Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Ein Bedürfnisabwäger und Beschaffungsoptimierer

∞  1 Juli 2007, 18:50

Wir sitzen also gestern ganz gemütlich in der Runde – so, dass Gespräche besonders leicht in Gang kommen, nach einem wunderbaren Essen, den Dessert noch in Aussicht, den Espresso vor uns auf dem Tisch und sein Aroma in der Nase, und so beginnen wir zu plaudern und erzählen uns vom Fotografieren und dem Für und Wider bei der Anschaffung einer Kamera, der Wissenschaft rund um den Betrieb eines Kaffee-Vollautomaten, den Segen eines Tiefkühlers und von anderen Dingen mehr, die für einen kulturell und zivilisatorisch zeitgemässen Haushalt unverzichtbar zu sein scheinen.

Und mein Freund liefert mir das Stichwort, das mir erlaubt, an einem Faden zu ziehen, an dem ich schon seit Jahren gerne mal gezogen hätte.

Denn mein lieber Begleiter durch so manche Lebenserfahrungen gehört, wie ich ihm nun eröffne, zum Typus des systematischen Zauderers, wenn es um bedeutende Anschaffungen geht, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass mit dieser Grundhaltung praktisch jede Anschaffung bedeutend wird und damit zur Geduldsprobe für alle, die zwangsläufig in diese Entscheidungsprozesse einbezogen werden (Freunde, die so ein Teil schon längst haben oder nie wollen, bis zur Ehefrau, die ein solches Teil schon längst brauchte und in keiner Phase zu glauben beginnen mag, dass es auch tatsächlich Part des Hausrats werden könnte).

Unser Held, der zaudernde Bedürfnisabwäger und Beschaffungsoptimierer, stellt sich also eines Tages seinem Bedürfnis nach Konsum oder vielmehr Investition, nachdem sich über Monate erst mal der Wunsch in seinem Hinterstübchen eingenistet und dann von dort aus immer mal wieder gemeldet hat; und eines Tages spricht er es aus:
Ich möchte eine Digitalkamera“.
Noch etwas genauer: Mittlerweile wagt er es gar, zu formulieren:
“Ich brauche eine Digitalkamera”.

Nun folgt das Erstellen einer ersten langen Liste, DIN A4, die alle Punkte aufführt, warum er eine Digitalkamera braucht, und das Studium dieser Liste führt automatisch dazu, dass er Gegenargumente findet, die – auch ohne dass sie aufgeschrieben werden – ganz eindeutig machen, dass er die Kamera nicht braucht, also nicht wirklich zwingend benötigt, sondern nur möchte, wogegen sich zahlreiche Argumente finden lassen, die dies als unvernünftig erscheinen lassen, weil ökologisch bedenklich und eh keine Zeit vorhanden, um das Teil zu nützen. Am meisten aber hilft der Preis: Denn das ins Auge gefasste Teil verkörpert die Eier legende Wollmilchsau, und die ist in allen Inkarnationen sehr teuer, weil sie einfach alles können (muss).

Das Projekt wird auf Eis gelegt und ruht da, vorsichtig ausgedrückt, eine ganze Weile, bis ein paar Jahre später neue Modelle auf den Markt kommen, die – on the top – zwar nicht billiger sind, aber noch mehr können.

Nun ist es Zeit, die besagte Liste wieder hervor zu klauben, bzw. eine neue anzufertigen, was viel mehr Spass macht, und dann, nach der Klärung so vieler Gedankengänge und Abwägungen, ist der grosse Moment gekommen:

Er betritt ein Ladengeschäft. Dort stösst unser Internet- und charaktergestählte Held mit Garantie auf einen armen Kerl von einem Verkäufer, der im Vergleich zu ihm nur einen Bruchteil über die in Frage kommenden Produkte weiss, was ihm objektiv gesehen niemand zum Vorwurf machen kann, auch wenn er nicht so viel Hilfsbereitschaft beweisen würde: Drei Mal verschwindet der junge Mann in Rekordzeit in den rückwärtigen Räumen des Geschäfts, um jedes Mal kurz darauf wieder zu kommen und zu beteuern, dass er die Frage mit bestem Willen nicht beantworten könne, die Information aber sicher auf der Firmenseite des Herstellers im Internet abzufragen sei, www-punkt-hersteller-punkt-ch weiss sicher weiter.

Das Resultat ist ein abgekämpfter Held, der die verschiedenen Geschäfte ohne Kamera verlässt, aber mit zusätzlichen Prospekten bewaffnet den Heimweg antritt. Nun kommt die lustvolle Phase, in der unser Held feststellt, welche Entwicklung in den letzten Jahren doch von statten ging, was ihn unsicher macht, ob er denn so überhaupt den notwendigen Überblick für einen Entscheid behalten könne, und einen ganz leisen Moment lang herrscht Panik im Haus, weil er überlegt, dass, wenn er noch ein paar Monate warten würde, das Feature “Nonplusultra” bestimmt im Nachfolgemodell enthalten sein würde…?!!

Diese Hürde wird aber souverän gemeistert, so dass unser Held ein paar Wochen später zu Hause die Kamera auspackt, die meisten Erwartungen bestätigt findet, selbst dann, als er regelmässig zu fotografieren beginnt, sich auch daran freut, aber auch sehr schnell konstatiert, dass er einerseits nun drei Jahre lang nicht so super praktisch digital fotografiert hat und noch viel länger den Grossteil der Funktionen nie nützen wird, die er mit erstanden hat.

Aber gut in der Hand liegt das Teil, gar keine Frage. Und billiger ist es auch, irgendwie, unter dem Strich, denn mit dieser Grundstrategie werden viele Kaufentscheidungen im Evaluationsprozess früher oder später obsolet.
Pharmakologische Aufwendungen und solche für Thermalbäder samt Kneippkuren für die gestresste Familie mal ausgeklammert.


Lieber Freund, Du magst Dich trösten, auch wenn ich mir da nicht so sicher bin (aber immerhin haben wir gestern Alle herzhaft und lange gelacht):
Die Prozesse, die bei Dir ablaufen, sind längst auf Verkäuferseite erfasst und berücksichtigt:

gefunden hier bei: Peter Voellm Werbeagentur