.
Dass es davon keine Bilder gibt? Tja, tut mir leid. Der Magen lag mir näher… Und mit fettigen Fingern die Kamera bedienen…

Dann besprechen wir kurz die Route für morgen. Ono und Baktar lassen sich beraten, denn diese Menschen kennen diese Gegend wie ich meine Hosentasche. Oder besser. Dann wird der Vodka in einem winzigen Glas herum gereicht. Wir trinken bedächtig, denn es heisst, sich zu konzentrieren: Thomas hat das bei uns beliebte Kartenspiel UNO mitgebracht als Geschenk, und wir erklären es in der Runde.



Obwohl Ono übersetzen kann, stellen wir uns das zu Anfang recht schwierig vor, aber denkste.




Nach zwei Proberunden mit offenen Karten hat unsere Gastgeberfamilie genug von der Theorie. Jetzt will Jung und Alt “richtig” spielen.



Die Stimmung ist ausgelassen, und es ist herrlich, im Spiel diesen Menschen auf gleicher Ebene zu begegnen: Die Sprache spielt keine Rolle mehr. Und da es ein Glücksspiel ist, verwundert es nicht, dass der Sieg gleich zu Beginn schon in der Mongolei bleibt. Denn in dieser Yurte wohnt in diesem Augenblick sehr viel von dem, was wir an Glück erkennen können.





Trotzdem erkläre ich, dass wir das jetzt so lange spielen werden, bis ich auch einmal gewinne. Grosses Gelächter. Wir sässen noch heute da, denke ich. Der Sieg blieb im Camp, jedes Mal. Nein, einmal hat Baktar unsere Ehre gerettet.

Das Fest ufert nicht aus. So selbstverständlich schlicht und plötzlich, wie dieser schöne Abend begonnen hat, geht er auch zu Ende. Noch bevor die Dunkelheit nach halb elf in der Nacht herein bricht, ist Schlafenszeit. Das Tagwerk morgen beginnt für alle früh.

Wir haben etwas Sorge, was passiert, wenn wir nachts raus müssen. Die Familien haben junge Hunde, die recht aggressiv sind (Hunde gehören generell zu jeder Familie, und fährt man an einer Jurte vor, empfiehlt es sich, nicht auszusteigen, so lange man den Hund nicht gesehen hat und er sich friedlich zeigt). Man beruhigt uns. Sie bleiben in dieser Nacht angebunden.

Und dann liege ich zum ersten Mal unter der Plane des eigenen Zelts, meine Weggefährtin auf zwanzig Fernreisen neben mir. Dieser Tag war wunderbar, wenn er auch zu Anfang hart verdient werden musste. Höchst zufrieden suchen wir den Schlaf. Wir werden ihn nicht für die ganze Nacht finden…

Bilder beim Kartenspiel: Thinkabouts Wife