Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir im Fokus online: Das Clickvieh.

∞  10 November 2012, 16:27

Ich bin kein Journalist. Warum masse ich mir trotzdem regelmässig Kritik an der Zunft an? Weil ich auch Leser bin und mich immer masslos ärgere, wenn ich mich nur als Clickvieh “angesprochen” fühle.

istockphoto.com/koun

Es mag ja sein, dass die Zeiten schon in den Holzmedien zur Neige gingen, in denen man glaubte, mit Inhalt Quote machen zu können. Was für eine schöne Motivation, mit guter Recherche und scharfer Analyse Leser zu gewinnen! Und wie sehr attestiert man einem “Spiegel” doch, tatsächlich ein Nachrichtenmagazin zu sein. Nun ist auch SPON ein Valeur im Netz, wie sehr dank unveränderten Kriterien, mag ich nicht beurteilen. Focus, der als politisches Gegengewicht aus der Taufe gehobene Konkurrent vermochte diesem Anspruch schon in der Print-Version nie ganz zu entsprechen. Weniger Fundiertes verkaufte man dann eben als “griffigere Schreibe” als jene der Konkurrenz, man behauptete, prägnanter zu sein und attestierte dabei dem Leser doch schon in erster Linie, nicht eben mit Ausdauer gesegnet zu sein.

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Nun hat Tim Cole, einer von sieben mit Journalismus und Publizistik im Internet auf verschiedenste Weise verbundenen und vertrauten Bloggern für czyslansky [1] über den Besuch der Redaktion von Focus Online [2] geschrieben, und das weckt nicht unbedingt Vorfreude auf das, was wir vom Online-Journalismus wohl erwarten können [3].

Und wir lernen: Bei Focus Online pflegt man laut Impressum das Selbstverständnis, das “führende deutschsprachige Nachrichten- und Nutzwertportal“ zu sein. Sie ahnen es schon, das Schwergewicht liegt auf Nutzwert, nicht auf Nachrichten.

Der “Marketing Director” spicht denn auch von “userzentriertem Arbeiten” bei Focus Online. “Leserzentriert” soll und darf das gar nicht heissen. Sie sind nicht Leser. Das Wort steht bei Focus auf dem Index. Sie sind im Journalismus der Zukunft, wie ihn wohl nicht nur Focus versteht, nur noch Nutzer. Dafür brauchen Sie nicht zu lesen. Entscheidend ist, dass Sie clicken. Der Artikel muss einfach virtuell bei Ihnen ankommen.

Was im Grunde nur fehlt, ist die Gegenfrage, wie denn Focus Online meinen “Nutzwert” definiert, wenn sich in der Redaktion alle Energien darauf richten, die Seiten von mir durchclicken zu lassen. Mehr Gewinnspiele? Unsinnige Polls?

Wie wird es ein Journalist in zehn Jahren noch schaffen, auf Grund seiner wirklichen Arbeit alls Vertreter einer beobachtenden, analysierenden und kritisierenden Presse Politik, Kunst und Gesellschaft zu beleuchten – und solche Texte auch noch verkaufen zu können?

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[1] czyslansky, Wir über uns
[2] focus.de
[3] Journalismus aus dem Automaten

czyslansky entdeckt via mycomfor