Mein Schreiben. Täglich.

Teilen Sie mit mir unbeschwerte und schwere Gedanken in Prosa oder Lyrik und versuchen Sie, Grau in Blau zu verwandeln - unter welchem Himmel auch immer.

Mir fällt das oft selbst schwer genug...


Der Präsident und die Bürger

∞  16 März 2012, 13:19

Die Debatte um Bürger und Gesellschaft – wie wollen wir Sie führen?

istockphoto.com/koun

Nun ist sie also da, die Debatte rund ums Bundespräsidentenamt in Deutschland. Nach zwei vorzeitigen Rücktritten scheint die Bevölkerung in Deutschland – und nicht nur die Medien – realisiert zu haben, dass die Bedeutung des Amtes natürlich vom Interpreten abhängt, dass es aber auch die Rückmeldung der Bürger braucht – und damit ihre klare Stellungnahme, was sie von einem solchen Amtsträger erwarten – oder, noch schöner, was sie sich wünschten?

Denn vieles ist anders vor dem nächsten Sonntag: Diesmal hat man einen Kandidaten, der in seiner Glaubwürdigkeit unbestritten ist, bezüglich seiner Positionen aber durchaus Fragen aufwerfen kann, vorzeitig auf den Schirm gehoben, so dass sich auch die Presse schon im Vorfeld ungeniert damit beschäftigen mag, was sich Deutschland denn damit einhandelt, und Gauck sich selbst auch?

Irritierend wirken sie, die nun zitierten Aussagen des Bundespräsidenten in spe, in denen er von der sozialen Hängematte spricht, auf die sich niemand verlassen können müsse, weil (auch) er die Eigenverantwortung der Bürger betont. Seine grundkonservativen Einstellungen, die einer wie Gauck auf Grund seiner Funktionen nie mit einem Parteiprogramm wirklich abstimmen musste, lassen ihn trotzdem irritierend “frei” erscheinen, ohne dass ihm alle zutrauen mögen, der Bundespräsident aller Bürger werden zu können.
Vielleicht kriegt ja Deutschland tatsächlich eine Art “Debattenpräsident”, der die Teilnehmer an der Politik wie die Steuerzahler daran erinnert, dass Teil dieser Eigenverantwortung auch die Teilnahme ist:

Der Glaube, nichts bewegen zu können, ist eine Art Fatalismus, den die meisten annehmen, ohne dass sie wirklich entsprechend eindeutige Erfahrungen gemacht haben. Das Wahlsystem mit einem Kreuzchen alle vier Jahre, mit dem man zudem nicht immer voraussehen kann, dass man auch als Wähler der Gewinner sich dann wirklich in den Koalitionen abgebildet sieht, die man selbst tatsächlich gut heissen mag, erleichtert den Vorschub des Gemeinsatzes, dass es Wurscht ist, was man wählt, der Filz bleibt eh der gleiche.

Da liegt wohl der Grund, weshalb Gauck eine Art Ruck auslöst und auch junge Deutsche ansprechen kann: Der Mann hat was, wonach man sich wahnsinnig sehnt, will man an eine gesellschaftliche Kraft glauben, die uns geblieben ist, die integrierend wirken und Gemeinsamkeiten fördern will: Der Mann hat Rückgrat und daraus folgt Glaubwürdigkeit.

Ich bin gespannt, was geschieht, wenn dieser Herr Gauck in kritischen Reden auch Bürgern auf den Schlips steht und umgekehrt dem Staat jene Verantwortlichkeit zudenkt, die uns daran erinnert, dass wir im Rahmen unserer politischen Grundvoraussetzungen genau das Gebilde haben, das wir auch verdienen.
Wie wird er es halten mit den Ängsten der etablierten Medien und Politprominenzen vor mehr Demokratie? Kann ein in einem undemokratischen System gross gewordener Pfarrer, der fast zwangsläufig zu einer Art Politiker wurde, mithelfen, dass Deuschland sein Weimarer Trauma überwindet?

Wie wird er seine als eher abschätzig qualifizierten Ansichten zu Phänomenen wie Occupy oder Stuttgart21 ausformulieren können, dass sich die Bürger von ein bisschen Protest zum Willen zur Mitgestaltung weiter entwickeln wollen?

Was wird Gauck aus seiner Rolle machen? Was sind wir für Bürger? In welchem Land auch immer.