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Nur Kebab oder auch Koran?

∞  22 November 2008, 11:39

Im Nachtcafé von gestern, 21. November, diskutierte die Runde um Wieland Backes über Kebab, Kopftuch und Koran – Wie muslimisch wird Deutschland?
Es verwundert nicht, dass sich die Runde schon nicht einig werden konnte über die Beurteilung des IST-Zustandes, geschweige denn über die Aussichten.

Was mir auffiel:
• Wie wenig ich doch nach wie vor über den Islam weiss!
• Wie verwirrend schwierig es ist, mehr zu erfahren:
Werden in Streitgesprächen religiöse Quellen zitiert, so tun das jene streng Gläubigen, die beweisen wollen, wie freiheitlich die Religion gelebt werden kann genau so wie jene, die darin geradezu die Aufforderung zur Unterdrückung (der Frauen und der Anders- oder Nichtgläubigen) sehen.
• Wie die reaktiven Automatismen spielen: Gläubige Muslims erwidern jede Vorhaltung eines Beispiels einer Leidensgeschichte einer muslimischen Frau mit dem Standardsatz:
Das hat nichts mit dem Islam zu tun.

Und am letzten Punkt müsste man wohl einhaken: Die integrationswilligen Muslime müssten erkennen, dass die Beispiele unterdrückter freiheitlicher Lebensgestaltung vielleicht tatsächlich vor allem kulturell-ethnische Gründe haben, sie aber sehr wohl sehr oft mit muslimischen Glaubensgrundsätzen legitimiert werden und sie nur schon deswegen etwas mit dem Islam zu tun haben, weil sie eben die Akzeptanz der eigenen Lebensweise damit schwieriger machen. Ich vermisse den Mut der offiziell um Integration bemühten Organisationen, sich nach innen von fundamentalistischen Tendenzen abzugrenzen. Die entsprechende Frage von Prof. Claus Leggewie,




die mehr eine Anregung war, wurde denn auch von Herrn Talat Kamran,




seines Zeichens Leiter des Instituts für Deutsch-Türkische Integrationsstudien e.V. nicht aufgenommen.

Geradezu abenteuerlich futuristisch mutet es an, wenn dann der Gedanke weiter gesponnen wird, dass es in unserer Gesellschaft allen heran wachsenden Menschen möglich sein muss, sich frei für oder gegen Religion zu entscheiden. Mit Verlaub: In der Theorie ist das konsequent, da die Tendenzen, sich gegen einen christlichen bekenntnsiorientierten Religionsunterricht zu verwehren, umgekehrt sich ja auch durchsetzen. Von der Möglichkeit, dass jedes heran wachsende muslimische Kind sich ohne Zwang für oder gegen Religion entscheiden kann, sind wir aber doch wohl meilenweit entfernt.

Natürlich gibt es Eingriffs- und Einflussmöglichkeiten im Bereich der Schule, aber viele Lebenszellen muslimischer Familien sind doch für Einheimische oder Behörden nahezu unzugänglich.
Ich erfuhr, was auch zu beobachten ist: Muslime der zweiten und dritten Einwanderergeneration werden wieder religiöser. Das hat ganz bestimmt auch mit den mangelnden Identifikationsmöglichkeiten der Einwanderer mit dem kulturellen Angebot in Deutschland oder in der Schweiz zu tun: Wir gehen zu wenig auf einander zu. Soziale Integration aber klammert die Religion nicht aus. Sie hat also mit dem Islam zu tun. Und in diesem Zusammenhang beobachte ich, dass sich die modernen, aufgeschlossenen und westlich orientierten muslimischen Gruppierungen in der Schweiz wie in Deutschland nicht gerade leicht damit tun, sich gegen fundamentalistischere Strömungen abzugrenzen, ja mehr, sich aktiv dagegen zu stellen.

Es ist nun mal in jedem religiösen Eifer, egal welcher Herkunft, die fundamentale Ablehnung jeder säkularen Öffnung angelegt. So wie früher kaum eine Kirche ein Hort einer öffentlichen und freien Diskussion war, so wird in einer Moschee heute eben auch nicht nur gebetet, sondern gepredigt. Mittlerweile in rund 2600 Gebetshäusern und rund 200 Moscheen in Deutschland. Um soziale Spannungen abzubauen, wird es grundlegend wichtig sein, dass sich fortschrittlich denkende Muslime, die sich tatsächlich ganzheitlich unter die schweizerische oder deutsche Verfassung stellen können und wollen und ihre muslime Gemeinschaft mit dazu, von anderen Strömungen im Islam deutlich abgrenzen.

Und wir sollten dabei helfen, indem wir einerseits der Verfassung mit Nachdruck Geltung verschaffen und unsere Toleranz darin üben, dass wir die Grundsätze des Rechtsstaates überall gleich anwenden, statt uns nur dazu zu bekennen. Nur so erhalten wir uns unsere eigene kulturelle Identität. Innerhalb dieser Welt wieder einmal den eigenen christlichen Wurzeln der hiesigen Kultur nachzuforschen, ist dabei auch nicht verboten.

Das Problem des kulturellen Ausgleichs und der eigenen Identitätsfindung geht uns – logisch – alle an.


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religiös motivierte Güte gegen religiösen Eifer - wäre ein Ansatz