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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Federer ist pure Inspiration. Nicht nur für Chauvis.

∞  9 November 2013, 19:55

Mit dem Sport ist es so eine Sache. Der kleine Chauvi im Kopf schaut immer mit – am leichtesten zu entlarven, wenn ein Sport in einem Land plötzlich nicht mehr populär ist, obwohl er noch genau gleich gespielt – und weltweit beachtet wird: Für die Aufmerksamkeit braucht es einheimische Heroen. Oder wann genau wurde das letzte Mal ein Tennisturnier in Deutschland live übertragen?

Es wird nicht mehr so lange dauern, dann könnten das auch die Schweizer schmerzhaft zu spüren bekommen. Zuvor aber gibt es einen noch vor kurzem undenkbar scheinenden Appetit-Happen zu geniessen: Es sind die ATP World Tour Finals, die morgen mit den Halbfinals fortgesetzt werden – mit gleich zwei Schweizern, die sich in die Vorschlussrunde gekämpft und gespielt haben: Federer vs. Nadal und Wawrinka vs. Djokovic. Wer hätte das gedacht?

Aber es gibt auch “neutrale” Beobachter, welche dank fremder Nationalität unverdächtig erscheinen, die angesichts des Stils von Roger Federer ihre literarischen Talente offenbaren. Tatsächlich darf man wohl die folgenden Bemerkungen zu Roger Federer wagen:

Im modernen Tenniszeitalter hat es keinen zweiten Spieler gegeben, der so viele Schläge so perfekt beherrscht und sie mit spielerischer Eleganz einzusetzen versteht.

Kein anderer Weltsportler verkörpert seinen Sport mit so viel Enthusiasmus, Liebe zum Spiel und mit dieser Bereitschaft, seine Rolle als Botschafter seines Sports und seines Landes auf und neben dem Platz anzunehmen.

Kein anderer Weltsportler der Gegenwart geniesst so hohes Ansehen, ganz unabhängig von der aktuellen Leistung. Entsprechend gross ist die Freude über sein aktuelles Comeback.

Tatsächlich: Sein heutiger Auftritt gegen Del Potro enthielt alles, was seine Fans zur Zeit leiden lässt – und sie in Entzücken versetzen kann: In jedem Satz lag er nach ein paar entsetzlich schlechten Minuten zurück, dreimal fand er zurück ins Spiel und kehrte dieses im zweiten und dritten Satz. Dabei waren sie plötzlich – nach den Aussetzern zuvor – wieder da: Diese traumhaften Schläge und Lösungen in schwierigsten Situationen. Dabei ist eines ganz besonders bedeutsam: Federer kämpft wie verrückt – obwohl alles so leicht wirkt. Er will diesen Anschluss an die absolute Spitze wieder schaffen und ist bereit, alles dafür zu investieren. Er hat ein unerschöpfliches Talent, aber es gibt kaum einen zweiten Sportler, der diesem Talent so sehr Sorge trägt, sich nie allein darauf verlässt sondern bereit ist, alle Arbeit, die dazu gehört, immer wieder zu leisten. So hat er heute viele der langen Ballwechsel für sich entschieden, und ganz unabhängig davon, wie weit die Kräfte nun noch reichen, wird er für die neue Saison nochmals mehr schuften.

Dieser Mann steckt sein ganzes Umfeld immer wieder mit seiner Leidenschaft an, er inspiriert alle, die mit ihm zu tun haben – und er hat in seiner Frau Mirka die perfekte Partnerin, die ihn dabei bedingungslos unterstützt. Jeder Sportler hat seinen Stil, seine bewundernswerten Eigenschaften – bei Federer scheint es, dass er eine Mission hat – ohne dass er dies bei jeder Gelegenheit betonen würde: Er tut das, was er macht, mit ganzer Seele, und es war sehr beeindruckend, wie er in diesem Seuchenjahr mit seinen Niederlagen umgegangen ist. Er hat auf der Suche nach Lösungen aus der Krise auch viele Fehler gemacht. Und wir wissen das und können das feststellen, weil er selbst ganz offen darüber spricht. Je länger seine Karriere dauert, um so widerspruchsloser scheint man die Bemerkung machen zu können, dass wir jeden Tag geniessen sollten, an dem diesem Spieler zugeschaut werden kann. Er ist eine Inspiration. Auch für seine Gegner, die mit ihm vor Augen alle laufend noch weiter über sich hinauswachsen.

Ja. Tennis ist ein Weltsport. Und in der Schweiz so lange wunderschön, wie Roger und Stan ihn ausüben. Wer könnte es uns verdenken? Und wir Schweizer haben Kindergeburtstag: Mit Wawrinka spielt morgen ein zweiter Schweizer ein hoffentlich drittes episches Match gegen Djokovic in diesem Jahr – nach dem Australian und dem US-Open. Wawrinka hat einen Schritt vorwärts gemacht, ist annähernd auf Augenhöhe mit den ganz Grossen angelangt – und das mit 28 Jahren. Er hat lange gebraucht, um den Vorteil, der zum Nachteil wurde, nämlich im Schatten des Maestros besser werden zu können aber nie so gut zu sein wie dieser, zu überwinden. Wawrinka wird längst ernst genommen. Nicht zuletzt von seinem nächsten Gegner. Es ist ihm sehr zu gönnen weil hoch verdient.