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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Und wer hilft IHNEN pilgern?

∞  12 Dezember 2008, 21:19

Wir leben in einer immer mehr säkularisierten Welt. Religion? Die verstehen wir allenfalls noch als Teil unserer Kultur. Spiritualität aber vermuten wir erst mal eher in einem Ashram oder in einem Zen-Kurs, der sicher schon bald auch in der Migros-Klubschule angeboten wird. Vielleicht machen wir Yoga, das heisst, wir haben es schon einmal probiert und in den Bauch geatmet oder daraus heraus, einmal die Woche, zwei Stunden lang, am Feierabend, zwei ganze Monate lang.


Da ist es nur scheinbar erstaunlich, dass “die Pilgerei” sehr viel mehr Menschen interessiert als früher. Verwundern kann einen daran eigentlich nur, dass die Menschen tatsächlich das Naheliegende entdecken und sich etwas zurück zu holen versuchen, was ursprünglich Teil ihrer eigenen Kultur war – statt am Ende der Welt zu suchen.

Und so pilgern sie in Scharen nach Santiago die Compostela oder auf Abschnitten des Jakobswegs, Hauptsache, es handelt sich um Original-Wege, verbürgt und beglaubigt. 75’000 kommen jährlich im Süden Spaniens an. Man ist also nicht allein. Was die Ruhe suchende Pilger schon wieder abschrecken dürfte, scheint die Masse eher zu beruhigen. Es droht nicht die absolute Stille. Eher das Gegenteil.

Wenn Sie jetzt denken, dass einer der Gründe des Booms sein könnte, dass es an sich sehr einfach ist, sich auf den Weg zu machen, so täuschen sie sich gewaltig. Pilgern ist nicht wandern. Sie glauben ja gar nicht, was Sie dabei alles falsch machen können.

Sie können zu wenig Gepäck mitnehmen oder zuviel – und erst noch das falsche. Sie schleppen literweise Tranksame mit, dabei hat es unterwegs, zumindest in der Schweiz, viele Brunnen. Sie haben die Unterkunft nicht im Voraus organisiert? Wie wollen Sie da überleben? Wenn Sie jetzt verunsichert sind, habe ich frohe Kunde für Sie:

Die Hilfe ist nah. Die Schweiz kennt eine diplomierte Pilgerbegleiterin. Sie kümmert sich um die Vorbereitung Ihrer Reise, kümmert sich um die Logistik (!), die Organisation von Unterkünften, nimmt Reservationen vor und berät Sie betreffend Ihrer Ausrüstung (in diesem Zusammenhang werden Sie denn auch nicht PilgerIn gennant sondern TeilnehmerIn). Damit Sie von Ihrem Pilgern auch wirklich etwas haben, macht sich die diplomierte Pilgerbegleiterin auch Gedanken darüber, unter welches Motto Sie Ihre Pilgerreise stellen könnten.

Praktischerweise hat die Dame auch ihren Nothilfekurs aufgefrischt. Sicher ist sicher. Womit auch klar ist, dass sie mit pilgert. Niemand soll physisch und psychisch verloren gehen, nicht wahr.
Das einzige, was Sie da noch verunsichern könnte, ist die Tatsache, dass die Dame ihre Tätigkeit nur im Nebenamt ausübt (mangelnde Professionalität?) und die Ausbildung bisher nur in Deutschland angeboten wird (fehlende Ortskenntnisse?). Aber nächstes Jahr wird’s besser. Da werden die ersten Pilgerbegleiterinnen direkt in der Schweiz ausgebildet, in Gwatt, am Thunersee, also mitten im späteren Aktionsgebiet.

Wenn Sie jetzt glauben, dass das alles nicht wahr ist, dann – sie haben es vermutet – muss ich Sie enttäuschen. Das ist keine Glosse. Sondern die Realität, die sich hier auf Seite 94 nachlesen lässt.

Und es ist ein entlarvendes Beispiel dafür, was wir in unserer Gesellschaft mit der Zeit anfangen, wenn sie droht, vorhanden zu sein.

Können wir eigentlich noch irgendetwas ohne Handbuch anpacken? Gibt es irgendein Bedürfnis, das wir nicht in Events verpacken? Lassen wir noch irgendwas auf uns zukommen?

Während wir an Langeweile leiden, scheint uns nicht so dringend notwendig, wie das Unvorhersehbare möglichst auszuschliessen. Dass wir dabei womöglich behaupten, wir suchten den Sinn des Lebens, ist wirklich absurd.

Wir sind arm dran. Nicht mal Pilgern können wir. Eher werden wir Menschen wohl zum Mars fliegen, als dass wir lernen werden, wirklich zu leben. Und zwar im Hier und Jetzt.


°
[Bildquelle: jakobus-weg.de ]


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