Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Notiz- statt Tagebuch

∞  12 Mai 2008, 12:19

Seit diesem Frühling habe ich ein Notizbuch. Oft geht es vergessen, oft ist es dabei und bleibt leer. Und doch füllt es sich allmählich, ohne Scham vor Belanglosigkeiten…

Eine mir schon länger bekannte ältere Dame hat zeitlebens Tagebuch geführt. Im Gegensatz zu mir hat sie das über viele Jahre durchgehalten. Dafür gibt es – nach meinen Beobachtungen an mir selbst – zwei mögliche Voraussetzungen.
Die eine: Sie haben keine Scham vor Belanglosigkeiten und vertrauen genau diese Ihrem Tagebuch auch an. Und haben damit an Ihrem Büchlein genau das, was es Ihnen geben kann: Eine Gelegenheit zum Dialog, zur Rekapitulation, auch zur Ablage. Die deponierte Erkenntnis, dass unser Leben in seinen Farben von den scheinbaren Kleinigkeiten abhängt, über die wir uns doch nie erheben (müssen).
Die zweite mögliche Voraussetzung: Sie notieren sich nur die Eckpunkte und besonderen Ereignisse. Besuche, Ausfahrten, Prüfungen, Unfälle, hoffentlich keine Verbrechen. Diese zweite Art ist jene dieser älteren Dame. Und konsequenter Weise benutzt sie dazu auch eine Taschenagenda, wie wir sie für unsere Termine und Pendenzen kennen.

Dass sich das scheinbar Besondere in seiner Wiederholung ebenso banal lesen mag, spielt am Ende keine Rolle. Es kann einfach ein Reiz darin liegen, nachzuschauen, was denn vor drei Jahren zur gleichen Zeit (nicht) los war…

So, wie und was ich hier geschrieben habe, wird mir erneut klar, weshalb ich am Tagebuch immer gescheitert bin:
In meinem Leben ist nichts los – oder es ist zumindest nicht des Redens und Schreibens wert. So habe ich allen Ernstes während zwanzig Jahren gedacht. Und das war so falsch wie richtig, eben einfach Quatsch: Jedes Leben ist besonders, einzigartig, und es hängt nur von unserer Fähigkeit zur Distanz und Beobachtung ab, ob wir das auch erkennen. Weisheiten sammeln wir alle an, und der Umgang mit dem scheinbar Belanglosen gehört dazu. Was nämlich am Ende belanglos oder bedeutend ist, entscheiden wir im Umgang mit uns selbst und in der Einstellung und Haltung zu den Dingen, die uns (nicht) widerfahren…

Mein Versuch seit diesem Frühling: Ich besitze ein Notizbuch. Dabei habe ich keine Ahnung, was da hinein gehört und was nicht. Und meist vergesse ich schlicht, es mitzunehmen – oder ich vergesse, dass ich es dabei habe. Manchmal nimmt es schlicht meinen Einkaufszettel auf, oder eine Pendenz, und dann hilft es mir plötzlich, doch einen Gedanken einzufangen.
Und so steht dann eine Reisenotiz neben einem Gesprächsprotokoll, eine Abfahrtszeit eines Zuges neben dem Vermerk: “Aebi fragen”.

Schon nach wenigen Wochen ergibt vieles keinen Sinn mehr, und der Wirrwarr drückt sich auch in den verschiedensten Farben und Schreibwerkzeugen aus. Und dann ist wochenlang Leere, oder ich fülle eine vordere leere Seite mit einer neuen Bemerkung. Nicht einmal die Zeit bietet also einen roten Faden. Irgendwie ist dieses Notizbuch viel mehr ein Tagebuch, als jedes andere, das ich begann und nie fortzuführen im Stande war.

Halt! Ich weiss nicht, ob das dieses Mal wirklich anders sein wird. Wenn es ein paar Wochen einmal nicht mehr aufgeklappt wird, bleibt auch dieses Buch plötzlich für immer geschlossen. Wer weiss schon, was das Leben bringt und wie ich ihm begegne?