Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Muttertochter für vier Generationen

∞  6 Januar 2010, 18:59

Die Frau, der ich hier ein Kränzlein flechten möchte, steht wenige Jahre vor ihrer eigenen Pensionierung. Sie hat eben ihren Vater beerdigt und sich entschlossen, die leicht demente Mutter bei sich aufzunehmen. Zur Zeit wohnt sie mit ihr zusammen, weil die Einleger-Wohnung, in welche die Mutter ziehen soll, erst noch umgebaut werden muss, was der Lebenspartner, auch sonst eine unterstützende Seele, wie man sie sich nur wünschen kann, zu guten Teilen selbst an die Hand nimmt.

Und in diese Situation hinein schlägt in der Familie das Schicksal wieder zu. Der Schwiegersohn hat eine schwere, zwar behandelbare aber nicht heilbare Krankheit. Übers Wochenende verschlimmert sich urplötzlich sein Zustand massiv. Zwei Tage sitzt er zu Hause, kann wegen der Atembeschwerden nur sitzend schlafen, hustet Blut. Doch er weigert sich, ins Krankenhaus zu gehen oder zur Notaufnahme. Noch nicht einmal dem Arzt soll man Bescheid geben. Seine Frau ängstigt sich derweil zu Tode – bis es nicht mehr anders geht: Der Mann muss notfallmässig ins Krankenhaus, wo er kurz darauf kollabiert und dann mit dem Rega-Helikopter in eine Spezialklinik geflogen werden muss. Nun ist er an einer Lungenmaschine angeschlossen und liegt auf der Intensivstation, Ausgang ungewiss, um nicht zu sagen, sehr, sehr trübe. Das Kleinkind des Paares ist eh krank und wird nun auch von “unserer” Frau gepflegt. Sie sitzt nun mit der dementen Mutter und dem fiebernden Kleinkind da, erledigt auch noch als Geschäftsführerin in einem 60%-Job (theoretisch) die Führung eines Lager- und Versandbetriebs (ganz praktisch)und versucht, so viel Ruhe zu bewahren, dass es auch noch für die völlig aufgelöste Tochter reicht, die sich um gar nichts mehr zu kümmern vermag – weder um ihr eigenes Kind noch um ihren Mann. Viel davon ist verständlich, anderes ist fast nicht mit anzusehen: Eine Familie, in der eine resolute, sehr praktisch orientierte und verantwortlich denkende und fühlende Frau für die ältere und zwei jüngere Generationen Verantwortung trägt und das eigene Leben auch noch in Ordnung hält. Samt Job.

Ihre zielgerichtete Strebsamkeit trifft immer wieder auf die diffuse, ziellos teibende Labilität der Umgebung, die nimmt, und konsumiert. Sie konsumiert Zeit und Verstand im Mittelpunkt der Familie. Und diese Mitte, diese Person, ist Orientierung und Anker in schlechten Zeiten, nervener und allzu vernünftiger Mahner in sorglosen Zeiten. Und sorglos macht man sich als junges Paar die Zeit auch dann, wenn man um eine solche Krankheit weiss und darüber reden könnte und müsste – schon der eigenen Nächsten zuliebe. Aber nichts dergleichen geschieht. Man schlittert einfach hinein in die Katastrophe. Es mag nicht der richtige Zeitpunkt sein, um sich aufzuregen. Ich tu’s trotzdem.