Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Wie denkbar ist das Undenkbare bei uns?

∞  3 Mai 2008, 16:52

Dieser Herr Jemand, irgendwo in Österreich, der 24 Jahre seine Tochter und die ihr eingespritzten Kinder (ich weigere mich, hier von “gezeugt” zu reden) gequält hat: Er ist auch für mich ein Thema. Auch ich muss immer wieder daran denken, zumindest, wenn ich wieder was darüber lese.

Das ist nun vor allem auch mal ein Täter, der eine Visage hat, die man so einem Kerl auch zuschreiben mag. Aber das macht es ja nicht einfacher. Ganz offensichtlich hatte dieser Mann “ein öffentliches Leben”, machte gar Ferien in Thailand, hatte soziale Kontakte, ganz wie ein normaler Mensch, und wurde auch noch so beurteilt. Denn wie immer in solchen Fällen kann man postwendend hören, dass dieser Herr Jemand “ein netter Mensch” war, und alle fallen wir aus allen Wolken, weil wir das “nie für möglich gehalten” haben. Wie auch? Das Fürchterliche geschieht einfach. Vielleicht gerade, weil es nicht angenommen wird.

Hier sind psychische Zombies heran gewachsen. Wie soll ich das als beteiligtes Kind verdauen? Wie soll ich ertragen, verstehen, wieso ich “oben” aufwachsen “durfte”, während Geschwister “unten” noch ganz anders litten?

Wie soll ich je meinem Urteilsvermögen noch trauen und irgendwo ruhig leben können, wenn ich währende einem Teil dieser 24 Jahre Mieter in diesem Haus war?

Das Unmögliche war ja nur möglich, ist immer nur möglich, weil wir vorauseilend wissen, was uns alles nichts angeht. Und wir selber würden uns ja bedanken, würde man in unserem Privatleben rum schnüffeln!

Wir haben verlernt, uns zu kümmern. Wir kennen, weil das so bequem ist, zwischen Gleichgültigkeit und ungebührlicher Einmischung kein Mittelmass mehr. Dabei wären gerade in diesem Beispiel schon ganz wenige neugierige Fragen, noch ganz unverbindlich formuliert, bereits ein extremer Stressfaktor für den Herrn Jemand geworden. Wer hat denn schon einen Vermieter, der einem selbst geradezu droht, den Keller ja nie zu betreten?
Und welcher Mieter lässt sich – angesichts des heute starken Mieterschutzes, der auch in Österreich ausgebaut sein dürfte – noch so ins Bockshorn jagen und drohen?

Aber wahrscheinlich fehlte es einfach auch an Wissen (dem Kennen der eigenen Rechte) und an sozialer Sicherheit (auch ein Frage der Bildung, der eigenen Erfahrungen, die positiv besetzt sein müssen, wenn es um den Umgang mit irgendwelchen Personen mit Autoritätsanspruch geht). Dass das Schicksal so viele Menschen mit ähnlichen Problemen in so fataler Weise an einem Ort versammeln kann, ist unfassbar.

Und doch ist es wirklich auch eine Mahnung an uns alle: Niemand muss sich für dumm verkaufen lassen. Fragen kostet nichts, eine eigene Meinung ist erlaubt, und vielleicht gelingt es dann auch, das Verhalten dazu neu zu üben, das nichts Rechthaberisches annehmen muss: Es geht nicht um das Besserwissen, sondern um besseres Verstehen. Damit achten wir den Nächsten übrigens mehr, als wenn wir ihn achtlos an uns vorbei ziehen und sein komisches Ding weiter spinnen lassen.

Aber das ist ja alles Quatsch, was ich hier schreibe, denn, seien wir ehrlich: Wir hüten uns doch alle, genauer nachzufragen. Denn flugs sitzt Du drin, in Dingen, die dich doch eben noch nichts angingen, jetzt aber zu deinen eigenen werden, weil die gestellte Frage eine Antwort ergibt, die man nicht mehr so leicht ignorieren kann.
Wenn ich von meinem Nächsten etwas weiss, dann kann ich nicht mehr so leicht tun, als sähe ich ihn nicht. Dann muss ich ihn bewusst verleugnen. Genau darum hüten wir uns vor keinem Schritt so sehr wie vor dem ersten.

Der Herr Jemand ist also durchaus an vielen Orten denkbar. Und das bleibt wohl auch so.