Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Empören? Und dann?

∞  25 Juni 2012, 16:22

Im Tagebuch des Asienkorrespondenten Bernhard Bartsch über Liao Yiwu gelesen [1]:


[…] Medien und Politik waren gerade anderweitig okkupiert. Für den 54-Jährigen dürfte dies eine bittere Erkenntnis gewesen sein – und ein weiterer Schritt des Ankommens im Leben als Exilschriftsteller, fern der Heimat unter Menschen, die einem Aufmerksamkeit schenken und entziehen wie es ihnen gerade passt. […]

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Diese Sätze haben mich geradezu geschlagen. Denn sie sind so was von wahr! Wie oft lassen wir uns als Konsumenten von News aufrütteln, so dass wir in Protestgeschrei mit einstimmen – und wie oft haben wir “die Angelegenheit” kurz darauf schon vergessen?

Wie sehr folgen wir dabei der inneren Befindlichkeit, einem momentanen Unwohlsein und Widerwillen, der mal rasch nach Protest verlangt, nach einem Ausruf wenigstens, bevor unsere Aufmerksamkeit wieder weg flutscht, wie ein frisch aufgeschlagenes Ei von einer Teflonpfanne, die keine Hitze bekommt: Unsere Energie ist beschränkt, und wohl viel zu oft geht es Exilanten so, dass sie sich anfänglich von echter Unterstützung getragen wähnen, um später dann festzustellen, wie wenig weit diese reicht. Es muss deprimierend sein, wie schnell unser Alltagskram mehr Aufmerskamkeit zurück gewinnt, als ein Menschenrechtsproblem irgendwo auf der Welt, das sehr wohl das Problem deises Menschen ist, ganz konkret, aber niemals genau so das meine wird:

Es beginnt ja schon bei seinem Erzählen: Ich kann mich erschüttern lassen, aber ich werde nie in seiner Haut stecken können und zu fühlen vermögen, was er durchlitten hat. Ich könnte aber sehr wohl versuchen – statt mal schnell einen Blogartikel zu verfassen – eine solche Lebensgeschichte damit zu verknüpfen, dass ich mich eingehender informiere, über das Momentum hinaus. Verstehen wollen, statt schnell mal protestieren für die augenscheinlich gute Sache, die mehr dem eigenen Ego dient, dem Selbstwertgefühl, als einer vertieften, wirklich greifbaren Unterstützung.

Liao Yiwu erlebt gerade wieder mehr Aufmerksamkeit, denn er bekommt den bedeutenden Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2012 [2]. Schreiben aber wird er weiterhin in einem einsamen Prozess, aber nicht nur so, wie alle Schreibenden es aushalten müssen, um ihre Gedanken zu bündeln und in Sprache zu fassen:

Darüber hinaus ist ihm eine Einsamkeit gewiss, die der Mensch in der Fremde nie los wird: Die nicht teilbare Erfahrung einer fernen Welt – und noch mehr die sprachlos bleibende Ferne eines unvorstellbaren Leids. Schreiben als Zwang, aber hoffentlich eben doch als Ventil, um die eigene Erfahrung in Geschichten zu kleiden, mit denen man jedesmal ein paar Worte mit verschenken kann, in denen der Selbstbestimmungswille mitklingt:

Ich bin nicht so sehr die Bitterkeit meines Leids, aber sehr wohl das Ergebnis meiner Welt, in der ich fremder bin als ihr, aber mir selbst nicht so fremd bleiben muss. Darum sollten wir Geschichten wie jene aus der Feder und den Tasten von Liao Yiwu erst recht als unser eigenes Buch lesen: Nur das, was wir jenseits aller Proteste nach aussen an uns selbst heranlassen, was unser Verhalten und unsere Sicht wirklich zu verändern mag, ist Unterstützung für das Menschsein und jedes Recht, das es dafür geben sollte.

Links:
[1]: Bernhard Bartsch über Liao Yiwu: Unbeirrbarer Chronist
[2]: Friedenspreis des deutschen Buchhandels 2012

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