Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


10 Wege, wie Zeitungen die Qualität der Kommentare steigern könn(t)en

∞  30 Juli 2008, 17:01

Der Dr. Bugsierer hat einen sehr treffenden Vergleich gebraucht, um Qualität und Atmosphäre von Kommentaren in grossen Online-Medien zu beschreiben:



in den kommentarspalten der grossen nachrichtenportale, da fühlt man sich eher wie in einem hallenstadion, wo jeder seinen senf dazu gibt, aber keine wirkliche debatte entsteht.


In der Tat ist die Qualität der Kommentarspalten auch bei Qualitätszeitungen allzu oft unterirdisch, und man mag sich gar nicht durch die von den höchst verschieden motivierten Ressentiments und Lebensenttäuschungen geprägten Frust-Kommentare hindurch wühlen, bis man mal auf einen überlegt reflektierenden Kommentar stossen mag. Eine Moderation mag man dabei auch nicht erkennen, sie ist allenfalls technisch gegeben, indem eine Anmeldung vorgeschrieben ist oder Kommentare erst geprüft werden, bevor sie lesbar sind. Ein Dialog in jedem Fall, findet nicht statt. FACTS2.0 hat gerade darin eine eigene Stärke entwickelt, dass hier führende Newsquellen in einer Umgebung diskutiert werden konnten, in der sich Redaktoren und Nutzer gegenseitig Gewähr boten, dass die Diskussionen konstruktiv, pointiert und facettenreich geführt werden konnten. Und manchmal war da auch der Verfasser selbst greifbar, der angesprochen und befragt werden konnte – zumindest wenn das ein Blogger war.


Gegenstand hier soll nun nicht ein weiterer Aufwasch der Probleme bei FACTS2.0 sein, sondern ein Artikel, auf den ich heute via turi2.de gestossen bin: Derek Powazek stellt zehn Punkte vor, mit denen Newsportale die Qualität Ihrer Kommentare entscheidend verbessern könnten. Im Gegensatz zu Leserbriefen in den Holzmedien gibt es dafür nämlich durchaus taugliche und auch lautere Möglichkeiten. Interessant, was Powazek anführt. Ich mag ein paar Dinge herausgreifen:

1. Anmeldung erforderlich


Anonymity is important in journalism, but not for comments.
[…] there is no reason, really no reason at all, to allow people to post comments without having to first sign up for an account.
Simply requiring an account will remove 80% of your comment problems. If allowing anonymity is important, you can allow the user to remove their name on a specific comment, while still requiring them to be logged in. (In other words, the user must log in so the system knows who they are, but they can opt to leave a comment as “Anonymous” if they choose. Anonymous comments could then be held in a special moderation queue for approval to guard against any bad uses.)


Und schon ist oder wäre man eine ganze Menge Probleme los:
Dem System und damit der Administration ist die Identität des Users bekannt. Die Administration achtet auf Seriösität im Umgang mit diesen Daten – der Standard ist hinlänglich bekannt. Die Anlage sieht damit vor, dass jede Person nur einmal angemeldet ist – so weit dies sinnvoll kontrollierbar ist durch das System (IP-Adressen etc). Sehr schön auch die vorgeschlagene Variante eines gleichwohl anonymen Kommentars, der qualifiziert zu moderieren ist.


2. Formuliere Regeln und setze sie durch



[…]enforce the rules. Delete bad comments and publicly promote the ones that are great. There’s a common misconception that moderating comments makes you more liable. This is not true. […]


Kommentare zu moderieren, hervorzuheben oder zu löschen ist nicht per se falsch. Es ist auf jeden Fall besser, als vorschnell einen ganzen Account zu löschen. Hinzu kommt, dass auf diesem Weg kommuniziert werden kann, was geht, und was nicht. Die Kommentierer können ein Gefühl dafür entwickeln, welcher Diskussionsstil gewünscht ist und welche Atmosphäre sein darf. Die Verantwortlichkeit als Publikationsorgan mag in den verschiedenen Ländern unterschiedlich sein., aber die Maxime dürfte gelten: Eine Nicht-Moderation macht den Betreiber sicher nicht unangreifbarer ins seiner Verantwortung für die Kommentare.


