Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Eigentlich...

∞  31 März 2010, 13:15

… habe ich in meinem Leben schon so viel Weltgeschichte erlebt. Und eigentlich war diese Weltgeschichte – zumindest vor dem Auseinanderbrechen von Jugoslawien – eine solche der positiven Sensationen. Ich bin mit dem Vokabular des kalten Krieges aufgewachsen. Für mich war die dämonische Gefahr jene der bösen Russen, des Apparate-Kommunismus und eines Wettrüstens ohne jeden Sinn und Verstand. Die Dinge schienen festgerückt, der Wettstreit der Ideologien in diesen geschaffenen Tatsachen unumstösslich auf endlose Dauer ausgelegt, eine Aufweichung, ein Zusammengehen, ja sogar eine Berührung schien völlig utopisch – so, wie die israelische Mauer heute Gleiches suggeriert, wohl suggerieren will.

Und was ist geschehen? Die Mauer ist gefallen, ein ganzes politisches Modell und die dazu gehörende Staatengemeinschaft wurde begraben – praktisch ohne Blutvergiessen. Es ist dies noch immer eine unglaubliche Tatsache mit einer ungeheuren Aussagekraft. Aber, was haben wir daraus gemacht? Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Darfour. Kriege werden weiter geführt, die Politik der Ideologie ist, viel weniger kaschiert als bisher, der einhelligen Politk des Geldes gewichen – nur die Mittel und Gründe, die angeführt werden, unterscheiden sich teilweise. Eine ideologieähnliche Identität suchen die Menschen fast nur noch in den islamistischen Bewegungen. Unsere Bewegungen sind dagegen alle irgendwie “anti”. Wir reagieren nur. Agieren oder gar kreieren – Fehlanzeige.

Ich bin sicher, Sie können sich an das Bild von Präsident George W. Bush erinnern, wie er auf dem Trümmerhaufen in Ground Zero stand, mit dem alten Feuerwehrmann an seiner Seite. Manchmal stelle ich mir die beiden vor, wie sie da stehen, und ich bilde mir ein, es stünde ein dritter Mann daneben: Vielleicht ein bärtiger Mann, ein Muslim, der in den einstürzenden Büros einen Verwandten verloren hat. Und die Botschaft, welch Macht der Bilder, hätte gelautet:
Amerika ist bestürzt. Die ganze Welt ist bestürzt. Wir alle wissen, dass dies eine Stunde ist, in der wir viel verloren haben – und noch mehr verlieren können. Wir alle aber sind auch Menschen guten Willens mit dem Wunsch nach Frieden. Wir wehren uns. Aber wir weigern uns, die Welt so eindimensional zu sehen, wie unsere Feinde uns offensichtlich sehen. Wir wehren uns. Wir wollen Sühne, Strafe. Aber wir wollen auch Versöhnung, Verständnis und Verstehen. Und wir rufen alle Menschen aller Ideologien und Religionen auf, welche sich genau so betroffen fühlen wie wir, mit uns dafür zu kämpfen.
Stellen wir uns dies oder etwas ganz Ähnliches für einen Moment vor. Und vergessen wir für einen Moment den bitteren Lacher hinter uns, der “Naivlinge” schreit. Und weiß, dass das amerikanische Volk den starken Präsidenten will, der nach Vergeltung strebt.
Hat das amerikanische Volk diesen starken Präsidenten bekommen? Vielleicht. Auf einem bitteren Umweg. Aber nur vielleicht. Es bleibt gültig, für uns alle, dass wir am leidvollen oder glücklichen Ende einer jeden Periode, in die wir die Geschichte unserer Völker gliedern, die Regierung haben, und damit den Präsidenten, den wir verdienen. Zumindest in den Demokratien müssen wir uns dies einfach so sagen lassen. Und wenn wir Demokratie fordern, sollten wir viel klarer und deutlicher auch wissen, dass dies genau das bedeutet. Dann kriegen wir wirklich, was wir verdienen.


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Bildfund: bei philippraess.ch
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