Vom Umgang mit Gurus
Meine spirituellen Wurzeln, mein Gottes- und Glaubensverständnis beruht auf dem Christentum. Die Lehre Jesu ist mir Basis, Ausrichtung und Trost in meinem Alltag und ich bete zu einem väterlich liebevollen Gott. Ich verfolge dabei keine strenge Praxis, weder bezüglich Riten noch Häufigkeit. Es ist mehr ein Reden im Alltag, ein Gewahr werden meiner kleinen und grossen Glücksgaben, meines Leids und meines Lernens.
Gebet sollte aber nicht nur ein Bitten und Danken sein, sondern in seinem Reden mit Gott auch eine Kontemplation auslösen, wenigstens nach meiner Vorstellung. Ich meine damit ein Betrachten und eine Konzentration auf die jeweiligen Fragen, die eine Haltung bewirken, eine Anschauung, die aus dem von Gott geleiteten Anschauen wächst und zu einer Sicherheit wird, nach der ich leben, also mich verhalten kann und damit auch handeln.
So wird aus dem Beten zu Gott ein Reden von Ihm zu mir, ohne dass daraus ein Eifer werden müsste, der in einem Verkündigungsdrang gipfelte. Ich würde dadurch zu einem Lautsprecher, der viel zu schnell dem Klang der eigenen Stimme zuhören würde und sich bestimmt darin noch gefiele.
Immer wieder war meine Verwunderung über Menschen gerade dann am Grössten, wenn Sie etwas gelernt hatten (oder zumindest glaubten, es begriffen zu haben) und sich sogleich daran machen wollten, selbst zum Lehrer zu werden. Ganz offensichtlich steckt das Sendungsbewusstsein ganz tief in uns drin, und ich habe den Verdacht, dass die Energie, die wir dabei einsetzen, allzu oft zu Lasten des Aufwands geht, den wir stattdessen leisten könnten, um unsere Erkenntnisse weiter zu vertiefen oder erst wirklich im Alltag zu erproben.
Was sich mir in meiner religiösen Menschwerdung innerhalb des Christentums nie erschlossen oder mich gar befremdet hat, sind vor allem drei Dinge:
1. Der Anspruch jeder Kirche,
die Wahrheit notfalls mittels Dogma zu verkünden. Die Gläubigen sind Schäfchen und damit nicht wirklich dazu aufgefordert, Inhalte der Glaubenslehre durch eigene Überprüfungen anzunehmen.
2. Sterblichkeit und die Vorstellung vom ewigen Leben
sind für mich je länger je mehr an die Wahrnehmung einer Seele gebunden, die in uns wohnt und nach uns weiter lebt, auf einer Reise, deren Anfang und Ende vor und nach meiner Körperlichkeit zu denken ist – und auch gefühlt werden kann. Daher liegt mir der Gedanke der Wiedergeburt näher als die bildliche Vorstellung eines einmaligen Daseins meiner Seele auf Erden.
3. Die christliche Mystik
wurde mir nie nahe gebracht, und so habe ich auch die Kraft der Meditation nie mit meinem ursprünglichen Glauben verbunden. Diese Ahnungen und Erfahrungen erschlossen und erschliessen sich mir durch Mittler des Buddhismus und Hinduismus.
Womit wir bei der kritischen Frage wären, ob ich ein klassisches Beispiel eines “Beliebigkeitsgläubigen” bin? Ich habe, wie wir alle, Fragen nach meinem Herkommen und Hingehen, nach meinem Sollen und Wollen, und schustere mir im Selbstbedienungsladen der Philosophie und der Weltreligionen meine persönliche Plüschversion zusammen, und damit lebe ich dann möglichst bequem(?)
Heute wird uns die Weisheit der ganzen Welt seit Menschengedenken in einer so umfangreichen und vielfältigen Weise zugänglich gemacht, wie nie zuvor, und entsprechend schwierig ist es, sich zurecht zu finden und nicht zu verlieren. Gleichzeitig ist dies eine unschätzbare Chance, wirklich einen Weg zu finden, der eigenen Seele näher rücken zu können, indem mein Leben mir viel mehr Begegnungen mit Lehren und Lehrern anbietet, die mir von ihrer Spiritualität erzählen und sie vorleben können.
Dass die Welt zum globalen Dorf geworden ist, gilt wohl für wenige Phänomene so sehr wie für jenes der Verbreitung spiritueller Lehren. Die Zahl der Gurus wie der evangelikalen Fundamentalprediger ist wohl genau so schnell wachsend wie jene realer Konsumtempel auf unserem Planeten. Wie also sich verhalten, ja auch schützen gegenüber Einflüssen, die einen falsche Illusionen entwickeln lassen mögen?
Ich habe mit drei Grundregeln hierzu sehr gute Erfahrungen gemacht:
1.
Schadet es nichts, irgend eine Lehre darauf zu untersuchen, ob sie sich wenigstens an einer über Jahrhunderte gewachsenen Erkenntnis einer (Welt-)Religion orientiert und sich auch mit ihr messen lässt, gerade, in dem sie sich damit auseinander setzt, oder ob sie in der Tradition einer sich entsprechend entwickelten Philosophie bewegt: Die seeligmachende neue Erkenntnis, die noch nicht angedacht wurde, ist kaum zu entdecken. Es gibt auch die Evolution der Geisteserkenntnisse, und das Leid des Scheiterns bisheriger Gedanken- und Seelenanstrengungen ist nicht dafür erlitten worden, dass wir uns darüber hinweg setzen, statt an genau diesen Punkten neu weiter zu denken.
2.
Ist jeder Lehre zu misstrauen, die mir die Abschwörung aller bisherigen eigenen Erfahrungen abverlangt, BEVOR ich einen neuen Weg einschlagen kann.
3.
Halte ich es mit dem buddhistischen Grundgedanken der Eigenverantwortlichkeit: Es ist mein eigenes Seelenheil, dem ich Sorge zu tragen habe, indem ich jede neue Erkenntnis nur dann als wahr annehmen soll, wenn ich sie selbst so erfahren habe: Nicht aus Liebe oder Nachfolge nachbetend, nicht im Rausch einer Gruppenerfahrung elektrisiert rezitierend, sondern zuerst im eigenen Studium, im alltäglichen, selbstverantwortlichen Leben geprüft und befragt, wird daraus ein Fundament, das auch in der Gruppe durch keinen Sog verwässert werden oder verklärt werden kann.
Bild aus Randbemerkungen,© Caro Nadler