3. Beschäftige einen Community Manager


If you can’t name your community manager, it’s probably you.
You wouldn’t let a writer put their work in the paper without having someone check it, so why let commenters do so? If you’re going to have people posting comments to your site, it should be someone’s job to moderate them. Think of them as the editor of the Comment Desk.
You don’t have to read every comment before it goes online, but it should be somebody’s responsibility to remove any comment that runs afoul of the posted community guidelines. Like graffiti in an urban space, bad comments lead to more bad comments. But the Community Manager should be more than a cop – they should be a vital connection between the staff and the community. They should lead the community by example, participating in the discussion and being helpful, and also do a daily “community weather report” for the staff, feeding the community’s input back into the newsroom.


Was hier beschrieben wird, ist der gewünschte Idealfall: Eine spezielle Position, die zwischen Moderation und kommentierenden Lesern steht und nach beiden Seiten kommuniziert. Sich selbst einbringend, neutral, den gegebenen Richtlinien verpflichtet und persönlich nicht so leicht verletzbar. Ein faszinierender Job, aber ein ganz schwieriger.


4. Gestalte den Input mit


Just because your users can post comments doesn’t mean you can’t help them shape them. […]


Es ist möglich, auf die eingehenden Kommentare verbessernd einzuwirken.
Es werden zwar hier vor allem technische Dinge beschrieben, die computergesteuert ablaufen können: Zu kurze Kommentare, bei denen man zu mehr Ausführlichkeit auffordern kann und umgekehrt, Grossbuchstaben, die zu Titelzeilen werden könnten und dergleichen mehr.
In gleicher Weise kann aber auch mehr inhaltlich animiert werden zu einer genaueren oder ausführlicheren Darlegung etc.
Vielleicht etwas provokativ – aber warum eigentlich nicht?


5. Lass die Community mithelfen


If you think bad comments bug you, they bug the good commenters twice as much.
Yes, you should be paying someone on staff to be the Community Manager. In addition, you can also enable the community to help. […]


Das alte Lied möglicher Bewertungen von Kommentaren. Meiner Meinung nach ein eher kritischer Punkt: Die Community kann auch Gruppendruck entwickeln, wenn sie eingeschworen ist (oder zu klein). Auf jeden Fall funktioniert das nur, wenn umgekehrt sichergestellt ist, dass jeder User nur mit einer Identitä auftritt und darüber keine tendenziöse Steuerung möglich wird.


6. Story und Kommentare gehören verbunden


Dass die Kommentare direkt unter den Artikel gehören, ist allerdings eine Selbstverständlichkeit, denke ich.


7. Ermögliche private Stellungnahmen


The internet didn’t create the angry letter to the editor, but it definitely put it into overdrive. And that’s okay – sometimes people need to vent. Your job is to direct the venting.
Some papers’ comments are so crazy because there’s no other way for the reader to respond. People will gladly communicate with you privately if you gave them a way to do so.
So create a form people can use to email the editors, and link to it from the comment form. Say: “If you’d like to say this privately, go over here.” (Props to Vox, where there’s a “Send private message instead” link on every comment form.)
You may get some angry email this way, but it’s better in your inbox than on the website where it will just start, or add to, a fight.


Was mir hier so gut gefällt, ist die Gelassenheit, die vom Betreiber gefordert wird: Die Leute brauchen ein Ventil, wir sind das Ventil, so what? Statt den Oberlehrer zu spielen, schafft man Gelegenheit(en), den Druck abzubauen. Es ist einem selbst überlassen, den Müll im runden Ordner verschwinden zu lassen. Indem man die private, direkte Ansprache für den Kommentar ermöglicht, verbessert man die Substanz des Portals. Immer schön cool bleiben – und den Portalsgedanken im Zentrum der eigenen Aktivität behalten. Dann disqualifiziert sich Schund selber.


