Reflexionen

In Wort und Bild gesehen, gedacht und gefühlt
Zum Betrachten, Nachdenken, Mitdenken, Vordenken
Mit Lebenslust ein Leben lang, mindestens


Ohne Ring und ohne Halt

∞  27 März 2007, 19:10

© Thinkabout – 3. März 2005

Es war ganz selbstverständlich für ihn, den Ehering nie abzulegen. Fangeisen hatte sein Vater dieses Symbol der Gemeinsamkeit einmal genannt – und dennoch zeitlebens ebenso gehandelt. Manchmal drehte er ihn gedankenverloren zwischen schweißnassen Fingern, wenn er nervös war. Jetzt war er sehr nervös – denn der Ring war verschwunden.

Er hatte dem Drängen seiner Kollegen nachgegeben und war mit ihnen in die Bar gegangen, hatte den Ring beim Eintreten verstohlen abgestreift und in die Hosentasche gleiten lassen. Warum nur?

Wollte er interessant sein für die Bardame, jung sein unter Junggesellen?

Nun stieß sein Ringfinger immer wieder zwanghaft durch das Loch in seiner Hosentasche, während er nach Hause trottete. Der Ring war verloren. Er fühlte sich für eine Lappalie übermäßig bestraft und haderte mit der Ungerechtigkeit und seiner Ungeschicklichkeit, und er schämte sich für seine Eitelkeit, in der er sehr wohl die Beleidigung seiner Frau erkannte. Die begrüßte ihn freundlich wie immer und erkundigte sich, wie die Sitzung verlaufen sei? Dann wolle sie ihm jetzt noch einen Happen zu Essen richten, das sei kein Problem.

Ihr fiel nicht auf, dass er seine linke Hand unter den Tisch schob, aber er versteifte sich ja auch erst, als er bemerkte, dass auch ihr Ringfinger leer war. Und er fragte sich warum und wie lange, und die Tatsache, dass dies schon unendlich lange so sein konnte, ohne dass er es bemerkt hätte, war allein schon Grund genug, keine Fragen zu stellen.

Die Fragen trug er stattdessen vor den Fernseher, wo er sich die Nachrichten anschaute, ohne sie wirklich aufzunehmen. Dies war nicht neu. Neu war der Schmerz, mit dem ihm auch das bewusst wurde.

Er blieb sitzen, denn er hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte.