Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der Staat, das sind am Ende wir

∞  6 Dezember 2007, 22:01

In der ersten Zeit nach so einer Reise lebe ich wie in zwei Welten (mindestens). Ich bin wieder da, Erinnerungen aber werden erst richtig deutlich und führen mich zurück, während der Alltag das alte Phänomen bereit hält, mich daran erinnern zu wollen, was ich noch alles tun könnte.

Da fällt mir dann ein: Wenn Du über australische Fernstrassen fährst, fällt das ab. Es zählt nur, von A nach B zu kommen. Gesund. Und links und rechts aufzunehmen, was Du siehst.
Zum Alltag gehört auch, sich zu informieren. Ich bin sechs Wochen uninformiert gewesen, wie nur irgendwer – oder wie noch immer eine Vielzahl der Menschen weltweit…

Börse runter? Ständeratswahlen?

Etwas vom ganz Wenigen, was zu mir drang: Hingis, die Kokserin.
Jetzt, wieder zu Hause, tauche ich nur ganz langsam wieder in die Welt der Informationen ein. Und eigentlich ist bisher nur etwas hängen geblieben:

Eine Schweizer Grossbank (UBS) warnt durch eigene Experten vor dem Umstand, dass vom wirtschaftlichen Aufschwung zu Viele zu wenig profitieren. Darin ortet sie sozialen Sprengstoff. Die Sensation daran, die mich aufsitzen lässt:

Die Wahrnehmung und vor allem die klare Ansage kommt aus einer Ecke, aus der man sie nicht erwartet. Dabei spüren wir es alle:

Es ist Mode, jeden Rekordgewinn als Notwendigkeit zu verkaufen und mit neuen Erwartungen noch mehr Druck aufzubauen. Manager verdienen in zehn Minuten, was andere im Konzern in einem Jahr nach Hause tragen. Diese Litaneien sind bekannt und langsam wächst das dumpfe Nachdenken.
Viel bedenklicher noch erscheint mir allerdings die Rolle, die man allen Organisationen des Gemeinwesens zuzudenken bereit ist: Gut ist allein, was im Wettbewerb der Verdrängung am Ende übrig bleibt. Öffentliche Schulen? Können nichts taugen! Der Staat verschleudert unser Geld. Steuern? Sind zu minimieren. Der Staat erbringt keine Leistungen. Er verursacht nur Kosten. Privatisierung der Post, des Strommarktes, wird gefordert. Warum?

Der Staat sind immer die andern. Er ist nicht ein Teil von uns. Wir sind nicht Teil von ihm. Dabei gibt es ihn gar nicht ohne uns, wenn wir Demokratie richtig begreifen. Aber wir müssen schon selbst begreifen, was sie uns wert ist. Und eigene Rechnungen anstellen.
Es ist Zeit, dass gerade jene, die sich nur oder vor allem durch ihr Mehr an Geld, Einkommen, Prestige in ihrer Wichtigkeit definieren, erkennen, dass sie ausserhalb einer auch sie tragenden Gesellschaft nichts anderes sind als Verteidiger eines Standes, dem potentiell die Missgunst aller anderen droht.

Neid etc. mag eine besondere menschliche Schwäche unserer Breitengrade sein, doch wenn er Nahrung kriegt, so dass er zum Grundgefühl anschwillt, dann entsteht eine Schwellkraft, die vielleicht unter einem noch schwereren Deckel sich zu ballen beginnt: Die stillschweigende Ohnmacht ganzer Gruppen von Menschen, gegenseitig gefangen in Wahrnehmungen von einander, die sich nicht mehr rücken lassen.
So werden Arbeitskonflikte zu unverrückbaren Frontstellungsbezügen.

Zum Beispiel.

Bild: symposion.de