Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.


Indonesien - ein nächster Gottesstaat?

∞  3 April 2013, 14:10

Indonesien – Ein muslimischer Staat eindeutiger Ausrichtung.

istockphoto.com/zbruch

Als wir zu Beginn der 90erJahre durch Indonesien reisten, wirkte der Islam auf uns als Touristen bereits sehr dominant. Uns fiel vor allem auf, dass viele neue Moscheen gebaut wurden, und wir hörten zumindest munkeln, dass dahinter viele Saudische Dollars stecken sollten – nicht der einzige Ort, an dem die Islamisierung mit Geld aus diesem Teil der Welt beginnt.

Begegneten uns Muslime im Gespräch, einzeln, im Austausch unserer Kulturen und Ethnien und im Erzählen von unseren jeweiligen Lebensumständen, so fühlte ich mich durchaus wohl und bereichert. Aber sobald auf der Strasse weiss gekleidete Menschen in eine Richtung strömten, in religiös motivierter Bewegung zu einer Feierlichkeit, so mischte sich etwas Militantes in meinen Eindruck, und ich bekam schon damals das Gefühl, dass die Islamisierung Indonesiens voran getrieben werde. Nun weiss ich sehr wohl, dass fundamentalistische christliche Bewegungen, zumal im Einklang mit den Mächtigen, bestimmt nie friedfertiger auf Fremde gewirkt haben mögen, dennoch war es erstaunlich deutlich körperlich für mich spürbar, dass hier etwas Fremdes und in seiner Femde Grollendes auf mich zukam und dann an mir vorbei strich:

Islam ist ohne Einfluss auf das weltliche Leben (noch) nicht wirklich denkbar, der Staat als Regierung und Justiz muss sich in letzter Konsequenz der Religion unterordnen und wird von ihr in seiner Haltung zu Recht und Unrecht angeleitet. Wer aber eine Religion besitzt, glaubt sich im Besitz einer Wahrheit – und sieht sich berechtigt, dieser Wahrheit in einer Weise Geltung zu verschaffen, die zwischen Menschen rechten Glaubens und anderen unterscheidet.

Was uns damals, natürlich, nicht bewusst war, ist das, was ich heute in einem Hintergrundbericht [1] gelesen habe, wofür wir aber auch in der christlichen Religionsgeschichte im Zuge der Reformation genügend Beispiele haben: Angehörige einer Glaubensrichtung sind gegenüber niemandem so unnachgiebig und so gewaltbereit, wie in der Auseinandersetzung mit Abtrünnigen, Splittergruppen unter ihresgleichen. Die Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten bestimmen heute massgeblich die Politik im nahen Osten, und nicht anders ist es in Indonesien, wo zudem das Kräfteverhältnis dramatisch einseitig ist:

90% der 240 Mio Einwohner Indonesiens sind Muslime – Sunniten. Ihnen stehen nur 100’000 Schiiten gegenüber, und eine halbe Million Anhänger der Ahmadiyya-Bewegung.

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[1] qantara.de – Wachsende Intoleranz

Der Westler und der Muselman - Zwei Welten

∞  26 Januar 2013, 15:04

Der Westen sah im arabischen Raum im letzten Jahrhundert wohl vor allem das Öl, doch die Menschen blieben uns und sind uns fremd.

istockphoto.com/zbruch:

aus “Priests Of The World”


Rohstoffvorkommen und eine zudem noch fremde Religion – es braucht nicht mehr, um unüberwindbare Gegensätze und Unverständlichkeiten zu schaffen, und bei einem bestehenden Machtgefälle werden daraus Fakten, welche die Schwächeren unter die Knute stellen. Fragen nach dem Warum und “Wer bist Du eigentlich?” kommen da bald nicht mehr auf. Der Islam ist auf dem politischen Vormarsch. Kein Zweifel. Zumindest dort, wo regionale Macht durch religiöse Motivation geeint durchgesetzt werden kann, macht uns das Angst, nicht zuletzt deshalb, weil die Durchsetzung archaisch wirkt und auf Grundsätzen aufbaut, die rückständig wirken und Menschenrechte missachten.

Aber damit ist es nicht getan. Einem von seinem Glauben beseelten Fanatiker kann ein weltlich geprägter westlicher Staat, in dem die gesellschaftlichen Werte des Christentums nur noch als Teil der allgemeinen Menschen- und Mitbestimmungsrechte rechtlich fest geschrieben sind, nichts Überzeugendes entgegen halten. Abgesehen davon, dass einem Fanatiker mit der Ratio nie beizukommen ist:

Bei aller Abscheu, die wir ob der uns vorgezeichneten Missachtung von ganzen Bevölkerungsgruppen empfinden mögen, fragen wir uns manchmal wohl auch, wie denn ein rechtschaffener muslimischer Mann und Vater, ein Oberhaupt einer Familie aus dem islamischen Raum, mit jenen Bereichen unserer Toleranz zurecht kommen soll, in denen wir selbst offenbaren, dass wir zwar die persönliche Freiheit hoch gewichten, diese aber mit sexualisierten “Inhalten” füllen, die einen solchen Menschen von der Unmoral unserer Welt überzeugen müssen.
Abschottung vor den realen Bedürfnissen ALLER Menschen trifft auf haltlose Darstellung und Gewährung einer sexuellen Freiheit, die auch nur Leere erzeugt, wenn wir es recht bedenken.

Der Einwand, dass es unter den Roben und im Hirn der bärtigen Männer genau so viel oder noch mehr sexuelle Gewalt gibt als bei uns, sollte kein Vorwand sein:
Wir haben ein Problem mit der Moral. Mit der religiösen Moral wurden wir missbraucht, und die weltliche definieren wir unter den liberalen Anreizen einer Wettbewerbs- und Konumgesellschaft immer dehnbarer: Es fehlt uns das beständige, verlässliche Fundament. Wir bauen auch unsere Überzeugungen auf Sand. Angesichts der Sterblichkeit sind wir bereit, alles her zu schenken. Früher oder später.

Derweil stirbt ein weiterer Bärtiger für die Aussicht auf unzählige Jungfrauen. Die Welt also ist beidseits der Linien ziemlich verrückt geworden. Oder geblieben.

