Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wir erklären uns selbst

∞  23 Februar 2010, 14:49

Die unterschiedliche strafrechtliche Behandlung von Steuerhinterziehung (das Vergessen oder nicht Angeben von Einkommen oder Vermögen ist ein Vergehen,das mit Busse bestraft wird) und Steuerbetrug (die bewusste Fälschung und Abänderung von Dokumenten für eine falsche Steuererklärung ist eine Straftat, die mit Gefängnis bestraft wird) ist gegenüber dem Ausland nicht mehr haltbar. Das ist wohl Fakt, denn tatsächlich können ausländische Regierungen und Bürger dies oft nicht nachvollziehen.

Es ist nicht überraschend, dass im Umkehrschluss nun die nationale politische Debatte darüber beginnt, wie wenig eine solche Unterscheidung überhaupt noch statthaft sei. Ist sie nun wirklich so spitzfindig, wie nun behauptet wird?

Erstaunlicherweise kommen Vorstösse zur Aufhebung der Unterscheidung nicht nur von links – nein, die Justizministerin Widmer-Schlumpf bringt das Thema gleich selbst aufs Tapet und lässt Finanzminister Merz´Augen noch grösser und starrer wirken. Es ist dann also vielleicht Zeit, mal auf einen besonderen Grund hinzuweisen, der am Anfang dieser Unterscheidung steht und vielleicht ein wenig plausibler macht, warum diese Differenzierung im Umgang mit dem Schweizer Steuerpflichtigen sehr wohl Sinn gemacht hat. Danach kann man sich dann darüber unterhalten, ob das so bleiben soll und man so was wie eine besondere Kultur verliert, wenn man diese Praxis aufgibt, oder ob es tatsächlich ein Zopf ist, der abgeschnitten gehört wie die Kravatte am Karneval.

Im Gegensatz zu ausländischen Steuererhebungsverfahren kennen wir in der Schweiz das Prinzip der Selbstdeklaration. Der Arbeitnehmer stellt uns zwar einen Lohnausweis aus, er reicht diesen aber nicht an die Steuerbehörde weiter, sondern händigt ihn uns aus.
Es ist an uns, gegenüber dem Staat unseren Lohn zu deklarieren – neben allfälligen Nebeneinkünften etc. Wir berechnen auch alle unsere möglichen Abzüge davon selbst, wählen Pauschalen oder direkte Abrechnung, deklarieren den Gebrauch des eigenen Fahrzeugs etc. etc.

Die meisten dieser Angestellten-Verhältnisse mögen relativ einfach und transparent erscheinen. Dennoch erfordert die Steuererklärung sehr viel mehr bewusste und erklärende Handlungen des einzelnen Steuerpflichtigen, als dies in anderen Ländern der Fall ist.

Und genau dem will die Unterscheidung zwischen Hinterziehung und Betrug Rechnung tragen, indem sie in einer restriktiven Art und Weise zugunsten des Bürgers getroffen wird, indem sie ihn vor dem vorschnellen Verdacht schützt, ein Betrüger zu sein – in dem landläufigen Sinn, wie wir das alle verstehen und damit in der Weise, die das “bewusste Vergessen” von Vermögenswerten einschliessen mag.
Dadurch, dass eine Nichtdeklaration eines Steuerwertes nicht per se schon eine Straftat darstellt, sagt der Staat aus, dass er den Bürger nicht vorschnell einem Betrugsverdacht aussetzen will. Die Regelung ist also nicht spitzfindig, sondern schlicht einfach – und in manchem Fall sicher auch bewusst naiv: Sie apelliert an den staatstragenden Willen der Bürger, dem Staat geben zu wollen, was ihm zusteht, und der Staat seinerseits sieht in seinen Bürgern nicht a priori potentielle Hinterzieher oder gar Betrüger, sondern Klienten und Kunden, für die er eine Dienstleistung für deren Steuerzahlungen zu erbringen hat. Und das gilt auch für den Steuerkommissär, der jedem Steuerpflichtigen die Wegleitung zur Steuererklärung zu erläutern hat, wenn dieser ihm eine konkrete Frage stellt.

Dass dagegen ein Berufsverband der Steuerberater opponieren könnte, weil damit unentgeltliche qualifizierte Leistungen eines Berufsstandes angeboten werden – DAS ist nach unserem Verständnis abstrus, wäre aber in Deutschland ganz bestimmt der Fall.

Wenn wir nun darüber diskutieren, ob wir im Innern, für in der Schweiz Steuern zahlende Personen, die Unterscheidung von Steuerhinterziehung und -betrug aufheben wollen, so sollten wir uns bewusst sein, dass dies einen Kulturwechsel mit sich bringen wird. Auch bin ich nicht sicher, ob diese Rechnung finanziell aufgehen würde. Natürlich weiss niemand, wie viel Geld in der Schweiz am Fiskus vorbei vergessen wird, aber nach den meisten Schätzungen ist es deutlich weniger als in anderen europäischen Ländern. Warum wohl?

Ich bin mir bewusst, dass es für manchen einfachen Bürger angesichts von Reportagen über Einzelfälle manchen Grund gibt, Steuersünder härter bestraft sehen zu wollen. Wenn wir aber eine Unkultur des Generalverdachts einführen, nachdem jede Nichtdeklaration als böswillig zu betrachten ist – dann werden wir etwas verlieren, was mit zur einmaligen Sonderstellung der Schweiz beiträgt. Im Guten. Hier sind wir tatsächlich ein Sonderfall. Und ich finde, wir sind es mit gutem Grund. Also sollten wir den Ball flach halten und in aller Ruhe und mit der entsprechenden Vernunft die Lösungen der Zukunft diskutieren.