Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Sieg und Niederlage

∞  21 April 2014, 21:09

Ich habe heute eigentlich einen Freudentag. Mein Lieblingsfussballclub, der FCZ, ist Schweizer Cupsieger und hat den zur Zeit so mächtigen Rivalen FC Basel 2:0 nach Verlängerung besiegt. Ich fühle mich ein bisschen an meine Kindheit erinnert, mit grooossem Plakat von Köbi Kuhn an der Kinderzimmertüre und mit Matchbesuchen mit meinem viiiiiel grösseren Bruder, wann immer es gegen den FCB ging. Kuhn gegen Odermatt, der schlitzohrige Fritz Künzli aus dem Quartier, in dem ich später studierte und dann auch arbeitete.

Alles so fein persönlich und irgendwie doch richtig Sport. Wir waren stolz und angefressen und haben selbst die Grasnarben umgepflügt. Und so freue ich mich auch heute. Aber ich ärgere mich auch. Denn auch diesmal ging es nicht ohne Sachschäden und Krawalle und ohne ein riesiges Polizeiaufgebot. Und das Verhalten der Clubführungen gegenüber ihren militanten Fans bleibt höchst zwiespältig. Es gibt – statt absoluter Nulltoleranz – ein in der Haltung ständiges Lavieren. Lässt man einen der Clubpräsidenten mehr als drei Sätze zur Fankultur von sich geben, stutzt man garantiert ein erstes Mal. Denn Aussagen wie jene, dass das Verhalten der Fans in und vor dem Stadion ein gesellschaftliches Problem spiegeln würden, das die Clubs nicht lösen könnten, helfen überhaupt nicht weiter. Tatsache ist, dass die Mobilität der vermummten Rabauken und ihre Aggressivität eine Macht darstellt, die umgekehrt hunderten von Familien den Stadionbesuch vergällen, weil die Väter einfach gar nicht erst in die Situation kommen wollen, dass sie ihren Sprösslingen sagen müssen: Wenn ich dich je bei so was erwische, dann…

Die Strafen sind viel zu milde, das notwendige Sicherheitsaufkommen viel zu gross. Dass überhaupt vermummte Fans toleriert werden, spricht schon für sich. Wer, bitteschön, muss sich vermummen, wenn er ein Fussballspiel besuchen will? Spielunterbrüche wie in Salzburg, Ausschreitungen auf Zuschauerrängen, bei denen Zürcher Fans auf die gegnerischen übergriffen wie vor wenigen Jahren im Letzigrund gegen die Grasshoppers – die Militanz nimmt ständig noch zu, und reagiert wird mit gutem Zureden oder mit unverändert lascher Gesetzgebung. Wollen wir uns das Fussballvergnügen nehmen lassen und den Sport nur noch am Fernsehen geniessen? Zu einem Tennismatch kann ich jederzeit gehen, da droht mir nichts von den Rängen, höchstens das Gerangel um einen ins Publikum geworfenen Ball. Sieg und Niederlage sind auch da wichtig, um nicht zu sagen, sehr wichtig. Aber die Regeln sind so klar, dass Fairplay leichter einzuhalten ist. Im Fussball wird zuweilen getrickst bis zum Abwinken, und Spieler werden noch geschützt, wenn sie anschliessend abwiegeln. “Professionell” ist, wer alles für die Mannschaft versucht, wirklich alles ausreizt, und dass man sich die Silbermedaille als unterlegener Zweiter im Final nicht umhängt, sondern sie sofort in der Hosentasche verschwinden lässt, ist eine Unsitte, die vor allem fehlenden Respekt vor dem Sieger beweist. Es ist salonfähig geworden, ausser dem eigenen Sieg einfach gar nichts zu akzeptieren. Mahlzeit. Genau diese Mentalität verhilft uns vielleicht einmal dazu, ganz oben zu stehen – aber es erhöht mächtig die Chancen, dass es niemanden interessiert, wenn wir später wieder mal am Boden liegen sollten.

Wollen wir das wirklich? Und wollen wir umgekehrt Krawallmacherei tolerieren? Wollen wir uns nicht endlich verantwortlich fühlen? Und uns wehren?


Bild: Basel, Champions League Spiel gegen Schalke 04, 1. Oktober 2013