Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der Unwissende sieht nicht länger scharf...

∞  16 Januar 2010, 10:45

Wir glauben was wir sehen. Nur dumm, wenn wir nicht mal richtig hin schauen können – oder dabei im Grunde ziemlich unachtsam sind. Vor allem braucht es recht viel, bis wir erkennen können, dass wir gar nicht das Gleiche sehen wie noch vor Monaten.

Eine der verblüffendsten Beobachtungen, die ich an mir selbst machen kann, ist, wie viel es braucht, bis man die Veränderung der Sehschärfe bemerkt (oder wahrhaben will):
Meist reicht dabei nicht einmal die Möglichkeit des Vergleichs der eigenen Erfahrungswerte aus der Vergangenheit: Ich habe im Studium monatelang angestrengt an die Tafel gespäht im Hörsaal und dabei wohl ausgesehen wie ein Marabu, der sich den Hals ausrenkt,um weit vor sich was aufpicken zu können. Zeit, um zum Optiker zu gehen, war es erst, als mein Nachbar ganz locker mitschrieb, was vorn auf den Projektor gelegt wurde, und ich keine Chance hatte, Gleiches zu tun.


Was für eine Überraschung, wie sich die Welt danach präsentierte! Viel heller, klarer, schärfer, als wenn sie mit einem Schlag farbiger, weiter und grösser geworden wäre.
Oder beim Fussball schauen im Stadion: Mich hat es nicht gestört, dass ich die Rückennummern der Spieler nicht lesen konnte – bis mein Nachbar über “die Nr. 8” zu fluchen begann…

Wenn wir nur mit uns selbst beschäftigt sind, dann können wir fernsehen, Auto fahren, und es dauert sehr lange, bis wir finden, wir müssten wieder mehr Klarheit haben. Es ist, als liessen wir es geschehen, dass die Welt Stück für Stück kleiner wird. Ist sie uns so wenig wert, diese Welt? Sind wir am Ende uns selbst gegenüber ein bisschen gleichgültig?

Heute morgen nun habe ich einen Textentwurf für eine Verpackung überprüfen wollen – und geflucht darüber, wie saumässig klein der Artikelbeschrieb ausgefallen ist. Bis ich die Brille von der Nase nahm – und alles gestochen scharf lesen konnte…
Vielleicht, ja vielleicht bemerkt man beim Lesen Veränderungen in der Sehschärfe noch mit am Schnellsten. Aber ich sollte mir da keine Illusionen machen. Der Kommentar von Thinkabouts Wife dazu, als ich ihr die bahnbrechende Neuigkeit erzählte:

Wie lange sage ich Dir schon, dass Du fast in den Computer hineinfällst? Und was lernen wir daraus? Das mit den Ohren kommt auch noch.

Aua. Recht hat sie. Achtsamkeit ist eine Herausforderung, die nicht auf einen Sinn beschränkt bleibt. Und unsere Umwelt hat unsere uneingeschränkte Neugier und entsprechende Wahrnehmungsmöglichkeiten verdient. Wir haben sie verdient.
Auch ein Stück weit aus Respekt für das Geschenk funktionierender Sinne! Wieviele Menschen erleiden früher oder später in diesem Bereich Beeinträchtigungen, die nicht mit Achtsamkeit korrigiert werden können!


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PS: Der Text auf der Verpackung ist übrigens wirklich saumässig klein. Aber ohne Brille (oder im richtigen Abstand) kann ich sie wunderbar lesen. Meine Augen funktionieren hervorragend! Jawoll.