Und wer von uns versteht schon den überall immer wieder aufflammenden Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten? Es möge mich niemand für meine Unkenntnis schlagen wenn der Vergleich unstatthaft sein sollte: Auch das Christentum hat den Kampf bis aufs Blut gekannt, zwischen Katholiken und Protestanten, und nie wurde wohl wilder auf Köpfe eingeschlagen, als in diesen Auseinandersetzungen.

Aber es ist schon sehr quälend, zu sehen, wie sich der Konflikt dieser zwei Glaubensrichtungen in politischen Lagern widerspiegelt, über Länder hinweg, als Teil des weltpolitischen Spiels mit manchmal auch wechselnden Fronten und Unterstützungen – ohne dass z.B. westliche Machtpolitiker verstehen könnten, was sie langfristig mit der Unterstützung der einen Seite auslösen mögen?

Wenn ich dann noch auf die bedauernswerten Palästinenser schaue, die aus welcher Ecke auch immer im besten Fall mit Lippenbekenntnissen rechnen und auf keine geeinte eigene Führung zählen können, dann wird mir endgültig schwindelig.

Es ist kein Wunder, dass in solch vertrackter Lage eines am Ende am ehesten eint: Ein gemeinsamer Feind. Israel. Und mit ihm der Israel unterstützende Westen. Das ist Grund zum Hass genug für den muslimischen Selbstmordattentäter in Afrika. Oder wo auch immer. Die anderen sind das Böse und an allem Schuld. Die eigene Mission im Namen der Unfehlbarkeit ist des Fanatikers Zuflucht. Er sät, was er selbst geerntet hat: Die faltale Folge menschlicher Irrtümer.

Wir sind arme Geister in einer reichen Welt, die wir plündern, bis uns alles durch die Finger geronnen ist. Meiner persönlichen Meinung nach wäre daher keine unterstützende Hilfe so wertvoll wie jene für Projekte, in denen im Rahmen eines guten Bildungsangebotes für alle interkonfessionell und interreligiös unterrichtet wird. Wir müssen einander verstehen können. So weit, dass wir neugierig auf einander werden statt in Feindseligkeit Gefängnisse für den eigenen Geist zu schaffen.

Dass ich dennoch gegen die ungezügelte Zuwanderung aus ethnisch fremden Räumen bin, ist dazu kein Widerspruch, im Gegenteil: Wir fordern Integration, wir müssen sie aber auch anbieten. Man kann auch den guten Willen überfordern. Zuerst ist also nicht unsere Gleichmut für Einwanderer gefragt, sondern der Grad unseres Willens, diesen Einwanderern eine Infrastruktur zu bieten, auf Grund derer wir auch das Engagement der Eingewanderten und die Anpassung fordern können.

Italiener, Spanier und Portugiesen konnten wir einfach arbeiten lassen, lapidar auf die Freiwilligkeit und die ökonomisch für sie noch immer verbesserte persönliche Bilanz verweisend. Muslime und andere Menschen komplett unterschiedlicher Ethnien werden nur durch einen Job nicht zu angepassten Teilen der Gesellschaft. Die Schattengesellschaft, die sie naturgemäss auszubilden beginnen, bleibt uns fremd und ist auch Folge unserer nicht durchdachten, unehrlichen Ausländerpolitik.

Angenommen, unsere christliche Nächstenliebe wäre nicht theoretischer Teil einer tolerant formulierten Asylpolitik sondern gelebte Menschlichkeit, so könnten damit den falschen Erwartungen der fremden Einwanderer begegnet werden. Dies ist aber nicht der Fall, und daher ist eine rigidere Praxis einfach nur ehrlich, mag die dabei zum Ausdruck kommende Angst auch beschämend sein.



Beschneidungsurteil: Wut trifft auf Scham.

∞  22 Juli 2012, 15:46

Das Kölner Landgericht hat mit seinem Entscheid zur Beschneidung von Jungen tatsächlich eine Grundsatzdebatte losgetreten, die viele für überflüssig halten, andere als dringend notwendig. Die meisten Politiker scheinen sich auf jeden Fall zu wünschen, sie könnten das Rad zurück drehen und die Sache wie einen bösen Traum wegwischen, so sehr scheinen sie die Kalamitäten der gesellschaftlichen Debatte zu fürchten. Entsprechend fallen denn auch die Reaktionen der islamischen und jüdischen Organisationen aus – und deren Wortwahl lässt tatsächlich aufhorchen.

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Das Gericht sah sich veranlasst, das Recht auf freie Religionsausübung und das so genannte Elternrecht mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Individuums abzuwägen – und es hat, durchaus folgerichtig in der Entwicklung unserer gesellschaftlichen Wertevorstellungen, zu Gunsten des Rechtes des Kindes auf die eigene Entscheidung befunden. Die streng gläubigen Juden und Muslime finden sich nun vereint in ihrer Bestürzung und sehen im richterlichen Entscheid einen Affront, der es ihnen unmöglich macht, nach den Riten ihrer Religion zu leben. Einem Entscheid eines Gerichts eines Staates, der gerade durch die Anwendung der gleichen menschenrechtlichen Prinzipien auf und für alle die Grundlagen dafür sieht, dass innerhalb dieses Wertekatalogs alle Ethnien aller Religionen gleich behandelt werden – mit dem grösstmöglichen Schutz für den Einzelnen, egal, in welche Volksgruppe hinein er geboren wird. Das ist das Ziel und der Weg, den gerade auch wir Christen in unserem Heimatstaat annehmen und lernen mussten, wenn es darum ging, christlich motivierte Elemente der Erziehung im Unterricht zurück zu fahren.

Faktisch weitgehend als Gesellschaft säkularisiert, man mag das auch beklagen oder ebenausdrücklich begrüssen, bleibt mit den Fähigkeiten zur Toleranz in einer aufgeklärten Gesellschaft nur der Weg, die grösstmögliche Freiheit des Einzelnen zu gewährleisten, und umgekehrt die kulturelle Identität der Gemeinschaften nicht unnötig zu behindern. Aber in dieser Reihenfolge – und nicht umgekehrt, was zur Folge hat, dass die bewusste Entscheidung zu einem Eingriff am eigenen Körper nur durch die Person selbst getroffen werden kann.

Die Reaktionen von Vertretungen der Religionsgemeinschaften auf den Gerichtsentscheid und die Konsequenz, welche daraus zum Beispiel das Kinderspital Zürich zog, sind mehr Bestätigung für diesen Grundsatz denn ein Gegenargument.

