Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ethik – eine Geschmacksfrage?

∞  2 Juni 2011, 15:36

Ethisches Verhalten – es wird immerhäufiger danach gefragt,reklamiert, bewertet. Aber nach was? Welche gemeinsamen Massstäbe können wir denn finden? Und werden die je ausreichen?


Es ist Mode geworden: Die FIFA hat Glaubwürdigkeitsprobleme – und bildet eine Ethik-Kommission. Angela Merkel brachte reflexartig Atommeiler zum Stillstand – und setzte zur Richtungsfindung in der Energiepolitik eine Ethik-Kommission ein.

Gesellschaft und Politik wollen sich damit Legitimation und Glaubwürdigkeit geben, ein bestimmtes Handeln autorisieren lassen – und dabei nach Verfahren vorgehen, welche uns deren Verantwortunsbewusstsein vorführen sollen.

Unsere Bedrohungen haben sich verschoben. Vor ein paar Generationen trug der Einzelne Verantwortung für die Familie. Jetzt werden uns die Konsequenzen unseres Handelns für die Um-Welt bewusst gemacht. Zumindest ahnen wir, wie sich die Ereignisketten potenzieren könnten, wenn wir keine Kehrtwendungen schaffen. Die Globalisierung im Kopf schafft ein Bewusstsein, oder zumindest eine Ahnung, dass Einvernehmlichkeit verlangt ist in den grundlegenden Fragen unserer Grundhaltung. Dabei tauchen neue Schlagwörter auf, wie Nachhaltigkeit. Und wir gebrauchen sie, lange bevor wir wirklich verinnerlicht haben, was sie bedeuten.

Doch bleiben wir beim Begriff Ethik. Fragen wir hundert Menschen nach den Grundprinzipien eines “richtigen Lebens”, so werden wir ähnliche Antworten bekommen, aber nicht identische. Spätestens bei der Gewichtung wird sich zeigen, dass wir unterschiedlich beurteilen, welche Sache vor allem “gerecht” geregelt zu sein hat, was in keinem Fall oder in jedem Fall möglich sein muss. Und noch schwieriger wird es, wenn wir uns nicht nur mit unseren Nachbarn vergleichen, sondern mit Menschen mit anderer Mentalität und Kultur. Menschenrechte, wie wir Europäer sie kennen und verstehen, interpretieren Menschen anderer Kulturkreise anders. Die Gewichtung ist unterschiedlich, das Selbstverständnis ein anderes, die erfahrenen Notwendigkeiten für ein Zusammenleben können grundlegend divergieren.

Für uns ist ein Verleihen von Geld gegen Zinsen ein Teil unseres Wirtschaftsprinzips, in anderen Kulturen ist dies verpönt. Für sehr viele Chinesen ist die freie Meinungsäusserung ganz natürlich durch die Interessen des Staates beschränkt – siefürchten nichts so sehr wie die Unordnung und empfinden eine laute Reklamation eigener Interessen unter Umständen als egoistisch.
Für die einen ist ungeborenes Leben in jedem Fall zu schützen, anderen kann das Selbstbestimmungsrecht der Mutter nicht weit genug gehen. Für die einen darf Forschung alles, für andere steht sie am Anfang der Auflösung der Welt.

Was also ist ethisch? Vielleicht das ehrliche Bemühen, eine gemeinsame Ordnung zu finden, in der der Einzelne, der einzelne Mensch, der einzelne Staat, der einzelne Wirtschaftsraum die Macht der Stärkeren nie gegen das Lebender Schwächeren ausspielt? Wie ein Patron, der für seine Untergebenen sorgt, sorgt sich, mit Weitsict im Einvernehmen mit den eigenen Interessen, der Mächtige um ein Stück Gemeinwohl? Vom einen Kopf grösseren Kind auf dem Pausenplatz bis zum Wirtschaftsinvestment westlicher oder asiatischer Staaten in Afrika…
Das ist naiv? Ja. Ich weiss. Aber was ist dann Ethik anderes, wann immer wir diesen Begriff gebrauchen oder hören, als ein Deckmäntelchen für eine Politik oder ein Ziel, das nach individuellen Interessen durchgeboxt werden soll?