Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Erntedanktag in Zürich

∞  20 September 2008, 00:47

Heute war ein Erntedanktag.
So nenne ich Tage, an denen mir bewusst wird, wie viel Glück ich habe. Es sind Tage, an denen ich vor Freude zerspringen könnte und doch ganz ruhig bin.




Diese Tage sind gefüllt von Momenten, in denen ich mein Glück sehe. So deutlich, dass ich im Moment nichts darüber sagen muss, erzählen muss. Nicht mal Thinkabouts Wife mag ich mehr sagen, wenn ich nach Hause komme, als einfach:
Heute ist Erntedanktag. Wo ich hinschaue, bekomme ich gezeigt, wie glücklich ich sein darf.

Nun, am Ende des Tages, vor dem zu Bett gehen, mag ich ein paar Gedanken verlieren darüber (was für ein blöder Satz!). Nein, ich will meinen Bauch ein bisschen erzählen lassen, weil es sich immer noch gut anfühlt und kein Zwang die Freude trübt. Noch nicht mal danke sagen mag ich. Ich fühle, dass der einzige Dank, der angebracht ist, mein Staunen sein kann und meine Bereitschaft, dieses Glück wirklich sehen zu wollen.

Ich lebe am Rand einer der schönsten Städte der Welt. Ich kann auf kurzen Wegen eine unglaubliche Vielfalt an Erlebnissen abrufen. Ich kann im Wald die Blätter unter den Schuhen rascheln hören, kann sehen, wie die Sonne langsam durch die Blätter bricht und den Nebel zu Wasserdampf macht, der gar nicht anders kann, als zu schweben, ohne dass er eine Chance hätte, nicht gleich danach ganz weg gebrannt zu werden.

Ich kann hoch über der Stadt ihrem Saum entlang wandern. Ich kann an Flussläufen spazieren und am Seeufer sitzen, kann herrschaftliche Häuserzeilen entlang schreiten und in Arbeiterquartieren der Kakophonie aus den Lautsprechern fremdländischer Radioprogramme lauschen.

Ich kann in die mondäne Welt der Bahnhofstrasse eintauchen, ohne dass ich die geringste Lust verspüre, auf irgendwen neidisch zu sein. Und zehn Minuten später kaufe ich bei einem türkischen Gemüsehändler Peperoni. Zu Hause steht der herrlichste Früchteteller des Jahres, jede Frucht voll kräftigen Geschmacks.

Das alles ist Zürich für mich. Verbunden mit Erinnerungen aus meiner Schulzeit, Studienzeit, Berufszeit. Mit Menschen. Und Gerüchen. Mit Wandel. Klein ist sie geblieben, unsere Weltstadt. Und doch “bin ich gross geworden” in ihr. Das kulturelle Angebot nutze ich praktisch nicht. Aber es bestimmt das Leben mit, prägt die Vielfältigkeit der Stadt mit. Ist Teil meiner Wahrnehmungen.

Ich lache jeden und jede an, die mir begegnet. Grüsse wildfremde Menschen auf der Strasse. Mache jemanden auf den vorwitzigen Spatz vor ihm auf der Banklehne aufmerksam.

Ich möchte mein Staunen mit allen Menschen teilen.

Und dabei habe ich immer meine eben Vergangenheit gewordenen und doch gegenwärtig gebliebenen Tage in Berlin in mir. Was für ein Glück, zwischen solchen Städten pendeln zu dürfen. Das heisst: Ich würde gerne pendeln. Aber ich bin auch so schon äusserst dankbar, dass ich einmal pro Jahr in dieser Stadt wie zu Besuch bin. Dass ich zwei so pulsierende Lebensadern menschlicher Gesellschaften vergleichend erleben darf.

Sie tun mir gut, diese beiden Orte, die so viel mit meinem eigenen Bewusstsein zu tun haben. Die mir mein Leben bewusst machen.

Ich möchte Zürich und Berlin immer wieder mein Lachen zurück geben.




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[Bildquellen:
oben: Auf Zürichs Panoramaweg von Sabine I.,
unten: Strassenszene in Berlin by caro-art ]





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das Glück, die Augen zu öffnen...