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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Was wird denn da wem beschnitten?

∞  20 Juli 2012, 13:12

Das Kinderspital Zürich hat die Beschneidung von Knaben ausgesetzt. Nun haben wir sie also auch hier in neuer Heftigkeit, die Diskussion über die Religiongsfreiheit und die körperliche Unversehrtheit.

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Und ich bin, angesichts dieser Debatte, zugegebenermassen ziemlich fassungslos. Welche Ausübung der Religionsfreiheit wird denn, bitteschön, tangiert? Sie wird für die eigenen Nachkommen reklamiert, für einen Menschen also, der gar nicht für sich entscheiden kann, ob er diese Beschneidung will oder nicht. Wie kann man da allen Ernstes in einem säkularen Staat fordern, Beschneidungen müssten im Rahmen dieser Religionsfreiheit toleriert werden?

Ich verstehe das nicht, und ich verstehe uns im Umgang mit unseren eigenen Ursprüngen nicht. Wir nicken eilfertig, wenn argumentiert wird, die Erzählung der Weihnachtsgeschichte, womöglich gar noch mit Krippenspiel, wäre den Andersgläubigen Schülern nicht zuzumuten. Wir negieren mittlerweile jeden Anspruch, unsere ursprüngliche eigene Religion im öffentlichen Leben verankert zu sehen, setzen hinter jedes Überbleibsel davon, so es denn im nicht krichlich-religiösen Ritus vorzukommen droht, ein dickes Fragezeichen, bevor wir den Zopf dann auch endgültig abschneiden – mit dem Hinweis auf die gleichen Massstäbe für alle und die entsprechenden Menschenrechte.

Die Religionsfreiheit wurde schon bei der Debatte um die Minarette bemüht, und auch da war festzustellen, dass von deren Tangierung keine Rede sein kann. In einem Staat, liebe Freunde, in dem alle Weltreligionen und hunderte von anderen Lebensgestaltungsentwürfen neben einander existieren wollen und sollen, ist jedes äussere Symbol einer Zugehörigkeit zu einer dieser Religionsgemeinschaften dann zu hinterfragen, wenn es die körperliche Unversehrtheit tangiert, den gleichwertigen Schulunterricht für alle beeinträchtigt, das öffentliche Leben beeinflusst und vor allem die freie Entscheidung des Individuums unmöglich macht.

Wenn die Diskussion dann versuchsweise “versachlicht” wird und plötzlich davon gesprochen wird, dass Beschneidungen das Risiko für Gebärmutterhalskrebs mindern, hört es bei mir endgültig auf. Wenn es denn, werte Damen und Herren, ein Problem mit der Hygiene geben mag, dann lässt sich das mit einem Waschlappen und ein wenig Information im Rahmen der Volksgesundheit lösen. Für allen möglichen anderen Quatsch werden auch Broschüren gedruckt.

Entscheidet sich ein gläubiger Mensch in seiner vollen Urteilskraft ganz bewusst für eine Beschneidung, so liegt darin ein bewusster religiöser Akt mit einer spirituellen Botschaft – wunderbar. Und das meine ich völlig ernst. Das Argument, der Vorgang wäre für junge Männern schmerzhafter, ist gerade nochmals lächerlich – und demaskiert die Diskussion:

Es geht bei allen diesen Diskussionen nicht um Religionsfreiheit, sondern um die scheinbar automatisch einsetzenden Abwehrreflexe, mit denen sichtbare Reviere abgesteckt werden, weil sich ethnische und kulturelle Identitäten schlussendlich sich immer gegen andere abgrenzen wollen. Dafür ist definitiv bei der Frage der Toleranz körperlicher Eingriffe keine Rücksicht zu nehmen.