Ein Schweizer Repräsentant eines muslimischen Verbandes bezeichnete die Frage der Beschneidung als “nicht verhandelbar”, als würde man sich (bereits) im Kriegszustand befinden, und ein Vertreter der jüdischen Cultusgemeinde in Zürich setzte das Verbot der Beschneidung auf die gleiche Stufe, wie wenn man den Christen fünf ihrer zehn Gebote verbieten würde (beide Aussagen stammen aus der Printausgabe des Tages-Anzeigers dieser Tage, leider ohne genauere Quellenangabe). Pinchas Goldschmidt, Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner, bezeichnete das Urteil als schwersten Angriff auf jüdisches Leben seit dem Holocaust.

Die Heftikgeit dieser Reaktionen lässt die Politiker aufschrecken. Die Bundeskanzlerin fürchtet, dass ausgerechnet Deutschland, wenn es als einziges Land den Juden die Beschneidung verbietet, in altem Licht gesehen wird, das Ansehen in der Welt Schaden nehmen könnte.

Mir ist diese Reaktion suspekt. Welches Ansehen wollen wir denn verteidigen? Welcher Religion erlauben wir welche Prioritäten im Umgang mit Grundrechten? Den religiösen Verbänden mag ich zugute halten, dass sie sich ob der plötzlichen Fragestellung überrumpelt fühlen, doch ich bin überzeugt, dass es angesichts der unterschiedlichen religiös motivierten Einschränkungen der persönlichen Integrität und Entscheidungsfreiheit nur diese eine Maxime gibt, welche das Kölner Landgericht in diesem Fall auch sucht. Dass damit die Debatte erst angestossen wird und diese körperliche Integrität auch in andern Fällen zukünftig anders zu gewichten sein wird, ist auch klar. Die Richtung, in welche wir uns aber bewegen, ja bewegen müssen, ist ganz deutlich – und folgerichtig. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mag nun in Köln angestossen worden sein – sie wird nicht auf Deutschland beschränkt bleiben.

Es gibt ganz praktische, eben praktikable Wege, Religion ausüben zu können, und dabei die allgemeinen Grundrechte des Einzelnen zu respektieren. Dass diese Grundrechte auch für in die religiöse Gemeinschaft hinein Geborene zu gelten haben, ist auf allen Seiten zu respektieren. Dass das dazu führt, dass gewisse rituelle Handlungen bewusst gewollt werden müssen und erst dann vollzogen werden können, bedeutet Wandel, nicht aber Aufgabe der möglichen seelischen Gesundung durch die Zugehörigkeit zu einer Religion.

Als Schweizer Bürger, der es sich gewohnt ist, dass er über möglichst viele Bereiche seines Lebens bewusst entscheiden kann – und der mit allen entsprechenden Konsequenzen auch seine kulturell-religiöse Identität bejaht – oder eben suchen muss – wünsche ich mir, dass dies für alle meine Mitbürger genau so gilt, und dass, wer auch immer Autorität über Menschen ausübt, dabei das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen nicht übergeht.

Schweizer Minarette sind keine Frage für Prinzipienreiter

∞  9 Juli 2011, 17:13

Der euopäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärt die eingereichten Beschwerden zum Schweizer Minarettverbot für ungültig. Die Kläger sind gar nicht betroffen. Und jene, die so betroffen sein sollen, können ihren Glauben offenbar auch ohne Minarette ungestört ausüben. Ich werde nie verstehen, dass das irgend jemanden wundern kann. Oder konnte.


Lang scheint sie her, die Aufregung über die Schweizer Abstimmung gegen die Errichtung von Minaretten. Hoch schlugen die Wellen in der Diskussion vor allem deshalb, weil man im In- wie Ausland das Verbot von Minaretten mit einer Beeinträchtigung der Religionsfreiheit gleichsetzte. Und das häufig zu hörende Argument war:

Die Initiative ist mit dem geltenden Recht auf Religionsfreiheit nicht vereinbar und wird folglich vom Europäischen Menschengerichtshof bei erster Gelegenheit kassiert werden.

Nun hat – nach dem Bundesgericht in Lausanne – der EGMR in der Sache ein erste Mal geurteilt – und dabei die Chance wahr genommen, die Klage aus en streng formalistisch Gründen für ungültig zu erklären:

Denn die Klage wurde von Aktivisten vorgetragen und damit nicht von direkt Betroffenen, welche sich in ihrer Religionsfreiheit eingeschränkt sehen, weil sie ihrer Moschee nicht auch noch ein Minarett beistellen können. Klagen können aber nur Direktbetroffene, und so lange also die Gläubigen selbst finden, dass sie in der Schweiz ihren Glauben in Moscheen und Gebetsräumen praktizieren können, ohne es dafür ein Minarett bräuchte, werden wir noch lange auf eine inhaltlich zu entscheidende Klage warten können.

Lang ist es her, schon fast ein Jahr, seit den wilden Anwürfen im In- und Ausland, die eine scheinbar reaktionäre Schweizer Volksdemokratie aufs Korn nahmen. Geblieben ist das Gefühl der Übertreibung – und der Eindruck, dass die ganze Auseinandersetzung vor allem jenen geschadet hat, welche die Anrufung des EGMR wirklich nötig haben und sich auf die Substanz wirklicher Verletzungen der Menschenrechte berufen müssen, weil sie sonst kein Gehör finden – und schon gar keinen Sukkurs. Denn mit solchen intellektuell abgehobenen Anwürfen wird die wichtige Substanz der Menschenrechtsbegriffe ausgehölt. Die meisten Schweizer, welche Minarette nicht wollten und dazu standen, werden umgekehrt sehr wohl die wirklichen Menschenrechte verteidigen, wenn sie angegriffen werden: Dafür hilft es, wenn wir alle diese Errungenschaften ziviler Gesellschaften nicht mit falscher Empörung aushölen. Wir sollten überall da aufstehen und uns wehren, wo Glaubensgemeinschaften und kulturelle Gemeinden ihre Bräuche tatsächlich nicht pflegen können, obwohl sie sich korrekt in die Prinzipien des Zusammenlebens mit ihrem Gastland eingefunden haben. Da haben wir alle dann nämlich ein Stück Vielfalt, Gemeinschaft und Horizonterweiterung zu verlieren, und eine Gefahr politischer Instrumentalisierung abzuwenden, die sich auch gegen uns selbst wenden kann:

Wer in einer Volksdemokratie lebt und sich als Teil davon begreift, erlebt sehr schnell, wie oft er zu den Verlierern gehört – und deshalb darauf angewiesen ist, dass ihm objektiv uneinschränkbare Rechte tatsächlich nicht aberkannt werden, obwohl er in der Minderheit ist.