8. Beteilige dich


Im Ideal:


Get your writers involved in the conversation. People chill out a lot when they know they’re being listened to by the writer (and they act out a lot more when they think no one’s listening). I know, writers can find this an onerous addition to their workload, and have probably already decided that they hate their comments. Too bad. This is part of journalism’s evolution, and you’re either on the boat or you’re not.
One great way to get writers on board is to give them the ability to moderate comments on their own stories. They can do this on their blogs, they should be able to do it on their stories, too. (With supervision by the Community Manager, naturally.)


Der Mann ist wirklich bereit, die Sache bis zum Ende zu denken! Da ist noch ein weiter Weg dahin, aber ich glaube, er hat Recht: Die Redaktionen und einzelnen Journalisten, die diesen Teil frühzeitig als Part Ihres Jobs online begreifen, könnten schon bald die Nase vorn haben.
Und der online-News-Form könnte es den entscheidenden Kick geben.


9. … Aber füttere keine Trolls


[…]School your writers in the ways of online community. If someone is trying to get a rise out of you, don’t fight back, no matter how tempting. A good Community Manager can help train writers on how, and when, to join the fray.

Der gute Community-Manager bleibt gelassen. Trolls hassen das genau so, wie es jene lieben, die rhetorisch lebhafte Debatten mögen.


10. Vergiss es, die Kontrolle (absolut) behalten zu können.


Newsrooms are top-down places, but the internet is not. Get used to the fact that people online won’t do things just because you told them to. In fact, the only thing you can absolutely count on is that something will happen that you didn’t expect. When it does, you’ll be defined by what you do next. Be ready to be surprised.


Oberlehrer gehören ins letzte Jahrhundert, ganz bestimmt nicht ins Internet. Es braucht keinen Kummerkasten und keine Gefolgschaften. Es braucht nur die Offenheit für die ständige Veränderung und statt der Angst vor der Veränderung die Neugier auf die nächste Überraschung. Leser können überraschen. Mit ein Grund, dass die Lust am Schreiben nicht mit dem letzten gesetzten Punkt aufhört.

As you can see, embracing community tools on your site takes work. If you just turn on comments with open-ended tools and no oversight, of course the result won’t be pretty. That’s because you haven’t done the job of an editor – to lead by example, direct the conversation, and sculpt the results.
The real reason comments on newspaper sites suck isn’t that internet commenters suck, it’s that the editors aren’t doing their jobs. If more newspapers implemented these 10 things, I guarantee the quality of their comments would go up. And this is just the basic stuff, mostly unchanged since I wrote Design for Community seven years ago.
Imagine what we could do if we could get past the easy stuff.


Tja, das sieht alles nach verdammt viel Arbeit aus. Aber die Krux so manchen Scheiterns dieser Kommentarfunktionen, ja ganzer Communities, die darauf beruhen, liegt genau darin:
Man probiert mal. Und scheiert dann an den fehlenden Ressourcen. Die können schon in der Konzeptphase fehlen, so dass eine Idee sich als nicht 1:1 umsetzbar heraus stellt. Darum braucht es auch die Offenheit zur Korrektur. Und immer die Offenheit den Lesern gegenüber, mit der Einstellung, dass sie keine Störefriede sind, sondern Ideengeber und – Kunden.
Einen besseren Input für das eigene Produkt gibt es nämlich nicht. Für wen wird denn, bitte schön, das alles geschrieben, dieser Artikel inklusive?


update:
Die Medienlese hat den Artikel von Derek Powazek selbst auch aufgenommen und kurz auf die eigenen Umsetzungen ähnlicher Grundsätze verwiesen.