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Die Schweizer Neutralität: Ein schwieriger Segen

∞  12 Dezember 2012, 16:35

istockphoto.com/malerapaso: Balanced stones

Zitat:

Die Neutralität ist so neutral nicht, denn es geht im ersten Sinne nur um den Vorteil der Schweiz, solange es keine Vorteile bringt, hält man sich aus der Weltpolitik heraus, wenn es Schwierigkeiten gibt sowieso. Auf der anderen Seite ist man dann aber auch gerne mal beleidigt, weil man in der Welt nicht die Präsenz hat die der eigenen Meinung nach gerechtfertigt wäre, denn immerhin ist die Schweiz ja ein hochentwickeltes Land.
(Lady Crook)


Die Schweizer Neutralität ist keine neue schlaumeierische Idee, mit der sich die Schweiz aus allen Scharmützeln heraus halten will: Sie ist historisch sehr alt und früh international anerkannt worden und beruht in erster Linie auf der Erkenntnis, dass die vielen heterogenen Kräfte im Innern gar keine andere Aussenpolitik erlauben.

Die Neutralität der Schweiz wird erstmals nach der Niederlage bei der Schlacht um Marignano zum politischen Instrument: Die Eidgenossen haben bei Marignano mächtig eins auf den Deckel bekommen, daraus aber auch eine bemerkenswerte Einsicht gewonnen: Die innere Spaltung des Landes in religiöser und politischer Hinsicht liesse das Gebilde auseinander krachen, wenn man es mit militärischen Engagements im Ausland belastet. Das hinderte Besatzermächte nicht daran, Schweizer Kontingente von Reisläufern zu rekrutieren – die Reisläuferei gehörte dann auch lange zu einem wichtigen Erwerbszweig der armen Landbevölkerung, da auf diesem Weg Sold ins Land kam. Doch die Neutralität wurde zum obersten anzustrebenden Prinzip und wenn immer möglich verteidigt, und nach dem dreissigjährigen Krieg wurde 1648 im westfälischen Frieden von den europäischen Mächten die “immerwährende bewaffnete Neutralität der Eidgenossen” anerkannt. Nicht nur die Ära Napoleon liess dies zwischenzeitlich wieder Makulatur werden, aber die Bestrebungen der Schweiz gingen immer dahin, sich diesen Status zurück zu erkämpfen. Der letzte offensive Einsatz von Schweizer Truppen im Ausland datiert aus dem Jahre 1815, als die Koaltion gegen Frankreich diesen Schritt von der Schweiz erzwang. Mit dem Wiener Kongress von 1815 begann die militärische Umsetzung der Neutralität, die eine grenznahe Verteidigung der Schweiz gegen jede fremde Militärmacht vorsah. Die Schweiz hat einige der wichtigsten Alpenpässe, und sie konnte als politisches Gebilde nur überleben, wenn sie diese neutral (und entsprechend verlässlich) allen Interessenten zur Verfügung stellte.

Diese gegen jede ausländische Macht im Idealfall gleiche Haltung war seit je auch die Voraussetzung, um die in der Schweiz sehr unterschiedlichen Konfessionen und politischen Strömungen in vier Landesteilen einen zu können und den Zusammenschluss zu erhalten.

Niemand bestreitet, dass die Neutralität der Schweiz oft aus der Schweiz heraus schwer zu vermitteln und umgekehrt von Konfliktparteien schwer zu verstehen sein kann. Was die Neutralität gebietet, ist ist oft gar nicht so klar und unterliegt einem ständigen Prozess.

Den Stand heute gibt die Erklärung auf der öffentlichen Seite der Eidgenossenschaft wieder:
“Neutralität der Schweiz”: http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/topics/intla/cintla/ref_neutr.html.

Darin wird betont, dass die Neutralität grundsätzlich kein Hindernis für den Beitritt zu Organisationen wie der EU ist. Dieses Argument wird denn auch in erster Linie von rechts aussen vertreten, aber in der Öffentlichkeit weit weniger als ablehnendes Argument ins Feld geführt als die Einschränkungen für unsere direkte Demokratie.

Der Schweiz vorzuwerfen, sie verstecke sich hinter ihrer Neutralität und halte sich aus allen Händeln heraus, ist eine Unterstellung oder einfach Unkenntnis über die aussenpolitische Tätigkeit der Schweiz im Stillen – so, wie es einem Kleinstaat möglich ist, und wie es erfolgreiche Diplomatie für die guten Dienste oft nötig macht. Es ist daher auch nicht “nichts” wert, wenn die Schweiz als Zweitsitz der UNO in Genf, als Standort des WEF oder als Sitz des roten Kreuzes fungiert – es braucht auch für diese Dienste einen entsprechenden politischen Willen. Wie Norwegen und andere leistet die Schweiz zudem immer wieder Vermittlerdienste im Nahen Osten, und die wenigsten dürften wissen, dass die Schweizer Botschaft im Iran als Mittler und Vertreter der USA gegenüber dem Iran fungiert – eine Funktion, die als nicht neutraler Staat bestimmt nicht möglich und von Teheran akzeptiert wäre, dessen Wichtigkeit wir alle nicht beurteilen können, von der aber durchaus angenommen werden kann, dass, würde der Kontakt fehlen, die Kommunikation noch schwieriger wäre.

Die Schweiz leistet im Rahmen aller Abkommen mit der EU im übrigen Geldzahlungen in die Gemeinschaft, welche die Aufwendungen des Vollmitglieds Polen übertreffen.

Unter dem Strich versucht die Schweiz, eine Balance zu halten, mit der sie für unterschiedlich starke andere Staaten ein verlässlicher Orientierungspunkt sein kann, und die relative Gewissheit von uns Bürgern darüber, wie sich die Schweiz international verhält, trägt dazu bei, dass unterschiedlichste Couleurs diese Politik auch mittragen können. Dass die Neutralität eine bewaffnete ist, die eine Verteidigungsarmee unterhält, ist nicht nur Folklore, sondern auch der Willen, für diese Neutralität, aber auch für die Eigenständigkeit mit dem eigenen Leben einstehen zu wollen: Neutralität kann sich in letzter Konsequenz bei niemandem anlehnen oder einkuscheln. Sie wird im Idealfall respektiert aber kaum je geliebt, das Buhlen um politische Opportunitäten hat vielmehr enge Grenzen und erschwert durchaus manche Verhandlungsführung.

Man kann also die Neutralität der Schweiz auch als die versuchte Kunst der Verlässlichkeit und Integrität betrachten. Wie gut es gelingt, sollte genau so kritisch, aber nicht kritischer beurteilt werden als so manche militärische Aktion, die andernorts gerne dann ins Feld geführt wird, wenn innenpolitische Probleme grösser werden…