Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Vom entschwundenen Leben

∞  2 Juni 2009, 21:42

Die im Atlantik verschollene Maschine der Air France macht ein ganz spezielles Problem deutlich, an dem sich unserem Verhältnis zum Tod nachspüren lässt.

Auf Reisen habe ich in fremden Kulturen regelmässig das Gefühl, diese würden den Tod weniger aus dem Leben verdrängen, als wir uns das angewöhnt haben.
Wer näher mit der Natur und in derselben lebt, bekommt täglich ganz anders vor Augen geführt, dass alles Leben ein Verfalldatum hat, und dass wir zu Erde und Staub werden, genau so, wie wir daraus entstanden sind. Wir aber verlernen, uns als Teil eines Kreislaufs zu sehen und erblicken im Dunkel der Ungewissheit nurmehr das Nichts.

Stirbt dann ein naher Mensch, so wollen die meisten von uns trotz aller Scheu doch eine (kurze) Begegnung mit dem Toten haben: Der Vorgang soll irgendwie begreifbar werden. Ein erlöschtes Leben muss in seinem unbegreiflichen Ende fassbar werden. Ein Abschied, zuvor verdrängt oder schlicht unmöglich, wie es bei jedem Unfall geschieht, muss sich gegenständlich fest machen können.

Der Körper, die Hülle, das Kleidungsstück, die Uhr. Irgend etwas Gegenständliches muss Zeuge sein für das, was Äther geworden ist. Entschwunden in eine Welt, die auch auf uns wartet.

Fehlt jede Gewissheit, ist ein lieber Mensch “nur” verschollen, vermisst, nicht gefunden, bleibt also nur die Ratio aller Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch nicht mehr ist, so ist es unheimlich schwer, der Natur ihr Recht zu geben – und das eigene Leben weiter zu leben, den Tod zu akzeptieren und ihm eine Geschichte zu geben, die man so stehen lassen kann. Verschollene Angehörige müssen dem Geheimnis des Vergehens ohne Beweis übergeben werden. Und doch ist ein Abschied nötig, ein Weiterleben auch, ein Frieden machen.

Würde mir der Blick auf einen “leeren”, weil so weiten Ozean einer Absturzstelle dabei helfen? Ich glaube nein. Genau so wenig, wie mir ein Grabstein hilft, die Erinnerung an einen Menschen wach zu halten. Am Ende, glaube ich, ist es meine Aufgabe, dem Toten die Ruhe zu gönnen – und mich um mich selbst zu kümmern. Besser gerecht werden kann ich keinem gelebten Leben.