Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein demokratischer Adventssonntag

∞  1 Dezember 2014, 06:54

Wir haben schon wieder den ersten Advent. Und wie immer ist das der Tag, an dem wir unseren Plastikbaum schmücken. Mittlwerweile brauche ich das nicht mehr zu erklären. Er nadelt nicht, braucht kein Wasser, ist absolut regelmässig gewachsen und wird nicht trocken und spröde. Und wir können ihn mit soooo viel Schmuck und … jaaah, auch mit Tand behängen.

Und wie gefühlt jedes Mal, ist auch dieses Jahr dieser Sonntag wieder ein Abstimmungssonntag mit Volksabstimmungen zu politischen Sachfragen. Auf jeden Fall habe ich mich bei der stundenlangen Beschäftigung mit unserem Bäumchen dabei erwischt, wie ich die immer wieder gleichen Gedanken wälzte:

Dieser Tag ist für mich immer ein Grund für grosse Dankbarkeit. Immer wieder denke ich, während ich die Nachrichten und Kommentare über die Ergebnisse höre, was für ein unglaubliches Privileg wir haben, in einem Staat mit so viel direkter Demokratie zu leben.
Dieses Mal bin ich mit den Ergebnissen sehr glücklich, aber diese Dankbarkeit gilt auch für jene Sonntage, an denen ich zu den Verlierern gehöre. Diese Abstimmungsvorlagen bringen es naturgemäss mit sich, dass wir alle immer mal wieder zu den Verlieren gehören. Und das ist so heilsam und wichtig! Denn es bedeutet, dass sich die Politik und unser politischer Umgang mit Andersdenkenden immer in einer gewissen Konzilianz abspielt: Die Minderheit von heute ist womöglich die Mehrheit von morgen, und die Parameter für eine pragmatische Sachpolitik können sich im Lauf der Jahre ändern. Genau diese Art von Wechselspiel führt dazu, dass sehr oft eine Mehrzahl der Stimmberechtigten einem gewissen Pragmatismus folgt. Es wird praktisch nie nach dem Parteibuch abgestimmt – es kann auch gut sein, dass eine Kantonalpartei bei einer eidgenössischen Vorlage eine Ja-Parole beschliesst, während die nationale Mutterpartei dagegen ist. Schlussendlich muss immer argumentiert werden.

Und so haben sich diesen Sonntag die Schweizer Stimmbürger gegen eine starr und sehr eng begrenzte Zulässigkeit der weiteren Zuwanderung entschieden, sie haben die Goldinitiative abgelehnt, welche der Nationalbank grobe Schranken bei der Geldpolitik auferlegt hätte, weil sie zusätzlich zum Eingriff am Devisenmarkt immer auch noch ihre Goldbestände hätte aufstocken müssen – und die Schweizer haben es abgelehnt, die Pauschalbesteuerung reicher Ausländer abzulehnen: Die Kantone können weiterhin eine solche vorsehen und anbieten – oder es ablehnen.

Und wir schmücken weiter unser Bäumchen. Wenn wir uns drunter setzen, dann tun wir das im Bewusstsein, Stimmbürger zu sein. Nicht nur Wähler.