Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kein Verlass mehr auf gar nichts?

∞  19 April 2012, 17:36

Frau Kirchner, die Präsidentin Argentiniens, verstaatlicht kurzerhand die argentinische Tochter des spanischen Ölkonzerns Repsol. Das Unbehagen ist gross. Natürlich hat es solches schon immer gegeben. Und doch gibt es eine verheerende Tendenz, die rund um den Globus beobachtet werden kann – und die auch in der privaten Geschäftstätigkeit Einzug hält.

Es gab schon immer Länder, in denen solche Risiken mit zum Geschäft gehörten, und die in Sachen Gewinnerwartung entsprechend fette Spannen zur Folge hatten. Würde die Krallenhand, die mit dem Samthandschuh lockt, nicht fette Gewinne in Aussicht stellen, oder einen unvorstellbar grossen Absatzmarkt, es gäbe noch heute keine Firma, die in China investieren würde. Die Rechtssicherheit wird an vielen Orten nicht garantiert, in China aber ist sie ganz offenkundig in mancherlei Hinsicht nicht gegeben, und der Spiegel des eigenen reinen Profitstrebens wird dem Investor schon mit den vorab deklarierten Bedingungen vorgehalten: Wohl nirgends waren Unternehmen so offen bereit, maximale finanzielle Investments ohne mögliche Mehrheitsbeteiligungen einzugehen und damit jederzeit von den örtlichen politischen Begebenheiten abhängig zu sein. Unter dem Aspekt der möglichen Margenoptimierung einer unglaublich günstigen Produktion war man gar bereit, Patentrechte aufs Spiel zu setzen und Produktionsgeheimnisse preis zu geben.

Auf die Chinesen zu schimpfen, ist aber nicht angebracht, denn der Westen geschäftet mit ihnen sehenden Auges. Eine ganz andere Dimension haben da Verhaltensweisen, wie sie z.B. die Regierung Merkel beim Atomausstieg an den Tag legte. Mit dieser abrupten Kehrtwende wurde eine Grenze überschritten und eine Grundprämisse so tiefgreifend verändert, dass die Auswirkungen nicht beziffert werden können, wir alle uns aber darauf einzustellen haben, dass unsere Welt noch viel mehr als zuvor geprägt sein wird von höchstens mittelfristig realisierbaren Geschäftserfolgen – mit entsprechenden Folgen für den Gedanken der Nachhaltigkeit, der eh schon zu einem reinen Schlagwort des Marketings in Wirtschaft und Politik zu verkommen droht.

Atomausstieg, abrupt sich ändernde Bedingungen in der Unterstützung der Solarenergie, Schweizer Unternehmen, die auf den Gedanken kamen, ihre Arbeitnehmer angesichts der Wechselkursproblematik auf dem Werksplatz Schweiz in Euro zu bezahlen – die Liste der Tabu-Brüche liesse sich endlos fortschreiben. Längst sind auch für namhafte Firmen, welche viel auf ihr gutes Image geben, Winkelzüge denkbar, mit denen bestehende Verträge ausgehebelt werden – zum Beispiel, eben, bei Wechselkursschwankungen. Dass dabei bestehende Kontrakte negiert und storniert werden, mit der Macht der Marktbedeutung als Drohgebärde, wäre vor zehn Jahren an den Verhandlungstischen, die ich kenne, nicht denkbar gewesen.

Lieferanten werden abgestraft, auch nur schon auf Verdacht, zu hohe Handelsspannen zu kassieren, ohne dann selbst die verbesserten Margen an die Endkunden weiter zu geben.
So gibt es eben nicht einfach die Welt der Abzocker unter den Bankern – sondern eine ganz allgemeine Tendenz, die Macht des Stärkeren bedingungslos einzusetzen: Die sich öffnenden Märkte haben zur Folge, dass das Wort Partnerschaft nur noch eine Gewinnlergemeinschaft meinen kann: Wenn ich davon ausgehen kann und muss, dass meine Verbündeten von morgen eh andere sein werden als die jetztigen, dann schere ich mich viel eher einen Deut um meine Aussenwirkung – oder um mein konkretes Verhalten im Einzelfall. Bin ich von einem Lieferanten über den Tisch gezogen worden, heisst das noch lange nicht, dass ich, wenn ich den Spiess umdrehen kann, meine Kunden meinerseits davon profitieren lasse: So werden alle zu den gleichen Schlawinern am einen grossen Spielertisch.

Wie immer bei solchen Entwicklungen wird man sich endlos darüber streiten können, was denn zuerst war – der regulierende und okkupierende Staat – oder die Masslosigkeit der Industrie oder der Finanzwirtschaft. Diesbezüglich ist der Verbalkrieg zwischen Argentinien und Spanien geradezu ein illustrierendes Beispiel.

Natürlich lässt sich festhalten, dass spätestens alle paar Generationen wohlhabende Teile der Bevölkerung immer wieder die Erfahrung machen mussten, dass der Staat, fühlt er selbst Not, sich am Privateigentum seiner Bürger vergreift. Das hat das Bürgertum in der Vergangenheit nicht daran gehindert, immer wieder den langen Marsch zu neuem Erfolg anzutreten.

Und heute? Es gibt in der westlichen Welt kaum mehr Kriegsschauplätze – aber wir führen alle unsere Kämpfe bedeutend härter aus als jemals zuvor.

Haltung, Ehre, Redlichkeit, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit.

Was denken wir, wenn wir diese Begriffe hier lesen?
Und was hätten unsere Grossväter dabei gedacht?