Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Mein virtuelles Ding

∞  9 Juni 2011, 16:28

Für internettige Freunde festgehalten: Eine persönliche Webseite, ein Internetprojekt mutiert oft von einer persönlich geliebten Beschäftigung zu einem virtuellen Aufmerksamkeitserfolg – und schon hockt man in der Falle: Wenn diese Beachtung wieder kleiner wird, ist plötzlich dieses Projekt nichts mehr wert? Darin liegt das Gift eines erschnupperten möglichen Erfolgs, weil die persönliche Wohltat, sich mit seiner Kreativität beschäftigen zu dürfen, nicht mehr ausreicht. Aber das wäre doch schade um die Freude, die zu Beginn das alles nicht nötig hatte und einen doch daran arbeiten liess, etwas Eigenes entstehen zu lassen – mit dir selbst als neugieriger Beobachter mit der einen Frage: Was mag wohl daraus werden? Das IST und BLEIBT spannend.


Das Internet ist riesig und doch viel zu klein. Es überschreitet alle im Kopf vorstellbaren Grenzen, während wir schon Mühe haben, uns unser Geschriebenes vom Bildschirm ins Netz zu denken. Was geschieht dabei? Wie funktioniert das? Natürlich: Sie können ein gutes Foto machen, ohne wirklich die Funktionsweise einer Kamera zu verstehen. Und ich selbst würde nie den Laptop gegen die alte Schreibmaschine tauschen wollen – auf jeden Fall nicht bei einer konkreten Arbeit mit einem gewissen Umfang. Mal ganz abgesehen von der Leichtigkeit der möglichen Verbreitung.

Aber eben: Während wir hören, dass die Internet-Adressen knapp werden im WWW und deshalb der Standard geändert werden muss, haben wir eh schon eine eher “ätherische”, in keinem Fall körperliche Beziehung zu den Lesern. Wir haben keine Ahnung, nicht wirklich, wie viele Leser wir haben (nicht Clicker, Leser eben) – und vielleicht wären wir mehr als ernüchtert, wüssten wir es genauer.

Und doch ist diese Unsicherheit, die Vorstellung, man wäre plötzlich “nicht mehr so leicht erreichbar”, man fiele bei Aggregatoren durchs Netz und würde bei Feedreadern nicht mehr einbezogen, ein Grund, unruhig zu werden.

Dabei ist genau das hilfreich, lehrreich und nützlich. Denn es erleichtert den Blick auf den wirklichen Beweggrund, weshalb man so was wie ein Blog betreiben sollte – und betreiben kann, über viele Jahre: Es muss zuallererst und immer wieder persönlich sein, im Sinne von: Mich selbst interessierend. Es ist mein Zettelkasten, meine Sammelstelle meiner Gedanken, mein Gefäss für Geist, Seele – oder was auch immer. Von mir aus auch einfach die anregende Liste möglicher nächster Anschaffungen. Es gibt keine übergeordnete Instanz, welche die Zulassung nach einer fremden Sinnfrage stellt. Es muss Sinn für den Blogger machen. Nur das, was diesem Anspruch genügt, kann jenseits aller steigenden oder fallenden Beachtung Antrieb genug sein, bei der eigenen Sache und damit authentisch zu bleiben. Das ist alles schon so oft geschrieben worden, auch hier, von mir. Und doch muss man es sich immer mal wieder verinnerlichen und wieder bewusst machen.

So viele scheinbar unbedeutende Seiten da draussen im www, die Sie erst mal gestreift und dann gleich wieder vergessen haben, sind in Wirklichkeit wichtig: Für ein paar Menschen, für Vorgänge, Lernprozesse, kreative Gefässe, für einen bewussten Moment in einem bestimmten Leben, für den Versuch, sich selbst Raum zu geben. Oder für eine Begegnung, eine Bekannstschaft, eine Freundschaft, die es sonst nie gegeben hätte.
Die Menschen dahinter haben durch das Internet unter Umständen eine ganz neue reale Lebensmitte gefunden, eine Anregung zu einem Projekt bekommen, ein Stück Lebendigkeit in sich selbst wachsen lassen können. Es gibt davon unzählige Beispiele, da bin ich mir ganz sicher. Ein paar kenne ich selbst, und es sind wunderschöne Geschichten. Genau so wie es jene gibt, welche sich in der Weite des Webs verloren haben an eine trügerische Vielfalt von Kontaktbörsen, einer oberflächlichen Aufmerksamkeit, die fast so schnell verraucht wie ausgestossener Zigarettenrauch.

Es gibt so viele Gründe dafür, im Web präsent zu sein, die nichts mit Statistiken zu tun haben. Dass man auch gut ohne einen solchen Auftritt leben kann, dass alle unsere Leser auch gut ohne uns leben können, spricht nicht dagegen. Es spricht höchstens dafür, wirklich sein eigenes Ding zu machen, sich an niemanden und gar nichts zu verkaufen und sich von nichts zu etwas anderem drängen zu lassen, so dass der Auftritt eben wirklich für eine Präsenz steht. Für etwas, das mit mir zu tun hat. Wirklich mit mir.