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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Kampf im Schweizer Detailhandel

∞  17 August 2011, 19:29

In der gegenwärtigen Stimmungslage werden allerlei missmutige Befindlichkeiten deutlich: Das Hochpreisland Schweiz bringt die Preise der Artikel in den Detailhandelsregalen nicht in der Weise runter, wie es der schwächere Euro- und Dollar-Kurs vermuten liesse. Woran kann das liegen?


Die Schweiz weist für eine gesteuerte Markendistribution verführerische Voraussetzungen für eine Hochpreispolitik auf:

Die Bevölkerung besitzt eine hohe Kaufkraft und hat ein entsprechendes Qualitätsbewusstsein. Das Angebot ist breit gefächert und die Dichte alternativer Produkte unter Eigenmarken ist hoch – da stellen Markenprodukte die natürliche Spitze einer Pyramide des gesamten Warenangebots dar. Ein Vergleich mit Märkten wie Frankreich, Grossbritannien, Italien oder gar Deutschland lässt Markenanbieter zudem argumentieren, sie müssten die üblichen Leistungen einer starken Marke (wie unterstützende Werbung oder Listungsbeiträge für Regalplatzierungen) für vergleichsweise kleinere Umsätze erbringen.

Was einer Markendistribution, die in möglichst grossen Stückzahlen denkt, ein besonderer Greuel sein dürfte, sind jegliche Anpassungen in Aufmachung und Distribution, welche durch Schweizer Gesetzgebungen über die Deklaration der Herkunft der Produkte (und der Inhalte) und durch die erforderliche Dreisprachigkeit der Verpackungen gefordert sind. Hier wird viel Aufwand und Detailgenauigkeit eingefordert – für eine vergleichsweise geringe Umsatzmenge. Solche Erfahrungen und Einschätzungen tragen sicher dazu bei, dass tendenziell eher mehr Reserve in die Angebote eingepreist wird, als vielleicht nötig wäre.

Dazu kommen Vertriebsstrukturen mit traditionell sehr starken und mächtigen Generalimporteuren, welche sich im Schutz der kompliziert anmutenden Besonderheiten des Vertriebs in drei Landesteile (mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Schwerpunkten und Mentalitäten) zu Schaltzentralen entwickelt haben, welche die Abwicklung für das Mutterhaus – bei sehr guten Margen – über den Generalimporteur deutlich einfacher machen als in alternativen Modellen. Schweizer Detailhändler stellen denn auch immer wieder fest, dass so genannte Parallelimporte nur schwer rentabel sind, weil der durch den billigeren Einkauf erzielte Vorteil z.B. für den höheren Aufwand im Vertrieb wieder aufgefressen wird.

Markenartikler wie Lieferanten von Eigenmarken haben ganz gewiss von sich aus ohne Druck keine Schweizer Preisstrukturen eingerissen, und es ist bestimmt mehr als störend, wenn es vorkommen kann, dass ein Schweizer Einkäufer eines Detailhändlers mehr für den zu importierenden Artikel bezahlen soll, als der deutsche Konsument am Verkaufsregal dafür rausrücken muss. Und das ist vorgekommen. Und zwar gar nicht so selten. Und es dürfte aktuelle wieder der Fall sein, weil nun eine Euro-Umrechnung diese Vergleiche wieder verschärft:

Warum haben denn alle Länder den Euro haben wollen? Weil man sich genau aus dem Wegfall dieser einfach scheinenden Hürde einer Kursumrechnung die Dynamisierung der Preise versprach.

Bei den ganzen Schuldzuweisungen sollte man eines allerdings nicht vergessen: Es gib das klassische Schwarz und Weiss längst nicht mehr: Die nachfragenden und einkaufenden Detailhändler sind längst selbst Produzenten und Anbieter eigener Erzeugnisse. Sie optimieren zudem die Einkaufswege, eröffnen Einkaufszentralen in Fernost und schalten den Zwischenhandel aus. Alles opportun, vielleicht professionell der Marktsituation geschuldet, aber immer mit der ersten Motivation, die eigene Marge zu verbessern: Was der Zwischenhandel bisher anführte, ist nun einfach eigener Grund für die erforderliche höhere Marge: Höherer Aufwand in der Evaluation und Beschaffung der Produkte, höhere Verwaltungskosten, mehr Risikoabsicherung. Ja, auch der Währungsrisiken. Das bedeutet viele Termingeschäfte, in denen erwartete oder vertraglich zugesicherte Mengenkäufe auf längere Zeit hinaus abgesichert werden (das gilt auch für Produzenten in der Beschaffung der Rohstoffe). Hier sind dann jegliche Ausgleichszahlungen aus Währungsgründen unmöglich – weil gar keine Währungsgewinne entstehen. Gegenstand des Vertrages ist dann eben Preissicherheit und –stabilität – auch in gegenläufigen Zeiten, die wir unter Umständen schon bald wieder kriegen werden. Dann werden Preissenkungen, die nun allmählich greifen werden, auch länger aufrecht erhalten bleiben.

