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Schweizer gegen Minarette - wie damit umgehen?

∞  29 November 2009, 19:49

Die Schweizer haben die Minarett-Initiative angenommen. Danach heisst es zukünftig in unserer Bundesverfassung:

Der Bau von Minaretten ist verboten.

Päng. Ganz Europa zeigt mit dem Finger auf uns, wenigstens, wenn man den Medien glaubt. Was für ein Rückschritt in die Steinzeit, jenseits aller humanitären Glaubensgrundsätze.

Doch diese Diskussion ist eine Spiegelfechterei unter Intellektuellen. Nicht nur in der Schweiz haben die Medien den Bezug zur breiten Basis der Bevölkerung verloren. Auf vermutete reaktionäre Tendenzen wird mit Leitartikeln reagiert, während man gleichzeitig die redaktionellen Mittel aus wirtschaftlichen Gründen so weit verkürzt, dass es kaum mehr möglich ist, Recherchen zu betreiben oder den Job gar investigativ zu betreiben.
So werden eben jene Meldungen, welche die Rücksichtnahme auf scheinbare muslimische Empfindlichkeiten ad absurdum führen, wenn nicht totgeschwiegen, so doch höchstens rapportiert. Ich denke, das Signal, das die Schweizer ausgesendet haben, heute, heisst auch:
Wir haben genug: Die Kruzifixe sollen aus dem öffentlichen Raum verschwinden, dafür lassen Schulbehörden die Rechenbücher in der Volksschule neu drucken, weil darin abgebildete Glücksschweine einen muslimischen Vater reklamieren lassen, die Abbildung unreiner Tiere würden das religiöse Empfinden der Muslime verletzen (Beispiel aus dem Bekanntenkreis). Und der Regisseur eines Films, in dem Weltuntergangsszenarien gezeigt werden, lässt darin so ziemlich jedes Symbol der Weltherrschaft inklusive aller religiösen Stätten untergehen – Mekka aber lässt er unberührt, weil er als Reaktion eine Fatwa fürchtet. Solche Beispiele gibt es viele. Wir rühren lieber nicht an gewisse Empfindlichkeiten, “dem Frieden zuliebe”, und verwechseln Toleranz mit Duckmäusertum. Denn hier gibt man nicht wirklich einer religiösen Empfindlichkeit nach, sondern einem Druck, der nach einer Vorherrschaft der eigenen Anschauungen strebt und in sich keine Grundlage kennt, die genau jene Toleranz bei sich selbst vorsähe.

Es wird nun darum gehen, wie nach jeder Abstimmung, die Willensäuserung der Bevölkerung richtig zu interpretieren. Sich nun darüber zu mokieren, mehr als die Hälfte der Scheizer wären thumben Aussagen voller Banalitäten der reaktionären Populisten aufgesessen und würden alles Muslimische zum Teufel wünschen, ist ganz gewiss völlig falsch. Und die Schweizer Medien tun gut daran, sich nicht vorauseilend im Ausland für die eigene Bevölkerung zu entschuldigen, sondern das Resultat so zu akzeptieren, wie es heraus gekommen ist – und dadurch ernst zu nehmen.

Ich erwarte nicht zuletzt von den Medien, dass sie Hand dazu bieten, dass alle jene, die signalisieren wollen, dass sie sehr wohl Religionsfreiheit wollen, dafür aber die Grenze der gegenseitigen Toleranz für ALLE Gläubigen setzen, auch Gehör finden. Man muss sich dafür in eine Welt einmischen, die uns allen doch fremd ist, und man muss sich unbeliebt machen, wenn es darum geht, das Leben im öffentlichen Raum so zu regeln, dass es uns allen dabei wohl sein kann. Und dabei darf die kulturelle Tradition der heimischen Bevölkerung sehr wohl weiter den Rahmen bieten, in dem sich die Konturen von Gastgeberland und Gast nicht vollständig verwischen – und zusätzlich muss es niemandem egal sein, welche Lehren in welchen noch so geschlossenen kleinen Kämmerchen verbreitet werden – wenn diese nicht vereinbar sind mit unseren grundlegenden Prinzipien des gemeinschaftlichen Zusammenlebens.

Dass auch viele Befürworter des Minarett-Verbots sehr wohl für die freie Religionsausübung des Islam in der Schweiz sind und Moscheen oder Gebetshäuser nicht verbieten wollen, die Manifestation von Minaretten aber für das falsche Zeichen halten, wird auch zu kommunizieren sein: Als Ganzes sehe ich im scheinbaren Dilemma dieses Abends eine grosse Chance: Die Insititution der direkten Demokratie der Schweiz hat ein Resultat erbracht, das ganz bestimmt in manchem anderem europäischem Land ähnlich ausgefallen wäre, würde die Bevölkerung denn gefragt. Wir haben Erfahrung mit diesem Instrument und sind daher auch weiter darin gefordert, nicht bei einer Verweigerung stehen zu bleiben, die das Resultat ja auch nicht darstellt, sondern das Abstimmungsergebnis zum Anlass zu nehmen, uns weiter damit zu beschäftigen, wie denn unser Zusammenleben aussehen kann und soll – und welche Annäherungen dafür nötig sind. Sie sind in keiner Weise für die Zukunft ausgeschlossen. Klar ist einzig, dass wir alle gefordert sind. Für Jammerlitaneien ist genau so wenig Grund gegeben wie für Triumphgeheul. Es geht darum, dass wir mit einander leben. Nicht nur neben einander. Und dass wir uns dafür gegenseitig erklären.