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Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Die Forderung nach Menschenrechten braucht keine hoch schwappende Empörung, sondern Hartnäckigkeit

∞  5 Mai 2012, 21:16

Die Fussball-EM steht vor der Tür – und die Ukraine im Fokus. Die jüngste Geschichte dieses Landes wurde mit der orangen Revolution praktisch live am TV geschrieben – oder zumindest in einer bestimmten Version dargestellt und im Westen weiter verbreitet. Was wir hier annehmen und wofür wir uns verwenden, ist bestimmt in Vielem ehrlich gemeint, aber oft bestimmt auch ziemlich naiv. Unsere Reflexe sind voraussehbar, und auch damit wird Politik gemacht, wenn die grosse Bühne einer Fussballeuropameisterschaft im Land aufgebaut wird.

Julia Timoschenko ist eine Playerin im Machtgeplänkel der ukrainischen Elite, und sie kämpft bestimmt auch mit harten Bandagen. Selbstverständlich sind Gerichtsprozesse gegen Sie als missliebige Politikerin von fadem Beigeschmack, und in einem urkainischen Gefängnis möchte ich auch als normal uninteressanter Insasse nicht einsitzen. Die Haftbedingungen sind bestimmt nicht besonders toll, und dass ein politischer Gegenspieler wie seinerzeit Viktor Juschtschenko heimtückisch vergiftet werden konnte ist tatsächlich ungeheuerlich.

Wir sollten unsere Reflexe dennoch überprüfen und uns fragen, wie sehr wir uns denn noch für den “rechten Lauf der Dinge” interessieren, wenn sich die menschenunwürdigen Fakten nicht länger mit Galionsfiguren oder markanten Protagonisten verknüpfen lassen: Wie wichtig ist es uns, das Land nach seiner Menschenrechtspraxis zu fragen, wenn die Scheinwerfer fehlen?

Die Gepflogenheiten in diesen Ländern sind fundamental anders, und der Westen sollte seine Energie nicht so sehr in politischen Verlautbarungen zur Frage erschöpfen, ob man die Ukraine anlässlich der Fussballeurpameisterschaft mit einer kalten Schulter “bestrafen” soll, oder eben doch nicht: Kommt Timoschenko eines Tages frei und wieder an die Macht, wird sie sich derjenigen Mechanismen bedienen (wollen), die sie selber kennt und als wirksam kennen gelernt hat. Die tiefgreifende Implementierung eines Bewusstseins für Menschenrechte ist harte Knochenarbeit, und so schwer es auch fällt, so steht am Anfang doch das Verstehenwollen dessen, was man antrifft und kaum begreifen will: Man muss nicht entschuldigen oder gutheissen, aber erklären wollen, warum die Dinge so sind, wie sie sind: Weil die Menschen keine anderen verlässlichen Wahrheiten kennen.

Es braucht auch hier einmal mehr Haltung. Ein Verhalten statt blossen Forderungen, ein Arbeiten mit Basiskräften und politischen Druck. Anhaltend. Nicht nur während drei Wochen an einem Fussballturnier.