Gerade wir Schweizer wissen, dass eine Gemeinschaft dadurch an Wert gewinnt, dass es sich in ihr in der Minderheit gut leben lässt. Auch und gerade, weil die Zugehörigkeit zu Siegern und Verlierern doch immer eine Entscheidung in der Sache sein soll, die bei jedem Geschäft neu verhandelt wird und sich auf nichts anderes stützt, als auf die zu findende Regel, die allen eine verträgliche Leitschnur an die Hand geben kann. Und das geht im Fall des Minarettverbots sehr wohl. Und je besser “es geht”, um so schneller wird sich der Zeitgeist wandeln und einer Frage, die nun in ihrer Symbolik zu einem scheinbar militanten Abwehrreflex Gelegenheit bot, irgendwann jede Brisanz nehmen. Und dann darf man in diesem Sinn auch Türme bauen. Zuvor wären sie, im Grunde, auch ein bisschen Heuchelei. Oder eben reines Juristenfutter.







Ein Symbol ist tot. Und sonst?

∞  2 Mai 2011, 21:11

Osama bin Laden ist tot. Die Aufregung ist gross, die Erregung auch. Gewonnen ist noch nichts. Wir konstatieren auf jeden Fall neue Twitter-Rekorde. Und peinliche Verzwitscherer auch. Und was bleibt, ausser der Tatsache, dass die Börse auch zukünftig auf alles überreagieren wird?


Selten waren die Zeitungen von heute so sehr von gestern. In unseren frühen Morgenstunden trat der US-amerikanische Präsident Barack Obama vor die Medien und verkündete, dass eine Einheit der Navy Seals 100km nördlich von Islamabad Osama bin Laden gestellt und erschossen habe. So konnte man in den folgenden Stunden zumindest die News-Lage nach und nach zusammen setzen. Dabei wurde auch in diesem Fall dem Begriff “Lauffeuer” durch Twitter eine neue Dimension verliehen: Die Firma Twitter gab bekannt, dass zeitweise pro Sekunde (!) 4000 Meldungen zum Thema abgesetzt worden seien. Dabei brachten nicht wenige Zwitscherer in der Aufregung peinliche Tippfehler zustande. Nicht nur der Regierungssprecher der Bundeskanzerlin Angela Merkel, Steffen Seibert, vermeldete den Tod von Obama bin Laden, auch Fox News und andere grosse Medienhäuser schafften das gleiche.

George W. Bush gratulierte seinem Nachfolger im Präsidentenamt zum Erfolg und nannte die Erschiessung des Terroristenführers eine “Errungenschaft”. Der Mann ist zwar befreit von alten Amtsbürden, hat aber ganz offensichtlich noch immer seine liebe Mühe, Ereignisse verbal angemessen zu kommentieren. In New York bei Ground Zero tanzten die Leute vor Freude und feierten einen Tod. Die Börse jubilierte und folgerichtig stiegen viele Kurse.

Innert Stunden bekamen wir so die ganze Absurdität unserer Befindlichkeiten und deren Ausdruck vorgeführt. Tatsache ist: Die Welt dreht sich immer schneller, sie ist nicht mal mehr mit gezwitscherten Zwischenlauten zu erzählen, es sei denn, wir delektieren uns an unseren Verhaspelungen im grotesken Bemühen, es doch zu schaffen . Es wird in Emotionen gebadet und prognostiziert und proklamiert, was das Zeug hält.

Wahrscheinlich sinken die Kurse schon morgen wieder:

Denn auch das hat der elegante Herr aus dem Weissen Haus gesagt: Es ist, gerade jetzt, und auch in naher Zukunft, eher wahrscheinlicher geworden, dass neue Terroranschläge verübt werden. Die verstreuten Terror-Zellen werden zu beweisen versuchen, dass man noch immer Angst vor Al Kaida haben sollte – und ich bin sicher, auch an der Börse wird schon darauf gewettet.

Man hat einer Symbolfigur in den Kopf geschossen. Das ist ein starkes Bild und lässt Menschen durchatmen, die unter dem Terror tatsächlich gelitten haben. Alle anderen sollten dem Gedanken Raum und Zeit geben, dass am Ende doch ein Ausgleich unter den Kulturen stehen müsste, der die Ächtung jeder Form von terroristischer Gewalt mit einschliesst – und die Souveränität der einzelnen Staaten generell höher achtet. Und der Bürger, die in ihnen leben, auch.
Das, was hierzu die jungen Menschen in den arabischen Revolutionsbewegungen dieser Wochen vorleben, bringt Al Kaida und jede islamistische Hetzbewegung viel mehr in Bedrängnis als jede westliche Kommandoaktion.







Wegsehen gilt nicht. Nicht länger.

∞  16 Januar 2011, 21:45

Von unserer Unfähigkeit, der versteckten, ja der offenen Gewalt couragiert zu begegnen.




Der sexuelle Missbrauch minderjähriger weisser Mädchen durch Banden muslimischer Männer in Nord-England galt bisher als Tabu.


So beginnt ein Artikel von Martin Alioth in der heutigen NZZ am Sonntag (Print, Seite 5). Ich weiss, dass ich hier in der Folge einen weiten Bogen spanne, dass es für den Umgang mit konservativen Muslimen in Teilen Englands eine politische oder gesellschaftliche Erklärung gibt, dass England nicht die Schweiz ist, nicht sein muss, aber dennoch ist auch diese Geschichte ein weiterer Grund, dass einem übel werden kann. Nicht wegen der Täter – sondern wegen unserem Verhalten. Es ist überall und immer das gleiche: Es wird dem Frieden willen geschwiegen, vertuscht, zugedeckt, ethnische oder religiöse Gründe hinter solchen Verbrechen negiert.
Besonders bitter daran ist, dass viele einheimische Kreise die Diskussion am liebsten nicht führen möchten, weil sie sich nicht mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert sehen wollen. Dass ein rassistisches Menschenbild am Ursprung solcher Vorfälle steht, wird hingegen in Kauf genommen (für die im Artikel im Fokus stehenden pakistanischen Muslime sind die eigenen Mädchen unberührbar, während westliche Mädchen als minderwertig und sexuell zugänglicher gelten – worauf man sich gerne bedient und gleichzeitig dann mit dem Finger auf die Frauen zeigt. Nun, der letzte Teil ist wieder allzuoft männerspezifisch und hat mit dem Thema allgemein zu tun).
Entscheidend aber ist doch, dass das gesellschaftliche Bild dieser Gruppe Menschen nicht ins hiesige Wertesystem passt – und dass es umgekehrt absolut undenkbar wäre, pakistanische Behörden würden ein entsprechendes Verhalten einer nichtmuslimischen Ethnie nicht rigoros ahnden.

