Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


In Wuschels Reich

∞  27 April 2010, 20:37

Im kleinen Hotel in der zerdrückten Seitenstrasse gehört die plüschige Lobby einem weissen Wuschel von einem Hund. Er ist ein bisschen grösser als nur drei Käse hoch, und dennoch so klein, dass er nicht bis zur Sitzbank hoch reicht. Im grossen ganzen der Gegenentwurf gegen jede Hundephobie, so wie er mich aus Augen ansieht, die ständig leicht feucht sind. Der Hund scheint ziemlich traurig zu sein. Dennoch mustert er mich mit Neugier und belohnt jeden ausgehaltenen Blick mit ein paar tapsigen Schritten in meine Richtung. Wenn ich ihn streicheln will, weicht er zurück, um dann doch die Pfoten auf die Stuhlkante zu legen. Es ist, als würde er mir sagen wollen: Ich komm Dir nahe, so wie und wann ich will. Irgendwie ist zwischen uns klar, dass er mindestens so viel erlebt hat wie ich. So ein Hundeleben hinter einer Bimmeltür und einem Türvorleger, dessen Farbe unbestimmbar geworden ist und über den täglich hunderte von Menschenbeinen schreiten, ist… ja, was ist es denn? Ein Hundeleben eben. So, wie wir Menschen anderen Kreaturen eben ein Leben gestatten. Oder zudulden. Oder noch weniger. Wir müssen unbedingt einen Wuschel haben. Oder zumindest war es vorgestern mal kurz so. Dann ist er da – und plötzlich will ihn womöglich niemand gerufen haben. Oder gewollt.
Bei diesem Wuschel ist es ein bisschen anders, wie ich erfahre. Wuschel hat sich dieses Hotel ausgesucht. Eines Tages ist er reinspaziert, durch die Drehtür – und geblieben. Er hat Fakten geschaffen. Wahrscheinlich hat die Sonne an jenem Tag auch gelacht und den schmalen Hinterhof besonnt, und ganz sicher waren die beiden guten Geister des Hotels auch schon da: Die Frau mit dem offenen Blick und den Wuschel gleichen hellen Augen, nur dass die nicht feucht schimmern. Und der Mann mit dem Schnauzer, der so aussieht, als hätte er sich das Haarteil aus Wuschels Fell zurecht geschnitten und unter die Nase geklebt.
Wuschel hat es gut. Auf jeden Fall kennt er nichts Besseres, und seine Hundesitter werden den Teufel tun, ihm Schlechteres zu wünschen. Wuschel kriegt ein Leckerli vom Chef, ich bekomme den Kaffee offeriert, schon zum zweiten Mal, und Internet ist hier eh gratis. Ist ja eh da, das Internet. Also, was soll´s? Ich schreib dann mal noch ein paar Mails, ja? Und, Leute, ich kann Euch sagen: Das Leben könnte so schön sein. Lebendiger, irgendwie, auf jeden Fall, nicht wahr? Ob es ein Zufall ist, dass einem dies an den bescheideneren Ecken der Zivilisation häufiger vorgelebt wird als in Häusern, die geleckte Fassaden haben, voll verspiegelt und jedes Sonnenlicht zurück werfend?