Mein Schreiben. Täglich.

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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Heilsarmee wird wahrgenommen - nun auch von mir

∞  22 Dezember 2011, 22:41

Wie es die Heilsarmee in drei Akten auf meine Spendenliste schaffte.


KVor einer Woche war ich in der Stadt. Weihnachtsluft schnuppern. Um ein paar Weihnachtstand-Verkaufshütten herum schlendern und ein bisschen Stimmung tanken. Kaufen musste ich nichts, ich war für die Seele da. Wenn etwas keine Seele hat, sagen wir, dann ist es ohne Leben.

Unsere innerste Energiequelle, also nicht der Sauhund, der um jeden Preis überleben will, sondern der Samen, der in uns angelegt ist und zum Blühen kommen will – wir alle suchen diese Quelle, reden von ihr, und meinen die Essenz, welche die Wärme im Licht ist – nicht nur die Helligkeit. Es gibt sie aber zuhauf, diese abgelöschten Seelen, und unter jenen, die hell aber kühl strahlen und funktionieren, sind vielleicht einige, welche sehr viel mehr gemein haben mit jenen, welche nicht mehr warm werden, inihren übers Kinn hoch gezogenen zerschlissenen Jacken.

Die einen drehen zu hoch, den andern ist der Motor abgestorben. Die einen gehen an den Heilsarmeeständen vorbei, und wissen oft nicht so genau, warum sie etwas einwerfen, die andern werden angesprochen, und wissen nicht so genau, warum ihnen geholfen wird. Ausgerechnet ihnen. Diese Organisation mit den komischen Uniformen, dem unmöglichen Namen und den unvermeidlichen Singgruppen vor Weihnachten auf den Strassen der Innenstadt – was sind das für komische Käuze?

Komisch? Ach, in der heutigen Zeit haben wohl auch als Gutmenschen Verhöhnte das Recht, komisch zu sein. Oder stehen wir schon wieder so unter Gleichstrom, dass es das nicht mehr verträgt? Ich weiss wenig über die Organisation, aber was ich weiss, imponiert mir durchaus. So scheint zwar die Verkündigung der christlichen Botschaft wichtig, doch das Prinzip, dass jeder bedürftige Mensch Hilf erfahren soll, steht über allem. Das Beispiel, die Haltung der Heilsarmisten (Salutisten) scheint wichtiger zu sein als die Indoktrination mit einer religiösen Lehre. Auf jeden Fall ist die Heilsarmee in Zürich fest verankert – sie hat ja auch schon eine sehr lange Tradition (in der Schweiz seit 1882 aktiv). Der Wikipedia-Eintrag enthält durchaus ein paar interessante Informationen. Besonders erwähnenswert finde ich dies:

Schon in der Gründungsakte der Christian Mission wurde festgelegt, dass Frauen die gleichen Rechte (Predigen, Führungspositionen und so weiter) haben wie Männer. So bestand die Heilsarmee schon im 19. Jahrhundert darauf, dass Frauen in allen intellektuellen und gesellschaftlichen Beziehungen Männern gleichgestellt sein sollten. Bis heute haben Frauen in der Heilsarmee den gleichen Status wie Männer.


Ich “kenne” also die Heilsarmee seit vielen Jahren – aber so, wie sie mir dieses Jahr aufgefallen ist, lässt mich wieder mal an Zufällen zweifeln.

Quelle im Bildtext verlinkt Heilsarmist in Zürich,
vor dem Globus, Dez. 2011
© Lookabout, Bildoriginal

Erst war da also, bei meinem Gang durch die Bahnhofstrasse, dieser ältere Herr in seinem offenbar eher zu dünnen blauen Uniformmantel und dem direkt verwegen farbig leuchtenden Schal, der, müde vom Stehen und Reden, und vom ständigen Film der vorbeiziehenden Menschen, ganz in sich gekehrt da stand, traurig irgendwie, und doch blitzte da immer mal wieder ein helles Licht aus seinen Augen. Hinter ihm, in einer Ecke, stand eine junge hübsche Frau, schlürfte an ihrem Glühwein und schient sich im unsichtbaren Schatten dieses Mannes zu ducken, als böte nur er ihr die Möglichkeit, aus diesem Strudel der vorbei ziehenden Erwartungen auszubrechen.

Lookabout: Quelle und Orginalbild im Text unter dem Bild verlinkt © Lookabout, Bildoriginal

Ein paar Stunden später besuche ich meine Mutter zur Weihnachtsfeier. Ich bin etwas zu früh und habe Zeit, mir am Bahnhof noch etwas die Beine zu vertreten. Mir stechen die zwei Plakate sofort ins Auge: Das Linke vor allem. Ein Mann mit zwei Gesichtshälften, gepflegt und verwahrlost. Es wird der Schock einer plötzlichen Arbeitslosigkeit thematisiert. Ich lese:
Ein Jobverlust kann aus einem Menschen einen anderen machen.
Und unten: Die Heilsarmee.
Mir ist zuvor wohl noch nie eine Reklametafel der Heilsarmee wirklich so bewusst aufgefallen. Dieses Jahr soll es wohl sein. Und dann sehe ich auf das Plakat daneben: Eine verpixelte, schemenhafte Strassenszene aus einer Innenstadt, und gestochen scharf in einem Kreis, an der Hand einer jungen Frau, eine schicke rote Ledertasche.
Das “grösste Schweizer Celebrity & Fashion-Magazin” style wirbt mit dem Slogan:
Der Blick fürs Wesentliche.

Dazu braucht es keine weiteren Worte. Aber es lohnt sich sicher, das Bild im Original ausführlicher zu betrachten…
Und nun also wurde es endgültig Zeit für diesen Artikel, denn ich bekam in diesen Tagen auch noch eine Briefkastenwerbung der Heilsarmee, mit den Texten und Noten der bekanntesten Weihnachtslieder, und einem Merkblatt, in dem sich die Organisation vorstellt. Und was sie vorzuweisen hat, ist durchaus bemerkenswert: – Acht Sozialberatungsstellen in der Schweiz – Sieben Wohn- und fünf Übergangsheime – Vier Alters- und Pflegeheime und – Zwei Passantenheime
Macht Obdach für 1200 Menschen, jede Nacht.
Eigentlich habe ich meinen Spendenstrauss für dieses Jahr zusammen, und man sollte ihn ja auch nicht verzetteln, sondern sich auf einige wenige Themen konzentrieren. Aber drei so von mir wahr genommene Präsenzen in meinem Leben haben die Konsequenz, dass ich diesen Artikel geschrieben habe – und auch eine Spende an die Heilsarmee fliessen wird. Nachträglich. Vielleicht einmalig, vielleicht auch nicht. Was kann ich voraussehen, was mir nächstes Jahr so lange in den Weg treten wird, bis ich es einfach bemerken und sich meine noch nicht verkühlte Seele einfach anrühren lassen muss?