Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Unser Leben in Bildern

∞  25 Juni 2011, 19:39

Alles Leben ist Begegnung, heisst es so schön. Und jedes Begegnen ist ein Malen von Bildern.
Ein Bild, das lebt, das wir gern bewahren, obwohl es uns wirklich zeigt, ist ein Moment, in dem wir uns mit uns selbst wohl fühlen – womöglich gar im Beisein Anderer. Aber wie selten ist das, wie heftig klecksen wir oft rum in unserem Bilderwahn, mit dem wir allem ein Gesicht geben wollen, bevor es zu lächeln oder zu weinen den Mut gefunden hat…


Vorsicht, wenn Sie die folgenden Gedanken aufnehmen und weiter denken: Man könnte daran auch ein wenig irre werden…

Stellen Sie sich vor, wem Sie heute schon begegnet sind – und mutmassen sie ruhig mal, was für ein Bild diese Personen sich wohl von Ihnen machen? Ganz egal, ob Sie ihnen zum ersten Mal begegnet sind oder Sie schon jahrelang “bekannt” sind. Nur zu, vermuten Sie ruhig mal darauf los! Sie werden ziemlich schnell zum Schluss kommen, dass jede dieser Personen sich ein eigenes, unterschiedliches Bild von Ihnen machen wird, und dass dieses Bild in weiten Teilen mit Ihnen nicht wirklich viel zu tun hat. Oder mit dem Blick, den Sie selbst für sich haben, mit Ihrem eigenen Bild von sich selbst. Nicht zwei Menschen in unserem Leben sehen uns wirklich gleich.

Sich ausdenken, was sich jemand anders ausdenkt ist unnütze Spielerei? Ich glaube, es ist nicht so weit davon entfernt, was wir auch selbst im direkten Kontakt mit Menschen machen. Wir kombinieren sofort, verarbeiten jede Information von Jemandem zu – eben – Bildern, Ordnungen, nach denen wir uns selbst ausrichten können. Wenn wir von uns erzählen, dann arbeitet es hinter der Stirn des Gegenübers, wir können es förmlich sehen. Es gibt kein Mittel dagegen – es gibt nur mehr oder weniger Empathie, Bereitschaft, ein schönes Bild von uns zu zeichnen.

Beim Erstkontakt “stellen wir uns vor”, damit der andere sich uns vorstellen möge, wie wir sind? Wie wir sein möchten. Wir möchten verstanden werden, gemocht, anerkannt, akzeptiert. Und weil das so ist, suchen wir das vorteilhafte Licht, das auf uns fallen möge. Und malen schon selbst an unserem Bild, während wir gleichzeitig den anderen Menschen abspeichern, ihn erfassen, scannen, beurteilen. Es geschieht blitzschnell, fortlaufend, unaufhörlich, und es gibt kein Mittel dagegen.

Je sehnsüchtiger wir uns echte Beziehungen, aufrichtige Liebe, offene Freundschaft wünschen, um so mehr sind wir versucht, selbst heftig Farbe ins Bild zu schmieren. Dabei wissen wir, dass die Erlösung, die Entspannung genau darin läge, einem Menschen sagen zu können:
Ich mache mir keine Sorgen um das Bild, das du dir von mir machst. Du versuchst wenigstens, mich so zu sehen, wie ich bin und ich darf meinerseits versuchen, mich zu zeigen. Du willst mich nicht verklären sondern wirklich sehen. Im Grunde dürfen wir zusammen einander erzählen, wie wir uns sehen. Auch und gerade uns selbst. Und wir können uns darin üben, diese Bilder zu lieben. So dass ein solches Bild schon fast eine Fotografie wird – auch sie nur ein Augenblick, ein Moment des Erkennens.

Die Erfahrung, ein Gesicht zu haben, eine Identität, die keine Bilder braucht, endlich nicht mehr, kennt ein grosses Glück: Geborgenheit.