Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Nach mir, Verehrteste

∞  17 Juni 2013, 21:57

Wenn ich ins Einkaufszentrum gehe, ist eigentlich immer Ausverkauf. Da gibt es diese Fussgängerpassage zwischen den Geschäftsfronten links und rechts, und da sind sie ausgelegt, die Fundgruben, aus denen mir die Schnäppchen scheinbar nur so entgegen quellen. Oder doch nicht?

Ich bewundere die Geduld des Personals. Aber ich vermute, dass es sich schon am frühen Morgen mit mentalem Training motiviert:

Das ist das Stahlbad deiner jungen Verkaufskarriere – hast du das überlebt, kann dir niemand mehr etwas vormachen.

Ich brauche eine Badehose. Also einen ganz einfachen Fetzen Textil, der keine besonderen Anforderungen an die Schneiderzunft stellt und dessen Kauf man in aller Regel über die visuelle Anprobe erledigen kann: Einmal vor die Hüften halten – und gut ist´s. Oder eben nicht. Und darüber hinaus freue ich mich durchaus, wenn mir mal ein Schnäppchenfang gelingt. Und es ist ja so, dass, wenn es da einen herausragenden Fang gibt, der alle möglichen Reinfälle davor und auch danach so leicht kompensiert, dass die Gesamtrechnung dazu gar nie gemacht wird. Aber um die geht es hier ja auch gar nicht. Es geht um meine Konkurrenten.

Denn kaum begebe ich mich zwischen die fahrbaren Ständer mit den aufgehängten Textilien, bin ich in einer anderen Welt. In einer fremden Welt, in der ich ganz offensichtlich der Fremde bin und als solcher wahrgenommen werde. Denn das hier ist das hiesige Einkaufsparadies für temperamentvolle Vertreterinnen südlicher Hemisphären, und Männer sind hier höchstens als Schlepper vereinzelt auszumachen: So tragen drei meiner Geschlechtsgenossen die Berge ausgewählter – oder vorausgewählter, um genauer zu sein, weggeschnappter Hemden, Shirts, Schals, Strandtücher, auf ausgebreiteten Armen hinter ihren Frauen her. Dass sie nicht knurren, wenn ich ihnen nicht schnell genug ausweiche, verwundert mich beinahe, denn ihr Blick könnte töten. Und die Damen! Sie müssen zwar alle zu mir hoch blicken, dabei bin ich doch gar nicht so gross, aber das Gewusel schwarzhaariger und verhüllter Frauenköpfe über jedem Wühltisch ist tatsächlich eine Herausforderung für mich, denn irgendwie störe ich mehr als die Konkurrenz neben mir aus dem Balkan. Wahrscheinlich einfach deshalb, weil man seinesgleichen eben kennt und einordnen kann – ein kurzer Blick, und man hat die Jägerin eingestuft und weiss, bei welchen Futtertrögen man besonders wachsam und schnell sein muss.

Ich will hier nichts lächerlich machen: Diese Verkaufspunkte sind tatsächlich eine gute Gelegenheit, für einen Bruchteil üblicher Preise Notwendiges zu beschaffen: Nur sehe ich im Resultat etwas anderes: Ich sehe den Kaufrausch von Raffzähnen, genau so, wie es ihn eben in allen Gesellschaftsschichten gibt, und ich sehe die Verwüstung, welche die Lemminge hinter sich lassen: Nach einer Stunde liegen unter jedem Kleiderständer einzelne Kleidungsstücke auf dem Boden, und dutzende andere hängen achtlos über Ständer geworfen an Orten, an denen sie ursprünglich ganz sicher nicht ausgestellt wurden. Eine Frau bringt es fertig, eine ganze Beige von Kleidern zur Kasse zu schleppen, und da dann genau zwei auszuwählen, um den Rest auf dem Tresen liegen zu lassen.

Derweil werde ich mit stechenden Augen von der Seite fixiert, weil ich direkt hinter dieser Konsumentin mit einem entschlossenen Schritt vorwärts, durch den ich beinahe über dem Scheitel der Frau das Gleichgewicht verliere, meinen Platz in der Reihe verteidige und der Matrone links von mir unmissverständlich signalisiere:

Nach mir, Verehrteste.

Ich will nämlich für mein Hemd zu CHF 10.00 nicht noch länger anstehen.
Richtig – ich wollte eine Badehose kaufen. Die finde ich dann auch – in einem der Geschäfte in der Ladenfront, wo es angenehm ruhig zu und her geht, auch überall Schilder hängen, die auf besonders billige Preise hinweisen, aber niemand von der Angst getrieben wird, zu spät zu kommen.