Nun wünsche ich niemandem bei uns, absolut niemandem, eine entsprechende Behandlung, aber ich erwarte von uns selbst, dass wir solche Missstände ohne jede Scheu absolut offen auf den Tisch legen und die Diskussion führen. Jede Art von Angst, sei es vor dem Vorwurf des Rassismus, sei es vor der Themenfütterung rechtsextremer Kreise, ist falsch. WENN eine offene Thematisierung solche Auswirkungen hat, dann ist es höchste Zeit, dass wir sie zur Kenntnis nehmen und eben genau so offen Gegensteuer geben. Aber jede Frau hat bei uns das Recht, dass sie nach dem säkularen Recht unseres Staates geschützt bzw. dass ein Übergriff entsprechend sanktioniert wird. Und jedes Mädchen hat das Recht sowieso. Ich schäme mich in Grund und Boden für uns, wenn ich immer wieder Geschichten höre von Gewaltverbrechen, in denen nicht mit absoluter Konsequenz gegen die Missachtung der körperlichen und seelischen Integrität junger Menschen vorgegangen wird:
Es scheint mir, dass wir nach und nach die Zeche bezahlen für die Feigheit, mit der wir uns vor unpopulären Massnahmen drücken. Die Folge wird nicht die Vernunft sein, sondern die Orientierungslosigkeit und unverholene Verachtung jener, die dem Staat und damit uns auf der Nase herumtanzen können. Umgekehrt aber würde jeder eingegliederte junge Mensch mit andersartigem ethnischem Hintergrund unser aller Gemeinschaftsleben doch so sehr bereichern! Jeder soll die Chance haben, auf Fehlern zu lernen. Jedem aber muss auch garantiert sein, dass seine Fehler Konsequenzen haben.

Und noch etwas aus einer heutigen Diskussion als Ergänzung:
Es ist immer wieder zu hören, dass es vor allem links stehende Behördenmitglieder seien, welche einen laschen Umgang der Sozial- und Strafbehörden mit ausländischen Mitbürgern pflegen würden. Konservative Politiker machen das Ausländerthema immer wieder zum Wahlkampfschwerpunkt. In der Besetzung der Exekutivämter aber fühlt man sich dann eher den Wirtschaftsressorts verpflichtet: Es ist eben sehr viel einfacher, einen Behördenapparat von aussen zu kritisieren, als ihn von innen zu reformieren. Ich warte also auch hier auf die Übernahme von mehr Verantwortung, und auf den ersten gewählten SVP-Politiker, der dann explizit wünscht, das Sozialamt zu übernehmen…




Heisig nachholen, Sarrazin überholen, bitte!

∞  23 Dezember 2010, 20:12

Es ist bald Weihnachten. Zeit zur Besinnung, Zeit zur Reflexion, um Diskussionen, die das Jahr prägten, nochmals aufleben zu lassen und einzuordnen. Jeder Fernsehsender, jedes Medium macht das. Da kann ein Blog gut darauf verzichten. Aber als Menschen verhalten wir uns genau so. So gehen wir mit der eigenen Geschichte um, so versuchen wir einzuordnen, was geschah, und was uns auch im Neuen Jahr begleiten wird.

Mit etwas Abstand zum Siedepunkt der Debatte, mit der Erzählung einer biblischen Völkerwanderung als Hintergrund, auf der die Weihnachtsgeschichte zumindest aufbaut, befasse ich mich noch einmal mit der Debatte um die Ausländerproblematik in Deutschland (welche in ganz Westeuropa sehr heftig geführt wird) und mit zwei Protagonisten der Diskussion, die so unterschiedlich wahr genommen werden, dass die persönliche Tragik, welche diesen Personen zugedacht ist, auch auf uns zurück fällt:

Da hat also ein Finanzpolitiker und Bundesbankvorstandsmitglied ein Buch geschrieben, wonach Deutschland im Begriff ist, sich abzuschaffen. Demographie, für Viele zu Demagogie verbogen, wird per Statistik seziert und manche sozialpolitische Aussage statistisch untermauert und danach zurück interpretiert. Die hauptsächliche Krux ist die Generalisierung, die aus statistischem Material Thesen macht, die allzu schnell verallgemeinernd angewandt zum Politikum werden – so sehr, dass die Bundeskanzlerin das Buch verrissen hat, bevor sie es überhaupt lesen konnte. Alle Welt diskutiert mit, die Debatte wird an jedem Tisch im Fernsehen und in der Beiz geführt. Es geht immer um Gruppen, um Synonyme, um Menschenbilder, um “die Ausländer”, “die Schule”, “den Islam” etc. Gegen all dies kann man gerade deshalb sehr leicht argumentieren – aber auch dafür. Thilo Sarrazin erfährt viel “Aufmerksamkeit”. Er wirkt nicht unbedingt so, dass er alles davon gerne in Kauf nimmt. Die Anfeindungen könnten ihm innerlich sehr viel mehr zusetzen, als zu erkennen ist. Eine weitere Radikalisierung des Themas ist auch aus seiner Warte nicht auszuschliessen…

Während wir uns also den Mund fusselig reden, hatte mit Kirsten Heisig eine Jugendrichterin in Berlin auf Grund real sich in ihrem Tätigkeitsfeld manifestierender Fakten politische und praktische juristische Konsequenzen im Sinn – und postulierte eine sehr viel verbindlichere, straffere und schneller und klarer auch strafende Jugendstrafgesetzbarkeit – auch zum Wohl und zur Orientierung der betroffenen jungen Menschen. Die Botschaft lautete: Sich kümmern bedeutet auch, Ordnung durchzusetzen, notfalls mit Konsequenzen.