Persönlich stelle ich fest, dass alle diese Turbulenzen in der Beschaffung viel Diskussionsbedarf erzeugt haben – und diese Diskussionen finden fast immer nur über Geld statt. Es geht viel Energie für die Gestaltung der Sortimente verloren und die verschärfte Gangart wird schleichend zu Qualitätsverlusten führen.

Bezeichnend ist auch, dass wir die aktuelle Diskussion in der Öffentlichkeit anhand von Markenprodukten für Süsswaren und Kosmetika führen – also alles Artikel, die wir für den täglichen Bedarf nicht existenziell brauchen. Kein Mensch scheint sich zu fragen, ob wir denn für Artikel, für die es natürlicherweise einen Tageskurs gibt, wie Früchte und Gemüse, in diesem Jahr weniger bezahlt haben als letztes Jahr? Hier müssten doch die Wechselkursgewinne direkt auf die Angebote im Laden durchschlagen. Kurz wurde einmal das Missverhältnis zwischen der Rekordernte für Kirschen in Deutschland und den Preisen dieser Kirschen in der Schweiz diskutiert. Und sonst?

In jedem einzelnen Fall mag man den bösen Detailhändler anprangern, oder den bösen Lieferanten.
Ebenso kann man sich im falschen Film fühlen, wenn in der persönlichen Situation eigene Preisnachlässe nicht oder nur sehr bedingt zu Abschlägen am Regal führen. Womit wir beim Problem der Quersubventionen angelangt sind:
Darunter versteht man die Tatsache, dass gewisse Produkte mit hoher Marge andere Angebote mit hohem Ausfallrisiko absichern sollen. So ist es traditionell nicht nur in der Schweiz so, dass Haushaltartikel höhere Gewinne abwerfen (sollen) als Foodprodukte für den täglichen Bedarf.

Alle diese Befindlichkeiten bedeuten schlussendlich nichts anderes, als dass Lieferant und Käufer am Verhandlungstisch sitzen und aus ihrer Warte argumentieren, ohne dass dies für die Gegenseite transparent sein muss. Am Ende müsste man einfach auch vertrauen können. Wenn dies nicht mehr gegeben ist, ja dann hat man wirklich ein Problem. Und dieses Problem können die Parteien einander endlos zuschieben. Da wäre es doch schön, wenn die Basis der Vereinbarung der geschlossene Vertrag bleiben könnte. Und Diskussionen um Anpassungen nicht überdirektional eingefordert würden – sondern individuell diskutiert würden, auf Grund realer tatsächlicher Bedingungen im Tagesgeschäft.

So mancher Angestellter im Detailhandel wie im Belieferungsumfeld fühlt sich bestimmt in diesen Tagen so, als würde er sich einen Film anschauen, der herzlich wenig mit den eigenen Erfahrungen zu tun hat. Womit wir auf einem Feld angekommen sind, wo die Politik übernehmen kann. Und das will sie ja denn auch, indem die Wettbewerbskommission Fall für Fall überprüft – und ein paar Markenanbieter durch den medialen Fleischwolf gepresst werden. Dass das zu einer allgemeinen Verbesserung der Zusammenarbeit aller Beteiligten beiträgt, ist nicht anzunehmen. Irgendwann, so meine idealistische Hoffnung, wird das allen klar sein, und man wird am Tisch wieder über reale Projekte und “Zusammenarbeit” diskutieren, und dabei tatsächlich mit einander reden. Und allmählich werden der Mythen über räuberische ausländische Produzenten und über unverschämte Detailhandelsmargen weniger werden: Es darf daran durchaus weiter gearbeitet werden. Beidseits der Tische.