Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Yuwarims Fürsorge ist gewiss

∞  8 Juni 2009, 19:20

Ein paar Plastiktische mit weissen Plastikstühlen, farbig geblümte Tischdecken, und ein paar Menschen, die zusammen sitzen – fertig ist die einfache aber stimmungsvolle Gartenbeiz an diesem sonnigen Nachmittag. Ein leiser Wind bewegt die grossflächigen Blätter, deren Schatten auf den Tischen hin und her springen, und am Tisch da drüben haben sich jene zusammen gefunden, welche Pause in der Arbeit haben und solche, welche die Rente geniessen können. Sie haben die Oberkörper vorgebeugt und die Köpfe zusammen gesteckt, als gäbe es gar Spannendes auszutauschen. Dabei sind sie einfach nur ganz bei sich und an diesem schattigen Platz geborgen. Das Rund, das sie an ihrem Tisch bilden, wird nur leicht aufgebrochen durch Yuwarim, nennen wir sie so, die Thailänderin mit den regelmässigen Gesichtszügen und den sanften Bewegungen, die dabei sitzt und mit lebhaften Augen dem Gespräch zu folgen scheint. Und es wird ja auch auf sie genau so wie auf alle anderen eingeredet am Tisch, wenn jemand das Wort ergreift.
Ich verstehe aus der Distanz nicht, worum es geht, und Yuwarim auch nicht. Sie versteht kaum Deutsch, ist erst seit kurzem in der Schweiz und wird schon bald nach Thailand zurück kehren, mit ihrem Schweizer Mann Sebastian und dessen Mutter, zum von ihm adoptierten eigenen Sohn, in die Welt, die sie besser kennt. Mit ihrem Mann bewohnt sie da unten ein Haus. Yuwarim hat es besser als viele andere, aber ich nehme an, dass sie sich solche Fragen gar nicht stellt. Sie nimmt das Leben, wie es eben kommt, und betrachtet Dinge als selbstverständlich, die wir längst an Gemeinwesen abgetreten haben.

Aber diese Gemeinwesen sind teuer und seelenlos. Und Sebastians Mutter fühlt sich nicht wohl im Heim. Vielleicht stört sie auch einfach, mit ihrer leicht dementen Vergesslichkeit. Yuwarim stört es nicht, und ihre Schwester in Thailand “unten” wird es auch nicht stören. Im Moment lernt Yuwarim hier im Restaurant bei einer Freundin gerade europäisch kochen für die Schwiegermutter. Sie ist stets, wenn ich sie in den letzten Wochen angetroffen habe, freundlich, anmutig, von zeitlosem Alter, schön in ihrer stillen Präsenz.

Keiner von uns möchte mit ihr tauschen. In unserer Idylle macht sie es uns mit ihrer freundlichen Art dennoch leicht, nicht weiter darüber nachzudenken, wie das Leben sein könnte, wenn es wirklich ein bisschen härter wäre, nur ein bisschen, während wir doch schon am Klagen sind.

Was passiert mit Menschen, wenn sie so unterschiedliche Kulturen kennen lernen und doch nicht die Zeit und das Wissen haben können, um zu begreifen? Wie ist es für sie, wenn sie zurück kehren in eine Welt, die ganz andere materielle Limiten kennen mag? Ich glaube, Yuwarim wird es nicht so schwer haben. Denn das, was sie uns hier schenkt, wenn wir ganz genau hin schauen, bekommt sie in Thailand ganz anders zurück, meine ich. Sie braucht es nicht einfach zu haben, sie mag es, gebraucht zu werden – und sie hat scheinbar das Glück, einen Mann zu haben, der die Ehrfurcht vor dem Alter nicht einfach abgibt in ihre Hände, sondern sich mit kümmern will. Gut möglich, dass es Yuwarim wirklich an nichts fehlen wird.