Heise erlebte vieles praktisch, das wir nur theoretisch diskutieren. Im Gegensatz zu uns und allen Politkern wollte sie aber auch die schnelle praktische Veränderung – und sie setzte sich dafür mit viel Sachverstand und hohem Mut ein. Wie Sarrazin wurde sie oft falsch verstanden, und manche wollten wohl gar nicht verstehen. Kirsten Heisig hat sich aufgerieben. Diese mutige Frau lebt nicht mehr unter uns. Sie hat sich das Leben genommen, und es passt zu ihrer Geschichte, dass öffentlich niemand genau zu berchten weiss oder will, woran sie genau zerbrochen ist.

Uns aber sollte sie nicht vergessen gehen. Denn sie versuchte genau das, was eigentlich not täte: Wenn man Missstände ausmacht, und sie anpackt, dann bedeutet das Veränderung (dass diese Veränderung oft nur darin liegt, dass bestehendes Recht verbindlich eingefordert wird, ist peinlich genug). Wenn nur darüber diskutiert wird, wird nur Wahlkampf gemacht.
Wir alle können etwas tun. Was? Es liegt glasklar auf der Hand:
Alle, die gelesen haben, wie sich Deutschland abschafft, aber nicht, was man dagegen tun kann, sollten dringendst in die Buchhandlung gehen, und Kirsten Heisigs Buch kaufen:

Kirsten Heisig:
Das Ende der Geduld
Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter
Erschienen bei Herder Verlag , 26.07.2010
ISBN-10:3-451-30204-7
EAN:9783451302046

Ach ja: Als e-book kostet es CHF 12.60, zu beziehen z.B. hier




Ein Beispiel für muslimischen Religionsunterricht

∞  13 Dezember 2010, 06:30

Die Zentralschweiz ist ein bodenständiger Ort, entsprechend hoch sind dort die Stimmenanteile, wenn es um die Eindämmung fremder Einflüsse geht, um die Minarettinitiative zum Beispiel, oder um die Ausschaffungsinitiative.

Da ist es doch einigermassen erstaunlich, dass ausgerechnet im Kanton Luzern, in Ebikon und Kriens schon seit acht Jahren an der Schule Islam-Unterricht für muslimische Kinder erteilt wird.

Auch die Ostschweiz gilt als bodenständig konservativ, und so ist auhc in Kreuzlingen seinerzeit die Minarettinitiative überdurchschnittlich deutlich angenommen worden. Aber ausgerechnet Kreuzlingen ahmt nun die Beispiele aus dem Kanton Luzern nach und übernimmt eine Vorreiterrolle für die Ostschweiz.

Die Zahlen und Fakten:

Anteil muslimischer Schulkinder in Kreuzlingen: 25%
Teilnahme der Kinder am islamischen Religionsunterricht: 24 von 29
Herkunft der Eltern der Kinder: Albanien, Bosnien, Türkei
Finanzierung:
Räume wie bei Katholiken und Reformierten durch Schule zur Verfügung gestellt.
Lehrpersonen:
1/3 durch Moscheegemeinschaften.
1/3 durch Eltern (120 Franken pro Kind)
1/3 durch Kirchgemeinden, Stsdt und Private
u.a.: 1500 CHF Kollekte in katholischen Gottesdiensten
2000 CHF durch Stadt Kreuzlingen für Infrastruktur und Einrichtungen.

Der Unterricht wird von einem Imam in deutsch erteilt. Grundlage ist ein deutsches Lehrmittel zur Einführung in den Islam, das für christliche Kinder konzipiert wurde. Laut dem Imam, der der albanischen Gemeinde seit acht Jahren vorsteht, eignet es sich bestens.
Rund die Hälfte der Kinder weiss kaum etwas über den Islam.

Die langfristige Finanzierung ist nicht gesichert. Das Projekt wird von der pädagogischen Hochschule begleitet und ist vorerst auf drei Jahre ausgelegt.

Betont werden die folgenden Punkte:

Der Imam erteilt den Unterricht nicht in der Moschee, sondern in der Schule. Und zwar auf Deutsch. Es gibt daher auch kein Auswendiglernen des Korans, keine Rezitationsübungen. Unterrichtsziel ist auch die Vermittlung von Wissen über andere Religionen, damit die Kinder lernen, was die Merkmale der Religion der Mitschüler sind.

Die SVP ist gegen das Projekt. Es könne nicht sein, “dass Steuergelder an die Muslime gehen”.

Quelle:
NZZ am Sonntag, 28. Nov. 2010, Seite 15: “Wenn der Imam in die Schule kommt” von Matthias Herren




Der Bundespräsident aller Einwohner

∞  11 Oktober 2010, 20:47

Christian Wulff, neuer deutscher Bundespräsident, hat zur zwanzigjährigen deutschen Einheit sich nicht gescheut, das wirklich heisse Eisen anzusprechen. Ich schreibe bewusst “ansprechen” und nicht “anfassen”, denn mit seiner Bemerkung, der Islam bzw. die Muslime würden zu Deutschland gehören, hat er die Islam-Debatte in Deutschland auf der Ebene weiter befeuert, auf der sie in ganz Europa geführt wird: Intellektuell, als Bildungsbürger und Mann der guten Absicht, aber fern konkreter Massnahmen. Genau so gefallen wir uns alle in der Debatte rund um die Integrationsprobleme von Migranten mit muslimischem Religionshintergrund.

Eigentlich hat der Herr Wulff gar nichts Falsches gesagt, und hätte er sich auf die Bedeutung der Aussage konzentriert, dass er der Bundespräsident aller in Deutschland lebenden Menschen sei, dann hätte daraus was werden können. Etwas Handfestes, ein Ansatz, der allen Menschen aufgezeigt hätte: Aha. Wir sind ein Miteinander, wir tragen Verantwortung – und umgekehrt fühlt sich ein Staatsoberhaupt verantwortlich. Für uns alle.

Es hätten keine Unterschiede platt geredet und kein Problem negiert werden müssen, es hätte schlicht die Aussage bedeutet, dass wir alle den jeweiligen Staat bilden, in dem wir leben. Und wir alle können unsere freie Meinung darüber haben, wie und in welcher Weise der Staat auf seine Bürger Einfluss nehmen kann und soll. Wir bleiben ihm dabei mitgestaltend unter- und eingeordnet. Bei Buddhisten z.B. wäre es wohl auch bei einer ähnlichen Bemerkung geblieben. Kein Mensch und also auch kein Politiker käme auf die Idee, die einheimische Kultur in einem grossen Gedankenschweif mit derjenigen der Buddhisten gleich zu setzen.

Nun leben vier Millionen Musliminnen und Muslime in Deutschland, und damit ist das Thema eben politisch – und wird auch entsprechend angegangen. Indem man einen Integrationsprozess, der noch zwei Generationen dauern dürfte, schlicht wegdenkt, weil man doch so viel guten Willen einzubringen vermag, löst man aber keinen einzigen Knoten. Wulff hat zwar in der Folge betont, dass von allen Bürgern die Respektierung des Rechts und dessen Durchsetzung gefordert werde – und dergleichen mehr. Nur: Hat man sich mal auf so dünnes Eis begeben, wird jede weitere Erklärung zum Eiertanz. Und in diesem Fall durchaus auch zur Beleidigung jener Migranten mit islamischem Hintergrund, die mit dem hiesigen Wertesystem nicht die kleinsten Schwierigkeiten haben. Auch sie müssten dies nicht noch extra betonen müssen, wie ich es auch nicht muss. Und genau diese aktiv in der Gesellschaft mitmachenden Muslime wünschen sich alles, nur nicht die Unterschlagung bestehender Integrationsprobleme im Kreis ihrer Nationalitäten.

Warum also nicht weniger grosse Worte brauchen – und mehr Taten initiieren? Wenn eine deutsche Lehrerin über den Deutschenhass ihrer in grosser Mehrheit türkischen Schüler berichtet, dann kann man auch darüber theoretisieren und dies wunderbar erklären. Es löst aber das Problem der Lehrerin nicht, so lange keine wirklichen Haltungen eingenommen werden:

Es gibt, habe ich mir sagen lassen, in Berlin Neukölln wunderbar funktionierende Schulen, in denen deutsche Kinder als Minderheit sich sehr wohl fühlen und Multikulti in bestem Sinn funktioniert. Aber es gibt eben auch diese anderen Mikrokosmen, und gerade die eher linken politischen Lager täten sehr gut daran, der oben angesprochenen Lehrerin dabei zu helfen, diesen Kosmos für die Schüler gerade zu rücken – und ihnen Grenzen zu setzen:

Es braucht in diesen Einzelfällen keine theoretischen Erklärungen über irgendwelche Ursachen, sondern es ist die Unterstützung der Autorität gefordert, die dem einzelnen Kind (und deren Eltern) sagt:

“Deine Verhaltensweise ist inakzeptabel. Egal, in welchem Umfeld du gross geworden bist.”

Wir können nicht die mangelnde Autorität von Lehrern beklagen, und sie dann in schwierigen Abgrenzungessituationen im Regen stehen lassen. Es ist richtig, das eigene Denken und Handeln immer wieder zu hinterfragen und gegen jede Form von Rassismus vorzugehen. Wenn das für alle Bewohner meines Landes gilt, dann, nur dann, wird dieses Land inneren Frieden finden.

Auf dem Weg dahin braucht es in den Schulen Erziehung. Und in der öffentlichen Diskussion Haltung, Standpunkt und Anerkennung von Problemfeldern. Vielleicht kann man es so sagen: Die Diskussion sollte entpolitisiert und vergemeinschaftlicht werden. Die bestehenden Unsicherheiten wären so nicht mehr länger Wahl- und Stimmungsfutter für rechte Parteien. Werden Integrationsprobleme offen angesprochen, fehlt dem rechten Block die eigentliche Kernkompetenz: Er ist nämlich nur dann wirklich ein Thema für erschreckend Viele, wenn er glauben machen kann, nur er sähe das Problem wirklich.

Ja, ich wünsche mir die friedliche Integration unserer muslimischen Mitbürger. Ich möchte mehr über den Islam erfahren. Ich stelle mir ein multikulturelles Gemeinschaftsleben farbig und reich vor. Und es funktioniert an vielen Orten, aber es ist längst nicht selbstverständlich und gegeben. Wollen wir dahin kommen, dann müssen wir die Bereitschaft zur Öffnung fördern und fordern. In einem Prozess der kleinen konkreten Schritte – statt der grossen intellektuellen oder populistischen Gesten. Basisarbeit, Leute. Am besten dort, wo wir selbst leben und arbeiten. Mal als Anfang. Mehr reden über dich und mich. Statt “über die anderen”.


Quellen:
NZZ: Erregte Islamdebatte in Deutschland von Ulrich Schmid
Die Zeit: “Schweinefresser” von Jörg Lau, Print No 41/2010, Seite 4
Die Zeit: Unser Islam? von Ulrich Greiner




Wenn es aus der falschen Ecke tönt...

∞  12 September 2010, 18:25

Thilo Sarrazin und die Debatte um den Einfluss der muslimischen Einwanderung aus das Bildungsniveau und -gefälle in Deutschland läuft also. Tut sie das wirklich? Oder ist es am Ende so, dass sich viele Rädchen drehen, aber eher im Leerlauf? Meiner Meinung nach ist die Debatte nämlich noch gar nicht wirklich angelaufen. Wobei “Debattieren” das treffende Wort ist. Von “Diskutieren” kann wohl erst recht nicht geschrieben werden. Das grösste Problem zeigt sich dabei in den Medien im gleichen Phänomen, das in der Schweiz die öffentliche Diskussion um das Minarettverbot bestimmt hat: Eine vorauseilende Abgrenzung verhindert die wirkliche Einlassung auf Inhalte.

