Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Von der tieferen und dabei unsichtbaren Wirkung der Kommentare

∞  7 Februar 2010, 17:48

Sie brauchen kein sozialkritisches oder politisch orientiertes Blog zu lesen, um sich mit einem ganz besonderen Phänomen auseinander setzen zu müssen: Mit harschen bis persönlich beleidigenden (anonymen) Kommentaren nämlich. Zugegeben, das Thema ist nicht neu, schon fast abgelutscht, womit ich schon beim Sprachslang angekommen bin, der solche Kommentare meist – abgesehen vom Inhalt – noch etwas schwerer verdaulich macht.

Aber neu oder zumindest in dieser Schärfe bisher nicht im Fokus ist die Tatsache, dass sich solche Debatten voller Trolle und Schmierfinke in reinen Technikblogs (oder gar gezielt dort???) entzünden können, wobei das Schema immer ähnlich ist: Ein Bericht über ein neues Produkt oder Kommentare dazu werden mit persönlichen Angriffen gekontert. Daran schaukelt sich dann die Debatte hoch, bis der Kommentar-Strang nur noch eine Troll-Kette abbildet. Hier soll es für einmal nicht darum gehen, wie solchem Tun am besten begegnet werden kann. Ich möchte lieber auf die Wirkung hinweisen, die das auf die stillen Leser hat – und das ist, ehrlich gesagt, meine eigentliche Sorge dabei:

Als Betreiber eines Blogs kann die Moderation eines Kommentar-Threads enorm kraftraubend und zeitintensiv sein. Der Schreibende darf sich dabei sehr glücklich schätzen, wird hier doch fast durchwegs mit grundsätzlich geleistetem persönlichem Respekt diskutiert. Aber auch dann gilt, dass man sich vertieft mit Widerspruch oder Kritik auseinander setzen muss, in einem Mass vielleicht, das man gar nicht eingehen wollte und zu dem man sich auch nicht von Unbekannten genötigt sehen möchte.

Vielleicht haben Sie es selbst schon beobachtet – es ist allerdings erst dann wirklich zu ermessen, wenn man es am eigenen Leib erlebt hat:

Kommentiert man einen Artikel, setzt man sich Reaktionen aus. Dabei kann einen alles zu beschäftigen beginnen: Die ausbleibende Reaktion genau so wie die “falsche” oder besonders angriffige. Man konstatiert: Es ist erstaunlich, wie man verstanden wird oder eben nicht, und mit welchen Beweggründen wer sich wie zu einem Thema äussern mag. Plötzlich sind Sie Vehikel oder Projektion für die Ableitung eines persönlichen Frustes.
Das ist ermüdend, manchmal zermürbend, und als Moderator oft eine Knacknuss. Die Dynamik, dass man eine Bühne anbietet, mag sie noch so klein sein, kann nicht ernst genug genommen werden. Das Echo, oder ein möglicher Widerhall, ist für manchen eine frohlockende Aussicht.
Eine Diskussion auf einem Blog ist, so gesehen, immer laut, und sie ist öffentlicher und weiter tragend als jede Stammtischdiskussion. Das dient nicht gerade einer vertiefenden Diskussion, mag man auch die Tasten bemühen müssen für die Widerrede – die Verzögerung reicht oft nicht aus, um die Gemüter zu beruhigen. Und darum winde ich hier allen ein Kränzchen, welche mit dem Versuch um differenzierte Stellungnahmen im Netz mit diskutieren, ein wenig wirkliche Diskussionskultur pflegen und tatsächlich auch noch durchblicken lassen, dass sie bedenken, was sie lesen! Der Aufwand, will ich all diesen Kommentierern sagen, lohnt sich sehr, und Sie sind damit ein Teil der goldenen Essenz eines Blogs: Denn viele Leser stören sich extrem an einseitigen oder persönlich gefärbten Kommentaren, und die Gefahr ist gross, dass sich diese unwillig abwenden und eine Diskussion – oder gar das ganze Blog – gar nicht mehr verfolgen. Die fundierten bis wirklich ehrlichen Kommentare aber, welche sich einem Thema bewusst gewollt reflektierend nähern und auch differenzieren wollen – diese Kommentare sind ein Segen für ein Blog und ihnen gehört auch mein Dank! Nicht nur für dieses Blog, sondern für die Netz- und Diskussionskultur im Allgemeinen. So kann es dann sehr leicht vorkommen, dass sich heimisch fühlende Leser auch schon mal gemeinsam eines Trolls annehmen – worauf diese schnell das Interesse verlieren.

Mit dieser Art Engagement, mit der Kultur des Zuhörens und Zulesens, mit Nachfragen, bedenken und Widerreden tragen Sie dazu bei, dass andere sich wenigstens als stille Leser nicht aus den Debatten verabschieden, sondern sich weiter auch in Blogs informieren wollen. Und wir Blogger sollten uns noch mehr bewusst sein, dass wir mit der Art unserer Artikel auch die Art der Diskussion vorgeben. Auf jeden Fall gilt dies in sehr viel stärkerem Mass, als wir glauben.

Ich bin übrigens weit davon entfernt, zu meinen, ich würde selbst nicht immer wieder jemanden bedrängen bis überfahren mit meinen Repliken, und manchmal wünschte ich sehr, ich wäre im Einzelfall souveräner und konzilianter aufgetreten.

Es ist noch nicht so lange her, dass wir Journalisten belächelt haben, welche dafür überhaupt kein Sensorium zu besitzen schienen. Es ist Zeit, vom Ross runter zu steigen und wieder mehr Basisarbeit zu leisten. “Unser Blog” – das heisst immer auch ein wenig: “Unsere Diskussionskultur”.
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Links:

engadged.com: We’re turning comments off for a bit
zeit.de: Flächenbrand in der Community
in diesem Blog: 10 Wege, wie Zeitungen die Qualität der Kommentare steigern könnten
fudder.de: Community bekämpft Trolle mit Kochrezepten

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