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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Rücktritt mit sehr viel Haltung

∞  11 Februar 2013, 20:19

Der Papst tritt zurück. Als ich das hörte, bin ich fast vom Gas gegangen beim Autofahren. Dem Schritt sollte man Respekt zollen – und ich könnte deshalb ja mal versuchen, meinen Frieden mit dem Mann zu machen.

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Dabei muss ich vorausschicken, dass ich sehr wohl so viel Demut in meinem eigenen Leben und Glauben besitze, dass ich mir bewusst bin, dass mein Gott nur schon den Versuch, mir ein Urteil über den obersten Katholiken anzumassen, als ziemlich lächerlich bis ungehörig qualifizieren mag – zumal ich noch nicht mal der gleichen Glaubensrichtung angehöre. Aber es ist nun mal so, dass dieses Amt und die Person, die es ausübt, notgedrungen für Reibungsfläche sorgt: Es ist nicht gleichgültig, wer auf diesem Stuhl in Rom sitzt, nicht mal für jene Atheisten, die jedes katholische Ritual als Karneval verhöhnen mögen.

Habemus Papam. Es ist Kardinal Ratzinger – diese Nachricht wurde von vielen befürchtet, bevor sie verkündet war. Eine Überraschung war seine Ernennung nicht, Begeisterung dürfte sie vor allem in Deutschland ausgelöst haben (“wir sind Papst”) – und bei Traditionalisten. Aber wohl selten ist es so schwer gefallen, einen Papst richtig einzuordnen – nur schon zu beurteilen, worin seine Wirkung am Ende lag und was bleiben könnte. Papst Benedikt XVI. hat die Anhänger des Ausgleichs unter den Religionen mit scheinbar brüskierenden Reden vor Muslimen und Juden vor den Kopf gestossen – er hat aber in der Sache den Dialog gesucht und ihn aufrecht erhalten. Dieser Papst war spirituell konservativ, was gar in der Wiedereinführung der lateinischen Liturgie gipfelte. Er zeigte in seinem Glauben aber auch eine Festigkeit, die ich Ehrlichkeit gegenüber Andersgläubigen nennen möchte, mehr, als so manchem leutseligen Pfarrer geblieben ist, der ein “sowohl als auch” vertritt, als Verkäufer der Kirche, auch da, wo “die Lehre” eindeutig ist:

Benedikt der XVI. konnte keine Ökumene mit den Reformierten anstreben, weil die katholische Lehre nun mal von der allein selig machenden Wirkung und Bedeutung der eigenen Kirche ausgeht, er konnte in letzter Konsequenz Muslime und Juden achten, für ihr Bestreben nach spiritueller Wahrhaftigkeit, anders als fehlgeleitet aber waren sie schlussendlich nicht zu sehen – die allein selig machende Lehre der katholischen christlichen Glaubensrichtung ist unverrückbar.

Er verkörperte damit die gleiche fundamentalistische Festigkeit in seinen Haltungen, wie sie den obersten Vertretern aller monotheistischen Weltreligionen eigen ist, und er war bestrebt, damit den Katholiken gegenüber genau dies vorzuleben: Die Verbindlichkeit eines überzeugten Glaubens, der Fragen nach Recht und Unrecht mit Ja und Nein beantwortet, ohne Wenn und Aber.

Wer glaubt, und seinem Glauben den Charakter des Wissens und der Rechtmässigkeit verleiht, wer im Namen dieses Glaubens in die Lebensumstände von Menschen eingreift und ihnen Vorschriften macht, welche auch Ansprüche an die Moral erheben, der kann im Grunde nichts anderes erklären, als Regeln, Grund- und Leitsätze. Vielleicht ist es die menschliche Tragik dieses so nüchtern handelnden Mannes, der nach der Pflicht seiner Überzeugungen fragt und keine andere Bestätigung für seine Haltung braucht, dass viel zu wenig beachtet wird, wie hoch seine spirituelle Kraft reichte und reicht, wie mehr philosophisch als “nur” religiös manche seiner Schriften sind, die alle mehr Spiritualität atmen als in Dogmen inne wohnen würde.

Dass der erste Gläubige einer Gemeinde so unprätentiös, wie er amtete, nun den Schritt wählt, zurück zu treten, was siebenhundert Jahre lang kein Papst getan hat, nötigt mir Respekt ab. Und vielleicht ist es die Chance, diesem Mann mehr zuzubilligen als jedem Politiker: Dass er nämlich stets handelte und sprach, wie es seiner Überzeugung entsprach und wenig bis gar nicht danach, wie angenommen oder abgelehnt werden könnte, was er sagte.

Er scheint auch eine tiefe Sehnsucht nach dem stillen Fragen, nach dem Weiterforschen nach den inneren Wahrheiten zu kennen, und ist damit vielleicht allen Menschen sehr viel näher, als diese glauben.

Und nicht wenige, welche die konservative Grundhaltung der Kirche bei jedem Papstwechsel beklagen, werden vielleicht erst später erkennen, wie viel Kardinal Ratzinger uns als Papst oder auch als Ex-Papst zu sagen hätte – mit seinem Blick auf unsere kapitalistische Welt, mit der Kritik an unserem Konsumwahn und der Tendenz, Banalitäten zu skandalisieren und umgekehrt nichts wirklich Bedrohliches wahrnehmen zu wollen: Wir tun gerne gerade so, als gäbe es nichts Böses auf der Welt – und jene, die es durchaus ausmachen, zucken mit den Schultern, weil sie kein Mittel dagegen sehen. Ratzinger würde sagen: Jeder an seinem Platz ist einfach mit seiner Haltung gefragt. Und damit ist er auch Teil des Ganzen.

Für den Ex-Papst liegt dieser Platz vielleicht in einem Kloster, bei medizinischer Sorge und Betreuung, aber hungrig bleibendem Geist, und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er keinen seiner Entscheide so leicht und mit mehr Überzeugung getroffen hat, als seinen heute verkündeten Rücktritt.