Sehr schön zeigte sich das zu Beginn. Wohl keine Zeitung, die sich nicht bemüssigt sah, vorgängig dem Leser zu erklären, warum man in der öffentlichen “Diskussion” eines Buches eines vermuteten Rechtsaussen einen publizistischen Auftrag sehe, der auch dann nötig sei, wenn man damit, natürlich gänzlich ungewollt, für ein übles Machwerk auch noch Reklame machen würde. Vordergründig versuchte man so klar zu machen, dass man den Auftrag, gesellschaftspolitische Thesen kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten, ernst nehme. In der förmlichen Entschuldigung, warum das auch in diesem Fall so sein solle, machen die Medien aber vor allem eines klar: Dass ihnen nichts so wichtig ist wie die Distanzierung von einer Strömung, für die man Sarrazin stehen sieht. Die vorauseilende Ortung wird dem Leser mit dem eigenen Standesdünkel der Weltoffenheit mitgegeben, bevor man sich auf das Buch eingelassen hat – und vor allem, bevor sich der Leser darauf eingelassen hat. Damit riskieren die Medien vor allem eines: Dass sie jene Leser gleich zu Beginn verlieren, welche in ihrem Grundgefühl Sarrazins Motivation nicht gänzlich negativ gegenüberstehen. Das sind im übrigen auch nicht einfach die dummen und hoffnungslos verlorenen Leser, sondern auch all jene, die sich durchaus ein eigenes Urteil zutrauen und sich dieses auch selbst bilden möchten. Mit Hilfe der journalistischen Zunft – aber einer, welche die Grundlagen für Urteile liefert – und diese nicht vorneweg nimmt.

In den einzelnen Debatten ist immer wieder das gleiche Phänomen zu beobachten: Sarrazin bemüht Statitstiken und Expertenurteile, versucht mit diesen Schlussfolgerungen, die man teilen kann oder missbilligen. Sie aber einfach zu negieren und die Kälte zu verdammen, die man in diesen Aussagen vermutet, ist keine Diskussion. Denn der Einzelfall, der einzelne Bildungsauftrag beim einzelnen Kind, die Aufgabe von Staat und Eltern für diese eine Person ist die individuelle Problemstellung – die Geisselung oder Herausarbeitung einer Tendenz mit statistischem Material ist deswegen aber nicht falsch.

Sarrazin weist auf Gefahren in der Bevölkerungsentwicklung hin, die viele Bürger selbst auch sehen. Mit humanistischen Grundhaltungen und entsprechender Empörung allein kann hier nicht Gegensteuer gegeben werden. Vielmehr wäre es notwendig, sich tatsächlich aufrütteln zu lassen – von mir aus sehr wohl im Bemühen, Sarrazin NICHT Recht geben zu müssen. Dazu aber würde gehören, sich politisch so zu engagieren, dass der konkrete Bildungsauftrag an jedem Schüler tatsächlich erfüllt wird – und damit der dazu gehörende Integrationswillen der Eltern – zum Wohle der Kinder – auch eingefordert würde. Und zwar verbindlich. Dies ist aber in viel zu vielen Sitationen und an vielen Orten nicht der Fall, und die Frontkämpfer in der Schule werden in der täglichen Mühle sehr allein gelassen, während die begleitenden staatlichen Ämter oft einen sehr ungenügenden Zugang zu den inneren Zirkeln der Migranten haben und die Forderung nach gleicher Bildung für alle auch nicht durchsetzen mögen – weil eben die dazu gehörende Bereitschaft zum unpopulären Nachdruck und damit zur Konfrontation oft fehlt. Toleranz verkommt viel zu oft zu fehlender Verbindlichkeit, zu fehlender Standfestigkeit, und führt damit zu Ungleichheiten.

Die Bürger, darunter auch viele aufgeschlossene Angehörige muslimischer Volksgruppen, wünschen sich sehr wohl die Durchsetzung einer einheitlich freiheitlichen Gesellschaftsordnung, in der sich ethnische Brauchtümer den Regeln des Wohnlandes anzupassen haben. Dass dies in einigen Volksgruppen wenig bis überhaupt nicht gelingt, ist eine Tatsache, die man auf der Grundlage dieser Debatte in eine echte Diskussion führen sollte. Es ist kleinlich, sich dem zu verschliessen, nur weil der Impuls dazu von einer Person und aus einer Richtung kommt, der man schlicht keinen Einfluss zugestehen will. Schon gar nicht auf das eigene Denken.

Vielleicht aber ist es ja durchaus humanistisch, eine Einwanderungspolitik zu betreiben, die sich an den Realitäten und den tatsächlichen Gefühlen der Menschen orientiert und die damit dazu beiträgt, dass jene, die einwandern, auch tatsächlich gute Bedingungen antreffen, um sich integrieren zu können. Jede Gesellschaft hat ihre Ressourcen. Die sind auch intellektueller Art. Was aber davon auf den Boden gebracht wird, entscheidet sich in der Realpolitik. Und damit auch mit der Frage, wie weit sich (integrierte) Einwanderer selbst in dieser Politik und in vermittelnden Positionen zu engagieren bereit sind – mit der klaren Wertung, dass das Bildungssystem des Gastlandes das Bildungssystem für alle Gruppen sein muss. Wohl kein anderes solches System auf der Welt enthält so viele Usanzen, welche tatsächlich Toleranz enthalten, wie hier bei uns. Entsprechend gross düfen die Anforderungen an diese Gruppen sein, egal welcher Ethnie, sich tatsächlich auf das Land einzulassen, in dem sie wohnen.

Wenn z.B. gesagt wird, immerhin 50% der Teilnehmer an Sprachkursen für Erwachsene Migranten in Deutschland würden freiwillig teilnehmen, so ist das für mich kein Erfolg (schon gar nicht wenn ich an die Chancen derer Kinder denke…). Es bedeutet nämlich, dass jeder zweite Teilnehmer vor dem Deutschlehrer widerwillig zuhört.
Meiner Meinung nach ist das eine Katastrophe. Genau so, wie es nicht richtig ist, dass diese Kurse gleichzeitig überbucht sind, weil es viel mehr solche Angebote geben müsste.
Dass man dabei früher oder später zum Ergebnis kommen kann, dass jene, die man zwingen muss, vielleicht eh am falschen Platz sind, ist doch kein Wunder. Wir sind, wie immer, alle gefragt: Der Staat, also wir, müssen die Ausbildung und Schulung anbieten – die Adressaten müssen sie annehmen. Es ist – für beide Seiten – schlicht das Mindeste. Daraus erst, aber dann wirklich, kann folgen, dass man statistischen und tendenziellen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt und Gegensteuer gibt. Auch mit Einwanderungsbeschränkungen, wenn sie denn auf dieser Grundlage auch begründbar sind.

Und dies ganz egal, wessen Finger auf welchen Missstand hingewiesen hat.




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