Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Blick der Armut

∞  28 Dezember 2007, 22:48





Dieses Bild bedeutet mir mit am meisten (Originalf durch Klick auf das Bild). Zu erklären ist das nicht mit der Wirkung oder der Aufnahmetechnik. Ich war eben da, habe dieses Quartier, diese Strasse physisch gespürt, wahrgenommen, aufgesogen, gefühlt. Und ich werde auch jetzt, bei der Betrachtung des Bildes, nicht an Dreck und Schmutz und Elend erinnert. Mich befällt aber eine Art Melancholie.

Es ist ein trauriger Nebelschleier auf mir, der mir den Mangel an eigener Würde anzeigt. Eine Würde, die ich nie besass, weil ich mich nie um das Brot auf meinem Teller zu kümmern brauchte. Wenn ich vor vollem Teller sitze, dann kann ich mit meinem Verstand begreifen, wie glücklich ich mich schätzen kann. Aber ich kenne sie nicht, diese Nähe der Not, die mich Demut lehrt – und wirkliches Glück empfinden lässt, wenn ich zu essen habe.

Aber ich kenne nun das stille Lächeln von Menschen in dieser Strasse, die mit Nichts viel haben und geben und ihr Leben viel selbstverständlicher angehen, als ich es je gelernt habe.

Ich kann mich erinnern, dass ich dafür kritisiert wurde, einem so ernsten Bild einen so farbigen Rahmen zu geben: das zieme sich nicht. Ja seht Ihr denn nicht, dass genau die Farbe des Rahmens in diesem Bild mit am meisten vorkommt?

Ist es richtig, in der Armut stets nur den Skandal zu sehen, Düsternis und Schrecken? Diese Menschen können reicher sein, als mir je möglich sein wird. Aber wenn ich nur ihre Lumpen sehe, dann kann ich ihnen nie als Empfangender gegenüber treten, obwohl sie mir so viel zu sagen, mich so viel zu lehren haben.
Wenn mein Schrecken vor dem Dreck blind ist für das Licht, blendet mich am Ende die Dunkelheit, die ich eben darin sehen will – und mein Bild wird farblos, weil ich meinen Blick und die Begegnung auf das Eine reduziere – auf eine Frage, die ich nicht beantworten kann, die aber nicht nur als Anklage, sondern als Ansporn, Aufruf, Zwischenruf, als Einladung zum Hinsetzen gewollt wäre:

Warum?

Was genau entrüstet mich?
Wer ist der arme Teufel?
Wer lächelt mehr?
Bin das wirklich ich?
Oder sind meine Bilderrahmen schwarz?
Sehe ich mit meinen Augen das Dunkel in mir überall und halte es einfach hier gerade nicht aus?
Ist es Liebe, die mich Mitgefühl leben lässt oder
Beklemmung, die, aus dem Unverstandenen geboren, nach schneller Befreiung schreit?

(c) Thinkabout 2005