Reflexionen

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Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Mongolei 2006 - Tag 14

∞  30 September 2007, 22:14

Erlebt am 20. Juli 2006, In den Dünen von Mongol Els


Kamele sind auch Esel


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Weitere Bilder folgen später

Wir frühstücken neben gepackten Taschen. Aber wir haben Zeit. Unser Führer ist nicht zu sehen. Und wir sähen ihn schon von Weitem kommen, so flach ist das Land. Dann sind doch Punkte auszumachen, und bald können wir im Feldstecher eine erste Kamelbeschau durchführen. Wie schon oft gesehen, sind die Tiere ziemlich mager, die Höcker zum Teil traurig abgeklappt. Ihr Schreiten aber hat einfach etwas Stolzes an sich, jede Bewegung ist von Gelassenheit getragen und doch effektiv, zweckgerichtet und voller Kraft.

Und in den Augen haben diese Tiere eine mattbraune Tiefe, die eine grosse Ruhe ausstrahlt. Und die Besitzer gehen anständig mit ihren Tieren um, so weit wir das beurteilen können.
Unser jungfräulicher Touristenführer ist zwar um eine Stunde verspätet, auch hat er keine Gepäckkisten dabei, wie versprochen, dafür eine ganze Menge aus Schaf- und Kamelwolle geflochtene Seile.



Diese Kamele, liebe Leserinnen und Leser, sind Lastenkamele, und sie müssen sich wegen uns nicht an Sättel gewöhnen. Die gibt es nicht. Mann (und Frau) sitzt auf mehrfach umgeschlagenen schweren Decken, die den Tieren über den Rücken und die Rippen gelegt werden. Das fühlt sich beim ersten Aufsitzen ganz gut gepolstert an, und so harre ich mit Zuversicht dem, was nun kommen wird: Die eigenartige Wiegebewegung, wenn sich ein Kamel aus dem Liegen erhebt. Erst kippst Du vornüber, dann wirst Du nach hinten fast abgeworfen und dann nach vorn nochmals durchgereicht. Das ist natürlich schwer übertrieben, und mit ein bisschen mit- und vorausdenken lässt sich das gut ausbalancieren.

Nach zwei Minuten setze ich bereits die hohe Kunst des Kamelreitens in die Tat um. Was bedeutet, dass ich versuche, mein Wüstenschiff zu lenken. Das geschieht mittels einer Führungsleine, die mit einem in den Nüstern steckenden Holzstift verbunden ist. Ein „einarmiger“ Zügel also, dessen Betätigung den Tieren allerdings nicht viel auszumachen scheint, zumindest nicht dann, wenn ihr Ego das nicht zulässt. Das grösste Problem ist aber nicht das Lenken nach links oder rechts, sondern das Bremsen und Gas geben. Akkustisch haben wir bald den Bogen raus, und so wankt unsere Karawane je nach Temperament der Reiter unter lauten bis gepressten „Zoc-Zoc“ und „Hutsch“-Rufen (Halt und Hü) den Dünen zu, wenn auch im Schneckentempo, das von der Gutmütigkeit der Tiere abhängt.

Es scheint uns, dass wir überhaupt nicht vorwärts kommen, und doch befinden wir uns nach kurzer Zeit bereits zwischen den Dünen, als würden wir von ihnen lautlos verschluckt.



Thinkabouts Wife hat den Bogen noch am besten raus, und ich sehe das Erstaunen im Gesicht des Führers, als sie ihr Tier gleich hinter ihm auch über den weichen Sand auf die Kuppe dirigieren kann. Die Reiterin in ihr kann sich austoben.

Wir andern bräuchten gar nicht diese besondere Herausforderung, um restlos überfordert zu sein.
Ono hat zudem etwas mehr als nur Respekt vor den Viechern und ausgerechnet einen Hengst erwischt, der immer wieder mit dem Kopf nach hinten schlägt. Da Kamele einen erstaunlich biegsamen Hals haben und man sich aufwärts reitend auch noch nach vorn legt, reicht das aus, dass das Biest der armen Ono mit einem – wie ich behaupte – gezielten Kopfstoss eine Zahnkrone ausschlägt.
Wir sind kaum eine Stunde unterwegs, da spüre ich meinen Hintern kaum noch – bis auf das scheuernde Seil in meinem Schritt, das über die Decken gespannt ist – irgendwie müssen die ja halten, nicht wahr?

