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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wie Diplomatie wirklich zum Skandal wird

∞  23 Januar 2009, 20:47

Ich bin gerade so was von sauer, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Und darum kann ich Sie nur vorwarnen. Weiterlesen auf eigene Gefahr. Wobei ich hier anmerken möchte, dass regelmässige Leser meines Blogs schon Bescheid wissen:
Ich habe nun mal deutliche Vorbehalte gegenüber dem Staatsverständnis der chinesischen Führung und ihrem Umgang mit kritischen Meinungsäusserungen, ja, ich fände deren Angst vor jedem kritischen Pupser aus der eigenen Bevölkerung nur einfach grotesk, wenn ich nicht wie wir alle wüsste, dass diese Charakterschwäche der regierenden Klasse und damit des Systems höchst tragische menschliche Konsequenzen für viele Menschen hat.

Aber im Grunde geht mich das nicht gar so viel an. Was mich aber sehr wohl etwas angeht, ist der Umgang westlicher Staaten mit dieser chinesischen Staatsmacht und die Willfährigkeit, mit der man sich den eigenen Schwanz zwischen die Beine klemmt, wenn sich auch nur eine chinesische Augenbraue hebt. Dass man sich aber auf eigenem Staatsterritorium auch noch am Gängelband chinesischer Gäste fühlen soll, das lupft mir dann endgültig die Hutschnur.

1999 war’s, als der damalige chinesische Ministerpräsident zum offiziellen Staatsbesuch in der Schweiz weilte, und sich doch tatsächlich bei seiner Vorfahrt vor dem Bundeshaus Pfiffe anhören musste, während auf fernen Dächern heimtückische Tibeter mit Spruchbändern auf ihn zielten.

Das war zuviel. Allerdings auch für unsere damalige Bundespräsidentin Ruth Dreyfuss, dieses Grosmami, das sie für viele Schweizer war, das man sich eher Pullover strickend auf dem Ofenbänkchen vorstellen mochte, denn als Bundesrätin.

Jetzt aber beschied sie dem chinesischen Gast, der in seiner Rede jedes Mass verlor und den Schweizer Behörden fehlende Rechtsstaatlichkeit vorwarf, dass wir in der Schweiz ein anderes Demokratieverständnis hätten und Kritik aus dem Volk im Dialog zu lösen versuchten. Und die tatsächlich ungelöste Menschenrechtsfrage sprach sie auch gleich noch an. Ihre Entgegnung als Ganzes war, meiner Meinung nach, die zweite Watsche, die den Chinesen auch, “patsch”, gebührte, denn ganz offensichtlich hatten die Gäste das Gefühl, sie hätten da nur Hampelmänner und -frauen vor sich, und ich fühlte mich ob seines Auftritts persönlich beleidigt, jawoll. Ich weiss noch, wie ich am Fernsehgerät sass und still und feierlich Ruth Dreyfuss in Gedanken für immer neben Helvetia in Silber goss.
Nun, nicht nur in der Politik sieht man sich im Leben zweimal – auch die Nachfolger in Ämtern und Würden tun es regelmässig, und so dampft sich alles ein, was einst – unter verwundertem Augenreiben – als Regung eines wirklich angebrachten Nationalstolzes auszumachen war.

Der chinesische Ministerpräsident hat sich wieder angesagt. Diesmal ist es kein Staatsbesuch, sondern nur ein Arbeitsbesuch. Aber “man” will kein Risiko eingehen. Es gelten die Regeln eines Staats-Pipapoos –mit erhöhten Sicherheitsvorschriften.
Die Nervosität ist gross, wie man heute im “Echo der Zeit” des Schweizer Radios DRS1 hören konnte.
Die Strassen werden weiträumig abgesperrt sein, die Fenster zum Bundeshausplatz sind geschlossen zu halten. Interne Kreise nennen die Ereignisse von 1999 einen diplomatischen Eclat – und jetzt kommt’s:


Die Glaubwürdigkeit DER SCHWEIZ stehe auf dem Spiel.


Mit diesen jämmerlichen Voten illustrieren wir mit quälend beschämender Offenheit, wie wir den ständigen Kotau vor der chinesischen Wirtschaftsmacht ausführen. Tatsächlich: Die Glaubwürdigkeit der Schweiz steht nicht auf dem Spiel. Sie ist längst verloren. So, wie sie der ganze Westen im Umgang mit China verloren hat. Auf chinesischer Seite hätte ich nichts als Verachtung übrig für die verbalen Beteuerungen unserer Grundwerte. Denn wir verbreiten dabei nur warme Luft, die für die Menschen, die unter dem Regime in China leiden, rein gar nichts wert ist. Uns muss man das Rückgrat nicht erst brechen, wir beugen die Rücken vorauseilend. Solche Fürsprecher können den Dissidenten in China tatsächlich gestohlen bleiben. Wir haben diese Menschen in chinesischen Gefängnissen nicht verdient. Und wir haben den Kampf unserer Vorväter für unsere Demokratie schon gar nicht.


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noch schlimmer: Auch der Ton macht die Musik