Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
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Von einem Geplauder, und was davon blieb

∞  28 Oktober 2008, 22:42

Von meiner gestrigen Bahnfahrt durch die halbe Schweiz mag ich vorerst nur von einem Moment erzählen, einem Gedanken, der, einmal formuliert, den ganzen Tag über irgendwie bei mir blieb.
Es war im Golden Pass der ehrwürdigen Zentralbahn, als diese uns in einem sehr gemütlichen, sehr holzig möblierten Wagon gegen den Brünig buckelte und dabei von links nach rechts schwankte wie ein alter Schoner auf schwerer See, als ich einfach eine Weile nicht mehr anders konnte, als dem Geplauder weit hinter mir im mehr als halbleeren Wagen zu lauschen. Was es doch alles zu reden gibt, zumindest an einem Tag wie heute, der wohl für jeden von uns in diesem Zug ein Ferientag sein musste – ich konnte und kann nur staunen. Dabei war meist die gleiche hohe, leicht kratzende Frauenstimme einer älteren Frau zu vernehmen, die einfach nicht riskieren wollte, dass einer ihrer drei Mitreisenden etwas nicht sehen könnte, was sie eben selbst gesehen hatte.

Ich neigte den Kopf leicht zur Seite, und mein Blick kreuzte sich mit dem meiner Frau. Sie rollte die Augen und wir mussten lachen. Gott sei Dank, sagte sie, bist Du anders. Ich schmunzelte auch, und wurde wieder still.

Kaum einer meiner Freunde dürfte mich schweigsam nennen. Und dennoch sind es wohl gerade die Feunde, die wissen, was ich mit meiner Ruhe meine, die ich brauche. Bin ich mit einem Menschen allein, so kann ich sehr still werden. Ich liebe das Reden, aber ich mag es noch mehr, wenn es zu einer Stille führt, zu einem Einvernehmen, in dem man zusammen schweigen kann. Fühle ich mich in einer Gruppe unwohl, unsicher, so neige ich dazu, mich redend erklären zu wollen. Was eigentlich nie zu mehr Sicherheit führt…

Schweigsamkeit ist also etwas für besonnene, in sich ruhende Gemüter, und kann man sie zusammen leben, so wird die Sprache sparsamer, das Verbindende aber greift tiefer. Es ist, als würde der Hall der eigenen Stimme nicht länger die Schwingungen aus der eigenen Seele überlagern.

Und dann begleitete mich auch noch ein Gefühl von Wehmut, das sich in eine Form von Demut verwandelte: Ich dachte an meine Freunde, die trotz meiner lebendigen Art genau wissen, wovon ich rede, wenn ich von der gelebten Stille erzähle, und dann dachte ich an Momente, in denen ich mir selbst zuhören kann, wie einem guten Freund, und ich sann darüber nach, wie anders die eigene Stimme klingt, wenn sie nicht überzeugen will, sondern nur erzählen.

Und während ich so meinen Gedanken nachhing, gab es keinen Grund, zu reden. Niemand tat es neben und hinter und vor mir, denn mittlerweile fand ich mich in einem Pendlerzug wieder, in Lausanne, umgeben von Menschen, die viel dringender nach Hause wollten als ich selbst.

Ja, und später, im Nacht-Zug von Genf nach Zürich, da redete ich mit Thinkabouts Wife mehr, als den ganzen langen Tag zuvor, denn wir waren müde und versuchten, unsere Kopfschmerzen zu verscheuchen. Wir formten Worte dagegen und fanden sie, und über den ausgetauschten Worten trafen sich unsere Blicke. Und an Deine Augen, mein Liebes, an die kann ich mich auch heute genau erinnern.


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Bild: (c) Thinkabout: Pendlerzug im Bahnhof von Lausanne, 27.10.08




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