Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Reisende sind Gewinner

∞  31 August 2007, 21:30

Ich lese in der Lokalzeitung von einer jungen Familie, die mit einem 10- und 2-jährigen Kind eine 12-monatige Weltreise antritt. Abgesehen von den vielen Fragen, was es braucht, um so ein Projekt nicht nur zu denken, sondern auch umzusetzen, sei hier nur ein Satz aufgenommen, der mich am Ende anspringt:

Die Gedanken sind jedoch nicht bei den Gefahren, sondern beim Gewinn einer Reise.


Das ist es. Es gehört zu einer guten Vorbereitung, sich mit den Eventualitäten zu beschäftigen und ein Gefühl für die Gefahren zu entwickeln. Risiken lassen sich aber oft erst vor Ort abschätzen. Und so manche tiefe Erfahrung wäre nicht möglich, wenn man sich nicht auch mit Vertrauen auf Dinge einliesse, die mit dem gängigen Sicherheitsbedürfnis in den heimischen Wänden nicht kompatibel wären. Ein Stück weit ist es gerade das Erleben der auch mit Gefahren verbundenen Ursprünglichkeit des Lebens, die das Reisen ausmacht. Die Gefahr nicht suchen, aber auch nicht fürchten, auf jeden Fall nicht an jeder Ecke vermuten.

Immer wieder denken wir Beide an besondere Erfahrungen zurück, die wir in zwanzig Jahren auf eben so vielen Fernreisen machen durften – und nicht selten sind es Erlebnisse, in denen wir Hilfe erfahren durften oder Vertrauen belohnt sahen.

Wir denken vielleicht gerade morgen wieder an den Geldwechsler auf dem Schwarzmarkt in Cusco, Peru, der plötzlich mit unseren hundert US-Dollars verschwunden war, weil er „Wechselgeld holen müsse“ – und drei Minuten später wieder neben uns stand, just als wir uns beglückwünschten, wie die grössten Grünschnäbel einem Halsabschneider aufgesessen zu sein.

Oder wir denken an den Busfahrer, der uns durch den Kaschmir-Konflikt von Srinagar nach Leh chauffierte, an die Gespräche mit Journalisten in Kargil, während in schlafloser Nacht die Minenwerfer zu hören waren und unser Führer Sanath unser Vertrauen spüren sollte und durfte.

Ich denke an die Rangers in Afrika, die uns auf Safaris die Augen für die Schönheit ihrer Länder öffneten, an Gernot, der es sich zumutete, uns Grünschnäbel vierzehn Tage mit Zelten durch die Wildnis Botswanas zu lotsen, wobei ihm einfach nichts zu viel wurde, ausser die Moskitos, die es dennoch nicht schafften, ihn am Übernachten unter offenem Himmel auf dem Dach des Jeeps zu hindern.

Ich denke an Sudhir, der uns auf dem Flughafen von Leh half, in einem wütenden Mob Flugtickets für die Rückreise nach Delhi zu ergattern – und der uns seither zum Freund wurde.

Ich muss lächeln über das „no worries“, mit dem uns australische Fremdenführer beruhigten, bevor wir überhaupt je unruhig wurden, und ich denke daran, wie ich versuchte, mit einem namibischen Busfahrer ein Karakul-Schaf einzufangen.

Natürlich denke ich an Ono, die uns zweimal durch die Mongolei begleitete und dabei keine Mühe scheute, uns das Paradies auf Erden zu eröffnen. Ich sehe Luigi vor mir, unseren Führer im peruanischen Regenwald, dessen Englisch schlechter war als mein Spanisch, der wahrscheinlich noch heute stolz meine Gummistiefel trägt und für den wir die grössten waren, nachdem wir 5 Piranhas gefangen hatten, die er dann voller Stolz vor uns her durch den Speisesaal trug, der nichts anderes als die strohbedeckte Veranda der Dschungel-Lodge war.

Ich denke an den bitteren Zorn unseres indonesischen Führers über die Miss- und Klüngelwirtschaft der Regierenden, ich denke an die Herzlichkeit von Okas und seiner Familie auf Bali, die sie noch heute Kontakt haben lässt zu Freunden von uns, die gerade dort und durch das gemeinsame Begegnen zu unseren Freunden wurden – und es bis heute, mehr als fünfzehn Jahre später, geblieben sind.

Ich könnte noch stundenlang weiter erzählen. Auch von unserer nächsten Reise. In ein paar Wochen geht es los nach Australien, wo wir mit einem Geländefahrzeug und nicht viel mehr als einem Zelt die Südküste entlang fahren werden.

Wir erinnern uns an so viele Begegnungen in diesem Land, das in Wirklichkeit ein sehr alter Kontinent mit sehr offenen Menschen ist, und freuen uns, diese zu erweitern. Wie die Begegnung mit jenem Handelsreisenden, der eben mal ein paar tausend Kilometer gen Norden fährt, um dort Kunden zu besuchen und uns während fünfhundert Kilometern in einem normalen PW mit viel zu wenig Bodenfreiheit als tanzendes Augenpaar seiner Scheinwerfer durch den prasselnden Regen folgt. Dass dem so ist, erfahren wir erst in einer Art Motel Station, wo wir und er in einem Schiffscontainer unterkommen, der als Cabin dient, mit dem Bett am oberen Ende, während am unteren im äussersten „Zimmer“ das Wasser steigt… Zur Toilette ging es mit dem Auto, weil man sich sonst mehr als nasse Füsse geholt hätte…

Wir freuen uns riesig. Auf den Gewinn der Reise. Und der wird gross sein. Gerade auch dann, wenn die Dinge ausser Plan laufen und sich Probleme doch immer wieder lösen.
Unterwegs sein. Wir sind es immer. Aber der Reisende hat ein ganz anderes Gefühl dafür und sucht seine Sicherheiten anderswo.


Dieser Beitrag enthält ganz bewusst keine Bilder. Die Erinnerung oder die Vorstellung, Phantasie soll sich entfalten können. Hier geht es nur um das Erzählen.

Natürlich könnte dieser Beitrag gut statt im Blog auf der Seite GEREIST stehen – aber ich will die Nacherzählung aus der Mongolei nicht unterbrechen.