Nach zwei Stunden – ich hoffe, meine Erinnerung täuscht mich nicht, und es waren nicht nur fünfzig Minuten – sind wir reif für eine ausgiebige Rast. Die veranschlagten weiteren 10 km bis zu einem See in den Dünen, der eigentlich das Ziel gewesen wäre, werden von uns einstimmig zur Utopie des Jahres erklärt, und wir bilanzieren hoch über Mongol Els, mit einem majestätischen Ausblick von einem besonders imposanten Kamm über die Riesendünen blickend, unser grandioses Scheitern:

Wir wollten unbedingt eine Kamel-Karawanentour machen – und sind schon jetzt froh, wenn wir die Viecher in Ruhe lassen dürfen. Wir haben uns schönes Wetter für traumhafte Photos von einem märchenhaften Sonnenuntergang in den Dünen gewünscht, und sind nun glücklich, dass die Sonne kaum durchdrückt und Wolken keine Hitze aufkommen lassen.



Wir schwitzen auch so, als müssten wir die Kamele tragen, und nicht umgekehrt. Wir dehnen die Pause bis zum Picknick aus und hängen dieses gleich an die Pause an, und dafür ist der Ort einfach zauberhaft.
Das Spiel von Sand und Wind ist archaisch, wild, mächtig, ewig gültig in der Zeit, und wir hören die Dünen singen, als würde eine Hand Harfensaiten streicheln.

Inzwischen haben wir Gesellschaft bekommen von der Frau des Kamelzüchters und seinem Hund. Alle, inklusive Hund, lassen sich ihre Belustigung über unser Scheitern nicht anmerken. Die pure Höflichkeit paart sich mit Weisheit: Das wird ein bequemer Ferientag, ein bezahlter auch noch. Uns soll es recht sein!

Auch die zweite Etappe ist nicht kurz genug, dass mir eine weitere Erfahrung erspart bliebe: Mein bestimmt schon blank gescheuerter Hintern führt dazu, dass ich mich so verkrampfe, dass mir doch tatsächlich im schwankenden Passgang meines Kamels fast schlecht wird. Seekrank in der Wüste. Was für ein glorreicher Saubannerzug dies doch ist!

Unser Abendlager richten wir in einer Senke ein. Für unseren Guide haben wir Baktars Zelt mitgenommen. Onos Vater wird derweil in einer Jurte der Familie Gastrecht geniessen. Er wird wissen, warum er noch so gerne verzichtet hat… Und sich um den Reifen kümmern: Es muss ein neuer Schlauch eingesetzt und das Ventil ersetzt werden. Hier gibt es allerdings keine Werkstatt, aber wir haben ja ein Ersatzrad.

Das Abendmahl nehme ich auf dem Bauch liegend zu mir… ein Fertiggericht, koreanisch oder was weiss ich, es gibt die Dinger hier in jedem kleinen Laden. Die Nudeln sind scharf, sehr scharf. Je mehr Durst ich kriege, desto mehr Hunger bleibt mir, und so legen wir doch tatsächlich noch eine Portion auf, und die verätzt mir dann fast den Gaumen… Passt alles zu diesem Tag, irgendwie, und doch ist alles wunderbar. Ein kleines Abenteuer eben.

Aber wir reden auch ausführlich miteinander, tauschen uns über die unterschiedlichen Schulsysteme in der Mongolei und bei uns aus. Wie vorteilhaft oder nachteilig es für die mongolischen Kinder ist, dass sie in der Schule noch immer vor allem russisch lernen und kaum englisch. Es ist dies einer dieser Abende, wo Du unter einem fernen Himmel liegst, mit fremden Menschen, denen Du doch vertraust, und mit der Freiheit, Deine Neugier zeigen zu dürfen und Dich gleichzeitig am Interesse des anderen zu freuen. Fremdes wird einem deswegen nicht unbedingt vertraut, aber es befremdet nicht mehr, es bereichert.
Und für so manche Verständigung braucht es nicht mal Worte. Den Wettlauf auf den nächsten Dünenkamm lehne ich allerdings höflich ab…

Das Timing stimmt: Wir gehen früh schlafen, und schon bald fallen die Regentropfen schwer auf die Zeltmembran. In dieser Nacht in Mongol Els regnet es wie nie zuvor auf unserer Reise…