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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ver-Ding: Die Ware Frau, die Ware Kind

∞  12 April 2013, 13:54

Angesichts der Gedenkveranstaltung zum Schicksal der Verdingkinder in der Schweiz ein paar Gedanken zur Diskriminierung in Gesellschaften allgemein – auch in unserer kürzesten Vergangenheit.

Bei der gestrigen Gedenkveranstaltung in Bern zum Schicksal der Verdingkinder in der Schweiz sind berührende Worte gefallen – und bemerkenswerte Entschuldigungen formuliert worden. Auch unter dem Aspekt, dass Worte des Bedauerns nie Taten aufwiegen können – und die Wiedergutmachung auch stets viel zu spät versucht wird – in welcher Form auch immer.

Bei der Anhörung der brüchigen Stimmen Betroffener und im Wissen um ihre Lebensgeschichte sind wohl nicht nur mir die Tränen gekommen. Dennoch klingen bei mir nicht zuletzt die Worte des Vertreters des Bauernverbandes nach, der sich erlaubte, ein paar Relationen gerade zu rücken. Danach sind nicht alle Verdingkinder schlecht behandelt worden – und muss der Umgang mit Kindern in jener Zeit mit dem damals üblichen Umgang mit ihnen verglichen werden.

Nur sechzig Jahre zurück liegen bei uns Verhältnisse, die uns heute einfach unglaublich erscheinen – und die deutlich machen, wie zurückhaltend im Urteil (nicht in der Sache) wir andere Kulturen und Ethnien begegnen sollten, wenn es um Gleichstellungs- und Menschenrechtsfragen geht:

In dieser nicht zu alter Zeit war es bei uns also möglich, dass der Staat ein unehelich geborenes Kind als minderwertig bezeichnete, es der Obhut der Mutter gewaltsam entzog und “fürsorglich” in Heimen und Pflegefamilien platzierte. Verdingkinder leisteten Schwerstarbeit, die Schule war nebensächlich und das Stigma einer minderwertigen Existenz ohne Rechte und Ansprüche allgegenwärtig. Die Gesellschaft blendete diese Kinder aus, wusste von ihnen, und es kümmerte sie in einer Weise nicht, dass man gerne annehmen darf, dass man dies alles im Grunde als rechtens betrachtete. Und mit den Kindern wurden die Frauen, die uneheliche Mütter wurden, gebrandmarkt, bestraft, entrechtet, zeitlebens stigmatisiert. Auch bei uns galt: Die Hure ist immer die Schande, der Freier höchstens der Verführte. Der Schwängerer hatte nichts zu befürchten, die Frau alle Konsequenzen zu tragen.

Für uns, die wir heute in Patchworkfamilien leben, wenn überhaupt erst heiraten, wenn sich die Kinder ankündigen, ist dies unvorstellbar. Aber wie lange kennen wir schon legalisierte Konkubinate? Der Wandel der Gesellschaft vollzieht sich rasant, aber es gibt keinen Grund, despektierlich zu werden gegenüber sozialen Gemeinschaften, in denen zwischen Recht und Unrecht noch so willkürlich geurteilt wird wie bei uns vor viel zu kurzer Zeit. Und daran hat uns kein Element unserer abendländischen Kultur, auf die wir doch oft so stolz sind, gehindert.

Noch etwas zum Schluss: Es ist für mich immer wieder erschütternd, wie sehr Gesellschaften immer wieder die Frauen diskriminieren – gerade, wenn sie Mütter sind. Und an nichts zeigt sich die männliche Arroganz und Schlechtigkeit deutlicher, wie am moralischen Anspruch des Staates, über das rechte Leben einer Mutter urteilen zu wollen.

Und dass Kinder oft nicht mehr von der Gesellschaft offeriert bekommen als Lippenbekenntnisse, erkennt man nicht nur an den Bildungsetats der Volkswirtschaften…